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Volkswagen als Wahlkampfthema

"Wohlstand für alle" und "Keine Experimente": Mit diesen Werbesprüchen gewann die CDU die Bundestagswahl 1957. Das Volkswagenwerk eignete sich vorzüglich zur Umsetzung dieser wirtschaftspolitischen Ideen. Das Unternehmen wurde 1959 privatisiert.

Von Wolfgang Kilian |
    "Es ist ein vergoldeter Volkswagen, der von hier aus als Symbol der Volkswagenstadt Wolfsburg eine Reise um die Welt antreten wird."

    Als im August 1955 der millionste Käfer vom Band rollte, hatte sich das Volkswagenwerk bereits zum führenden deutschen Autobauer entwickelt. Unklar war jedoch, wem das Werk eigentlich gehörte. Deshalb kam es am 16. März 1960 zur Verabschiedung des sogenannten "VW-Gesetzes".

    Es ist bis heute das einzige Bundesgesetz, das rechtliche Strukturen eines Produktionsunternehmens zum Teil abweichend vom allgemeinen deutschen Recht regelt. Die Gründe dafür liegen in der komplizierten Geschichte des Werkes:

    Im Jahre 1934 hatte Hitler die Herstellung eines Autos für das Volk, also eines Volkswagens, angekündigt. Mit dem enteigneten Vermögen der Gewerkschaften ließ er die Volkswagen GmbH gründen. Nach dem Krieg hatte die britische Militärregierung das Werk beschlagnahmt und dem Land Niedersachsen die Kontrolle "im Namen und unter Weisung der Bundesregierung" übertragen.

    Der große wirtschaftliche Erfolg des Käfers weckte bald Begehrlichkeiten. Der Bund, das Land Niedersachsen und die Gewerkschaften stritten sich um die Eigentumsrechte am Volkswagenwerk. Dessen Privatisierung wurde ein Hauptthema im Bundestagswahlkampf 1957.

    Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard kündigte in seiner Rede vor dem CDU-Parteitag im Mai 1957 einen solchen Schritt als Element der sozialen Marktwirtschaft an:

    "Es ist von symbolischer, wegweisender Bedeutung, dass sich damit unsere Partei entschlossen hat, das Volkswagenwerk über das Mittel der Volksaktie in den Besitz weitester Volkskreise zu überführen."

    Und Bundeskanzler Konrad Adenauer sagte nach der sensationell hoch von der CDU gewonnen Wahl in seiner Regierungserklärung:

    "Schaffung von Kapital, meine Damen und Herren, ist notwendig, um die Produktivität unserer Wirtschaft zu steigern und sie krisenfest zu machen. Streuung von Besitz in weitem Umfang ist nötig, um einer möglichst großen Zahl von Staatsbürgern Selbstgefühl und das Gefühl der Zugehörigkeit zum Volksganzen zu geben."

    In dem von Erhard und Adenauer vorgelegten Gesetzesentwurf zum VW-Gesetz
    gingen beide stillschweigend vom Eigentum des Bundes am Volkswagenwerk aus. Das stieß aber auf heftige Kritik der ebenfalls CDU-geführten niedersächsischen Landesregierung. Als Kompromiss bot sich an, die Erlöse aus dem Verkauf von Aktien der zu gründenden Volkswagenwerk AG in eine Nationalstiftung zur Förderung von Wissenschaft und Technik einzubringen.

    Das Klima für eine solche Entscheidung war gut, denn am 4. Oktober 1957 hatte die Sowjetunion den künstlichen Satelliten "Sputnik" ins Weltall geschossen und gegenüber Amerika und der westlichen Welt ihre wissenschaftlich-technische Überlegenheit demonstriert.

    Nach heftigen Debatten kam es schließlich im November 1959 zu dem Kompromiss. Bund und das Land Niedersachsen schlossen einen Vergleich. Danach wollten beide jeweils 20 Prozent des Grundkapitals der künftigen Volkswagenwerk AG übernehmen und die restlichen 60 Prozent in Form von Kleinaktien zu günstigen Preisen den Arbeitnehmern des Werkes sowie Bürgern mit niedrigem Einkommen anbieten. Ferner wurde die Gründung der "Stiftung Volkswagenwerk" beschlossen. Ihr wurden alle Erlöse aus der Privatisierung zugesprochen. Schließlich sah der Vergleichsvertrag die Entsendung von je zwei Regierungsmitgliedern in den Aufsichtsrat der zu gründenden Volkswagen AG sowie eine Stimmenmehrheit von 80 Prozent in der Hauptversammlung bei wichtigen Beschlüssen vor.

    In einem Vorschaltgesetz billigte der Bundestag die Regelungen des Vergleichsvertrages. Das VW-Gesetz selbst übernahm die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des Vergleichsvertrages und legte zusätzlich fest, dass ohne Zustimmung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat kein Beschluss über die Errichtung oder Verlegung von Produktionsstätten gefasst werden darf.

    Der Bund hat im Jahre 1986 seine VW-Aktien verkauft und den Erlös an die VolkswagenStiftung überwiesen. Das Land Niedersachsen hat seine VW-Aktien behalten.

    Was ist aus der Privatisierung des Volkswagenwerkes geworden?

    Die Idee der Volksaktie konnte sich nicht durchsetzen. Die Kleinaktionäre verkauften ihre Beteiligungen nach Ablauf der Sperrfrist mit Gewinn.

    Die Idee einer Wissenschaftsstiftung wurde dagegen ein Erfolg. Die VolkswagenStiftung verfügt heute als größte deutsche Wissenschaftsstiftung über ein Kapital von mehr als zwei Milliarden Euro.

    Und die Volkswagen AG? Sie ist zum zweitgrößten Automobilhersteller der Welt aufgestiegen. Die gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten des VW-Gesetzes haben sich bewährt: Wichtige Veränderungen im Unternehmen wurden von der Belegschaft mitgetragen, riskante Finanzspekulationen mit dem Ziel der Übernahme und Ausbeutung des Unternehmens wurden abgewehrt.