Es ist gegen neun Uhr abends, irgendwo zwischen den gesichtslosen Hochhäusern am südwestlichen Stadtrand von Moskau. Jugendliche haben sich zusammengetan, eine Flasche mit einer wasserhellen Flüssigkeit macht die Runde, geht von Mund zu Mund: Wodka. Hochprozentiger Alkohol, der schnell Wirkung zeigt. Eine Szene, die sich in Russland täglich hundertfach, tausendfach wiederholt. Soziologen wie Franc Sheregi haben alarmierende Daten erarbeitet:
"Mit 13, 14, sagt er, fängt heute schon jeder dritte Jugendliche an, aktiv zu trinken. Bei den 15- bis 16-Jährigen sind es schon fast zwei Drittel."
Aber nicht nur, dass sie trinken, ist riskant – sondern auch was sie trinken. "Also, wir checken nicht großartig, was wir so trinken", rufen die jungen Mädchen, "was uns eben schmeckt, das trinken wir."
Und hier wird aus dem Risiko oft eine tödliche Gefahr. Allein in den vergangenen zehn Monaten seien rund 18.000 Alkoholtote registriert worden, musste jetzt der Sprecher der russischen Duma, Boris Gryslov, öffentlich einräumen. Von einer Massenvergiftungswelle durch gepanschten Alkohol ist inzwischen in den russischen Medien offen die Rede. Auslöser des Ganzen: Ein neues Lizenzverfahren im Sommer hat offenbar vielen Alkohol-Kleinhändlern die Existenzgrundlage entzogen - und einem alten Phänomen in Russland neues Leben eingehaucht: der Schwarzbrennerei.
Die meisten Kunden des "Samogon", des Selbstgebrannten, gehören der verarmten Unterschicht an. Es betrifft die Stadtbevölkerung, vor allem aber die Menschen auf dem Land, die weithin ohne Arbeit und Perspektive sind, und Männer wie Frauen sind betroffen. Niemand weiß, was in dem Billigfusel-Angebot miteinander vermischt ist. Als Faustregel in der Alkoholikerszene gilt: Was süß schmeckt, ist wahrscheinlich giftig. Wahrscheinlich. Getrunken wird es dann doch. Egal, ob alkoholhaltige Desinfektionsmittel oder vergällte Fensterreiniger die Basis bilden. Populär ist ein in manchen Dorfläden erhältliche, liebevoll "Trojak" genanntes Gebräu - zu Deutsch etwa "Dreier-Trunk" oder "Dreibein", eigentlich eher Industrie-Sprit.
Das greisenhafte Gesicht von Anna aus der trostlosen Siedlung Komary in Mittelrussland verzieht sich zu einem zahnlosen, schiefen Lächeln: Sie habe doch ihr Leben schon gelebt, mit ihren 50 Jahren. Ja, "Dreibein" trinke man hier. Wodka koste doch 60 Rubel, das "Dreibein" nur 15.
Statt umgerechnet 1,80 Euro für den Liter zertifizierten Billigschnaps also lieber 60 Cent, denn das Geld ist knapp, und die Leber ohnehin schon irreversibel zerstört.
Die Gewinnspanne für die skrupellosen Panscher ist gewaltig. Umgerechnet rund 5,3 Milliarden Euro sollen im vergangenen Jahr am Fiskus vorbeigeschleust worden sein, heißt es aus dem russischen Rechnungshof. Weniger die Volksgesundheit als die entgangene Branntweinsteuer habe das russische Parlament wohl jetzt veranlasst, ein neues Gesetz zu beraten, vermuteten sofort manche Experten mit zynischem, aber erfahrungsgesättigtem Unterton. Danach will die Politik bald wieder das staatliche Monopol über die Produktion und den Verkauf von Alkohol einführen - so wie schon zu sowjetischen Zeiten. Die Trunksucht im Volk ließ sich nicht austrocknen und wird durch ein neues Alkoholstaatsmonopol ebenso wenig zu bekämpfen sein.
Da helfen letztlich auch gutgemeinte Appelle nicht weiter wie von diesem Alkoholabhängigen, der an toxischer Hepatitis leidet, verzweifelt mit seinen gelblich verfärbten Augäpfeln rollend in die Fernsehkamera zu blicken versucht und dabei keucht:
"Nein, Jungs, lasst es sein! Trinkt dieses Mistzeug nicht, diesen gepanschten Sprit, diese so genannten Portweine - diese ganze Seuche."
"Mit 13, 14, sagt er, fängt heute schon jeder dritte Jugendliche an, aktiv zu trinken. Bei den 15- bis 16-Jährigen sind es schon fast zwei Drittel."
Aber nicht nur, dass sie trinken, ist riskant – sondern auch was sie trinken. "Also, wir checken nicht großartig, was wir so trinken", rufen die jungen Mädchen, "was uns eben schmeckt, das trinken wir."
Und hier wird aus dem Risiko oft eine tödliche Gefahr. Allein in den vergangenen zehn Monaten seien rund 18.000 Alkoholtote registriert worden, musste jetzt der Sprecher der russischen Duma, Boris Gryslov, öffentlich einräumen. Von einer Massenvergiftungswelle durch gepanschten Alkohol ist inzwischen in den russischen Medien offen die Rede. Auslöser des Ganzen: Ein neues Lizenzverfahren im Sommer hat offenbar vielen Alkohol-Kleinhändlern die Existenzgrundlage entzogen - und einem alten Phänomen in Russland neues Leben eingehaucht: der Schwarzbrennerei.
Die meisten Kunden des "Samogon", des Selbstgebrannten, gehören der verarmten Unterschicht an. Es betrifft die Stadtbevölkerung, vor allem aber die Menschen auf dem Land, die weithin ohne Arbeit und Perspektive sind, und Männer wie Frauen sind betroffen. Niemand weiß, was in dem Billigfusel-Angebot miteinander vermischt ist. Als Faustregel in der Alkoholikerszene gilt: Was süß schmeckt, ist wahrscheinlich giftig. Wahrscheinlich. Getrunken wird es dann doch. Egal, ob alkoholhaltige Desinfektionsmittel oder vergällte Fensterreiniger die Basis bilden. Populär ist ein in manchen Dorfläden erhältliche, liebevoll "Trojak" genanntes Gebräu - zu Deutsch etwa "Dreier-Trunk" oder "Dreibein", eigentlich eher Industrie-Sprit.
Das greisenhafte Gesicht von Anna aus der trostlosen Siedlung Komary in Mittelrussland verzieht sich zu einem zahnlosen, schiefen Lächeln: Sie habe doch ihr Leben schon gelebt, mit ihren 50 Jahren. Ja, "Dreibein" trinke man hier. Wodka koste doch 60 Rubel, das "Dreibein" nur 15.
Statt umgerechnet 1,80 Euro für den Liter zertifizierten Billigschnaps also lieber 60 Cent, denn das Geld ist knapp, und die Leber ohnehin schon irreversibel zerstört.
Die Gewinnspanne für die skrupellosen Panscher ist gewaltig. Umgerechnet rund 5,3 Milliarden Euro sollen im vergangenen Jahr am Fiskus vorbeigeschleust worden sein, heißt es aus dem russischen Rechnungshof. Weniger die Volksgesundheit als die entgangene Branntweinsteuer habe das russische Parlament wohl jetzt veranlasst, ein neues Gesetz zu beraten, vermuteten sofort manche Experten mit zynischem, aber erfahrungsgesättigtem Unterton. Danach will die Politik bald wieder das staatliche Monopol über die Produktion und den Verkauf von Alkohol einführen - so wie schon zu sowjetischen Zeiten. Die Trunksucht im Volk ließ sich nicht austrocknen und wird durch ein neues Alkoholstaatsmonopol ebenso wenig zu bekämpfen sein.
Da helfen letztlich auch gutgemeinte Appelle nicht weiter wie von diesem Alkoholabhängigen, der an toxischer Hepatitis leidet, verzweifelt mit seinen gelblich verfärbten Augäpfeln rollend in die Fernsehkamera zu blicken versucht und dabei keucht:
"Nein, Jungs, lasst es sein! Trinkt dieses Mistzeug nicht, diesen gepanschten Sprit, diese so genannten Portweine - diese ganze Seuche."