" Die Pipeline ist dann eine gute Sache, wenn wir etwas von den Gewinnen abbekommen. Bisher warten wir allerdings noch darauf. Wenn du jemanden dort kennst, bekommst du Arbeit bei der Pipeline. Wenn nicht, dann nicht."
Und der Mitarbeiter eines internationalen Ölkonzerns im Osten der Türkei:
" Wir bekommen auch Klagen von der Art: "Mein Pferd ist durch eure Bauarbeiten gestorben". In solchen Fällen verlangen wir einen Beweis und haben den Bauern das auch erklärt. Wir wollen einen Unfallbericht. Wenn uns der einleuchtet, dann begleichen wir den entstandenen Schaden."
Umweltschutz als Imagekampagne
Drei Schildkröten stoßen ihre Panzer aneinander. Schließlich schubst Nummer 16 Nummer 10 beiseite und bäumt sich hinter Nummer 7 auf. Die Zahlen sind mit weißer Farbe auf den Rücken der Tiere geschrieben. Nummer 7 ist ein Weibchen, Nummer 16 männlich. Emin Nurijev lächelt.
" Zuerst hat sie der Lärm beeinflusst, aber jetzt reagieren sie überhaupt nicht mehr darauf. Sehen Sie selbst, sie fressen, sie paaren sich, sie legen Eier."
Emin Nurijev ist Biologe, und er ist dafür zuständig, dass die Schildkröten sich wohl fühlen. Nurijev arbeitet in Sangachal, an der Küste des Kaspischen Meeres in Aserbaidschan. Genau dort begann vor wenigen Jahren ein internationales Konsortium unter der Leitung des britischen Konzerns BP, eine Erdölpipeline zu bauen. Ein Milliardenprojekt und eine Bedrohung für die sensiblen Schildkröten. Über eine Strecke von 1.750 km wird das Öl von der Küste des Kaspischen Meeres über das georgische Tiflis zum Mittelmeer fließen, quer durch Aserbaidschan, Georgien und die Türkei. 1.750 km, das ist etwa die Strecke von Hamburg nach Rom.
Schildkröte Nummer 16 reißt das spitze faltige Schildkrötenmaul auf. Dann fällt das Tier hintenüber. Fertig.
Dem Pipeline-Konsortium liegt viel am Wohl der Tiere. Drei Leute kümmern sich rund um die Uhr um die Urviecher. Nur wenige hundert Meter von dem Schildkrötenidyll entfernt beginnt die Pipeline. Ein dickes weißes Rohr verschwindet im Boden. Unspektakulär. Emin Nurijev findet die Schildkröten interessanter.
" Schildkröten sind die ältesten Lebewesen der Welt, sie stammen noch aus der Zeit der Dinosaurier. Das hier ist die einzige Landschildkrötenart in Aserbaidschan, die erhalten ist: Die Mittelmeerschildkröte. Neun Exemplare wurden hier auf dem Gelände des Terminals gefunden. Dazu wurden uns noch welche aus anderen Teilen Aserbaidschans gebracht - insgesamt 40 erwachsene Exemplare. Mittlerweile haben sie sich vermehrt. In den letzten drei Jahren haben wir 150 kleine Schildkröten dazubekommen."
Nurijev hat früher an der Universität in Baku gearbeitet und ist froh, dank der Pipeline nun mehr zu verdienen. Er dreht sich um, blickt auf riesige weiße Tanks. Von dort wird das Öl seit Ende Mai in das Rohr gepumpt. Wie ein Implantat liegt das Terminal in der Ödnis. Hier und da wird noch gebaut. Die Arbeiter tragen signalrote Overalls, Arbeitshandschuhe, weiße Helme und große Schutzbrillen. Über einem Schornstein wird austretendes Gas wummernd abgefackelt. Grell leuchtet die Flamme am blitzblauen Wüstenhimmel. Nurijev wischt sich den Schweiß von der Stirn.
" In zwei Jahren werden wir sie in einem Naturschutzgebiet aussetzen. Aber dafür brauchen wir einen Bestand von mindestens 400 Schildkröten, das schreibt das Programm vor."
Neben Nurijev steht Lynn McBrian. Sie ist US-Bürgerin, hat blaue Augen, lange rötliche Haare. Ihr Gesicht ist von der Wüstensonne rosig gefärbt. Sie koordiniert für BP die Umwelt- und Sozialprojekte nahe Baku. Die Gasflamme und der Lärm sollten möglichst bald aufhören, darauf legt sie wert. Sie zeigt auf kleine Schildkröten, den Nachwuchs der letzten Saison, groß wie Handteller.
" Es geht nicht ums Image. Eine unserer wichtigsten Philosophien ist: Keine Beschädigung der Umwelt. Zumindest minimieren wir den Schaden, den wir anrichten."
Jahrzehntelanger massiver Druck auf die großen Ölkonzerne hat dafür gesorgt, dass zumindest bei der Südkaukasuspipeline die Umweltstandards eingehalten werden, die bei anderen Ölprojekten schon vor zwanzig Jahren hätten erreicht werden können.
Erdöl wurde in Aserbaidschan bereits im 19. Jahrhundert gefördert. Die Hauptstadt Baku war damals das größte Raffineriezentrum der Welt. Wo auch immer man bohrte, sprudelte die zähe Flüssigkeit hervor - auf dem Land und auf dem Wasser. Um 1912 erlangte die industrielle Rohölförderung bei Baku einen vorläufigen Höhepunkt. Damals besuchte der deutsche Reiseschriftsteller Armin T. Wegner eine Bohrinsel auf dem Kaspischen Meer.
Auf in den Meerboden gerammten Stämmen stehen die Pfahlbauten des technischen Zeitalters da, an deren Bretterwänden die Flut hochklatscht. Eine schwere Scheibe dreht sich mit elektrischer Kraft flach auf dem Boden, ein eiserner Mühlenstein, in dessen viereckigem Loch der Bohrer sitzt. Ton und Wasser quellen nach oben und überschwemmen alles, den Drehtisch, den Boden, die Schuhe und die Gesichter der Menschen mit dem gleichen graphitgrauen Schlamm. Tag und Nacht kreist der Tisch, Tag und Nacht frisst sich der Bohrmeißel in die Tiefe, knien Arbeiter, den stumpfen Blick auf seine Platte gerichtet wie auf die Scheibe eine Roulettes. Rohr reiht sich an Rohr. 200, 400, 600 Meter tief. Welche rastlose Arbeit, sagte ich mir, welche Spannung, zu erlauschen, was sich dort unten unsichtbar, fern von den Menschen, in den Eingeweiden der Erde vollzieht, bis endlich nach einer Arbeit von Monaten der Schlamm in dem Loch Blasen wirft und das Aufsteigen des Öls ankündigt. Es dämmerte schon, während die Arbeiter im Inneren des Turmes beim Lichte der elektrischen Lampen ihre Arbeit fortsetzten; denn der Bohrer darf niemals stillstehen.
Neue Nähmaschinen für ein Flüchtlingsdorf
Könül Abdullajeva beugt sich über die nagelneue weiße Nähmaschine. Konzentriert lässt die Frau die zugeschnittenen Stoffe unter der Nadel hindurch gleiten. Immer wieder drohen die dicken Lagen auseinander zu rutschen.
" Hier muss ich etwas abschneiden. Die Finger sind das Schwierigste. Überhaupt sind Handschuhe viel schwieriger zu nähen als andere Kleidungsstücke."
Könül Abdullajeva näht Schutzkleidung für die Arbeiter des Terminals von Sangachal: Westen, Kopfbedeckungen und Handschuhe. Die 36jährige wohnt mit ihrer Mutter in Ümid, in einem von etwa 200 identischen flachen Steinhäusern. Die Siedlung ist auf die Schnelle entstanden. In Ümid wohnen Flüchtlinge aus Berg-Karabach. Sie besitzen fast nichts. Ümid ist umgeben von jeder Menge Müll, steinhartem aufgerissenen Boden und großen Pfützen mit stinkendem Abwasser. Das Terminal mit seinen Öltanks liegt in Sichtweite.
Möglichst viele Menschen entlang der Pipeline sollen das Gefühl haben, von de Projekt zu profitieren. In einem so armen Land wie Aserbaidschan ist das nicht schwer. Erst recht nicht in Ümid. 14 Frauen in der Siedlung haben Nähmaschinen erhalten, finanziert vom Pipelinekonsortium. Sie alle nähen Arbeitskleidung für das Terminal. Es ist ein Vorzeigeprojekt. Die Manager des Ölkonzerns haben erkannt, dass es keinen Sinn macht, eine fast 2.000 Kilometer lange Pipeline gegen den Widerstand der Bevölkerung durch drei Länder zu bauen. Könül Abdullajeva hat sich schön gemacht. Sie trägt einen schwarzen Hosenanzug.
" Ich habe eine technische Ausbildung. Danach habe viel in Büros gearbeitet, als Buchhalterin und im Personalwesen. Ich bin Flüchtling, ich musste ja Geld verdienen. Als mein letzter Job auslief, habe ich mit dem Nähen angefangen. Ich bin zufrieden damit. Wer gut arbeitet, verdient gut. Ich komme auf 80 bis 100 Dollar im Monat. Einige Frauen im Dorf verdienen sogar 150 Dollar."
In der Tür stehen die Nachbarn. Alle wollen sich bei dem Ölkonzern bedanken. Denn der hat ihnen ein Gemeinschaftshaus gebaut mit einem Festsaal für 200 Leute, mit Tischen, Stühlen und Geschirr, und er hat die Schule renoviert. Wenn das Öl erst fließt, dann werden sie bald nach Berg-Karabach zurückkehren können, hoffen viele. Auch Malich Talabov denkt so. Der 46jährige war mal Hauptmann der Armee. Jetzt erledigt er die Buchhaltung für die Näherinnen.
" Die Pipeline wird uns künftig große Gewinne bringen. Mit dem Kapital lösen wir das Karabach-Problem. Wenn es friedlich nicht geht, dann eben mit Gewalt. Aber dazu brauchen wir Kapital. Geld entscheidet alles."
Die anderen nicken zustimmend. Dann gibt es Tee mit Nelken. Das sei typisch für Berg-Karabach, erklärt Malich Talabov.
Berg-Karabach ist eine von Armeniern bewohnte Enklave innerhalb Aserbaidschans. Anfang der 90er Jahre erklärte sich Berg-Karabach für unabhängig. Der Versuch der Aserbaidschaner, das Gebiet mit Waffengewalt zurückzuholen, scheiterte damals an der militärischen Überlegenheit der Armenier. Die halten Berg-Karabach und angrenzende Gebiete seitdem besetzt. Die Aserbaidschaner sind aus der Gegend geflohen.
Die aserbaidschanische Regierung steht nun im Verdacht, mithilfe der künftigen Gewinne aus dem Ölexport aufrüsten zu wollen. Nachweisen lässt sich das bisher nicht. Doch selbst staatliche Stellen in Aserbaidschan drohen mit Gewalt gegenüber den Armeniern. Bei den Flüchtlingen zeigt derartige Kriegsrhetorik deutliche Wirkung. Malich Talabov nippt an seinem Teeglas. Könül, die Hausherrin, bereite den besten Tee in ganz Ümid zu.
" Für uns ist das kein Leben hier. Es geht nicht mehr. In Karabach haben wir gut gelebt. Wir alle hatten große Häuser. Dort ist die Natur schön, und die Luft ist sauber. Wir hatten alles. Natürlich kehren wir dorthin zurück. Und das dauert wahrscheinlich nicht mehr lange. Wenn das Problem bis Ende dieses Jahres nicht gelöst wird, dann... Wir alle warten nur auf das Kommando. Unsere Geduld ist am Ende. Wenn es nötig ist, dann kämpfen wir."
Die Erwartungen der Aserbaidschaner an die Pipeline sind hoch, nicht nur, was die Rückeroberung Berg-Karabachs angeht. Seit Jahren verspricht die Regierung den Bürgern Wohlstand durch das Ölgeschäft. In Aserbaidschan heißt der Vertrag, der 1994 mit ausländischen Ölkonzernen geschlossen wurde, gar "Jahrhundertvertrag". Unterzeichnet wurde er vom damaligen Staatspräsidenten Heydar Alijev, einem Vertreter der Breschnjev-Ära, der die Geschicke Aserbaidschans fast 25 Jahre lenkte: Zunächst als Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik, dann als Präsident des unabhängigen Aserbaidschan. Mittlerweile ist Heydar Alijev gestorben, doch kurz vor seinem Tod hat er das Präsidentenamt in umstrittenen Wahlen an seinen Sohn Ilham Alijev vererbt. Auch der verspricht einen wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes. Noch aber lebt mehr als ein Drittel der Aserbaidschaner unterhalb der Armutsgrenze.
Das Öl, der Staat und die Korruption
Es ist später Vormittag, kurz vor der Mittagspause. Vor der Teestube von Karrar herrscht Hochbetrieb. Alte Männer spielen Backgammon und Domino. Tee schwappt aus den Gläsern auf die wackligen Plastiktische. Grimmig verfolgen die Spieler jeden Zug des anderen. Einer trägt eine Hornbrille im von Falten zerfurchten Gesicht. Ein anderer massiert eine Gebetskette.
Das Dorf Karrar liegt mitten in Aserbaidschan, auf der Hälfte zwischen dem Kaspischen Meer und der Grenze nach Georgien.
Alachverdia Damirov sitzt ein wenig abseits. Er trägt ein hellblaues Hemd und ein abgetragenes dunkles Sakko, einen Fünftagebart. In den kräftigen Händen hält er eine Zigarette.
" Die Pipeline ist dann eine gute Sache, wenn wir etwas von den Gewinnen abbekommen. Bisher warten wir allerdings noch darauf. Es gibt da einige Leute, Aserbaidschaner, die für sie arbeiten, und die diktieren den Ausländern, wen sie einstellen sollen und wen nicht. Wenn du jemanden dort kennst, bekommst du Arbeit bei der Pipeline. Wenn nicht, dann nicht."
Damirov lehnt sich in dem Plastikstuhl zurück. Die Betreiber der Pipeline bemühen sich, aus jedem Dorf, das an der Route liegt, Arbeitskräfte einzustellen. In Karrar aber habe niemand einen Job bekommen, erzählt der 58jährige Damirov. Er selbst hatte sich als Mechaniker beworben.
" Ich habe meine Unterlagen eingereicht, und daraufhin haben sie mich nach Baku geschickt. Dort bin ich zwei Tage von einer Stelle zur nächsten gelaufen, bis endlich einer meine Papiere angeguckt hat. Er hat gesagt, ich soll am nächsten Tag wieder kommen. Aber am nächsten Tag bin ich gar nicht mehr vorgelassen worden. Den Job hat ein anderer gekriegt. Der wohnt aber gar nicht hier, sondern in einem Dorf weit von der Pipeline entfernt. Und er hat nur ein Jahr Berufserfahrung.
Ich weiß nicht, warum er die Stelle bekommen hat. Wahrscheinlich hat er Beziehungen. Ich habe 28 Jahre als Mechaniker gearbeitet, ich kann blind einen Motor auseinander nehmen und wieder zusammensetzen. Ich bin persönlich nicht gekränkt. Aber es tut mir leid um die vielen jungen Leute hier. So viele von ihnen sind arbeitslos und hängen den ganzen Tag herum, spielen Domino und Backgammon. "
Zwar habe der Konzern die Ambulanz, das Polizeirevier, die Schule und 9 Kilometer Straße renoviert. Aber ansonsten sei in Karrar einiges schief gelaufen, meint Damirov.
In der Regel hat das Pipelinekonsortium die Landbesitzer in Aserbaidschan, Georgien und der Türkei verhältnismäßig großzügig entschädigt. Die Betreiber erwarben den Streifen Land, in dem das Rohr vergraben wurde, und pachteten für die Zeit der Bauarbeiten noch einmal ein paar Meter links und rechts dazu. Die Landbesitzer bekamen dafür, je nach Größe und Wert des Landes, mehrere hundert bis einige tausend US-Dollar. Und sie dürfen die Felder nach Abschluss der Bauarbeiten wieder bestellen. Damirov stützt seine Ellbogen auf die Knie. In Karrar seien einige Landbesitzer um ihre Entschädigung betrogen worden.
Kurz darauf kommen auch schon zwei von ihnen wild gestikulierend den Dorfweg hinunter. Agakischi Hankischijeva und ihre Nachbarin haben gehört, dass ausländische Journalisten da sind, und nun wollen sie sich öffentlich beschweren. Agakischi Hankischijeva breitet die Arme aus, geht auf die Besucher zu, lächelt zahnlos, stellt sich auf die Zehenspitzen, küsst sie auf die Stirn und lotst sie dann zu ihrem Hof. Ihr linkes Auge fehlt. Das bunte Tuch, das sie lose über den Kopf gebunden hat, weht im Wind.
Die meisten Landbesitzer waren mit den Entschädigungen zufrieden. Agakischi Hankischijeva wäre das auch, wenn sie denn für ihr gesamtes Land entschädigt worden wäre. Das sei sie aber nicht.
Sie setzt sich auf ein dickes Kissen auf der Terrasse. Der ganze Garten ist voller Granatapfelbäume. Kinder und Enkel kommen, die Töchter bringen Tee. Eine Schwalbe nistet an einem Stützbalken. In Aserbaidschan wurden erst 1996/97 Grund und Boden privatisiert und die neuen Eigentümer ins Grundbuch eingetragen. In der Sowjetunion war privater Landbesitz verboten. In ihrem Fall und in dem ihrer Nachbarn seien die Urkunden danach noch einmal geändert worden, sagt Agakischi Hankischijeva, und zwar zu ihren Ungunsten. Die Frauen vermuten, dass es der Dorfvorsteher war, der sich ihr Land angeeignet und die Entschädigung selbst eingestrichen hat. Sie alle seien betrogen worden - und wenn sie sich nicht an einen Juristen gewandt hätten, dann hätten sie, ungebildete und einfache Leute, das noch nicht einmal gemerkt.
Agakischi Hankischijeva zupft ihr Kopftuch zurecht. Seit drei Jahren schon laufe sie von Behörde zu Behörde, um dagegen zu protestieren - doch ohne Erfolg. Kürzlich war sie deshalb sogar in der Bürgersprechstunde der Präsidentengattin. Es war ihre erste Reise nach Baku.
" Ich bin zufrieden, denn dort hat man mich wenigstens angehört. Die Beamten hier im Bezirk tun das ja nicht, und das, obwohl ich schwerbeschädigt bin. In Baku habe ich gesagt, was wir fordern. Sie müssen etwas unternehmen und einen Brief hier her schreiben, damit wir unser Land zurückbekommen. Die Pipeline hat mir nichts Gutes gebracht, sondern nur Übel."
Dann will die alte Frau ihr Land zeigen. Es dauert etwas, ein Auto aufzutreiben. Der Sohn der Nachbarin kommt mit aufs Feld.
Schnurgerade ist ein Erdwall aufgeschüttet. Darunter liegt die Pipeline. Ringsum wogt Getreide. Während der Bauarbeiten haben die Bewohner von Karrar hier wochenlang mit Transparenten gegen die Ungerechtigkeiten in ihrem Dorf protestiert.
" Tag für Tag haben wir hier gesessen, sind nicht weggegangen und haben gesagt: Wir erlauben es nicht, dass das Rohr durch unser Land geht. Die Ausländer haben sogar zu uns gesagt: Ihr tut uns leid, dass ihr sogar bei schlechtem Wetter hier sitzt... Geht doch nach Hause, die Leute vom Konzern gucken das bestimmt noch mal durch, euch wird schon geholfen, sicher wird das alles korrigiert. Aber dann kam die Polizei und hat gedroht, uns zu verhaften."
Seitdem haben sie nicht mehr demonstriert.
Wie auf ein Stichwort eilt ein fremder Mann herbei, in signalrotem Overall, mit Sicherheitsschuhen, Schutzbrille und einem weißen Helm auf dem Kopf. In Aserbaidschan patrouillieren Wachleute entlang der Pipeline. Dieser Wachschutz untersteht, so aserbaidschanische Quellen, einem Angehörigen des Alijev-Clans. Offizielle Stellen wollen das nicht bestätigen, dementieren jedoch auch nicht.
Der Wachmann fragt nach den Namen der Leute auf dem Feld. Hier dürfe man nicht langgehen, sagt er. Dabei ist nirgendwo ein Verbotsschild zu sehen. Er selbst denkt nicht daran, sich auszuweisen. Als niemand auf ihn reagiert, beginnt er zu telefonieren.
Auf dem Rückweg ins Dorf werden die Bewohner bereits erwartet. Ein dicker Mann in abgenutztem Nadelstreifenanzug steigt aus einem Auto und schnauzt die Dorfbewohner an. Er habe ihnen doch gesagt, dass sie nicht mit Journalisten reden sollen. Das schade ihnen nur. In der aserbaidschanischen Provinz sind die Leute den Mächtigen schutzlos ausgeliefert. Agakischi Hankischijeva steht ein wenig kleinlaut an der Seite. Ihre Hoffnung, doch noch Recht zu kriegen, hat einen erneuten Dämpfer bekommen.
Die Leidenschaft der Ingenieure für Geographie, Technik und Sicherheit
Autorin auf Morgens auf dem Flugplatz der georgischen Hauptstadt Tiflis. Ian Cummins, ein schlanker Ingenieur in Jeans und Turnschuhen, verstaut eine Sporttasche mit Arbeitsschutzkleidung im Heck eines Hubschraubers.
" Wir fliegen nach Akhaltsikhe, dort ist das Camp für den Bauabschnitt nahe der türkischen Grenze, und schauen uns die Arbeit dort an."
Eigentlich möge er das Fliegen nicht, erzählt Cummins und setzt den Kopfhörer auf, aber aus der Luft bekomme er einen besseren Überblick über die Pipeline.
Cummins ist Mitte dreißig und dafür verantwortlich, dass die Pipeline in Georgien rechtzeitig fertig wird. Seit drei Jahren arbeitet er an dem Projekt. Von Tiflis aus fliegt er alle paar Tage nach Akhaltsikhe und übernachtet im Container. Manchmal bleibt er eine Woche im Camp.
Ruckelnd setzt sich der Hubschrauber in Bewegung. Die Piloten fliegen ein Stück Richtung Südosten zur georgisch-aserbaidschanischen Grenze, drehen dort nach Westen ab und folgen der Pipeline quer durch Georgien bis zur türkischen Grenze.
Ein brauner Streifen zieht sich durch die Ebene, mal schnurgerade, mal in Kurven. Hier ist das Rohr bereits vergraben. In einem Jahr soll Gras darüber gewachsen, die Narbe im Boden unsichtbar sein. Etwas weiter westlich liegt das Rohr noch im Freien, daneben bewegen sich Bagger und LKW. Kräne stehen bereit, das Rohr im frisch ausgehobenen Graben zu versenken - ein Bild wie im Spielwarenkatalog. Mitten in einem Wald taucht ein eingezäuntes Gelände auf mit kleinen Tanks, Containergebäuden, Rohren und Türmchen, alles in strahlendem Weiß. Ian Cummins beugt sich zum Fenster.
" Was jetzt hier an der linken Seite kommt, das ist die zweite Pumpstation in Georgien. Die erste ist drei bis vier Kilometer von der aserbaidschanischen Grenze entfernt."
" Wenn du eine Pipeline von A nach B hast, dann musst du Energie zuführen, damit das Öl fließt. Das geschieht an den Pumpstationen."
Dann fliegt der Hubschrauber dicht über dem Boden einen steilen Hang hinauf. Die Pipeline überwindet Höhen von 2.800 Metern. Rechts sind die Gipfel des großen Kaukasus zu sehen, strahlend weiß. Links gehen die runderen Berge des kleinen Kaukasus unmerklich in das armenische Hochland über. Die Route durch Armenien wäre für die Pipeline der kürzeste Weg von Baku nach Ceyhan gewesen. Doch der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach macht gemeinsame wirtschaftliche Projekte undenkbar. Deshalb verläuft das Rohr in einem Bogen um Armenien herum durch Georgien.
" Die schwierigsten Gebiete sind für uns die Höhenlagen. Da, sehen Sie? Vor wenigen Wochen lagen da noch zwei Meter Schnee. Wir konnten seit Oktober dort nicht sicher arbeiten."
Dann geht es wieder hinunter, in das Bakuriani-Tal. Sattes, saftiges Grün leuchtet an den Hängen, durchzogen nur von der braunen Schneise der Pipeline. Etwa zwanzig Kilometer entfernt beginnt der Borjomi-Nationalpark. Georgien ist ein Erdbebengebiet. Sollte die Pipeline bersten, wäre der Nationalpark gefährdet, warnen Umweltschützer. Und nicht nur der, sondern auch die berühmten Mineralquellen von Borjomi. Ian Cummins winkt ab. Sie hätten alles im Griff, selbst wenn die Pipeline im tiefsten Winter oben in den vereisten Bergen ein Leck habe.
" Wenn so etwas passiert, dann kommen unsere Sicherheitsleute zum Einsatz. Die haben Spezialfahrzeuge, mit denen sie jederzeit und bei jedem Wetter überall an die Pipeline kommen."
Sie hätten automatisch gesteuerte Schotten an der gesamten Route installiert. Die könnten den Ölfluss binnen weniger Minuten stoppen.
Es hätte auch in Georgien eine Route gegeben, die den Nationalpark nicht berührt. Die jedoch hätte durch armenisch bewohnte Gebiete geführt. Im Süden Georgiens leben viele Armenier. Heydar Alijev, der ehemalige Präsident Aserbaidschans, soll die Bedingung gestellt haben, dass so wenig Armenier wie möglich von dem Bauprojekt profitieren. Die offizielle Begründung lautet freilich anders: In den von Armeniern bewohnten Gebieten Georgiens sei die Sicherheit nicht gewährleistet.
Der Hubschrauber fliegt über einen Fluss. Die braunen Wassermassen sind weit über die Ufer getreten. Die Pipeline unter dem Fluss hindurchzulegen sei sehr schwierig gewesen, erläutert Cummins, wegen der Schneeschmelze in den türkischen Bergen. Aber sie hätten es geschafft.
Nach einer dreiviertel Stunde Flugzeit ist rechts eine Schneise zu sehen: Zwei Zäune, Wachtürme, dazwischen ein Streifen Niemandsland: Die Grenze zur Türkei, früher einmal die Grenze zwischen der Sowjetunion und der Nato. Der Hubschrauber dreht ab und setzt zur Landung im Camp von Akhaltsikhe an.
An der Baustelle werden gerade Rohre zusammengeschweißt. Neun Meter lang und so groß, dass ein Erwachsener leicht gebeugt hindurch laufen kann. Braun heben sich die Schweißnähte vom schwarzen Rohr ab.
Ted Tomacki steht vor einem tiefen Graben. Der Brite leitet die Baustelle. Tomacki baut seit 30 Jahren Pipelines, war schon in Bangladesch, in Afrika und in den USA. Er trägt eine feine Brille mit Plastikklappen an den Seiten. Die Gegend hier sei besonders kompliziert, sagt er, denn in der Region treffen Erdplatten aufeinander.
" Die kritische Stelle ist genau da, wo der große Graben ausgehoben wurde. Bei einem Erdbeben wird der Boden hier höher angehoben als dort unten. Wir versuchen, die Pipeline so biegsam wie möglich zu machen, damit bei einem Erdbeben kein Öl austritt. Unsere Experten haben entschieden, dass das Rohr knapp einen Meter Bewegung aushalten muss."
Die Schweißnähte seien stärker als die Rohre selbst, erläutert Tomacki. Es seien die Rohre, die sich biegen können. Weil die Gegend so kompliziert ist, wird die Pipeline hier zusätzlich durch einen eckigen Betontunnel geschützt. Ian Cummins mischt sich ein. Er hat seine Turnschuhe gegen Stahlkappenstiefel getauscht und trägt Helm, Sicherheitsweste und Schutzbrille.
" Im unwahrscheinlichen Fall eines Anschlags ist wichtig, wo das Leck ist. Davon hängt ab, wie viel Öl austritt. Die Schotten wurden extra so platziert, dass die Verschmutzung der Umwelt minimiert werden kann."
Selbst dann würden jedoch mindestens 4.000 Tonnen Öl auslaufen, kritisieren georgische Experten.
Ein Kran setzt rückwärts. Ein Mann winkt die Umstehenden zur Seite. Er heißt David Khelidze und hält ein Funkgerät in der Hand. Der 28jährige sorgt dafür, dass niemand einfach so auf die Baustelle läuft. Häufig seien Dorfbewohner einfach neugierig und wollten sehen, was in ihrer Nachbarschaft so passiert, sagt er. Khelidze ist eigentlich Finanzfachmann und lebt in Tiflis.
" Ich fand dieses Projekt interessanter. Schauen wir mal, was kommt, wenn wir hier fertig sind. Vielleicht gibt es ja noch andere so große Bauprojekte in der Region. Und vielleicht bekomme ich die Chance, in einem anderen Unternehmen als Sicherheitsinspekteur zu arbeiten. Mir gefällt die Arbeit. Und die Bezahlung ist auch gut. Aber man soll nicht alles nur nach dem Geld bewerten."
Sein Vertrag läuft noch bis zum Herbst. Spätestens dann soll die Pipeline fertig sein. Khelidze hat einen Jungen mit einer Kühltasche auf die Baustelle gelassen. Er kommt die Schotterpiste herauf, lächelt die Männer an. Der Junge verkauft Eis. Ian Cummins nimmt eins, Ted Tomacki auch.
Wenn die Schweißnähte ausgekühlt seien, dann könnten sie dieses Stück Rohr in der Erde versenken, erläutert Tomacki. Wieder ein paar hundert Meter geschafft. Ian Cummins nickt zufrieden. Dann eilt er zurück ins Camp.
" Heute Nacht werden wir alle zusammen essen, um die erfolgreiche Querung des Flusses zu feiern. Morgen muss ich dann sehr früh zurück nach Tiflis."
Ein Dorf kommt ins Rutschen
Der Firmen-Hubschrauber kommt hinter dem Berg hervor. In einem großen Bogen fliegt er über das Tal, dann nimmt er Kurs nach Osten, zurück nach Tiflis. Tamara Gogoladze steht mit ihrem Mann im Garten ihres Hauses in Dgwari. So gehe das fast täglich, sagt die 68jährige und stemmt ihre von der Arbeit schmutzigen Hände in die Seiten. Hoffentlich sei das bald vorbei.
In Dgwari stehen etwa 120 Häuser, und sie alle gehen nach und nach kaputt. Denn in Dgwari rutscht die Erde ab, und mit ihr bewegen sich die Häuser Zentimeter um Zentimeter den Hang hinab. Schuld sei die Pipeline, sagen die Bewohner. Denn die Bauarbeiten hätten den Erdrutsch zwar nicht ausgelöst, aber verstärkt. Tamara Gogoladze zeigt auf die Terrasse. Durch die Platten verläuft ein unterarmdicker Riss. Daneben lagern Kartoffeln.
" Kommt und seht euch das an. Der ganze Balkon ist kaputt. Wir haben das repariert, aber es hilft nichts. Guckt euch die Mauern an, die sind alle eingestürzt."
Im Haus sieht es nicht besser aus. Der Dielenboden wellt sich, die Tapeten hängen schief an der Wand. Alles hat sich verzogen.
" Das Haus knarrt. Es ist wie eine Explosion. Manchmal bewegt sich das Bett, dann denke ich erst, dass mein Mann sich im Schlaf rührt, und er denkt, dass ich mich rühre. Tatsächlich aber rutscht das Bett von selbst. Wir spüren das meist nachts, wenn es still ist. Einmal hat es so stark gebebt, dass sogar die Lampe hin und her schwankte. Und einmal ist das Geschirr aus dem Schrank gefallen. Da sind wir alle aus dem Haus gerannt. Wenn die Leute vom Ölkonzern hier her kommen, wundern sie sich selbst, wie man in diesen Häusern leben kann. Manchmal sagen sie, dass wir nach Kachetien umziehen müssen, aber das ist eine andere Gegend, und wer hier geboren ist, der kann dort nicht leben."
Wütend zieht die Frau ihren Sonnenhut mit beiden Händen fester ins Gesicht. Die Manager von BP bestreiten, dass die Bauarbeiten an der Pipeline etwas mit dem Erdrutsch zu tun haben. Um den Imagegewinn einer solchen Geste wissend, ist das Unternehmen dennoch bereit, eine Million US-Dollar für die Umsiedlung des Dorfes bereitzustellen - sobald die Regierung einen Plan dafür erarbeitet hat. Doch die Bewohner von Dgwari bleiben skeptisch.
Ein Konzernmitarbeiter als Mediator
Refet Saban umfasst das Lenkrad mit beiden Händen. In langen Kurven windet sich die Strasse durch ein schmales Tal. Immer wenn er zu schnell fährt, piept ein kleiner schwarzer Kasten und schreibt mit. Der Jeep gehört BP, und Refet Saban versucht, sich an die Verkehrsregeln zu halten, auch wenn das in der Türkei eher unüblich ist.
" Normalerweise fahr ich jeden Tag so um die 250 bis 300 Kilometer. Das ist sehr viel. Aber ich muss die Leute vor Ort besuchen und zum Beispiel schauen, ob unsere Vertragspartner die Umweltstandards einhalten. Und ich frage in den Dörfern, ob die Leute etwas brauchen, ob es ein Problem gibt."
Refet Saban ist auf dem Weg in das Dorf Hasbey. Er biegt von der Asphaltstraße ab auf eine Schotterpiste. Der 33jährige trägt einen modischen Kinnbart, Turnschuhe, Jeans, eine Sonnenbrille im Haar. Auf der Rückseite seiner grünen Fleecejacke steht gelb "E&S Team", die Abkürzung für "environmental and social". Seit zwei Jahren fährt er im Auftrag der Pipeline-Betreiber durch die Dörfer im Nordosten der Türkei, bemüht sich darum, dass die Anwohner, vor allem Türken und Kurden, das Projekt akzeptieren. Wenn es irgendwelche Beschwerden gibt, dann landen die bei ihm.
" Viele davon sind gerechtfertigt. Aber wir bekommen auch Klagen von der Art: "Mein Pferd ist durch eure Bauarbeiten gestorben". In solchen Fällen verlangen wir einen Beweis und haben den Bauern das auch erklärt. Wir wollen einen Unfallbericht. Wenn uns der einleuchtet, dann begleichen wir den entstandenen Schaden."
In der Ferne taucht der Gipfel des Ararat auf, majestätisch, schneebedeckt, der höchste Berg der Türkei und der heilige Berg der Armenier. In diesem Hochland fanden vor 90 Jahren schwere Kämpfe statt, Armenier wurden massakriert, auch Kurden und Türken verloren ihr Leben. In den abgelegenen Bergdörfern sind diese Wunden immer noch offen. Armenien und die Türkei tun sich schwer, nachbarschaftliche Beziehungen aufzubauen. Auch das ein Grund, weshalb die Pipeline nicht durch Armenien läuft.
Am Dorfeingang überholt Saban einen Reiter auf einem ungesattelten Pferd. Ein paar Rohrstücke liegen noch herum, ansonsten ist die Pipeline hier längst verlegt und vergraben. Flache Steinhäuser pressen sich an den kargen Boden der Hochebene, dazwischen weht Wäsche im Wind. Kuhfladen sind aufgeschichtet. Die Bewohner heizen damit. Im Winter gibt es hier Frost bis minus 40 Grad. Grosse Raubvögel kreisen am Himmel.
In Hasbey wohnen Kurden. Die Gesichter der Männer sind vom Bergwind zerfurcht, die Schnurrbärte schwarz und dick. Die Männer trinken Zitronentee: Instantpulver verrührt mit heißem Wasser und Zucker.
Refet Saban ist ein gern gesehener Gast. Fuad Sinar beugt sich zu ihm. Er trägt ein grünes Sakko und eine Baseballkappe mit dem Schriftzug eines Sportartikelherstellers darauf. Es gäbe oberhalb des Dorfes ein Wasserreservoir, sagt er. Das sei im Laufe der Zeit verrottet und müsse renoviert werden. Dazu brauchten sie Maschinen. Er rührt in seinem orangefarbenen Tee. Die Qualität des Wasser dort oben sei gut, es lebten sogar Forellen darin. Ob der Konzern helfen könne? Mit gutem Gerät sei das eine Sache von drei Tagen.
Refet Saban nickt. Prinzipiell stehe dem nichts entgegen. Sie sollten sich noch einmal melden, wenn die Bauarbeiter sowieso mit ihren Baggern in der Gegend seien.
" Wir müssen mal gucken, wie viel Arbeit das wirklich ist. Denn manchmal sagen die Leute, es dauert drei Tage, und am Ende sind es zehn. Wenn wir so etwas unterstützen, dann ist das eine Geste des guten Willens von unserer Seite."
Noch vor wenigen Jahren war es in dieser Gegend sehr unruhig. Die türkische Armee kämpfte gegen die kurdische PKK. Das Dorf Hasbey hat davon nicht viel mitbekommen.
Seraf Cinar, der Dorfvorsteher von Hasbey, ein kleiner Mann mit Krawatte, Strickpullunder und vielen Goldzähnen, stellt sein Teeglas zur Seite. In ihrem Dorf habe es keine Unregelmäßigkeiten gegeben, sagt er entschieden. Alle anderen nicken. Sie, die Kurden von Hasbey, hätten die Pipeline von Anfang an unterstützt. Dann fasst Cinar den Gast am Ellbogen und lädt ihn zu sich nach Hause ein.
" Du hast uns häufig besucht, und du kennst uns. Du weißt, dass wir nicht fanatisch sind. Natürlich gibt es in jeder Nation Fanatiker."
" Die PKK spielt aber keine Rolle mehr. Früher gab es hier vielleicht PKK-Leute, aber in den letzten 5-10 Jahren waren hier keine mehr. Auch die Regierung kümmert sich jetzt besser um uns. In einigen Dörfern gibt es Polizisten, so dass die PKK-Aktivisten sich hier nicht mehr organisieren können. Wenn es welche gäbe, dann würden wir das wissen."
Truthähne laufen über den Weg. Kühe trotten nach Hause. Reden, essen und Teetrinken gehören zu seiner Aufgabe dazu, sagt Saban. Er mag das. Trotz seines derzeitigen Jobs sieht er die Ölindustrie kritisch. Er träumt davon, eines Tages als Aktivist für Greenpeace zu kämpfen.
Nach 1.750 Kilometern endet die Pipeline nahe der Stadt Ceyhan am Mittelmeer. Das Terminal dort trägt den Namen von Heydar Alijev, dem ehemaligen Präsidenten Aserbaidschans. 2003 gab er sein Amt in umstrittenen Wahlen an seinen Sohn Ilham weiter und verwandelte das Land in eine Erbdemokratie, in der sowohl die Opposition als auch die kritische Presse unterdrückt wird. Der polnische Publizist Ryscard Kapuscinski schrieb Anfang der 90er Jahre über Heydar Alijev:
Er ist eine berühmte Gestalt. Alijew war zuerst Chef des KGB in Aserbaidschan, dann, in den 70er Jahren, Erster Sekretär der Kommunistischen Partei der Republik. Er war Schüler Breschnjews, der ihn zum Vizepremier der UdSSR ernannte. Von diesem Posten entließ ihn 1987 Gorbatschow. Alijew gehört, wie schon gesagt, der Gruppe um Breschnjew an - einer Gruppe, die tiefe Korruption, Vorliebe für jeden erdenklichen Luxus und überhaupt Sittenverderbnis auszeichneten. Sie trug diese Korruption provozierend offen, ohne die geringste Scham, zur Schau. Die Appartementblocks, die im schönsten und repräsentativsten Teil von Baku stehen, können als Beispiel dafür gelten. Alijew verteilte die Wohnungen persönlich, nach einer von ihm selbst erstellten Liste - und überreichte auch selber die Schlüssel dazu. Das Kriterium der Verteilung war ganz einfach: Die besten Wohnungen bekamen die engsten Verwandten, dann folgten Cousins und höhergestellte Persönlichkeiten des Alijew-Clans.
Ich habe eines dieser Appartements von innen gesehen. Der Wohnungsbesitzer war im hiesigen Parlament beschäftigt, doch wichtig war nur, dass er Alijevs Cousin war. Dieser Mann, der offiziell nur Groschen verdiente, hatte an den Wänden ganze Batterien elektronischer Geräte stehen, diverse HiFi-Türme, Fernseher, Tonbandgeräte, Verstärker, Lautsprecher, Lichtorgeln, Gott weiß, was noch alles. Der Gastgeber tischte mir erst Käse aus Holland, dann Krevetten von den Bahamas auf. Von allen Seiten blinzelten ihm die elektronischen Geräte mit ihren bunten Augen zu.
Das Terminal in Ceyhan
Philip Jellard hebt den Arm, winkt einem Kollegen zu. Ob die zusätzliche Ausrüstung angekommen sei, will er wissen. - Ja, alles klar, meint der ältere Mann im schmutzigen Sicherheitsoverall. Jellard steht zwischen frisch gestrichenen weißen Rohren. Ventile blitzen im Sonnenlicht. Viel ist noch in Plastik verpackt. Frischer Asphalt dampft, eine Walze fährt hin und her. Absperrband flattert im Wind.
" Dieses Rohr hier ist das Ende der 1.750 Kilometer langen Pipeline aus Baku. Der Bau hat länger gedauert als geplant. Es ist sehr schwierig, den genauen Monat vorher zu sagen, in dem das erste Öl hier ankommen wird. Wir haben von hier aus keine Kontrolle über den ganzen Rest der Pipeline. Aber auf jeden Fall bleibt Zeit genug, um hier fertig zu werden, ohne das gesamte Projekt in Mitleidenschaft zu ziehen."
Der Brite Philip Jellard leitet den Bau des Verladeterminals nahe der türkischen Stadt Ceyhan. Mit der flachen Hand tätschelt er das kühle Rohr. Blonde Haare gucken unter seinem weißen Schutzhelm hervor. Jellard arbeitet seit 25 Jahren für BP, er war unter anderem auf Ölplattformen im Nordatlantik, in Abu Dabi und in Ägypten. Seine Begeisterung für dieses Projekt ist echt. Seine blauen Augen glänzen.
" Das hier ist das zweitgrößte Ölverladeterminal in Europa. Hier können 2 Millionen Barrel am Tag verschifft werden. Das ist eine Wahnsinnsmenge. Ich habe schon mal ein Terminal gebaut, aber dieses hier ist um einiges größer. Das befriedigt schon sehr. Außerdem sind wir am Mittelmeer, und das ist an sich schon ganz schön. Es ist zwar sehr feucht und die ganzen Mücken im Sommer... Aber das gehört zum Job dazu."
Auf einer Anhöhe stehen sieben Tanks. Es sind die gleichen riesigen strahlend weißen Behälter wie die im Terminal von Sangachal am Kaspischen Meer. Eine schmale steile Treppe führt außen an der Wand 20 Meter in die Höhe. Jellard benutzt beide Hände, um sich festzuhalten.
Die Gitter der Stufen sind durchsichtig. Das Ölgeschäft ist nichts für Menschen mit Höhenangst. Oben angelangt, blickt Jellard auf wogende Getreidefelder, dunkelroten Klatschmohn und ein tiefblaues Meer.
Die Pipeline endet in einer Bucht, und die ist relativ ruhig, erläutert der Ingenieur. Selten Sturm, kein hoher Seegang - ideal, um Tanker zu beladen. Das sei auch der wichtigste Grund gewesen, ausgerechnet diesen Ort nahe der syrischen Grenze zu wählen. Außerdem endet hier bereits eine Pipeline aus dem Irak. Jellard zeigt auf braune, kleinere Tanks. Sie sind leer, denn seit dem Embargo gegen den Irak Anfang der 90er Jahre fließt das Öl von dort nicht mehr. Auch die Gegend um Ceyhan ist, wie eigentlich fast jeder Meter entlang der Pipeline, erdbebengefährdet.
" Das Erdbeben kann schon morgen passieren. Aber wir haben alles darauf abgestimmt. Wir haben so gebaut, dass das Terminal das stärkste erwartbare Beben aushält. Das ist total sicher. Bei einem Erdbeben wird sich der Tank allenfalls ein wenig bewegen. Das war's."
Und selbst wenn ein Tank Leck schlage, werde das Öl in einer Wanne aufgefangen, erklärt Jellard. Dann zeigt er, wo die Tanker beladen werden.
Ein langer betonierter Arm führt über zweieinhalb Kilometer schnurgerade vom Strand hinaus aufs Meer. Daneben verläuft die Pipeline. Die Küste gegenüber verschwindet im Dunst. Jellard kickt einen Stein zur Seite.
" Die zwei Jahre, die ich nun hier war, bin ich jeden Monat Baden gegangen, aus Prinzip. Im ersten Januar, den ich hier verbracht habe, war es so was von kalt. 5 Sekunden haben gereicht. In diesem Januar war ich bestimmt 5 Minuten schwimmen, es war viel wärmer. Die Anwohner kennen mich schon."
460 Tanker im Jahr sollen hier ab dem kommenden Herbst beladen werden. Dass das von ihm gebaute Terminal ausgerechnet den Namen von Heydar Alijev trägt, jenem Mann aus der Breschnjev-Nomenklatura, der Aserbaidschan über Jahre regierte, ist für Jellard kein Thema. Zumindest keines, zu dem er sich öffentlich äußern möchte. Er zuckt mit der Schulter.
" Nach seinem Tod haben sie entschieden, dass das Terminal so genannt wird. Es ist nicht mein Job, über solche Dinge zu sprechen."
Armin T. Wegner, Am Kreuzweg der Welten, Berlin 1930. Zitiert nach: Aserbaidschan. Land der Feuer. Ein literarischer Reiseführer von Uli Rothfuss. Edition Hans Erpf. Bern, München 1997, S. 213 f. Länge 1.57
Ryszard Kapuscinski, Imperium. Sowjetische Streifzüge. Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 1993, S. 180 f. Länge 1.40