Monopole waren sie alle. Ob Energie, Verkehr oder Telekommunikation - über viele Jahrzehnte lagen die Märkte fest in der Hand eines oder mehrerer Unternehmen. Das Nachsehen hatten in erster Linie die Verbraucher: Denn wo kein Wettbewerb stattfindet, gibt es auch keinen Preisdruck. Nicht zuletzt die Einführung eines europäischen Binnenmarktes mit der Zielsetzung eines freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs führte auch zu einem Paradigmenwechsel in der Wettbewerbspolitik der 90er Jahre.
Am 1. Januar 1998 fiel Eu-weit das Monopol der staatlichen Telekommunikationsunternehmen auch im Netz-Bereich, die Marktöffnung für Strom und Gas folgte nur wenig später. Deutschland zählt seither neben Großbritannien zu den Vorreitern in Sachen Marktliberalisierung. Denn während die EU-Kommission für Strom und Gas nur eine stufenweise Öffnung der ehemaligen Monopolbereiche vorsieht, sind beide Märkte hierzulande schon längst zu 100 Prozent geöffnet.
Im April 1998 erfolgte die entsprechende Änderung des Energiewirtschaftsrechts für Strom, zwei Jahre später im Dezember 2000 verabschiedete das Bundeskabinett die Novelle für den Gasbereich. Aus Sicht der deutschen Verbraucherschutzverbände fällt die Zwischenbilanz nach dem Ende der ehemaligen Monopole dennoch verhalten aus - Edda Müller, die Präsidentin der Verbraucherzentrale Bundesverband:
Wenn man sich die Liberalisierung der ehemaligen Monopolmärkte anschaut, dann kann man sicherlich sagen, dass im Bereich der Telekommunikation die Entwicklung am weitesten voran gekommen ist, also positiv zu bewerten ist. Wir haben allerdings eine sehr differenzierte Sicht, was die Situation sozusagen bei einer Fülle von Telekommunikationsleistungen angeht - Ferngespräche insbesondere. Während der Wettbewerb und auch die Preisentwicklung bei den Ortstarifen noch zu wünschen übrig lässt.
Tatsächlich ergibt sich auch vier Jahre nach der Marktöffnung kein einheitliches Bild. So bringen es die privaten Konkurrenten der deutschen Telekom zumindest bei den Ferngesprächen auf einen Marktanteil von 40 Prozent. Der Wettbewerb stagniert jedoch seit geraumer Zeit auf diesem Niveau. Im Ortsnetz und bei den schnellen Internetanschlüssen spielen die privaten Anbieter dagegen nur eine untergeordnete Rolle - hier konnte das einstige Staatsunternehmen seine Monopolposition bei einem Marktanteil von rund 98 Prozent wirksam verteidigen. Wirtschaftsminister Werner Müller ist dennoch weitgehend zufrieden:
Preislich im Telekommunikationsmarkt haben wir in der Spitze bis zu 95 Prozent Preissenkungen durch den Wettbewerb, der sich etabliert hat. Will aber auch hinzufügen, nicht zuletzt auch durch das starke Aufkommen von Handys, was es ja bei Einführung der Telekommunikationsliberalisierung so noch nicht gegeben hat. Die Preisentwicklung für die Verbraucher ist gut. Insgesamt gibt es auch etliche Marktteilnehmer. Aber ich will nicht verkennen: auf der letzten Meile ist nach wie vor die Telekom der überwiegende Anbieter.
Und daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Zwar soll auch in diesem Bereich noch im laufenden Jahr das so genannte "Call by Call" Verfahren eingeführt werden - also die Möglichkeit für die Verbraucher, alternative Anbieter frei auswählen zu können. Doch die Gewinn-Margen sind klein, die notwendigen Investitionen teuer - schlechte Voraussetzungen für mehr Wettbewerb und sinkende Preise.
Ohnehin ist die anfängliche Euphorie der Branche längst verschwunden. Zahlreiche Anbieter mussten nach einem ruinösen Preiswettbewerb wieder aufgeben oder haben sich, wie etwa die großen Herausforderer der Telekom, Veba, Thyssen oder auch Viag, ganz aus dem Telekommunikationsgeschäft zurückgezogen. Von einem stabilen Wettbewerb kann also keine Rede sein, der Verband der privaten Anbieter VATM warnt sogar vor einer Remonopolisierung der Branche. Matthias Kurt, Präsident der zuständigen Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation weist dagegen solche düsteren Prognosen zurück:
Also, sie haben einen Zyklus. Und wenn wir da den Boden erreicht haben - der wird auch wieder nach oben gehen. Insbesondere, wenn das Kundenwachstum steigt, was stimmt in der Telekommunikation. Wir haben wachsende Kunden, wir haben wachsende Nachfrage und wir werden auch ein Dienste-Wachstum haben. Das heißt, die drei Wachstumsfaktoren sind intakt. Es gibt Märkte, die sind gesättigt, wie Lebensmittel, oder Luftverkehr ist sogar rückläufig, Tourismus ist rückläufig. Telekommunikation nach wie vor intaktes Wachstum. Nicht soviel, wie das viel vor zwei Jahren dachten, aber immerhin positives Wachstum von 14 Prozent im letzten Jahr.
Von solchen Wachstumszahlen kann der deutsche Strommarkt nur träumen. Ohnehin werfen Kritiker der Branche vor, dass trotz der vollständigen Marktöffnung 1998 letztlich kaum Wettbewerb stattfinde. Noch immer tummeln sich rund 900 Anbieter am Markt, angefangen vom kleinen Stadtwerk bis hin zum großen Verbundunternehmen. Verbissen verteidigen die Platzhirsche, kleine wie große, ihr Revier, werden etwa die Anträge auf Netzzugang über Gerichte verzögert oder horrende Durchleitungsgebühren verlangt.
Doch der Wirtschaftsminister verweist einmal mehr auf die bisherige Preisentwicklung. Gehörte diese - vor allem für die Unternehmen hierzulande - vor der Marktliberalisierung mit zu den höchsten innerhalb der Europäischen Union, so läge sie jetzt im unteren Bereich:
Ein Unternehmen, was im Wettbewerb gut verhandelt hat, hat seine Strompreise in etwa halbieren können. Ich glaube, 25 Prozent Stromsenkung für die Industrie ist der Durchschnittswert. Für Haushalte ist der Strompreis etwa 15 Prozent gesunken. Das heißt auf dem Sektor haben wir also mehr als eigentlich erwartet erreicht.
Die Verbraucherschutzverbände kommen freilich zu einem ganz anderen Ergebnis. Der Preisrutsch allein sei noch kein Beweis für einen funktionierenden Wettbewerb - zumal eine deutliche Schieflage zwischen den Strompreisen für die Verbraucher und denen für die Industrie bestehe. Ein weiteres Problem: Ein Großteil der Entlastungen ist durch staatliche Steuern und Abgaben weitgehend neutralisiert worden. Doch aus Sicht der Verbraucherschutzverbände weitaus entscheidender: Bislang hätten erst drei Prozent der privaten Stromkunden ihren Anbieter gewechselt. Vor allem die komplizierten Regeln für eine Vertragsänderung, so Edda Müller, wirken auf viele abschreckend:
Ich denke nur an die bis Anfang des Jahres gültigen Doppelvertragsmodelle. Das heißt, ein Verbraucher, der seinen Strombezug und damit auch seinen Lieferanten ändern wollte, musste zwei Verträge abschließen. Einmal mit dem Netzbetreiber, zum anderen mit dem Stromhändler oder Lieferanten unter für den Einzelnen sehr schwierigen Bedingungen - also abschreckend. Zweites: es war ein völlige Wirrwarr zu verzeichnen auf Wechselentgelte, die von den privaten Stromkunden verlangt wurden.
Im Wirtschaftsministerium macht man dagegen eine andere Rechnung auf. So hat man dort, nachdem die Klagen der Bürger über die Hinhaltetaktik der Stromunternehmen immer mehr zugenommen hatten, eine so genannte Tasc Force eingerichtet, die vor allem Vorschläge und Anregungen für einen ungehinderten Netzzugang unterbreiten soll. Der, so wörtlich, "Kleinbeschiss", den selbst Müller noch vor einem Jahr öffentlich beklagt hatte, sei zu Ende - die Unternehmen hätten die Verhaltensregeln inzwischen weitgehend akzeptiert. Und nach 100 Jahren monopolistischer Strukturen auf dem Strommarkt gebe es eben noch immer eine gewisse Wechsel-Trägheit bei den Verbrauchern.
Der Präsident des Bundeskartellamtes, Ulf Böge, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Entscheidend sei letztlich, dass sich die Verbraucher ihren Anbieter frei aussuchen könnten - ein Ding der Unmöglichkeit zu Monopolzeiten. Im übrigen falle die Bilanz auch aus Verbrauchersicht gar nicht so schlecht aus:
Wir reden da von zwei bis vier Prozent Wechslern, aber wenn wir das mal in absolute Größenordungen bringen, dann reden wir doch von ein einhalb bis zwei Millionen Haushalte, die ihren Anbieter gewechselt haben. Wir müssen natürlich auf der anderen Seite sehen, dass die etablierten Unternehmen im Markt auch auf den neuen Wettbewerb reagiert haben und die Preise gesenkt haben. Das macht es für New Comer natürlich schwer, in einen Markt hineinzugehen, wenn der Etablierte seine eigene Kundschaft zufrieden stellt - in dem er denen gezeigt hat, dass er nicht mehr Monopolist ist, sondern kundenorientiert ist.
Dieser Prozess wird so - trotz Liberalisierung - auf dem deutschen Gasmarkt nicht stattfinden. Zwar können auch hier zumindest theoretisch die 17 Millionen Haushaltskunden seit dem 1. Januar dieses Jahres ihren Anbieter frei wählen - doch die Strukturen sind hier völlig anders als auf dem Strommarkt. Deutschland ist zu 80 Prozent auf Gas-Importe angewiesen, die aber von nur wenigen Anbietern kontrolliert werden. Insofern ist auch Wirtschaftsminister Müller eher skeptisch, was die Wettbewerbsstrukturen angeht:
Damit ein Preiswettbewerb nach unten eintritt, braucht man einfach ein Überangebot im Markt. Und das können aber die wenigen Lieferländer untereinander steuern, dass kein Überangebot entsteht. Strom ist letztlich eine Sache, die jeder produzieren kann - ich erinnere nur an die vielen Windräder, die entstehen. Das heißt, Strom ist eigentlich ziemlich beliebig verfügbar zu machen und das ist der große Unterscheid zum Gas.
Darüber hinaus ist die Liberalisierung des Gasmarktes schon aus technischen Gründen viel schwieriger zu bewältigen als etwa bei Strom oder Telekommunikation. Technische Argumente sind es auch nicht zuletzt, die die Deutsche Bahn immer wieder gerne verwendet, um den noch schwachen Wettbewerb in diesem ehemaligen Monopolsegment zu begründen. Das Schienennetz müsse als Systemeinheit betrachtet werden. Insofern sei die logistische Herausforderung kaum zu bewältigen, sollten nun auch verstärkt Konkurrenten auf die Schienen drängen. Ein Zug könne nun Mal nicht einfach ausweichen, heißt es lapidar.
Trotzdem hat auch die Bahn längst ihr einstiges Monopol verloren - über 200 Konkurrenten nutzen bereits ihre Trassen - ihr Anteil an den Betriebsleistungen liegt aber bislang nur bei bescheidenen fünf Prozent. Nun hoffen die Herausforderer der Bahn auf die Pläne der Europäischen Kommission. Beginnend mit dem nächsten Jahr sollen spätestens bis 2006 die inländischen Schienentransportmärkte für ausländische Frachtbetreiber geöffnet werden. Der Präsident des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen, Dieter Ludwig:
Mit der beschlossenen Öffnung der europäischen Schienenwege für den Güterverkehr im Jahre 2003 hat die Europäische Union zu einem wesentlichen Fortschritt beigetragen. Ein gemeinsamer europäischer Eisenbahnmarkt, in dem die Wachstumschancen der Bahnunternehmen lägen, steht aber noch aus. Zahlreiche technische und administrative Hindernisse müssen noch aus dem Weg geräumt werden. Es sollen alle, also auch kleine und mittelständische Unternehmen und Bahnen zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen hieran partizipieren können.
Doch das ist schon aus europäischer Perspektive nicht so einfach - denn längst gibt es auch in der Wettbewerbspolitik ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während sich die einen - etwa Frankreich, Griechenland und Portugal punktgenau an die zeitlichen Liberalisierungsvorgaben der Kommission halten, preschen andere, wie beispielsweise Deutschland oder Großbritannien, vor und öffnen zu 100 Prozent ihre Märkte . Von inakzeptablen Wettbewerbsverzerrungen spricht dann auch der Wirtschaftsminister:
Das Ergebnis ist beispielsweise, dass sich ausländische Monopolisten - übrigens auch noch in Staatseigentum, also doppelt bevorteilt - dann auf der Basis ihrer monopolgeschützten Renditen im Ausland in Deutschland breit machen und hier Wettbewerber aufkaufen. Umgekehrt aber diese Möglichkeit nicht besteht. Das heißt, wir haben dann disproportionale Wettbewerbsverhältnisse - die muss ich nicht unbedingt hinnehmen.
Daher sieht die Novelle des Energiewirtschaftsrechts eine Verschärfung der sogenannten Reziprozitätsklauseln vor. Danach gilt: deutsche Unternehmen müssen auf den Märkten innerhalb der EU die gleichen Konditionen erhalten wie die ausländischen Wettbewerber hierzulande. Andernfalls dürfen sie noch bis Ende 2006 den Zugang zu den eigenen Netzen verweigern.
Die Monopolkommission hat in ihrem jüngsten Hauptgutachten die Reziprozitätsklausen scharf kritisiert. Denn die Kostenersparnis für deutsche Unternehmen und damit mögliche Effizienzgewinne würden außer acht gelassen. Grundsätzlich, so das vernichtende Urteil der Experten, fördere die Anwendung solcher Klauseln auch nicht die Öffnung fremder Märkte, sondern verhindere nur die des eigenen Marktes. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Liberalen, Rainer Brüderle, bewertet die Klagen von Müller ebenfalls kritisch:
Ich habe die große Sorge insgesamt, dass es da so eine unheilige Allianz gibt Berlin-Paris: lasst mir meine Sonderprivilegien - Steinkohleförderung wird verlängert, Briefmonopol wird verlängert - dafür rührt man nicht an Sonderpositionen, die Frankreich hat. Daraus wird letztlich kein vernünftiges Ganzes.
Wesentlich entscheidender für den Wettbewerb und die Öffnung der Märkte ist die Kontrolle über die ehemaligen Monopolisten. Die, und das ist entscheidend, in der Regel auch noch Herren über die Infrastruktur sind und damit Zugang und Nutzung der Netze und Trassen mitbestimmen.
Hier aber gibt es in Deutschland im Gegensatz zu den meisten europäischen Staaten keinen einheitlichen Ansatz. Nur für den Bereich Telekommunikation und Post wurde für die Marktöffnung eigens eine staatliche Regulierungsbehörde gegründet. Schließlich gab es vor 1998 keinen Anbieter neben der Telekom, insofern war klar, dass sowohl Telekom als auch Post lange Zeit ihre dominierende Stellung am Markt würden behaupten können. Vor allem durch die Festlegung von Preisen kann die Behörde massiv in das Marktgeschehen eingreifen.
Dabei kann es durchaus Interessenkonflikte geben. Zwar ist das Amt formal in seinen Entscheidungen unabhängig. Weil aber der Bund noch immer 43 Prozent der Telekom-Aktien hält, wurde immer wieder über Versuche der politischen Einflussnahme spekuliert. Denn zu strenge Regulierungsentscheidungen drücken natürlich den Aktienkurs des früheren Staatsunternehmens. Doch Behördenchef Kurth weist alle diesbezüglichen Spekulationen weit von sich:
Also man hat das ja bewusst vom Finanzministerium, das sozusagen die Beteiligungsverwaltung für die Unternehmen macht, getrennt. Und da gibt es natürlich im Hintergrund und auch bei der Gesetzgebung mal den einen oder anderen Konflikt - der aber insoweit auch zwischen den beiden Ministerien soweit institutionalisiert worden ist. das eben das ordnungspolitische Gewissen und die Wettbewerbsorientierung beim Wirtschaftsministerium vorhanden ist. Ich kann nur sagen, dass das ganz gut funktioniert, weil unsere Behörde im Gesetz eine unabhängige Rolle zugewiesen bekommen hat - auch gegenüber dem Wirtschaftsministerium.
Die Telekom und ihre Herausforderer haben sich inzwischen mit der Regulierungsbehörde weitgehend arrangiert. Gab es lange Zeit laute Klagen über zu strenge oder zu laxe Entscheidungen, bekommt der Regulierer nun von beiden Seiten vorsichtiges Lob für seine Arbeit, so auch vom Verband der privaten Anbieter VATM. Geschäftsführer Jürgen Grützner:
Er hat aus der Taktik der Telekom gelernt, aber er lernt sehr langsam und er hat jetzt erst nach vier Jahren begriffen, wie wichtig es ist, dass die Telekom verpflichtet wird, Verträge einzuhalten. Das heißt, wir haben erst nach vier Jahren erste Entscheidungen, wo Vertragsstrafen angeordnet werden. Wo wir jetzt vielleicht eine Möglichkeit haben, tatsächlich vertragskonformes Verhalten der Telekom zu erzwingen. Dies hätte früher geschehen müssen - hier wäre uns ein schnellere und effizientere Regulierung sehr wichtig gewesen.
Doch trotz dieser unter dem Strich positiven Bilanz der Regulierungsarbeit wählte die Bundesregierung bei der Öffnung der anderen netzgebunden Monopolmärkte einen neuen Ansatz. Für die Missbrauchsüberwachung und Förderung des Wettbewerbes sind allein Kartellbehörden zuständig auf der Grundlage des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.
Eine weitere deutsche Besonderheit: Bei der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte haben sich die zuständigen Verbände selbst auf die Spielregeln der Marktöffnung geeinigt - über die sogenannten Verbändevereinbarungen. Diese gelten immer nur einen begrenzten Zeitraum und werden dann entsprechend den Erfahrungen nachgebessert. Und zumindest im Strombereich sitzen inzwischen selbst die Verbraucherverbände bei den Verhandlungen mit am Tisch.
Ordnungspolitisch sei dies ein richtiger und guter Ansatz, lobt Kartellamtschef Böge. Denn im Gegensatz zur Telekommunikation habe es bei Strom und Gas bereits vor der Liberalisierung viele Marktteilnehmer gegeben:
Wenn man einen Regulierer einsetzt, dann unterstellt man ja, dass dieser Regulierer - das ist meistens ein Angehöriger des Staates - den Markt besser kennt als die Marktteilnehmer selbst. Das ist schon eine falsche Hypothese. Zum zweiten: Wenn der falsche Entscheidung trifft, dann potentziert sich dieser Fehler. Wenn sie eine Vielzahl von Unternehmen haben, die fehlerhafte Entscheidungen treffen, dann merken sie das in der ganzen Volkswirtschaft vielleicht gar nicht. Und andere merken das dann und man hat dann die Flexibilität, zu korrigieren.
Doch auch Böge räumt im Rückblick ein, dass man gerade bei der Strom- und neuerdings auch bei der Gasmarktliberalisierung zunächst neues Terrain betreten hatte. Entsprechend groß war der Lernbedarf. Inzwischen kümmert sich eine eigene Beschlussabteilung allein um Missbrauchsverfahren im Strombereich. Zudem kann die Wettbewerbsbehörde durch die anstehende Novellierung des Energiewirtschaftsrechts ihre Verfügungen sofort in die Praxis umsetzen und muss nicht mehr langwierige Gerichtsverfahren abwarten.
Doch es gibt auch kritische Stimmen. Die Verbändevereinbarungen hätten sich im Rückblick nicht bewährt, trotz der gestärkten Rolle des Kartellamtes bei der Missbrauchsüberwachung, betont etwa Verbraucherschützerin Müller. Denn solange die Konzerne die Bedingungen für die Netzdurchleitung bestimmten, könnten sie auch den Wettbewerb verzögern. Außerdem würde ihre Marktmacht durch immer neue Fusionen, siehe Eon und Ruhrgas, weiter gestärkt. Insgesamt, so Müller, seien daher klare rechtliche Rahmenbedingungen unverzichtbar.
Nun, es müsste drin stehen eine klare Regelung von Netzen und Energielieferanten beziehungsweise Handel. Eine klare Regelung in Hinsicht auf die Kosten der Netznutzung. Das sind wesentliche Aspekte, die den Preis bestimmen und eine rein organisatorische Trennung, wie wir sie jetzt zum Beispiel haben im Bereich des Stromnetzes, ist aus unserer Sicht nicht ausreichend.
Die Monopolkommission geht sogar noch einen Schritt weiter. In ihrem neuen Gutachten fordert das unabhängige Expertengremium nicht weniger als den Aufbau einer Super-Regulierungsbehörde für alle netz- und leitungsgebundenen Industrien. Diese solle nicht erst bei einem Missbrauch aktiv werden, sondern schon früher über eine so genannte "Ex-ante-Regulierung" für einen fairen Wettbewerb sorgen. Etwa durch die Festlegung von Preisen, betont Kommissionspräsident Martin Hellwig:
Bei der Stromwirtschaft, aber auch bei der Gaswirtschaft - auch beim Netz der Bahn - ist ein Ende dieser natürlichen Monopole überhaupt nicht abzusehen. Und die Idee, dass wir Wettbewerb bestimmter Netze bekommen, die muss man glaube ich ganz weit wegschieben. Und da ist es eben nicht eine Regulierung, die irgendwann ausläuft, sondern wir müssen uns die Frage stellen, wie kann man eigentlich umgehen, dass der Staat hier gestaltend eingreift.
Die Umsetzung dieses Vorschlages aber würde eine radikale Wende in der bisherigen deutschen Wettbewerbspolitik bedeuten. Entsprechend gering sind daher die Verwirklichungschancen, zumal die rot-grüne Regierung mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz ohnehin noch stärker als bislang auf die Selbstverpflichtungen der Industrie setzen will. Die Monopolkommission ist dennoch zuversichtlich: denn einerseits wird in Brüssel der deutsche Sonderweg bei der Strom- und Gasmarktliberalisierung weiterhin skeptisch beobachtet. Zum anderen aber dürften die anhaltend hohen Durchleitungspreise hierzulande den Reformdruck mittelfristig noch verstärken.
Am 1. Januar 1998 fiel Eu-weit das Monopol der staatlichen Telekommunikationsunternehmen auch im Netz-Bereich, die Marktöffnung für Strom und Gas folgte nur wenig später. Deutschland zählt seither neben Großbritannien zu den Vorreitern in Sachen Marktliberalisierung. Denn während die EU-Kommission für Strom und Gas nur eine stufenweise Öffnung der ehemaligen Monopolbereiche vorsieht, sind beide Märkte hierzulande schon längst zu 100 Prozent geöffnet.
Im April 1998 erfolgte die entsprechende Änderung des Energiewirtschaftsrechts für Strom, zwei Jahre später im Dezember 2000 verabschiedete das Bundeskabinett die Novelle für den Gasbereich. Aus Sicht der deutschen Verbraucherschutzverbände fällt die Zwischenbilanz nach dem Ende der ehemaligen Monopole dennoch verhalten aus - Edda Müller, die Präsidentin der Verbraucherzentrale Bundesverband:
Wenn man sich die Liberalisierung der ehemaligen Monopolmärkte anschaut, dann kann man sicherlich sagen, dass im Bereich der Telekommunikation die Entwicklung am weitesten voran gekommen ist, also positiv zu bewerten ist. Wir haben allerdings eine sehr differenzierte Sicht, was die Situation sozusagen bei einer Fülle von Telekommunikationsleistungen angeht - Ferngespräche insbesondere. Während der Wettbewerb und auch die Preisentwicklung bei den Ortstarifen noch zu wünschen übrig lässt.
Tatsächlich ergibt sich auch vier Jahre nach der Marktöffnung kein einheitliches Bild. So bringen es die privaten Konkurrenten der deutschen Telekom zumindest bei den Ferngesprächen auf einen Marktanteil von 40 Prozent. Der Wettbewerb stagniert jedoch seit geraumer Zeit auf diesem Niveau. Im Ortsnetz und bei den schnellen Internetanschlüssen spielen die privaten Anbieter dagegen nur eine untergeordnete Rolle - hier konnte das einstige Staatsunternehmen seine Monopolposition bei einem Marktanteil von rund 98 Prozent wirksam verteidigen. Wirtschaftsminister Werner Müller ist dennoch weitgehend zufrieden:
Preislich im Telekommunikationsmarkt haben wir in der Spitze bis zu 95 Prozent Preissenkungen durch den Wettbewerb, der sich etabliert hat. Will aber auch hinzufügen, nicht zuletzt auch durch das starke Aufkommen von Handys, was es ja bei Einführung der Telekommunikationsliberalisierung so noch nicht gegeben hat. Die Preisentwicklung für die Verbraucher ist gut. Insgesamt gibt es auch etliche Marktteilnehmer. Aber ich will nicht verkennen: auf der letzten Meile ist nach wie vor die Telekom der überwiegende Anbieter.
Und daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Zwar soll auch in diesem Bereich noch im laufenden Jahr das so genannte "Call by Call" Verfahren eingeführt werden - also die Möglichkeit für die Verbraucher, alternative Anbieter frei auswählen zu können. Doch die Gewinn-Margen sind klein, die notwendigen Investitionen teuer - schlechte Voraussetzungen für mehr Wettbewerb und sinkende Preise.
Ohnehin ist die anfängliche Euphorie der Branche längst verschwunden. Zahlreiche Anbieter mussten nach einem ruinösen Preiswettbewerb wieder aufgeben oder haben sich, wie etwa die großen Herausforderer der Telekom, Veba, Thyssen oder auch Viag, ganz aus dem Telekommunikationsgeschäft zurückgezogen. Von einem stabilen Wettbewerb kann also keine Rede sein, der Verband der privaten Anbieter VATM warnt sogar vor einer Remonopolisierung der Branche. Matthias Kurt, Präsident der zuständigen Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation weist dagegen solche düsteren Prognosen zurück:
Also, sie haben einen Zyklus. Und wenn wir da den Boden erreicht haben - der wird auch wieder nach oben gehen. Insbesondere, wenn das Kundenwachstum steigt, was stimmt in der Telekommunikation. Wir haben wachsende Kunden, wir haben wachsende Nachfrage und wir werden auch ein Dienste-Wachstum haben. Das heißt, die drei Wachstumsfaktoren sind intakt. Es gibt Märkte, die sind gesättigt, wie Lebensmittel, oder Luftverkehr ist sogar rückläufig, Tourismus ist rückläufig. Telekommunikation nach wie vor intaktes Wachstum. Nicht soviel, wie das viel vor zwei Jahren dachten, aber immerhin positives Wachstum von 14 Prozent im letzten Jahr.
Von solchen Wachstumszahlen kann der deutsche Strommarkt nur träumen. Ohnehin werfen Kritiker der Branche vor, dass trotz der vollständigen Marktöffnung 1998 letztlich kaum Wettbewerb stattfinde. Noch immer tummeln sich rund 900 Anbieter am Markt, angefangen vom kleinen Stadtwerk bis hin zum großen Verbundunternehmen. Verbissen verteidigen die Platzhirsche, kleine wie große, ihr Revier, werden etwa die Anträge auf Netzzugang über Gerichte verzögert oder horrende Durchleitungsgebühren verlangt.
Doch der Wirtschaftsminister verweist einmal mehr auf die bisherige Preisentwicklung. Gehörte diese - vor allem für die Unternehmen hierzulande - vor der Marktliberalisierung mit zu den höchsten innerhalb der Europäischen Union, so läge sie jetzt im unteren Bereich:
Ein Unternehmen, was im Wettbewerb gut verhandelt hat, hat seine Strompreise in etwa halbieren können. Ich glaube, 25 Prozent Stromsenkung für die Industrie ist der Durchschnittswert. Für Haushalte ist der Strompreis etwa 15 Prozent gesunken. Das heißt auf dem Sektor haben wir also mehr als eigentlich erwartet erreicht.
Die Verbraucherschutzverbände kommen freilich zu einem ganz anderen Ergebnis. Der Preisrutsch allein sei noch kein Beweis für einen funktionierenden Wettbewerb - zumal eine deutliche Schieflage zwischen den Strompreisen für die Verbraucher und denen für die Industrie bestehe. Ein weiteres Problem: Ein Großteil der Entlastungen ist durch staatliche Steuern und Abgaben weitgehend neutralisiert worden. Doch aus Sicht der Verbraucherschutzverbände weitaus entscheidender: Bislang hätten erst drei Prozent der privaten Stromkunden ihren Anbieter gewechselt. Vor allem die komplizierten Regeln für eine Vertragsänderung, so Edda Müller, wirken auf viele abschreckend:
Ich denke nur an die bis Anfang des Jahres gültigen Doppelvertragsmodelle. Das heißt, ein Verbraucher, der seinen Strombezug und damit auch seinen Lieferanten ändern wollte, musste zwei Verträge abschließen. Einmal mit dem Netzbetreiber, zum anderen mit dem Stromhändler oder Lieferanten unter für den Einzelnen sehr schwierigen Bedingungen - also abschreckend. Zweites: es war ein völlige Wirrwarr zu verzeichnen auf Wechselentgelte, die von den privaten Stromkunden verlangt wurden.
Im Wirtschaftsministerium macht man dagegen eine andere Rechnung auf. So hat man dort, nachdem die Klagen der Bürger über die Hinhaltetaktik der Stromunternehmen immer mehr zugenommen hatten, eine so genannte Tasc Force eingerichtet, die vor allem Vorschläge und Anregungen für einen ungehinderten Netzzugang unterbreiten soll. Der, so wörtlich, "Kleinbeschiss", den selbst Müller noch vor einem Jahr öffentlich beklagt hatte, sei zu Ende - die Unternehmen hätten die Verhaltensregeln inzwischen weitgehend akzeptiert. Und nach 100 Jahren monopolistischer Strukturen auf dem Strommarkt gebe es eben noch immer eine gewisse Wechsel-Trägheit bei den Verbrauchern.
Der Präsident des Bundeskartellamtes, Ulf Böge, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Entscheidend sei letztlich, dass sich die Verbraucher ihren Anbieter frei aussuchen könnten - ein Ding der Unmöglichkeit zu Monopolzeiten. Im übrigen falle die Bilanz auch aus Verbrauchersicht gar nicht so schlecht aus:
Wir reden da von zwei bis vier Prozent Wechslern, aber wenn wir das mal in absolute Größenordungen bringen, dann reden wir doch von ein einhalb bis zwei Millionen Haushalte, die ihren Anbieter gewechselt haben. Wir müssen natürlich auf der anderen Seite sehen, dass die etablierten Unternehmen im Markt auch auf den neuen Wettbewerb reagiert haben und die Preise gesenkt haben. Das macht es für New Comer natürlich schwer, in einen Markt hineinzugehen, wenn der Etablierte seine eigene Kundschaft zufrieden stellt - in dem er denen gezeigt hat, dass er nicht mehr Monopolist ist, sondern kundenorientiert ist.
Dieser Prozess wird so - trotz Liberalisierung - auf dem deutschen Gasmarkt nicht stattfinden. Zwar können auch hier zumindest theoretisch die 17 Millionen Haushaltskunden seit dem 1. Januar dieses Jahres ihren Anbieter frei wählen - doch die Strukturen sind hier völlig anders als auf dem Strommarkt. Deutschland ist zu 80 Prozent auf Gas-Importe angewiesen, die aber von nur wenigen Anbietern kontrolliert werden. Insofern ist auch Wirtschaftsminister Müller eher skeptisch, was die Wettbewerbsstrukturen angeht:
Damit ein Preiswettbewerb nach unten eintritt, braucht man einfach ein Überangebot im Markt. Und das können aber die wenigen Lieferländer untereinander steuern, dass kein Überangebot entsteht. Strom ist letztlich eine Sache, die jeder produzieren kann - ich erinnere nur an die vielen Windräder, die entstehen. Das heißt, Strom ist eigentlich ziemlich beliebig verfügbar zu machen und das ist der große Unterscheid zum Gas.
Darüber hinaus ist die Liberalisierung des Gasmarktes schon aus technischen Gründen viel schwieriger zu bewältigen als etwa bei Strom oder Telekommunikation. Technische Argumente sind es auch nicht zuletzt, die die Deutsche Bahn immer wieder gerne verwendet, um den noch schwachen Wettbewerb in diesem ehemaligen Monopolsegment zu begründen. Das Schienennetz müsse als Systemeinheit betrachtet werden. Insofern sei die logistische Herausforderung kaum zu bewältigen, sollten nun auch verstärkt Konkurrenten auf die Schienen drängen. Ein Zug könne nun Mal nicht einfach ausweichen, heißt es lapidar.
Trotzdem hat auch die Bahn längst ihr einstiges Monopol verloren - über 200 Konkurrenten nutzen bereits ihre Trassen - ihr Anteil an den Betriebsleistungen liegt aber bislang nur bei bescheidenen fünf Prozent. Nun hoffen die Herausforderer der Bahn auf die Pläne der Europäischen Kommission. Beginnend mit dem nächsten Jahr sollen spätestens bis 2006 die inländischen Schienentransportmärkte für ausländische Frachtbetreiber geöffnet werden. Der Präsident des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen, Dieter Ludwig:
Mit der beschlossenen Öffnung der europäischen Schienenwege für den Güterverkehr im Jahre 2003 hat die Europäische Union zu einem wesentlichen Fortschritt beigetragen. Ein gemeinsamer europäischer Eisenbahnmarkt, in dem die Wachstumschancen der Bahnunternehmen lägen, steht aber noch aus. Zahlreiche technische und administrative Hindernisse müssen noch aus dem Weg geräumt werden. Es sollen alle, also auch kleine und mittelständische Unternehmen und Bahnen zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen hieran partizipieren können.
Doch das ist schon aus europäischer Perspektive nicht so einfach - denn längst gibt es auch in der Wettbewerbspolitik ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während sich die einen - etwa Frankreich, Griechenland und Portugal punktgenau an die zeitlichen Liberalisierungsvorgaben der Kommission halten, preschen andere, wie beispielsweise Deutschland oder Großbritannien, vor und öffnen zu 100 Prozent ihre Märkte . Von inakzeptablen Wettbewerbsverzerrungen spricht dann auch der Wirtschaftsminister:
Das Ergebnis ist beispielsweise, dass sich ausländische Monopolisten - übrigens auch noch in Staatseigentum, also doppelt bevorteilt - dann auf der Basis ihrer monopolgeschützten Renditen im Ausland in Deutschland breit machen und hier Wettbewerber aufkaufen. Umgekehrt aber diese Möglichkeit nicht besteht. Das heißt, wir haben dann disproportionale Wettbewerbsverhältnisse - die muss ich nicht unbedingt hinnehmen.
Daher sieht die Novelle des Energiewirtschaftsrechts eine Verschärfung der sogenannten Reziprozitätsklauseln vor. Danach gilt: deutsche Unternehmen müssen auf den Märkten innerhalb der EU die gleichen Konditionen erhalten wie die ausländischen Wettbewerber hierzulande. Andernfalls dürfen sie noch bis Ende 2006 den Zugang zu den eigenen Netzen verweigern.
Die Monopolkommission hat in ihrem jüngsten Hauptgutachten die Reziprozitätsklausen scharf kritisiert. Denn die Kostenersparnis für deutsche Unternehmen und damit mögliche Effizienzgewinne würden außer acht gelassen. Grundsätzlich, so das vernichtende Urteil der Experten, fördere die Anwendung solcher Klauseln auch nicht die Öffnung fremder Märkte, sondern verhindere nur die des eigenen Marktes. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Liberalen, Rainer Brüderle, bewertet die Klagen von Müller ebenfalls kritisch:
Ich habe die große Sorge insgesamt, dass es da so eine unheilige Allianz gibt Berlin-Paris: lasst mir meine Sonderprivilegien - Steinkohleförderung wird verlängert, Briefmonopol wird verlängert - dafür rührt man nicht an Sonderpositionen, die Frankreich hat. Daraus wird letztlich kein vernünftiges Ganzes.
Wesentlich entscheidender für den Wettbewerb und die Öffnung der Märkte ist die Kontrolle über die ehemaligen Monopolisten. Die, und das ist entscheidend, in der Regel auch noch Herren über die Infrastruktur sind und damit Zugang und Nutzung der Netze und Trassen mitbestimmen.
Hier aber gibt es in Deutschland im Gegensatz zu den meisten europäischen Staaten keinen einheitlichen Ansatz. Nur für den Bereich Telekommunikation und Post wurde für die Marktöffnung eigens eine staatliche Regulierungsbehörde gegründet. Schließlich gab es vor 1998 keinen Anbieter neben der Telekom, insofern war klar, dass sowohl Telekom als auch Post lange Zeit ihre dominierende Stellung am Markt würden behaupten können. Vor allem durch die Festlegung von Preisen kann die Behörde massiv in das Marktgeschehen eingreifen.
Dabei kann es durchaus Interessenkonflikte geben. Zwar ist das Amt formal in seinen Entscheidungen unabhängig. Weil aber der Bund noch immer 43 Prozent der Telekom-Aktien hält, wurde immer wieder über Versuche der politischen Einflussnahme spekuliert. Denn zu strenge Regulierungsentscheidungen drücken natürlich den Aktienkurs des früheren Staatsunternehmens. Doch Behördenchef Kurth weist alle diesbezüglichen Spekulationen weit von sich:
Also man hat das ja bewusst vom Finanzministerium, das sozusagen die Beteiligungsverwaltung für die Unternehmen macht, getrennt. Und da gibt es natürlich im Hintergrund und auch bei der Gesetzgebung mal den einen oder anderen Konflikt - der aber insoweit auch zwischen den beiden Ministerien soweit institutionalisiert worden ist. das eben das ordnungspolitische Gewissen und die Wettbewerbsorientierung beim Wirtschaftsministerium vorhanden ist. Ich kann nur sagen, dass das ganz gut funktioniert, weil unsere Behörde im Gesetz eine unabhängige Rolle zugewiesen bekommen hat - auch gegenüber dem Wirtschaftsministerium.
Die Telekom und ihre Herausforderer haben sich inzwischen mit der Regulierungsbehörde weitgehend arrangiert. Gab es lange Zeit laute Klagen über zu strenge oder zu laxe Entscheidungen, bekommt der Regulierer nun von beiden Seiten vorsichtiges Lob für seine Arbeit, so auch vom Verband der privaten Anbieter VATM. Geschäftsführer Jürgen Grützner:
Er hat aus der Taktik der Telekom gelernt, aber er lernt sehr langsam und er hat jetzt erst nach vier Jahren begriffen, wie wichtig es ist, dass die Telekom verpflichtet wird, Verträge einzuhalten. Das heißt, wir haben erst nach vier Jahren erste Entscheidungen, wo Vertragsstrafen angeordnet werden. Wo wir jetzt vielleicht eine Möglichkeit haben, tatsächlich vertragskonformes Verhalten der Telekom zu erzwingen. Dies hätte früher geschehen müssen - hier wäre uns ein schnellere und effizientere Regulierung sehr wichtig gewesen.
Doch trotz dieser unter dem Strich positiven Bilanz der Regulierungsarbeit wählte die Bundesregierung bei der Öffnung der anderen netzgebunden Monopolmärkte einen neuen Ansatz. Für die Missbrauchsüberwachung und Förderung des Wettbewerbes sind allein Kartellbehörden zuständig auf der Grundlage des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.
Eine weitere deutsche Besonderheit: Bei der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte haben sich die zuständigen Verbände selbst auf die Spielregeln der Marktöffnung geeinigt - über die sogenannten Verbändevereinbarungen. Diese gelten immer nur einen begrenzten Zeitraum und werden dann entsprechend den Erfahrungen nachgebessert. Und zumindest im Strombereich sitzen inzwischen selbst die Verbraucherverbände bei den Verhandlungen mit am Tisch.
Ordnungspolitisch sei dies ein richtiger und guter Ansatz, lobt Kartellamtschef Böge. Denn im Gegensatz zur Telekommunikation habe es bei Strom und Gas bereits vor der Liberalisierung viele Marktteilnehmer gegeben:
Wenn man einen Regulierer einsetzt, dann unterstellt man ja, dass dieser Regulierer - das ist meistens ein Angehöriger des Staates - den Markt besser kennt als die Marktteilnehmer selbst. Das ist schon eine falsche Hypothese. Zum zweiten: Wenn der falsche Entscheidung trifft, dann potentziert sich dieser Fehler. Wenn sie eine Vielzahl von Unternehmen haben, die fehlerhafte Entscheidungen treffen, dann merken sie das in der ganzen Volkswirtschaft vielleicht gar nicht. Und andere merken das dann und man hat dann die Flexibilität, zu korrigieren.
Doch auch Böge räumt im Rückblick ein, dass man gerade bei der Strom- und neuerdings auch bei der Gasmarktliberalisierung zunächst neues Terrain betreten hatte. Entsprechend groß war der Lernbedarf. Inzwischen kümmert sich eine eigene Beschlussabteilung allein um Missbrauchsverfahren im Strombereich. Zudem kann die Wettbewerbsbehörde durch die anstehende Novellierung des Energiewirtschaftsrechts ihre Verfügungen sofort in die Praxis umsetzen und muss nicht mehr langwierige Gerichtsverfahren abwarten.
Doch es gibt auch kritische Stimmen. Die Verbändevereinbarungen hätten sich im Rückblick nicht bewährt, trotz der gestärkten Rolle des Kartellamtes bei der Missbrauchsüberwachung, betont etwa Verbraucherschützerin Müller. Denn solange die Konzerne die Bedingungen für die Netzdurchleitung bestimmten, könnten sie auch den Wettbewerb verzögern. Außerdem würde ihre Marktmacht durch immer neue Fusionen, siehe Eon und Ruhrgas, weiter gestärkt. Insgesamt, so Müller, seien daher klare rechtliche Rahmenbedingungen unverzichtbar.
Nun, es müsste drin stehen eine klare Regelung von Netzen und Energielieferanten beziehungsweise Handel. Eine klare Regelung in Hinsicht auf die Kosten der Netznutzung. Das sind wesentliche Aspekte, die den Preis bestimmen und eine rein organisatorische Trennung, wie wir sie jetzt zum Beispiel haben im Bereich des Stromnetzes, ist aus unserer Sicht nicht ausreichend.
Die Monopolkommission geht sogar noch einen Schritt weiter. In ihrem neuen Gutachten fordert das unabhängige Expertengremium nicht weniger als den Aufbau einer Super-Regulierungsbehörde für alle netz- und leitungsgebundenen Industrien. Diese solle nicht erst bei einem Missbrauch aktiv werden, sondern schon früher über eine so genannte "Ex-ante-Regulierung" für einen fairen Wettbewerb sorgen. Etwa durch die Festlegung von Preisen, betont Kommissionspräsident Martin Hellwig:
Bei der Stromwirtschaft, aber auch bei der Gaswirtschaft - auch beim Netz der Bahn - ist ein Ende dieser natürlichen Monopole überhaupt nicht abzusehen. Und die Idee, dass wir Wettbewerb bestimmter Netze bekommen, die muss man glaube ich ganz weit wegschieben. Und da ist es eben nicht eine Regulierung, die irgendwann ausläuft, sondern wir müssen uns die Frage stellen, wie kann man eigentlich umgehen, dass der Staat hier gestaltend eingreift.
Die Umsetzung dieses Vorschlages aber würde eine radikale Wende in der bisherigen deutschen Wettbewerbspolitik bedeuten. Entsprechend gering sind daher die Verwirklichungschancen, zumal die rot-grüne Regierung mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz ohnehin noch stärker als bislang auf die Selbstverpflichtungen der Industrie setzen will. Die Monopolkommission ist dennoch zuversichtlich: denn einerseits wird in Brüssel der deutsche Sonderweg bei der Strom- und Gasmarktliberalisierung weiterhin skeptisch beobachtet. Zum anderen aber dürften die anhaltend hohen Durchleitungspreise hierzulande den Reformdruck mittelfristig noch verstärken.