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Vom Armenhaus zum Elektronik-Riesen

Südkorea zählt heute zu den großen Industrienationen. Das Land hätte schön früh den Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Entwicklung und nicht wie der Nachbar auf Rüstung und Sicherheit gesetzt, sagt Hans Günther Hilpert von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Hanns Günther Hilpert im Gespräch mit Benjamin Hammer |
    Benjamin Hammer: Als die koreanische Firma Samsung 1938 gegründet wurde, da verkaufte sie Lebensmittel. Erst nach und nach wurde aus Samsung einer der größten Mischkonzerne der Welt. Heute verkauft Samsung Lebensversicherungen, Schiffe, Chemieprodukte, Samsung baut Häuser, Motoren und natürlich auch Elektroprodukte wie Handys und Fernseher. Die Elektrosparte Samsung Electronics hat heute neue Geschäftszahlen vorgelegt und die zeigen auf den ersten Blick, wie mächtig das Unternehmen geworden ist. Salopp formuliert könnte man jetzt aber sagen, da wird auf hohem Niveau geklagt. Samsungs Aufstieg bleibt sagenhaft wie auch bei Hyundai, dem anderen Riesenkonzern aus Südkorea. Nach dem Krieg gehörte das Land übrigens zu den ärmsten der Welt. Über den Aufstieg des Landes und seine aktuelle Rolle in der Welt spreche ich jetzt mit Hanns Günther Hilpert, er ist Korea-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Hilpert!

    Hanns Günther Hilpert: Guten Tag, Herr Hammer!

    Hammer: Südkorea war in den 60er-Jahren eines der ärmsten Länder der Welt. Jetzt spielt es in der ersten Liga der Industrienationen. Wie ist das gelungen?

    Hilpert: Eine Reihe von Gründen. Zunächst einmal war da eine Prioritätensetzung, zunächst von der Politik, die aber getragen wurde von Wirtschaft und Gesellschaft, nämlich Wirtschaftswachstum, Wohlsteigerung, Industrialisierung, Modernisierung an die erste Stelle zu rücken. Und das Zweite war, dass die strategischen Weichenstellungen von Politik und Großindustrie in diesem Bereich sich eigentlich meistens als richtig erwiesen haben, nämlich einer Orientierung zu den Weltmärkten schon sehr, sehr früh, eine Schwerpunktsetzung auf Wirtschaft und Entwicklung und eben nicht auf Rüstung und Sicherheit, wie der Nachbar im Norden, und eine Konzentration auf wenige wichtige Industrien. Das war zunächst die Textilindustrie, dann Stahl, Schiffbau, und jetzt ist es Automobil und Elektronik. Da hat man dann auch Größenvorteile in der Produktion realisiert, weil man für die globale Produktion produziert hat. Und last, but not least der hohe Stellenwert für Bildung und auch für die hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung haben eine Rolle gespielt.

    Hammer: Jetzt haben Sie Auto und Elektronik angesprochen. Samsung ist ja in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten Elektromarken in der Welt geworden, bei Smartphones und Fernsehern einer der Marktführer, vielleicht auch der Marktführer. In der Zwischenzeit sind deutsche Unternehmen wie Grundig oder AEG eingegangen und Löwe, haben wir vor Kurzem erfahren, hat Insolvenz angemeldet. Was machen die Koreaner besser als die Deutschen?

    Hilpert: Ja da gibt es zum einen Vorteile im Standort Koreas selbst und zum Zweiten sicherlich richtige gute unternehmerische Strategien. Korea hat natürlich Vorteile. Seit etwa dem Jahr 2000 hat Korea die modernste Infrastruktur der Welt im Bereich IT und Multimedia. Das Umfeld ist insgesamt aufgeschlossen für Innovation und Wachstum. Korea ist auch ein großer Produzent von Film und Musik und da wird einfach viel Content produziert, der ja auch exportiert wird. Zeitweise hatte das Land auch Wettbewerbsvorteile durch günstige Kapitalkosten, zum Teil auch subventioniert, unterbewertetem Won. Von Vorteil ist die Nähe zum chinesischen Absatzmarkt und die Nähe zum japanischen Technologiemarkt. Und dann hat Samsung und auch LG, die haben sehr viel richtig gemacht. Sie haben eine Produkt- und Absatzpolitik, die immer auf den globalen Markt zielte und dabei ausgewogen Wert legte auf Design, auf Markenpolitik und Technologie. Und zum Zweiten: Samsung ist im Wesentlichen ja immer noch eine eigentümergeführte Unternehmung und das Management war immer in der Lage, sehr, sehr rasch auf neue Markttrends zu reagieren, wenn nötig sehr hohe Investitionen durchzuführen und dabei auch mal richtig ins Risiko zu gehen. Der Eigentümer ist im Prinzip da autonom, muss nicht so viel Rücksicht auf Aktionäre, auf Arbeitnehmer, auf die Regulierung nehmen.

    Hammer: Jetzt müssen Sie uns aber eine Sache noch erklären. Wenn wir auf das Pro-Kopf-Einkommen schauen von Südkorea und das mit Deutschland vergleichen, dann gibt es da gar nicht einen so großen Unterschied. Stellt sich die Frage: Ist Südkorea nicht bereits viel zu teuer für viele der Produkte, die es fertigt?

    Hilpert: Ja so klein ist der Unterschied noch nicht. Immerhin: Wir haben so etwa 40.000 US-Dollar pro Kopf und Korea hat drei bis 24.000. Vorteile haben die Koreaner natürlich noch dadurch, dass das Lohnniveau natürlich bei den Großunternehmen so wie hier in Deutschland auch ist, vielleicht sogar höher teilweise. Aber die kleinen mittelständischen Unternehmen, die natürlich auch nicht die hohe Produktivität haben, da ist das Lohnniveau noch sehr niedrig, die Arbeitsbedingungen auch schlecht. Und zum Zweiten nutzt Korea natürlich die Nähe zum chinesischen Markt. Dort wird montiert, von dort kann man billige Zulieferungen beziehen, da spielt der Preis schon eine Rolle. Aber Ihr Punkt war natürlich richtig: Die koreanischen Wettbewerbsstärken sind nicht der Preis. Das sind andere Dinge. Das ist schon Qualität und Technologie.

    Hammer: Herr Hilpert, lassen Sie uns ganz kurz noch nach Kaesong schauen, auf die Sonderwirtschaftszone von Nord- und Südkorea. Die ist seit Monaten geschlossen. Gestern erreichte uns die Meldung, es hakt gewaltig bei den Verhandlungen für eine Wiedereröffnung. Braucht Südkorea diese Zone in wirtschaftlicher Hinsicht, oder ist das ein reines Politikum?

    Hilpert: Ja, es ist ein Politikum natürlich. Natürlich ist Kaesong ein guter Standort für kostengünstige Produktion und die Unternehmen, die dort produzieren lassen, die haben natürlich Vorteile in Umsatz und Erlösen. Und wenn jetzt nicht produziert wird, entgeht das den Unternehmen. Aber die Regierung ist hier entschädigungspflichtig, weil das waren die Investitionsverträge. Insofern kann sich die Wirtschaft da doch irgendwie zurücklehnen, nicht so sehr die Regierung. Und auf der anderen Seite. Wem wirklich jetzt das schadet, das ist natürlich Nordkorea, und insofern wird es nach einigem Hin und Her wohl doch zu einer Einigung kommen, weil beide Seiten, also die Politik, sehr stark daran interessiert ist, dass Kaesong wieder läuft.

    Hammer: Und das sagt Hanns Günther Hilpert, Korea-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank!

    Hilpert: Gerne, Herr Hammer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.