Mittwoch, 08. Mai 2024

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"Die FIVB muss Goijman wieder ein normales Leben ermöglichen"

Die Spitze des Volleyball-Weltverbandes FIVB hat sich in dieser Woche in Argentinien getroffen. Der perfekte Rahmen, um an das Schicksal des Whistleblowers Mario Goijman zu erinnern, sagt Jens Sejer Andersen, Mitbegründer der NGO "Play the Game" im DLF. Der ehemalige Sportfunktionär stehe kurz vor der Obdachlosigkeit. Es gibt aber Anzeichen für eine Annäherung.

Jens Sejer Andersen im Gespräch mit Marina Schweizer | 08.10.2016
    Marina Schweizer: Warum jetzt?
    Jens Sejer Andersen: Wir haben Goijmans Situation schon lange im Blick und wir hatten seit über zehn Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass er für eine gerechte Sache kämpft. Aber wir können das natürlich nicht jeden Tag machen, wenn wir die Leute nicht langweilen wollen. Wir haben diesen Moment ausgewählt, weil es zufällig so war: Als der Volleyball-Weltverband (FIVB) für die Konferenz nach Buenos Aires kam, haben wir die Nachricht von Mario Goijman erhalten, dass er kurz vor der Obdachlosigkeit steht. Bei diesem Kongress in Goijmans Heimatstadt kommen einerseits all die Volleyball-Spitzenfunktionäre der Welt im Hilton Hotel zusammen und andererseits haben Sie da einen der wichtigsten Whistleblower im Sport aller Zeiten, der als Obdachloser in Buenos Aires herumhumpelt. Das war einfach eine unerträgliche Situation und wir hatten das Gefühl: Wir müssen unseren Ruf nach Gerechtigkeit erneuern.
    Schweizer: Mario Goijman hat enthüllt, was im Volleyball-Weltverband passiert ist und bezahlt jetzt buchstäblich dafür. Er musste persönlich für Schulden aus den Volleyball-Weltmeisterschaften in Argentinien bürgen und für sie aufkommen. Jetzt sagt der wiedergewählte Präsident des Weltverbandes: Volleyball befinde sich in einer goldenen Ära des Erfolgs. Sie wollen, dass der Verband bezahlt, richtig?
    "Goijman ist persönlich, psychologisch und finanziell ruiniert"
    Andersen: Ja, Mario Goijman hat persönlich für Kredite über ungefähr 400.000 US-Dollar gebürgt und hat auch eigenes Geld - davon hatte er damals 2002 eine beträchtliche Menge gegeben - als Argentinien Gastgeber der Volleyball-Weltmeisterschaften war. Zur gleichen Zeit haben die Argentinier angefangen, Kritik am sehr mächtigen Präsidenten des Weltverbandes, Ruben Acosta aus Mexiko, zu üben. Und wegen dieser Kritik entschied dieser, er würde einfach das Geld nicht bezahlen, das er dem Argentinischen Verband schuldete. Was bedeutete, dass Mario Goijman danach auf einem riesigen Schuldenberg saß und die FIVB ihm 800.000 Euro geschuldet hat. Heute konzentrieren wir uns nicht mehr so stark auf die rechtlichen Aspekte dieser Affäre. Wir sagen nur: Mario Goijman ist persönlich, psychologisch und finanziell ruiniert und wir haben eine humanitäre Situation, in der die FIVB ihre Position überdenken muss und es Mario Goijman ermöglichen muss, seine letzten Schulden zu begleichen und wieder ein normales Leben zu führen, so dass er nicht als Obdachloser leben muss.
    Schweizer: Wissen Sie, über welchen Betrag wir noch sprechen?
    Andersen: Ich denke, der genaue Betrag, den Goijman braucht ist etwas, was zwischen ihm und der neuen Führung des Verbandes diskutiert werden muss. Uns geht es nicht um den einen oder den anderen Betrag, wir verhandeln nicht für Mario Goijman. Wir ziehen die Aufmerksamkeit der Welt auf eine gerechte Sache, und das bedeutet, dass es ihm ermöglicht werden muss, ein normales Leben zurückzubekommen.
    Schweizer: Reden wir von Tausenden oder Millionen?
    Andersen: Wir reden höchstwahrscheinlich über mehre Hunderttausend US-Dollar. Das ist ein sehr, sehr großer Betrag für eine Person, aber es ist kein so großer Betrag für den Welt-Volleyballverband, der ein sehr reicher Verband ist.
    Schweizer: Der erwähnte Weltverband hat ja später auch zugegeben, dass Acosta Geld in die eigene Tasche gesteckt hat. Ist eine finanzielle Rehabilitierung vielleicht für einen Verband zu viel des Guten in der heutigen Sportwelt? Er scheint ja ein dankbares Exempel eines Geächteten zu sein…
    "Wenn Du schmutzige Wäsche wäscht, bist du kein Familienmitglied mehr"
    Andersen: Naja, alle Whistleblower im Sport und auch außerhalb haben große Probleme. Der Sport betrachtet sich selbst oft als Familie, aber nicht unbedingt nur im positiven Sinne. Eine Sportfamilie zu sein, bedeutet eben auch, dass man die Führung nicht offen kritisiert, dass man keine schmutzige Wäsche wäscht. Wenn du das machst, bist du kein Familienmitglied mehr und wenn du das nicht mehr bist, verlierst Du alle Rechte. Das ist Mario Goijman passiert. Man muss sich das immer vor Augen führen: Als der Konflikt am Siedepunkt war, hatte er sich mit einem der persönlich korruptesten Sportfunktionäre angelegt, die wir kennen. Ruben Acosta hat allein in den letzten zehn Jahren seiner Präsidentschaft vom Weltverband zwischen 33 und 40 Millionen US-Dollar abgeknapst. Allein private, persönliche Provision. So: Und ein Teil dieses Geldes hätte eigentlich an Mario Goijman gezahlt werden müssen - für den Aufwand, den er betrieben hatte, um eine erfolgreiche Weltmeisterschaft 2002 in Buenos Aires zu organisieren. Obwohl seither viele Jahre vergangen sind, hat das Problem noch Bestand, denn Mario Goijman ist als Konsequenz dieser Ereignisse damals persönlich gebrochen und finanziell runiniert.
    Schweizer: In Ihrem Brief appellieren Sie an die Integrität und Humanität des Sports. Was lässt Sie noch denken, dass die Arbeit eines solchen Verbandes noch von solchen Werten beeinflusst ist?
    Andersen: Es ist sehr ermunternd zu sehen, dass der Weltverband nach all den Jahren endlich die Türen für Mario Goijman geöffnet hat.
    Schweizer: Nach Ihrem Brief?
    Andersen: Nach unserem Brief und nach mehreren Artikeln in der argentinischen Presse. Der Generaldirektor der FIVB hatte ein langes und produktives Gespräch mit Mario Goijman und sie haben jetzt versprochen, dass sie die alten Verträge sorgfältig anschauen werden. Denn es ist offensichtlich, dass eine Serie an Gerüchten, Anschuldigungen über Goijman, die nie bewiesen wurden, eine der Hinterlassenschaften des ehemaligen korrupten Präsidenten Acosta war. Und diese Gerüchte und Anschuldigungen haben es geschafft zu überleben. Und der Weltverband hat eine falsche Vorstellung davon, was die Wurzel der Probleme war. Jetzt gibt es Hoffnung. Wir müssen sehen, ob diese Hoffnung wirklich konkrete Ergebnisse mit sich bringt, aber es ist ein Durchbruch, dass der Volleyball-Weltverband und Mario Goijman jetzt im direkten Kontakt stehen. Wir sind nicht Teil der Verhandlungen, aber wir werden das genau beobachten. Und wir hoffen aufrichtig, dass sich die FIVB großzügig, human und ethisch zeigen wird. Das ist weit mehr als eine rechtliche Frage. Es geht darum einen Mann dafür zu belohnen, der dem Weltvolleyballverband dabei geholfen hat, einen sehr korrupten Präsidenten loszuwerden, der das Geld von Athleten geklaut hat.
    "Einzigartige Chance, Fair Play im Sport zu zeigen"
    Schweizer: Glauben Sie, da findet ein Umdenken statt?
    Andersen: Es gibt jetzt zumindest eine Möglichkeit, weil es jetzt Gespräche gibt und es gibt ein Versprechen von der FIVB, dass man sich jetzt darum kümmert und sich wieder an Mario Goijman wendet. Hoffentlich nächste Woche. Es bleibt abzuwarten, welche Antwort sie geben. Aber ich hoffe aufrichtig, dass sie verstehen, dass sie eine einzigartige Chance haben zu zeigen, dass wenn wir über Fair Play im Sport sprechen, dann reden wir über etwas, was größer ist als die Regeln. Wir sprechen darüber, dass man sich um die Belange des Gegners kümmert, auch wenn strikt ausgelegte Regeln es einem erlauben würden, sich abzuwenden. Hier hat der neue, wiedergewählte Präsident Graca die Möglichkeit, eine humanitäre Geste zu zeigen und zu beweisen, dass Sportpolitik nicht immer dreckig ist.
    Schweizer: Und Sie denken, er ist dazu in der Lage?
    Andersen: Die Zeit wird es zeigen. Nur Graca selbst kann beweisen aus welchem Holz er wirklich geschnitzt ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu Eigen.