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Volle Seminare, zu wenig Dozenten

Ausgerechnet solche Studierende, die später in Klassenzimmern von 30 Schülern - also hart an der Obergrenze - unterrichten sollen, sitzen nun selbst in überfüllten Seminaren. 40 Teilnehmer sind keine Seltenheit, das Lernpensum gleicht stumpfem Akkord.

Von Solveig Grahl |
    "Besprechen Sie kurz mit ihrem Nebensitzer, welcher der vorgestellten Zweitspracherwerbstheorien erscheint ihnen am plausibelsten und was glauben Sie, welches Modell auf die Problematik am ehesten zutrifft."

    Ein Vormittag an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Gut 40 Studierende sitzen im Hauptseminar "Lernschwierigkeiten im Deutschunterricht". Eine Pflichtveranstaltung. Es geht eng zu in dem kleinen Raum, Tische gibt es nicht genug, einige Lehramtsstudenten schreiben, den Block auf den Knien. Die Luft ist stickig. Eine typische Situation in Schwäbisch Gmünd und an anderen Pädagogischen Hochschulen im Land - zumindest in zentralen Fächern wie Deutsch, Mathematik oder Erziehungswissenschaften. Einfach unmöglich, findet Julia Kifferle, die im achten. Semester Grundschulpädagogik studiert:

    "Man kann sich leicht verstecken hinter einer großen Masse. Ich habe versucht, interessengeleitet zu studieren und nicht einfach nur meine Module abzuhaken und ein Schmalspurstudium hinzulegen. Aber es ist eben einfach nicht möglich. "

    Nicht möglich, weil Dozenten fehlen und die Seminare aus allen Nähten platzen. Vergangene Woche haben die Studierenden in Schwäbisch Gmünd einen Streik organisiert, um auf diese Zustände aufmerksam zu machen. Maria Brunner, Professorin für Literaturwissenschaft und Didaktik, kann die Wut der Studierenden durchaus nachvollziehen. Bis zu 180 Leute in einem Hauptseminar – das ist Alltag für die Dozentin:

    "Sie können sich vorstellen, dass man da kein methodisches Handwerkszeug mehr vermitteln kann. Man kann ja kaum mehr in Arbeitsgruppen Texte besprechen, bearbeiten, vortragen. Das ist so alles nicht mehr möglich, das sind reine Vorlesungen."

    Und laut Studierendenvertretungen sind diese Zustände keine Ausnahme in Baden-Württemberg. An der PH Karlsruhe waren demnach im vergangenen Wintersemester zehn von 22 Fächern mit mehr als 120 Prozent ausgelastet. An der PH Freiburg waren es acht von 22 Fächern, sagt Student Jean Michael Kramer von der LandesAstenKonferenz. Dabei die Regelstudienzeit einzuhalten, sei nicht einfach.

    "Das andere ist ein fast noch schlimmerer Effekt, nämlich dass gewisse Interessen ausgeklammert werden bei der Auswahl der Seminare, dass zum Beispiel inhaltliche Themen nicht mehr berücksichtigt werden, sondern dass vor allem die Frage: Passt es in meinen Stundenplan und welches Seminar bekomme ich überhaupt, ausschlaggebend ist."

    Schuld an dieser Situation sei die Landesregierung. Die ziehe sich seit Einführung der Studiengebühren zunehmend aus der Finanzierung der Hochschulen zurück. Stimmt nicht, hält Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg dagegen:

    "Wir haben mit den Pädagogischen Hochschulen den Solidarpakt geschlossen, das heißt, es werden keine Mittel gekürzt. Das einzige, was weggefallen ist, sind die Sondertöpfe, die wir aus Langzeitstudiengebühren finanziert haben. Die Langzeitstudiengebühren sind im Gegensatz zu den Studiengebühren an das Land geflossen und wurden dann von uns verteilt. Daraus wurden Tutorenprogramme und Ähnliches finanziert. Die Langzeitstudenten zahlen jetzt auch ihre Gebühren direkt an die Hochschulen. Insofern bekommen die nicht weniger Geld, aber nicht mehr von uns, sondern direkt von den Studierenden."

    Professor Hans-Jürgen Albers, Rektor an der PH Schwäbisch Gmünd, kann dem nur teilweise zustimmen. Ja, mit den Studiengebühren habe sich die finanzielle Situation an der Hochschule durchaus entspannt. Sieben neue Dozenten wurden eingestellt, die Bibliothek besser ausgestattet. Dennoch seien die Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg insgesamt deutlich unterfinanziert:

    "Wir haben zu wenig Personalstellen, wir haben deutlich zu wenig Flächen, um in kleinen Gruppen diese intensive Betreuung durchzuführen, die manchmal eben notwendig ist. Ich wünsche mir einfach, dass insgesamt der Lehrerbildung der Stellenwert eingeräumt wird, der ihr in bildungspolitischen Äußerungen auch zugewiesen wird und dass die Pädagogischen Hochschulen so ausgestattet werden, dass sie auch in der Lage sind, bestmögliche Lehrerbildung zu betreiben."

    Für die Studierenden an der PH Schwäbisch Gmünd war der Streik nur der Anfang. Eine öffentliche Anhörung im Stuttgarter Landtag ist ihr Ziel. Sie hoffen, dass sie dort auf aufmerksame Zuhörer treffen – auch auf Wissenschaftsminister Frankenberg.