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Voluminöser Kunsthintern, frech federnd

Eine Unglaublichkeit kolonialen Handelns war die sogenannte Hottentotten-Venus, die vor 200 Jahren in Europa zur Schau gestellt wurde: die Skalvin Sarah Baartman. Ihr Körper wurde zur Jahrmarkt-Attraktion. Die südafrikanische Choreografin Robyn Orlin hat ihr Leben in einer Theateraufführung dargestellt.

Von Margit Hillmann | 01.12.2011
    Vier schwarze Frauen stehen auf der Bühne, führen Selbstgespräche. Sie tragen überdimensionierte Spitzenhauben, eng geschnürte Korsetts, aus denen pralle Brüste quellen. – Unter ihren bunt gemusterten afrikanischen Röcken stecken voluminöse Kunsthintern, die bei jeder Bewegung frech federn.

    Die vier Frauen sind Sarah Baartmann - eine knapp 20-jährige schwarze Sklavin, die ein englischer Arzt 1810 von Südafrika nach Europa verschleppt. Fünf Jahre lang wird sie in London und Paris als sogenannte Hottentotten-Venus gegen Bezahlung der Öffentlichkeit vorgeführt. Sarah ist eine Sensation. Nicht nur, weil sie schwarz ist. Sie hat einen großen Hintern und – so die damals kursierenden Gerüchte – übergroße Schamlippen.

    Die Frauen auf der Bühne bewegen ihren Unterleib. Lasziv. Rhythmisch. Immer schneller. Wütend, dann verzweifelt. Angetrieben von Männerstimmen, die Sarah Befehle erteilen.
    Die südafrikanische Choreografin Robyn Orlins setzt nicht ausschließlich auf Tanztheater. Die Darstellerinnen schauspielern vor allem. Sie sprechen als Sarah, singen sie sogar.

    Sarah den weißen Gaffern schutzlos ausgeliefert, die ihren Körper gegen Aufpreis abtasten dürfen. Sarah verloren in einer fremden Welt, deren Sprache sie nicht versteht. Eine Venus, die überleben will und gehorcht. – Auch eine Sarah mit Facebookseite taucht auf. Sie ist wütend, dass sie in Europa tourt, statt sich zuhause in Südafrika um ihren Sohn zu kümmern. Und schließlich die "vénus noire", die in Paris mit Alkohol abgefüllt wird, von einem französischen Dompteur als animalische Attraktion verkauft und prostituiert wird. – Bis sie dran zugrunde geht. Sarahs Leiche wird vom Anatomiegelehrten Georges Cuvier seziert.

    Cuvier konserviert Sarahs Gehirn und Geschlechtsteile als Anschauungsmaterial für die Rassenlehre. Ein Gipsabdruck der Toten und ihr Skelett werden im Pariser Musée de l'Homme ausgestellt. 'Wer das Fleisch bringt, soll es auch in Stücke schneiden' singt Sarah.

    Die Relikte der afrikanischen Venus sind noch bis in die 1990er-Jahre im Pariser Museum zu sehen. Erst 2002 setzt Nelson Mandela ihre Herausgabe in Frankreich durch. Die sterblichen Überreste Sarah Baatmans werden schließlich am Kap beerdigt.

    Das Schicksal der schwarzen Venus wird in Europa zu selten erzählt, sagt die südafrikanische Choreografin Robyn Orlin:

    "Ihre Geschichte hat sich in Europa abgespielt. Sie muss auch hier erzählt werden. Das Schicksal Sarahs sagt so viel über Europa. Über den europäischen Kolonialismus und den Umgang mit dieser Vergangenheit. Europa hat ein kurzes Gedächtnis. Ich selbst habe eine achtjährige Tochter. Ihr Vater ist Zulu. Sie lebt mit mir in Berlin. Und ich sehe, auf welche Art von Problemen sie stößt, weil sie ein farbiger Mensch ist. Das ist nicht nur in Deutschland so, das gilt für Europa generell. Die Europäer müssen wirklich wachsam bleiben, was den Rassismus betrifft. Deshalb habe ich mich entschieden, das Thema anzugehen."

    Jedoch nicht als politisch-korrektes Lehrstück. Orlins schwarze Venuse sollen den Zuschauern auf die Pelle rücken, unter die Haut gehen. Tatsächlich wird das Publikum nicht geschont.

    Etwa, wenn sich die üppige Venus-Darstellerinnen auf einen Zuschauer in der ersten Reihe stürzt, sich über ihn beugt und sein Gesicht mit ihrem imposanten Busen bedeckt.

    "Für mich war die Überlegung ganz wichtig, wie ich das Publikum auch tatsächlich erreichen kann. Mir reicht es nicht, dass die Zuschauer hinterher sagen: Oh, Sarah wurde ja so mies behandelt! Ja, schlecht behandelt, aber wie fühlt sich das an?! Ich will, dass die Zuschauer es selbst fühlen. Das ist für mich das Wichtigste."

    Zu sehen war Robyn Orlins Stück bereits in Luxemburg. Bis Mitte Dezember gastiert die Truppe in Frankreich, macht zwischendurch kurze Abstecher nach Monaco und Amsterdam. In Deutschland, wo die Choreografin seit zehn Jahren lebt, ist keine Aufführung geplant.

    "Bisher nicht. Die Deutschen scheinen sich nicht dafür zu interessieren."


    Info:
    Robyn Orlin: "Have you hugged, kissed and respected your brown Venus today?”