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Volkstheater Wien
Eröffnung mit Epochenspagat

Das Wiener Volkstheater gibt sich weiterhin als aktualitätsgetriebener Widerpart zu Burgtheater und Schauspielhaus. Intendantin Anna Badora hat weltpolitische Schurken auf den Spielplan gesetzt. Ihre dritte Spielzeit eröffnet sie mit einem Mix aus "Iphigenie auf Aulis" und einem zeitgenössischen Fluchtstoff.

Von Michael Laages | 09.09.2017
    Volkstheater in Wien
    In ihrer dritten Spielzeit am Volkstheater in Wien setzt Intendantin Anna Badoras Bezüge zu Donald Trump und Kim Jong Un (Volkstheater / Lupi Spuma)
    Ob zurzeit vielleicht ein wenig exzessiv mit prominenten Namen um sich geworfen wird gerade von besonders politisch motivierten Theatermachern? Jedenfalls spickt das Wiener Volkstheater das Programmheft zur Doppel-Inszenierung am Saisonstart mit Bezügen auf alle aktuellen "bad guys" der Weltpolitik: Donald Trump und Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und sogar Kim Jong Un.
    Dabei passt bestenfalls das zuweilen waffenklirrende Wort-Gerassel der erwähnten Quadrilha zum Wiener Abend; und eigentlich auch bloß zum ersten Teil – das Dramatiker-Phantom Soeren Voima (hinter dem sich vor allem der Hamburger Dramaturg Christian Tschirner verbirgt) hat Euripides und dessen "Iphigenie in Aulis" sprachlich aufbereitet fürs Heute und Hier.
    Die Mädchen des Hafenstädtchens Aulis sind recht wild und gierig auf schöne, junge Helden-Männer; wie diesen Achilleus, dessen Name missbraucht worden ist als künftiger Ehemann, um Iphigenie ans Meer zu locken, wo der griechische Heerführer Agamemnon sie, die eigene Tochter, opfern soll für günstige Winde, die die Flotte gen Troja segeln lassen sollen.
    Sprachlich sehr frei bearbeitet
    Eigentlich will der Vater das nicht, verständlicherweise; aber längst hat sich die kriegerische Hetze gegen Troja verselbständigt nach der Entführung der Königsgattin Helena durch den Prinzen Paris, dieses "asiatische Aas" – klar, das sich vor allem in der Wortwahl die Bearbeitung durch Soeren Voima manifestiert.
    "Ganz Griechenland ist heiß auf diesen Krieg" steht so natürlich auch in keiner Euripides-Übersetzung; aber es leuchtet ein, diesen wachsenden Kriegswahn zu verstärken und zu verschärfen im Text – immerhin gehört zu den zentralen Passagen auch im Original die Wandlung des Opferlamms Iphigenie in die kriegsbrünstige Jung-Heldin, die das eigene junge Leben plötzlich mit heißem Herzen hingeben will für Führer, Volk und Vaterland.
    Schrille Familiensaga mit viel Geplansche
    Auf diesen Aspekt haben Voima und Regisseurin Anna Badora den ersten Teil des Abends fokussiert; Damian Hitz hat dafür einen eher leeren Strand mit viel Wasser entworfen, hinter dem riesige Ventilatoren auf den Einsatz warten, um kriegsfördernd ganz viel Wind zu machen.
    Leider aber rutscht der Rest der Antike stark ab in eine mal mehr, mal minder schrille Familien-Saga. Die Brüder Agamemnon und Menelaos jagen einander streitend im spritzenden Wasser herum, Krieger-Gattin Klytämnestra scheint sich eher dem jungen Herrn Achilleus hingeben zu wollen (auch im Wasser planschend!), bevor sie als betrogene Mutter zur Furie wird. Und auch Katharina Klars Iphigenie mutiert im Opfer-Mut nicht wirklich zur ekstatischen Heldin.
    Im zweiten Teil wird vor allem erzählt
    Heldentum gibt’s erst im zweiten Teil. Haifa, die graue Alte, erzählt die Geschichte der Flucht – 8000 Kilometer von Syrien bis Schweden; über die Türkei, Griechenland und Mazedonien; auf der Balkan-Route über Deutschland und Polen.
    Stefano Massini erzählt nur, da ist nichts Szenisches im Spiel. Und Badoras Ensemble erfindet auch kaum etwas hinzu – einen klaustrophobischen Container aus Plexiglas, Seile vom Bühnenhimmel, um einen Zug-Waggon zu erklettern. Und ein Kind aus dem Publikum wird gebeten, den Weg durchs Minenfeld zu proben an der mazedonischen Grenze …
    Vor allem wird vielstimmig erzählt. Und im Kollektiv entsteht eine Art Sog; die Geschichte der alten Haifa (das heißt auch: der Schauspielerin Henriette Thimig) hat auch ohne forcierte szenische Behauptung enorme Kraft. Manche Zutat war nicht dringend nötig – etwa der Auftritt einer weißen Maus im Terrarium, die als Live-Video-Projektion diese Flucht-Stunde begleitet.
    Strukturell ziemlich wackliger Abend
    Und auch Anna Badoras dramaturgische "Idee" für den Zusammenhalt des strukturell ziemlich wackligen Abends trägt nicht wirklich – im ersten Teil, schreibt sie, werde vom wachsenden Kriegswahn erzählt; dann sei Pause, und bei Sekt und Schnittchen stelle sich das Publikum "Krieg" vor. Danach sei von den Folgen die Rede …
    Naja. Jeder Teil für sich hatte Kraft in Wien; der zweite dabei deutlich mehr. Gemeinsam aber blieb der Start am Volkstheater doch nur ein Wechselbalg.
    "Iphigenie in Aulis" von Euripides/Soeren Voima und "Okzident Express" von Stefano Massini. Volkstheater Wien. Regie: Anna Badora. Weitere Aufführungen am 10., 15., 20., 22. und 29. September sowie am 3. Oktober