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Vollkommene Verklärung

Muhammad Ali war der Boxer der Superlative. Vor allem sein Sieg beim Rumble in the Jungle über George Foreman und das rasante Duell mit Joe Frazier beim "Thrilla in Manila" sind Legende. Doch Ali wurde nicht allein wegen seiner boxerischen Fähigkeiten zum Jahrhundertsportler. Er wurde es vor allem, weil er als politische Figur polarisierte - und in seinem Handeln radikal war wie kein anderer Sportler.

Von Stefan Osterhaus | 15.01.2012
    "The Greatest" - das war seine unbescheidene Selbstwahrnehmung. Und nicht nur er hatte eine hohe Meinung von sich, die Welt konnte sich der Faszination dieses Ausnahmeboxer nur schwer entziehen. Selbst erklärte Boxverächter konnte er begeistern: Irrwitzige Technik, rasend schnelle Beinarbeit - Alis Bewegungstalent ist bis heute einzigartig. Doch er war mehr als nur ein Virtuose im Ring: Er war einer, der mit seinem losen Mundwerk und der wunderbaren Fähigkeit, Reime zu bilden, eine ganze Generation von Rappern inspirierte:

    "I done something new for this fight. I done wrestled with an alligator. That's right. I have wrestled with an alligator. I done tussled with a whale. I done handcuffed lightning, thrown thunder in jail. That's bad! Only last week I murdered a rock, injured a stone, hospitalised a brick! I'm so mean I make medicine sick!"

    So war er: Ein Mann der mit Alligatoren rang, der dem Blitz Handschellen anlegte, der so böse war, dass er selbst Medizin krank machen konnte. Radikal, das war er nicht nur im Ring. Radikal war er vor allem ausserhalb des Seilgevierts. Seine Goldmedaille von den Olympischen Spielen in Rom warf er nach eigener Darstellung in den Ohio, weil er in einem Restaurant als Schwarzer nicht bedient worden war, was ein Biograph allerdings bezweifelt.
    Als Ali zum Wehrdienst einberufen wurde, befanden sich die US im Vietnamkrieg, Ali weigerte ich - mit der simplen Begründung:

    "No vietcong has called me no nigger!"

    Die haben mich niemals Nigger genannt. Dafür nahm er eine Sperre in Kauf, die ihn die besten Jahre seiner Karriere kostete. Dadurch wurde er zur Ikone der Anti-Kriegsbewegung.

    Doch die Geschichte der politischen Figur Muhammad Ali ist vor allem die einer Konversion. Es ist die Geschichte seines Übertritts vom Christentum zum Islam. Er änderte seinen Namen: Aus Cassius Marcellus Clay wurde Muhammad Ali.

    1964 lernte Clay den den schwarzen Bürgerrechtler Malcolm X kennen - und wie Malcolm X trat Ali der Nation of Islam bei, einer radikalen muslimischen Vereinigung, die vom Prediger Elijah Muhammad kontrolliert wurde. Es war in jenem Jahr, als der junge Clay erstmals um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht boxte. Der Gegner war der Champion Sonny Liston, und Malcolm X notierte:

    "Kreuz und Halbmond kämpfen im Ring zum ersten Mal. Das ist ein moderner Kreuzzug - ein Christ und ein Moslem stehen einander gegenüber. Glaubst du, Allah würde all das bewirkt haben, wenn er nicht wollte, dass du den Ring als Champion verlässt?"

    In Runde sechs musste Liston aufgeben. Ali war Weltmeister. Einen Tag später erklärte er, dass er zum Islam konvertiert war.

    "I‘am a black muslim and Elijah Muhammad has named me Muhammad Ali."

    Er verschaffte den Black Muslim PR. Er wurde ihr prominentester Vertreter. Und er blieb ihnen auch treu, nachdem Malcolm X von der Nation of Islam mit einem Bannstrahl belegt worden war, weil dieser seine harte Haltung gegenüber Weißen allmählich ablegte und nun versöhnlicher auftrat.

    Auch Ali distanzierte sich von seinem Freund. Am 21. Februar 1965 wurde Malcolm X von 13 Kugeln getroffen. Elijah Muhammad, den Führer der Nation of Islam, wurde als Drahtzieher verdächtigt. Ali nahm keinen Abstand. Das Verhältnis zur Nation blieb ungetrübt, wie Ali in seiner Biographie über eine Zusammenkunft mit einem hohen Geistlichen der Nation schrieb:

    "Nachdem ich meine Meisterschaft im Schwergewicht von George Foreman zurückerobert hatte, wurde mir das unvergessliche Erlebnis zuteil, mit diesem großen Religionsführer in den Ring steigen und ihm bei seinem Fitnesstraining helfen zu dürfen, genau wie er mir bei meinem religiösen Fitnesstraining geholfen hatte."

    Die Gleichberechtigung der Schwarzen war seine Mission. Dabei vergriff er sich auch mal im Ton. Die Situation der Schwarzen verglich er mit der der Juden in Nazideutschland.
    Doch Ali diskriminierte auch selber - seine Gegner, die meist farbig waren wie er. Sonny Liston nannte er den hässlichen Bären. Joe Frazier und George Foreman stempelte er zum Onkel Tom - Schwarze ohne Stolz, die den Weißen gefallen wollen.

    Ali blieb Zeit seiner Karriere das, was er immer hatte sein wollen: Eine Figur, die polarisierte.

    Doch als Ali Mitte der achtziger Jahre an Parkinson erkrankte, wurden die Darstellungen immer milder. Mit zitternden Händen entzündete Ali das Olympische Feuer in Atlanta 1996. Da söhnte sich Amerika endgültig mit dem einstmals Umbequemen aus. So erlebte er schon vor zehn Jahren, als er 60 wurde, die vollkommene Verklärung als der Menschenfreund aus Louisville.

    Doch das wird ihm nicht gerecht. Zu viele Facetten hat dieser Mann, der eines ganz sicher war: Der Jahrhundertathlet.