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Vollblutgewerkschafter mit globalem Weitblick

Gewerkschafter kämpfen für die Rechte der Arbeiter. Gewerkschafter sind ganz nah an der Basis - sie stammen ja selbst aus der Arbeiterklasse. Diese alten Klischees stimmen nicht mehr. Mittlerweile sind viele Gewerkschaftsfunktionäre Akademiker - und es gibt sogar einen Master-Studiengang speziell für sie: "Labour Policies and Globalisation".

Von Peter Küster | 06.04.2006
    Empfang im Kasseler Rathaus. Bei Häppchen, Sekt und O-Saft wird diskutiert und geplaudert. Hunderte Wissenschaftler aus der ganzen Welt sind angereist. Sie feiern die Gründung der Global Labour University. Vier Universitäten werden künftig eng verzahnt junge Gewerkschafter in Sachen Weltmarktregeln und Arbeitspolitik ausbilden. In Brasilien in Südafrika und in Deutschland. Hier gibt es den Magisterstudiengang "Labour Policies and Globalisation bereits.
    Studiert wird in Kassel und Berlin. Je zur Hälfte. Viel Zeit haben die Studierenden nicht. Nur ein Jahr dauert der Masterstudiengang. Inklusive sechs Wochen Praktikum. Karen Balke hat sich dafür angenommen, nach dem Politikstudium noch einen drauf zu setzen.

    "Es ist sehr stressig. Also, wenn ich das mit meinem Politikstudium vergleiche, wo man sich aussuchen konnte, was man macht – es reicht nicht, um einen Schein zu machen, ein Referat zu halten und eine Hausarbeit zu machen, sondern man muss dann noch Inhaltsangaben, Kurzreferate, Protokoll schreiben, Inhaltliches, mit diskutieren natürlich. Und dann noch Essays schreiben und Klausuren. Und das ist dann schon recht viel manchmal."

    Am Ende steht dann der Vollblutgewerkschafter mit globalem Weitblick. Schließlich sollen auch die Arbeitnehmervertreter mitreden können und verstehen, wenn es um Globalisierung geht. Nur wer weiß, wie die Weltwirtschaft funktioniert, kann auch mit gestalten. Bei den Gewerkschaften scheint jedenfalls Bedarf an qualifiziertem Personal zu bestehen. Harald Kröck hat den Masterstudiengang Labour Policies and Globalisation abgeschlossen.

    "Nach dem Abschluss war ich jetzt ein halbes Jahr in Genf bei der International Labour Organisation, habe dort ein Projekt realisiert. Ende April wird das zu Ende sein. Ich werde ab Mai anfangen bei ver.di, der deutschen Gewerkschaft und werde dort bei einem Projekt die Koordination übernehmen."

    Ab dem Jahr 2007 soll der Masterstudiengang dann auch an den beiden Unis in Südafrika und in Brasilien - Wits und Unicamp - angeboten werden. Dann werden die Studenten nach einem Semster nicht nur von Kassel nach Berlin wechseln können. Sondern eben auch nach Südafrika oder Brasilien. Christoph Scherrer, Prof an der Kasseler Universität, treibende Kraft bei der internationalen Kooperation.

    "Wir haben schon häufig zusammen gesessen und darüber nachgedacht, was wir vermitteln wollen, wie wir es vermitteln wollen. Und zum anderen wollen wir den Studierenden die Möglichkeit geben, nach einem halben Jahr den Ort zu wechseln. Und wir laden unsere Kollegen gegenseitig ein, um in der Lehre mitzuwirken und so auch eine gewisse Pluralität der Sichtweisen zu erzeugen."

    Genau das ist es auch, was für Karen Balke den Reiz des Studiums ausmacht. Die Pluralität der Sichtweisen, die sie unter den Studierenden erlebt. Auch, wenn natürlich alle eines gemeinsam haben - den gewerkschaftlichen Hintergrund.

    "Das Besondere ist eben, dass Gewerkschafter aus der ganzen Welt zusammenkommen. Das sind eben nicht wahllos zusammengestellte Studierende, sondern man muss gewerkschaftlich engagiert gewesen sein. Und das Besondere ist eben, dass man sich mit Gewerkschaftern aus der ganzen Welt austauschen kann, ganz andere Probleme kennen lernt, ganz andere Herangehensweisen kennen lernt und dass sich der Horizont zumindest für mich ganz unglaublich erweitert hat.""

    Einen großen Teil des Studiums macht die Hausarbeit aus. Von den Studierenden wird verlangt, dass sie sich gründlich auf die Vorlesungen vorbereiten. Also beispielsweise vorher Texte lesen, um dann mit diskutieren zu können. Harald Kröck, hat vorher drei Jahre Betriebswirtschaft studiert, bevor er das - wie er sagt - sehr akademische Studium begonnen und mittlerweile ja auch abgeschlossen hat.

    "Es gibt also einen großen Bereich "Politik, Globalisierung", wo man also lernt, wie Organisationen wie WTO wie Weltbank funktionieren. Dann gibt es einen Bereich, wobei man über Gewerkschaftsstrategien weltweit unterrichtet wird, und ein dritter Bereich, der mir spontan einfällt, ist Makro-Ökonomie – die Theorien von Marx, von Schumpeter lernt, das sind so die drei Bereiche, die mir spontan einfallen, die so das Studium eigentlich ausmachen."

    In Kassel und Berlin läuft der Studiengang Labour Policies and Globalisation im zweiten Jahr. Im laufenden Semester studieren 22 Gewerkschaftsaktivisten aus 19 Ländern - von Albanien bis Zimbabwe. Am Ende sollen sie vorbereitet sein auf die Herausforderungen der Globalisierung, um angemessen am sozialen Dialog in ihren Ländern und weltweit teilnehmen zu können. Christoph Scherrer über die Absolventen:

    ""Man ist Vollblutakademiker mit der Spezialisierung Arbeitspolitik, Weltmarktregeln und Organisationsentwicklung"."