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Volk von Frührentnern

Das Renteneintrittsalter in Italien liegt bei 58 Jahren. Doch die Kassen sind leer. Deswegen möchte die Regierung von Premierminister Romano Prodi das System reformieren und ihre Landsleute künftig erst mit 61 aufs Altenteil schicken. Dazu wurde ein Referendum auf den Weg gebracht. Karl Hoffmann berichtet.

    Lorenzo karrt Sand und Zement zu einer Seilwinde, die oben im dritten Stock eines alten Palazzo angebracht ist, dann klinkt er den dicken Haken ein, und die Schubkarre schwebt in die Höhe.

    Lorenzo ist Maurer in Palermo, ein Knochenjob unter südlicher Sonne - und schlecht bezahlt. In Sizilien leben 30 Prozent der Familien an oder unter der Armutsgrenze. Lorenzo ist nur knapp drüber. Und er wird sein Leben lang schuften müssen, da ist er sicher.

    "Nach dem neuen Gesetz bekommt man Rente erst nach fast 40 Jahren Beitragszahlungen. Ich bin jetzt 32 und habe grade mal 3 Jahre Beiträge bezahlt. Aber nachdem mich hier niemand ordnungsgemäß anstellt, werde ich auch nie in den Genuss einer Rente kommen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als was auf die hohe Kante zu legen."

    Für Lorenzo gibt es keine Alternative zu seiner prekären Situation.

    "Ich arbeite seit Jahren schwarz. Der Staat kümmert sich nicht um die kleinen Leute, also kümmert mich auch der Staat nicht."

    Lorenzo gehört zu den vielen Millionen, die über den von der Regierung vorgeschlagenen Sozialpakt gar nicht abstimmen dürfen, weil sie keine der drei Bedingungen erfüllen: Lorenzo bekommt weder Rente, noch ein Gehalt, noch ist er arbeitslos gemeldet. Genauso wie Pietro: Der ist 40 Jahre alt und Schreiner, Geld an die Rentenkasse er nie überwiesen.

    "Rentenbeiträge zahlt in diesem Land doch nur, wer muss. Keiner blecht freiwillig, das schwör ich ihnen. Ein Drittel der Italiener drückt sich mir Erfolg um Rentenbeiträge, nur die Angestellten zahlen, die ärmsten, denen bleibt nichts anderes übrig, dafür haben viele dann keine Lust mehr zu arbeiten."

    Pietro hat selbst erlebt, wie Freunde in der Stadtverwaltung nach 20 Arbeitsjahren bereits in Rente gehen konnten, weil sie die richtigen Verbindungen hatten.

    "Die Parteien schauen immer nur auf die Wählerstimmen. Egal welche grade an der Macht ist, sie hat nur Interesse daran zu gewinnen, und deshalb hat sie politisch einflussreichen Gruppen eben solche Privilegien eingeräumt. Unsere Versorgung im Alter wird garantiert nicht von unserer Rentenversicherung gelöst, die hinten und vorne nicht funktioniert."

    Jugendliche Briefträger, die mit knapp 40 bereits eine Mindestrente bekommen, teuer bezahlte Regionsangestellte, die mit 50 Jahren und 90 Prozent ihres letzten Gehaltes bereits im Ruhestand sind und, was das Beste ist, als Rentenempfänger erneut eingestellt und mit einem Zusatzgehalt belohnt werden: Vetternwirtschaft, Parteienklüngel, Bestechung und Betrug machen auch vor den Rentenkassen nicht halt. Auch die Gewerkschaften haben sich lange Zeit geweigert, einer Erhöhung des Rentenalters zuzustimmen. Nach dem jetzt stattfindenden Referendum wird sich das aber ändern. Bis 2013 muss ein neuer Rentner mindest während 36 seiner 61 Lebensjahre Beiträge bezahlt haben. Dafür hebt der Staat in den nächsten zehn Jahren die Mindestrenten an, Kosten 29 Milliarden Euro, die aber ausschließlich über höhere Rentenbeiträge finanziert werden. Lorenzo, den Maurer, interessiert das herzlich wenig. Er erwartet nichts vom Staat und will dem Staat auch nichts geben. Er ist einer aus jener Generation, die wenig Aussichten haben, jemals von einer vernünftigen staatlichen Altersfürsorge profitieren zu können. Und deshalb sieht er, wie viele andere, seine Zukunft mit Fatalismus:

    "Die Rente wird mir der Herrgott im Jenseits geben, da muss ich nicht mehr arbeiten, und alle Probleme haben sich erledigt."