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Volker Perthes: Geheime Gärten - Die neue arabische Welt.

Unser Themen-Schwerpunkt sind Neuerscheinungen, die versuchen, sich der aktuellen Lage im Nahen und Mittleren Osten anzunähern, Hintergründe schwelender Konflikte in dieser Region aufzuhellen, das Verhältnis zwischen Orient und Okzident in der Gegenwart auch mit Hilfe einer Vergangenheits-Analyse verständlich zu machen. Eine Neuerscheinung ist "Geheime Gärten - Die neue arabische Welt" - erschienen bei Siedler aus der Feder von Volker Perthes hat sich dieses Anliegen zueigen gemacht.

Thilo Kössler |
    Nichts scheint sich mehr zu bewegen im Nahen Osten – zumindest nicht zum Besseren. Der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern ist auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Statt von Frieden ist von einem neuen Krieg gegen den Irak die Rede. Und infolge des 11. Septembers ist die Bruchlinie zwischen Orient und Okzident noch schärfer geworden – nicht nur in Anbetracht des unermesslichen Hasspotentials fanatischer Islamisten, sondern auch wegen der Erkenntnis, dass die politische Landschaft dort bis heute von autokratischen Regimes geprägt ist. So gesehen ist es kein Wunder, dass der westliche Blick auf die arabische Welt reichlich resignativ ausfällt.

    Volker Perthes sieht das in seinem Buch "Geheime Gärten" anders. Er ist Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin – seine Analysen fließen in diesen Think Tank deutscher Außenpolitik ein. Perthes ist ein gefragter Kommentator nahöstlichen Geschehens, er ist ein renommierter Autor – aber vor allem: ein unbestechlicher Analytiker. Perthes spricht von der "neuen arabischen Welt". Er beobachtet eine Phase historischen Umbruchs und einen Prozess der Öffnung, und begründet dies unter anderem mit dem anstehenden Generationswechsel in den Führungseliten und dem Reformdruck durch weltweite Kommunikationsmöglichkeiten. Die entscheidende Zäsur sieht er nicht in der Wendezeit des kollabierenden Ostblocks – sie war und ist den Herrschern in der arabischen Welt bis heute ein warnendes Beispiel für die chaotischen Folgen revolutionärer Veränderung. Viel wichtiger sei die Dynamik des letzten Golfkriegs gewesen – sie äußerte sich nicht nur in der endgültigen Abkehr von der Ideologie des Panarabismus und einer stärkeren Betonung nationalstaatlicher Souveränität. Der Golfkrieg brachte alle Konfliktparteien auf der Friedenskonferenz von Madrid im Oktober 1991 zusammen und führte schließlich zum israelisch-palästinensischen Autonomieabkommen. Insgesamt habe sich damit das arabische Verständnis des arabisch-israelischen Konflikts verändert, meint Perthes: Zumindest auf der Führungsebene werde dieser Konflikt nicht mehr als Existenz- oder Identitätskonflikt wahrgenommen, sondern als Territorialkonflikt.

    Vom Frieden mag die Region noch einige Jahre entfernt sein (...) Der nahöstliche Friedensprozess befindet sich trotz der Gewalteskalation, die dem Ausbruch der Intifadah im Herbst 2000 folgte, in einer Abschlussphase, in der die Konturen zukünftiger Abkommen allen Beteiligten weitgehend klar sind. Das gilt (...) für ein israelisch-palästinensisches Abkommen genauso wie für ein israelisch-syrisches. Nur weiß heute eben niemand, wie lange diese Abschlussphase noch dauern wird: Die Fähigkeit politischer Akteure, realistische und vernünftige Regelungen zu verzögern, ist manchmal erstaunlich.

    Es geht darum, zu welchen Bedingungen, wann und genau welches Territorium die Palästinenser von den Israelis übernehmen, beziehungsweise wann und zu welchen Bedingungen das noch besetzte syrische Territorium von Israel an Syrien zurückgegeben wird. Bedingungen heißt: Normalisierung der Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und Israel, und das bringt uns dazu zu sagen: Es ist kein Konflikt mehr, wo es um die Existenz des einen oder anderen Staates oder des einen oder anderen Volkes in der Region geht. Man hat akzeptiert, dass Israel nicht nur de facto da ist, sondern man hat auch auf arabischer Seite akzeptiert, dass Israel ein Mitspieler sein wird, der ein legitimes Recht hat, dort zu sein, wenn er denn das tut, was man von ihm erwartet, nämlich sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen.

    Dieses Buch bringt Ordnung ins Dickicht der komplexen Zusammenhänge nahöstlicher Politik. Perthes schildert zunächst die historische Gesamtentwicklung der arabischen Welt seit dem Ende der Kolonialzeit, der Unabhängigkeit und dem Aufkommen von panarabischem Nationalismus und Sozialismus. Der Autor stellt die arabisch-israelischen Kriege in den Kontext der politischen, wirtschaftlichen und demographischen Entwicklung in der Krisenregion: Er schildert den Weg zum Friedensprozess und analysiert das innenpolitische Konfliktpotential im Zeichen der islamistischen Drohgebärden. Auf dieser Grundlage widmet sich Perthes der Situation in den einzelnen Ländern – geht detailliert auf Geschichte, Herrschaftsstrukturen, Sozial- und Wirtschaftsentwicklung ein. Sein eigentliches Thema verliert er aber nie aus den Augen: Die politische Zukunft der arabischen Welt. Dabei will der Autor neue Kriege keinesfalls ausschließen. Und liefert, ohne dass das aktuelle Irak-Szenario zum Zeitpunkt der Veröffentlichung abzusehen gewesen wäre, wichtige Argumentationshilfen gegen einen Angriff auf Bagdad. Langfristig wird der Friedensprozess wieder in Gang kommen - schließlich sei die Zeit der Ideologien und Doktrinen auch im arabischen Nahen Osten vorüber. Vor allem aber steht der arabischen Welt schon aus biologischen Gründen ein umfassender Wandel ins Haus.

    Der Tod von gleich drei altgedienten arabischen Monarchen im Jahre 1999 stieß eine ganze Reihe internationaler Beobachter erstmals darauf, dass die arabische Welt im Laufe etwa einer Dekade einen nahezu umfassenden politischen Führungs- und Generationswechsel erleben würde. (...) Bei dem teils begonnenen, teils anstehenden Wechsel handelt es sich um eine gesamtregionale Erscheinung: Es geht nicht nur um die Nachfolgeproblematik in einem einzelnen Land; vielmehr hat die Mehrzahl der Staaten seit fünfzehn, zwanzig oder mehr Jahren weder einen Austausch des obersten Entscheidungsträgers noch eine Neuformierung der politischen Führungsschicht erlebt.

    Allerdings hat der personelle Wechsel in Jordanien, in Marokko, in Bahrain und mittlerweile auch in Syrien deutlich gemacht, dass alle Hoffnungen auf revolutionäre Veränderungen fehlgingen: Demokratisierung, Öffnung und politischer Reformprozess gehen auch unter neuer Führung nur im Schneckentempo voran.

    Wo ein Wechsel an der Spitze keinen radikalen Bruch darstellt – wie im Falle einer Revolution oder eines Putsches (...) – werden die Nachfolger lang gedienter Staatslenker fast immer versuchen, gleichzeitig Kontinuität und Wandel zu versprechen(...) Sie müssen unterstreichen, dass sie die Errungenschaften ihrer Vorgänger wahren werden, um sich potentiellen Konkurrenten und den Vertretern der "Alten Garde" gegenüber als legitime Nachfolger zu präsentieren, die weder das Erbe verspielen noch die Mitglieder der alten Führungsschicht bedrohen werden.

    Statt echter Demokratie wird es auch in Zukunft nur einen "autoritären Pluralismus" geben, schreibt Perthes: An der Omnipotenz der Regenten werde nicht zu rütteln sein – trotz größeren öffentlichen Disputs, trotz größerer Informationsfreiheit, trotz größerer Einbindung wirtschaftlicher und intellektueller Eliten in den politischen Entscheidungsprozess. Doch wird dieses Reformtempo ausreichen? Erst unlängst attestierten die Vereinten Nationen den Regimes in der arabischen Welt, die soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung in ihren Länder derart gebremst zu haben, dass sie zum internationalen Schlusslicht geworden sind. Dazu Volker Perthes:

    Ich denke, dass viele der Eliten – sowohl der alten wie der neuen Eliten – zu langsam agieren wollen, zum Teil aus Rücksicht auf politische Koalitionspartner, zum Teil, weil sie Angst haben, dass zu schnelle politische Reformen ihnen den Stuhl unter dem Hintern wegziehen könnten. Hier wird zu langsam agiert: hier gibt es wirtschaftlichen Druck, schon einfach deshalb, weil schon heute in der arabischen Welt – das ist für uns Deutsche ja kaum vorstellbar – nahezu 50 Prozent der Bevölkerung unter 18 Jahren alt ist. Das ist ein unglaublicher Druck von unten, das sind junge Leute, die arbeiten wollen, die reisen wollen, die lernen wollen. Und die ihren Regimes auch sagen – in der einen oder anderen Form, sei es durch Abstimmung mit den Füßen oder durch Protest wie in Algerien oder anderen Staaten – die ihren Regimes sagen, ihr müsst etwas für uns tun, wir haben berechtigten Anspruch auf eine Zukunft.

    Der Fortgang des Friedensprozesses wird dabei von entscheidender Bedeutung sein: das Ende des arabisch-israelischen Konfliktes - und damit schließt Perthes den großen Bogen seiner umfassenden Analyse - würde die Chancen für eine demokratische Entwicklung in der arabischen Welt erheblich erhöhen. Denn der Fortbestand dieser Konfrontation gibt autoritären Regimes immer wieder Auftrieb und Legitimation.

    Fazit: Es ist die optimistische Grundhaltung, die dieses Buch so lesenswert macht – und es ist die Kombination aus Analyse und Mut zur klaren These, die dieses Buch zum echten Erkenntnisgewinn werden lässt. Die "Geheimen Gärten" vermitteln ein neues Verständnis von der arabischen Welt und ihrer politischen Dynamik. Das Buch schließt eine wichtige Lücke zwischen sperriger Wissenschaftsliteratur und den mitunter klischeehaft-tendenziösen Veröffentlichungen populärwissenschaftlicher Nahostautoren. So gesehen hätte man sich die Lektüre vieler Bücher zum Nahen Osten in den letzten Jahren sparen können, wenn Volker Perthes seinen Band früher vorgelegt hätte. Doch nun kommt er zur rechten Zeit – und ist auch noch brillant geschrieben.

    Volker Perthes: "Geheime Gärten - Die neue arabische Welt", erschienen im Siedler-Verlag, Berlin 2002, 367 Seiten, 24 Euro.