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Volksmusik als Quelle der Inspiration

Es kommt nicht gerade oft vor, dass ein großer Klassik-Solist als seine musikalischen Wurzeln die Folklore seines Heimatlandes benennt. Der griechische Geiger Leonidas Kavakos ist so jemand. Er wuchs in einer von Ethno-Klängen geprägten Umgebung auf und lernte erst einmal die griechische Folklore-Musik kennen und lieben.

Von Ludwig Rink | 10.09.2006
    Auch heute noch, wo er mit den berühmtesten Orchestern rund um den Erdball die wichtigen Werke der Violinliteratur von Beethoven bis Alban Berg zu Gehör bringt, rühmt er die ungeheure Bereicherung, den Spaß, den der Besuch eines Folklore-Konzertes mit sich bringen kann.

    Man muss gleich an einen Musiker wie Bela Bartok denken, dem die Volksmusik eine nie versiegende Quelle der Inspiration war, der auch durchaus direkt Melodien, Rhythmen und andere Elemente entlehnte und daraus seine eigene "klassische" Musik entwickelte. Doch ein Geiger, der heute Mendelssohn und morgen Mozart spielt, was hat der noch von solchen musikalischen Wurzeln?

  • Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart - Aus: Violinkonzert Nr. 1

    Klar - das ist natürlich keine griechische oder sonstige Folklore. Es sind Motive aus dem ersten Satz von Mozarts Violinkonzert KV 207, von Leonidas Kavakos selbst zusammengestellt zur solistischen Kadenz. Der Geiger nutzt also die einzige Chance, die dem Klassik-Interpreten heute noch zur "Improvisation" bleibt, ist aber dabei viel zu klug, hier irgend etwas Exotisches, nicht zu Mozart und seiner Zeit Gehörendes einfließen zu lassen.

    Aber die Art und Weise, wie er den Melodien nachhorcht, die Versenkung in ihren jeweiligen Charakter, die Spielfreude, mit der er sie variiert, der Mut zu artistischen Einlagen - das alles können im besten Fall auch Merkmale echter Volkmusik sein, mag sie nun aus Asien, Amerika, Afrika, Australien oder aus Europa kommen.


    Im Februar dieses Jahres hat Kavakos zuhause in Athen im Megaron-Konzertsaal, wo er seit bald 15 Jahren auch ein eigenes Kammermusikfestival betreut, die fünf Violinkonzerte Mozarts aufgeführt und mitschneiden lassen. Sony Classics hat die Aufnahmen jetzt im Sommer veröffentlicht. Beim Hören der ersten Takte der ersten CD lenken einige bei Live-Aufnahmen unvermeidbare Nebengeräusche zunächst noch ein wenig ab, doch schon nach kurzer Zeit nimmt einen Kavakos' beseeltes Spiel gefangen. Natürlich ist es intonationsicher und technisch solide.

    Dazu eine Anekdote: Als der berühmte polnisch-amerikanische Violinprofessor Josef Gingold zum ersten Mal eine Paganini-Aufnahme von Leonidas Kavakos hörte, soll er das Band zur Prüfung einigen Toningenieuren gegeben haben - er konnte nicht glauben, dass jemand ohne aufnahmetechnische Tricks Paganinis halsbrecherisch-schwierige Solostücke so schnell und so perfekt spielen konnte.

    Doch das ist bei Mozart und für Kavakos generell nicht das Wesentliche. Wichtiger ist der musikalische Ausdruck, die sinnvolle, der Transparenz und der formalen Klarheit dienende Phrasierung, die richtigen Tempo-Relationen, die Färbung des Tons besonders in langsamen Sätzen, die angemessene Wahl von Lautstärkegraden und Hervorhebungen. Vieles dazu steht in den Noten, vieles bleibt aber auch den Musikern überlassen. Und die hohe Kunst gerade bei Mozart besteht darin, das alles nicht ausgetüftelt, gewollt oder manieristisch, sondern quasi natürlich fließend über die Rampe zu bringen. Kavakos gelingt das mit geradezu nachtwandlerischer Sicherheit.

  • Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart - Aus: Violinkonzert Nr.3

    Besonders schön zu hören war in diesem Rondeau aus Mozarts 3. Violinkonzert auch das intime Zusammenwirken von Solist und Orchester. Kavakos hat in der Camerata Salzburg für diese Musik einen kongenialen Partner gefunden. Das österreichische Kammerorchester kann inzwischen auf eine über 50-jährige Geschichte zurückblicken, die von drei großen Chefdirigenten geprägt wurde: Bernhard Paumgartner, Sándor Végh und seit 1998 von Roger Norrington.

    Hinzu kommen eine ganze Reihe illustrer Solisten, die nicht nur gelegentlich, sondern über längere Zeiträume mit dem Orchester zusammengearbeitet haben, allen voran der Pianist Geza Anda, der zehn Jahre lang mit der Camerata Konzerttourneen unternahm und ein großes Plattenprojekt, nämlich die Aufnahme der Mozart-Klavierkonzerte, realisierte. Und das sind nicht nur fünf wie bei den Violinkonzerten, sondern insgesamt immerhin 24.

    Und Geza Anda war es auch, der 1960 erstmals vom Klavier aus selber leitete - gegen den anfänglichen Widerstand Paumgartners, aber durchaus historisch korrekt und in der Folge sehr erfolgreich. Für Leonidas Kavakos hat die Camerata Salzburg eigens eine neue Position erfunden: Sie machte ihn vor fünf Jahren zu ihrem "Prinzipal Guest Artist", was ihm die Möglichkeit eröffnete, mit diesem renommierten Ensemble Programme zusammenzustellen und als Solist und Dirigent in Salzburg und Wien und auf Tourneen aufzutreten. Leonidas Kavakos und die Camerata Salzburg: Wir blenden uns ein in den Schluss-Satz des 5. Violinkonzertes.

  • Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart - Aus: Violinkonzert Nr. 5

    Die Neue Platte - heute mit den Violinkonzerten von Wolfgang Amadeus Mozart, gespielt von Leonidas Kavakos und der Camerata Salzburg, mitgeschnitten und jetzt als CD herausgebracht von Sony Classical. Hier im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.


    Titel: "Mozart - Violinkonzerte"
    Solist+Leitung: Leonidas Kavakos
    Orchester: Camerata Salzburg
    Label: Sony Classical
    Labelcode: LC 06868
    Bestellnr.: 82876842412