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Vom Antiamerikanismus zum Postamerikanismus

Amerika droht seine Vormachtstellung zu verlieren und wird nun von den Schwellenländern abgehängt. Das zumindest behauptet Fareed Zakaria. Er stammt aus Indien und ist Chefredakteur des einflussreichen Magazins Newsweek International. Im postamerikanischen Zeitalter wittert er aber auch eine Chance.

Von Katja Ridderbusch | 04.05.2009
    Fareed Zakaria, geboren in Indien und wohnhaft in New York, ist Chefredakteur der internationalen Ausgabe des Magazins "Newsweek" und Moderator einer politischen Talkshow bei CNN. Als solcher ist er zweifellos geeignet, die politische Ära der Gegenwart auf eine griffige Formel zu bringen, eine Art Zustandsbeschreibung der Welt in maximal drei Worten zu geben. Sein Vorschlag lautet: "Das postamerikanische Zeitalter".

    Damit tritt er auf den ersten Blick das Erbe jener Publizisten an, die seit zwei Jahrzehnten den Untergang der Vereinigten Staaten in düsteren Szenarien voraussagen. Doch Fareed Zakaria gibt seiner These einen anderen Spin. Nicht Amerikas Niedergang stehe im Mittelpunkt seines Buches, stellt er gleich im ersten Satz klar, sondern "der Aufstieg der Anderen" - China, Indien, Brasilien, Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate oder die Türkei. Während Amerika sich noch mit der Frage beschäftige, welchen Schaden der Antiamerikanismus weltweit anrichte, seien viele der aufstrebenden Schwellenländer schon einen Schritt weiter.

    "Bei meinen Reisen in den vergangenen Jahren ist mir aufgefallen: Während wir in Amerika noch Nabelschau betrieben, war der Rest der Welt weiter gezogen, vom Antiamerikanismus zum Postamerikanismus. Das große Ereignis, das sich vor unseren Augen vollzieht, ist der Aufstieg der Anderen. Im letzten Jahr ist in 124 Ländern der Erde die Bevölkerung um mehr als vier Prozent gewachsen. Das ist vergleichslos in der Geschichte der Menschheit. Wenn wir auf die letzten zehn, 15 Jahre zurückblicken, sehen wir einen Tsunami von wirtschaftlichem Wachstum in Ländern, in denen es nie zuvor Wachstum gab. Das schafft Selbstvertrauen, Stolz, auch Nationalismus - in jedem Fall eine ganz neue Welt."
    Zakarias Buch ist eine Tour de Force, eine rasante Skizze der neuen Weltordnung, pointiert, wortgewaltig, bilderreich, gezeichnet in groben, aber sicheren Strichen: Der Autor zieht eine Linie vom Ende des Kalten Krieges über den 11. September bis zur ausgehenden Ära Bush. Er reflektiert über Chancen und Grenzen, die mit dem Aufstieg Indiens und Chinas verbunden sind - und über die künftige Rolle Amerikas in der Welt.

    An Zakarias Thesen mag es manches zu kritisieren geben. Langweilig aber sind seine Ausführungen nie. Das liegt auch daran, dass der Autor immer wieder gängige Denkmuster hinterfragt. So plädiert Zakaria, ein säkularer Moslem, für eine pragmatische Sicht auf den islamischen Terrorismus jenseits aller politischen Hysterie:

    "Das ist ein reales Problem. Diese Leute wollen uns töten. Aber es handelt sich um eine relativ kleine Gruppe von Fanatikern unter den weltweit 1,3 Milliarden Moslems. Die Regierungen der westlichen Welt sind diesen Gruppen auf der Spur, ihre Geldströme werden verfolgt, ihre Leute werden gejagt. Die radikalen Islamisten sind in der Defensive. Die Unterstützung für islamischen Fundamentalismus überall auf der Welt bricht zusammen. Seit dem 11. September hat jene El-Kaida-Gruppe, die von Osama bin Laden kontrolliert wird, nicht einen einzigen großen terroristischen Anschlag verübt."
    Als Fareed Zakaria sein Buch in den USA vorlegte - das war im Mai 2008 - hatte die anschwellende Wirtschaftskrise noch nicht ihre volle und fatale Wirkung entfaltet. Der Autor löst das Aktualitätsdilemma durch einen kühnen Kunstgriff: Er stellt der deutschen Ausgabe ein neues Vorwort voran und ordnet darin die jüngsten Entwicklungen einer taumelnden Weltwirtschaft seiner großen These unter:

    Die Krise könnte für die Vereinigten Staaten das Aus für eine gewisse Art von weltweiter Dominanz bedeuten. Weit davon entfernt, die Trends, die ich in diesem Buch darlege, zu konterkarieren, werden die gegenwärtigen weltpolitischen Umwälzungen den Übergang in eine postamerikanische Weltordnung nur beschleunigen.
    Hier allerdings sind Zweifel geboten: Denn die Weltwirtschaftskrise entblößt das labile Fundament, auf dem die Macht der "Anderen" ruht: Russlands Wirtschaft steht vor dem Kollaps, fast zehn Millionen Menschen sind ohne Arbeit, und die Regierung in Moskau fürchtet einen Aufstand der Massen. Auch in China - verwundbar, weil extrem exportabhängig - steigt mit sinkendem Wachstum der Volkszorn. Doch für Zakaria sind all das Probleme des Übergangs, einzelne Ausschläge im großen Gesamtenturf.

    In diesem hat er die künftigen Rollen bereits klar verteilt: Die aufsteigenden Schwellenländer entwickeln sich zu starken regionalen Spielern im globalen Kräftefeld. Die USA werden zum ordnungspolitischen Zentrum einer ansonsten dezentralen Welt, sie nehmen die Aufgaben eines "globalen Maklers" wahr, schreibt Zakaria in Anlehnung an Bismarcks berühmtes Wort vom "ehrlichen Makler". Das heißt: Amerika legt die politische Tagesordnung fest, sucht Koaltionen, schlichtet Konflikte. Der Autor bringt das auf den griffigen Dreiklang: "Konsultationen, Kooperation und Kompromisse".

    "Wenn wir Amerikaner unsere Rolle klug spielen, wenn wir zulassen, dass all diese aufsteigenden Länder sich in die neue Ordnung eingliedern, dann bedeutet das Gewinn - für uns und für die anderen. Zweieinhalb Milliarden mehr Menschen in der Welt werden produzieren, konsumieren, denken, träumen, erfinden, Lösungen für all unsere drängenden Probleme suchen. Der stabilisierende Effekt, der vom Glück und Wohlstand anderer ausgeht, ist einfach offensichtlich."
    Doch angesichts der aktuelle Krise wird Fareed Zakarias schöne neue postamerikanische Vision wohl noch etwas warten müssen. Denn trotz der Immobilien- und Bankenkrise gibt es in der realen Welt der Gegenwart derzeit kein Land, das mehr politische Energie, geballtere ökonomische Kompetenz, eine vitalere Geschichte und stärkere Selbstheilungskräfte zu bieten hat als die Vereinigten Staaten von Amerika.

    Katja Ridderbusch über Fareed Zakaria: Der Aufstieg der anderen. Das postamerikanische Zeitalter. Erschienen beim Siedler-Verlag, mit 300 Seiten, für Euro 22,95.