Als vor vierzig Jahren eine akademisch vorgebildete Generation, die später auf den Kollektivnamen der 68er hörte, damit begann, das Land vom Mief und Muff der Adenauer-Jahre zu befreien und die Bundesrepublik, wie es die selbstbewusste Formel wollte, intellektuell neu zu begründen, da schien sie die Zukunft in klaren Umrissen und in leuchtenden Farben vor Augen zu haben. Die politischen Grundsätze der Nachkriegszeit, Westbindung und Marktwirtschaft, wurden als obsolet beiseite geschoben und durch einen bunten Strauss von Schlagwörtern ersetzt, die ziemlich unbestimmt und oft auch in sich widersprüchlich, aber allesamt irgendwie links waren.
Die von den Ahnherren der Bewegung, von Marx und Engels vorausgesagte, von Lenin und Mao ins Werk gesetzte und von den Studenten in aller Herren Länder emphatisch herbeigesehnte Weltrevolution schien in vollem Gang, die Utopie in ihren mehr oder weniger konkreten Formen zum Greifen nah zu sein, und die einzige Frage, die die Masse der Wortgläubigen noch umtrieb, war die, ob der ersehnte Umbruch "mit uns oder ohne uns" ablaufen würde.
Wenn es so aussah, dann doch lieber mit uns, sagten sich die Linken. Der Schluss lag nah und wurde umso lieber gezogen, als das moralisch höhere Gelände, das man auf diesem Wege zu erreichen hoffte, ja auch persönlichen Gewinn verhieß. Zumindest in diesem Punkt waren sich die rivalisierenden K-Gruppen, die das Erbe der 68er angetreten hatten, einig: Der Glaube an den neuen Menschen und eine bessere, von Not und Unglück, Krieg und Armut, Dummheit und Arroganz dauerhaft befreite Welt schloss sie bei aller Konkurrenz zusammen. Als das vorübergehend mächtigste (und überdies mit Abstand wohlhabendste) Zerfallsprodukt der Studentenbewegung sprach der Kommunistische Bund Westdeutschland, der KBW, für alle, wenn er versicherte, dass die Weltrevolution allen Zweifeln, Einwänden und Rückschlägen zum Trotz aus einer wissenschaftlichen Voraussage zur Realität geworden sei. Zuerst in einem, danach in vielen Ländern dieser Welt habe das Proletariat die Macht erobert und mit dem Aufbau des Sozialismus begonnen. Wer wollte, wer durfte da noch abseits stehen?
Das Proletariat machte keine Anstalten, sich den studentischen Parolen anzuschließen und das zu tun, was es nach Auskunft der orthodoxen Lehrbücher tun sollte. Alle Versuche, die Arbeiter in den Betrieben aufzusuchen, sie über ihre jammervolle Lage zu belehren und an ihren historischen Auftrag zu erinnern, waren misslungen. Anders als im benachbarten Frankreich waren die deutschen Gewerkschaften zum Bündnis mit den Studenten auch nicht auf Zeit bereit. Sie hatten anderes im Kopf als eine Dogmatik, die in hundert Jahren viel zur Verelendung, aber wenig zur Befreiung der Massen beigetragen hatte.
Der Ausweg war nicht schwer zu finden, er hieß stellvertretende Interessenwahrnehmung. Wenn die Arbeiter zu dumm und die Gewerkschafter zu feige waren, die ihnen zugedachte Rolle in die Hand zu nehmen; wenn die Intelligenz zu unentschossen und die Bewohner der Dritten Welt zu schwach waren, sich an die Stelle des Proletariats zu setzen und mit der Revolte zu beginnen - wenn also alle Revolutionäre und Ersatzrevolutionäre bis auf weiteres ausfielen, dann mussten andere einspringen. Diese anderen, das waren, wie ihnen plötzlich aufzugehen schien, sie selbst, die unzufriedenen Studenten, die sich in der Welt zwar nur schlecht, in der Literatur aber umso besser auskannten und durch viel Theorie wettmachen konnten, was ihnen an Erfahrung abging. Ernst Bloch, der ewig zornige alte Mann, hatte ihnen die Richtung gewiesen, als er ihnen zurief, dass sie, die akademische Jugend, den Auftrag zu übernehmen habe, den die anderen verschmäht oder verschlafen hatten:
"Der biologische Ort des Neuen ist die Jugend. Der soziologische Ort der Revolution ist die unzufriedene Klasse. Also früher waren es die Bauern oder die Bürger und dann die Proleten in der sozialistischen Revolution. Die fehlen uns heute. Dafür haben wir eine Art von soziologisch schwer unterbringbarem Ersatz, die Jugend. Doch die Jugend muss aus dem Zustand, der bloß biologisch ist, heraus. Sie muss sich auch als Statthalter und Stellvertreter einer elenden Masse sehen und fühlen und deren Geschäfte machen."
Das ließen sich Blochs Hörer nicht zweimal sagen, Was ihnen da zugesprochen wurde, war ja nicht weniger als ein revolutionäres Adelsprädikat. Mit einem Schlag wurden sie von Lehrlingen zu Meistern befördert, in den Rang einer veritablen Klasse, eines kollektiven Erlösers, kurz: eines revolutionären Subjekts erhoben. Und nicht nur sie, sondern alle, die ebenso jung, entschlossen, begeisterungsfähig und draufgängerisch waren wie sie.
Als sich die Schüler anschickten, es den Studenten gleichzutun und sich als Avantgarde der Revolution aufzuspielen, wurden sie von den Delegierten des damals tonangebenden Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, des SDS, in vollem Ernst als neue soziale Schicht begrüßt: sozial, wie gesagt, nicht biologisch; und Schicht, nicht Jahrgang. Das waren neue, vielversprechende Attribute. Vereint liefen Schüler und Studenten hinter dem Porträt des großen Vorsitzenden her und skandierten:
"Ihr seid alt, wir sind jung - Mao Tse-tung!"
Aufstände der Jungen gegen die Alten sind nichts Ungewöhnliches. Diesmal, im Jahre 68, war es aber anders, grundsätzlicher und auch feindseliger gemeint. Wenn sich die Jugend zur Schicht stilisiert, als Klasse betrachtet und sich anschickt, als revolutionäres Subjekt die historische Bühne zu betreten, läuft es nicht länger auf den Wechsel von einer Generation zur anderen hinaus, sondern auf einen weltanschaulich und welthistorisch überhöhten Gegensatz zwischen Alt und Jung.
Das Kontinuum sollte aufgebrochen, das Kommen und Gehen der Generationen umgedeutet werden zu einer bleibenden Zäsur, zum Anbruch eines neuen Tages, bewerkstelligt durch das Genie einer Jugend, die weiter zu sehen und mehr zu wissen glaubte als alle Generationen vor ihr.
Jürgen Busche, der den 68ern ein allzu schmeichelhaftes Porträt gewidmet hat, spricht von einer Schicksalsgemeinschaft, deren Erfahrungen sie gleichermaßen von allen Älteren und Jüngeren trennte:
"Wer nicht erlebt hat, was sie zwischen zwanzig und dreißig erleben musste, gehört nicht dazu."
Das hatte Folgen, wie sich spätestens 1998 zeigte, als der Marsch durch die Institutionen, zu dem die ehrgeizigsten der Rebellen dreißig Jahr zuvor aufgebrochen waren, sein Ziel erreicht hatte. Peter Schneider, der seinerzeit mit Lobgesängen auf die Ereignisse im fernen China hervorgetreten war, stellte mit allen Zeichen der Zufriedenheit fest, dass mit dem Regierungswechsel von Kohl zu Schröder eine neue Generation an die Macht gekommen war, "meine", wie er selbstbewusst hinzusetzte. Der Gedanke an den großen Bruch, an das Aufbegehren der Jungen gegen die Alten und die gewaltsame Neueinrichtung der Welt hatte ihm schon immer eingeleuchtet und seinerzeit, im Jahre 1970, ein paar wüste Zeilen eingegeben, in denen es unter anderem hieß:
"Wenn wir wieder aufwachen, sind wir soweit:
wenn uns das Benzin nicht mehr schmeckt, gießen wir es über eure Autos
wenn eure Autos Feuer fangen, reißen wir eure Straßen auf
wenn eure Schaufenster platzen, plündern wir eure Geschäfte
wenn wir euren Schnaps trinken, trinken wir auf die Revolution
wenn wir eure Küchen nachhause getragen haben, kommen wir wieder
wenn eure Geschäfte leer sind, lösen wir sie in Rauch auf
wenn euer Häuser brennen, dann müsst ihr heraus
und wenn wir euch da sehen, marschierend im letzten Hemd, dann fressen wir euch
und wenn wir euch gefressen haben, dann ist uns so leicht wie noch nie."
Von so etwas konnte man damals auskömmlich leben, heute kann man das immer noch. Konsumverachtung verkauft sich gut und bestätigt, was einem alten Kenner der Revolte schon früh aufgefallen war: dass alle Wege der 68er irgendwann im Supermarkt enden. Man hatte die Chancen, die einzufordern und zu erkämpfen man dreißig Jahre lang unterwegs gewesen war, auch selbst genutzt und war nun endlich am Ziel. Held der Stunde war Josef Fischer, der wie kein zweiter alle Talente und Untugenden der 68er vertrat. "Jetzt oder nie!" hieß die Devise, unter der er seine Mitstreiter aus der Zeit des Frankfurter Straßenkampfes mit der Aussicht auf Geld und Stellen hinter sich brachte.
Rot-Grün, erklärte er programmatisch, sei ein Reformprojekt, "das Projekt der 68er-Generation", und das gelte für die Inhalte genauso wie für die beteiligten Personen. Endlich an der Macht, hatte und nutzte er die Gelegenheit, beides zu erfüllen, die allgemeinen und die ganz persönlichen Wünsche.
Sieben Jahre später, als das Projekt, ein wenig vor der Zeit, abgebrochen werden musste, hat Fischer sich noch einmal zu Wort gemeldet und die zurückliegende Periode auf seine Art gedeutet. Auch diesmal klang es, bezogen auf sich und seine Kampfgefährten, großartig wie immer, wenn Fischer auf sich selbst zu sprechen kam. Das rot-grüne Kapitel, das er und seine Generation geschrieben hätten, sei nun zu Ende, erklärte beim Abschied aus dem Amt, unwiderruflich zu Ende. Jetzt sei die nächste, die von ihm abschätzig so genannte "play-back-generation" an der Reihe, von der nicht viel zu erwarten sei.
Das ist der Ton des intergenerativ verlagerten Klassenkampfes, wie ihn Ernst Bloch gepredigt hatte. So wie die 68er, als sie jung waren, keinem über dreißig trauen mochten, wollten sie jetzt, selbst alt geworden, auf keinen unter sechzig etwas geben.
Damit dürften die 68er die ersten gewesen sein, die sich nicht nur nach rückwärts, gegen die Generation ihrer nationalsozialistisch verdorbenen Väter, sondern auch nach vorn, gegen Kinder und Enkel, bewusst abgegrenzt haben. Ihr Schwanken zwischen dem Versprechen einer glücklichen Endzeit, in der Wolf und Schaf friedfertig beieinander wohnen würden, und ihrer demonstrativen Zukunftsangst, die sich darin gefiel, die absehbare Entwicklung in den schwärzesten Farben zu malen, hat ihnen die Glorifizierung der Gegenwart, die Beschränkung aller Versprechen und Vergünstigungen auf die eigene Lebenszeit leicht gemacht.
Sich von der Auschwitz-Generation abzusetzen, war moralisch ebenso zwingend wie der Verzicht auf Nachwuchs in einer Welt, in die man Kinder, wie Günter Grass verkündet hatte, eigentlich nicht setzen durfte. Die Herkunft stand unter einem bösen, die Zukunft unter einem trüben Stern; die eine musste verworfen, die andere so gut es ging vermieden werden, so dass die Gegenwart, die eigene Zeit, als die einzige Epoche übrig blieb, für die der Einsatz lohnte.
Die Abgrenzung nach oben und nach unten führte zu jenem kollektiven Solipsismus, der für die 68er-Bewegung von Anfang an bezeichnend war. Ihre Selbsteinschätzung verriet sich in der Atemlosigkeit, mit der zu Demonstrationen, Sit-ins und ähnlichen Unternehmungen aufgerufen wurde. Immer klang es so, als ginge es um Alles oder Nichts, als hinge das Schicksal des Landes, ja der ganzen Welt von der Entscheidung an diesem Ort, zu dieser Stunde ab.
In kaum einer seiner endlosen Tiraden kam Rudi Dutschke, der unbestrittene Führer der Bewegung, ohne eschatologisches Geraune und apokalyptische Drohungen aus:
Am Anfang hieß es:
"Genossen, wir haben nicht mehr viel Zeit"
Und am Ende seiner Reden:
"Lasst uns sofort damit beginnen."
Wie allen Revolutionären diente ihm die Theorie vom letzten Gefecht dazu, seine Anhänger zu mobilisieren und für den Einsatz aller, tatsächlich aller Mittel zu gewinnen. Natürlich sei er dazu bereit, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen, versicherte Dutschke; was nicht ganz zufällig an die Worte erinnert, mit denen sich Ulrike Meinhof aus dem Untergrund zurückgemeldet hatte: "Natürlich" dürfe geschossen werden, hieß es da. Es wurde dann ja auch geschossen.
Dass Dutschke ein Apostel der Gewaltlosigkeit gewesen sei, ist eines der vielen Märchen, die von den alten Kämpfern in der Absicht verbreitet werden, zusammen mit seiner auch ihre eigene Biografie aufzuhellen.
Das Gehetzte und Atemlose war aber nur die eine, die Jugendsünde der Revolutionäre. Die andere, die Überheblichkeit des Alters, wurde sichbar, als sie in die Jahre gekommen waren und nicht mehr loslassen konnten oder wollten. Wer sich und seine Altersgenossen für die Agenten des Weltgeistes hält, muss jede Neuerung als Fortschritt, jedes Geschenk als Anspruch, jedes Vorrecht als eine Errungenschaft ausgeben, die nie wieder verloren gehen darf.
Er neigt dazu, die eigene Biografie zum großen Mittag, zum Scheitelpunkt der Weltgeschichte zu verklären, und fühlt sich dazu berechtigt, ja verpflichtet, Lebenszeit und Weltzeit in eins zu setzen. Eine Frau, die in Mutlangen, wo die Amerikaner mit der Nachrüstung Ernst machten, die Stra-ße blockiert hatte und deshalb vor Gericht gekommen war, beschloss ihre Aussage mit der dem Vaterunser entlehnten Bitte "Dein Reich komme", versehen freilich mit dem Zusatz: "Jetzt!" Die Naherwartung war zurück, wenn auch in weltlicher Verkleidung, in der das Jenseits schon im Diesseits angesiedelt wurde. In dieser denkbar unchristlichen Gestalt erschloss sich der Begriff der Hoffnung auch für diejenigen, die mit der paulinischen Theologie nicht viel anzufangen wussten.
Die Fixierung aufs Hier und Heute hat das Band der Generationen zerschnitten, sie bringt Kinder gegen ihre Eltern und Eltern gegen ihre Kinder auf und wirft den Einzelnen auf sich selbst zurück. Selbstverwirklichung und Selbsterfüllung, Selbstermächtigung und Selbstbeglückung avancierten nicht zufällig zu Leitbegriffen der Bewegung. Als die bekennende 68erin Heidemarie Wieczorek-Zeul, emanzipiert und kinderlos, danach gefragt wurde, wie sie denn sterben wolle, antwortet sie:
"Am liebsten nie."
Theodor Wilhelm, der als Hochschullehrer die Bewegung aus nächster Nähe beobachten konnte, schrieb dazu im Rückblick:
"Die große Weigerung, dies von Marcuse entdeckte und propagierte Zauberwort, hat in den sechziger und siebziger Jahren zu einer bisher unbekannten Zelebrierung des Ichs geführt, für die sich bei früheren Jugendbewegungen keine Parallele findet. Seit Beruf und Leistung keinen unmittelbaren Lebenssinn mehr offenbaren, sieht sich der Sechzehn- und Zwanzigjährige fast mit Notwendigkeit auf die Selbstverwirklichung verwiesen. Die Psychowelle hat zur Ausstaffierung des Sich-selbst-wichtig-Nehmens Material beigetragen, das den Missbrauch förmlich herausforderte, und in der Kombination mit den antikapitalistischen Theoremen erschein die Konzentration auf das eigene Selbst wie mit höheren Weihen versehen."
In den vierzig Jahren, die seit dem annus mirabilis, wie das Jahr 1968 von seinen Verehrern immer noch gern genannt wird, mittlerweile vergangen sind, hat die vereinigte Linke ihren Charakter und ihre Absichten gründlich verändert. Was als Bewegung begonnen hatte, der es mit dem Verändern der Verhältnisse, der Gesellschaft und des Bewusstseins gar nicht schnell genug vorangehen konnte, hat jegliche Beweglichkeit verloren.
Heute ist die Linke gleich welcher Couleur, die SPD in ihrer Mehrheit genauso wie die Grünen und die gesamte Linkspartei, zu einem strukturkonservativen Block erstarrt, der eine Veränderung des sozialen status quo, wie ihn Gerhard Schröder mit seiner Agenda-Politik versucht hatte, erbittert bekämpft und von Reformen spricht, wenn er Bestandsschutz meint. Der Besitzstand, bestehend aus Besitz und Stand, ist zum Dreh- und Angelpunkt einer Wohlfahrtspolitik geworden, die sich von dem, was zu feudalen Zeiten üblich war, vor allem dadurch unterscheidet, dass sie den Ort der Geburt durch das Geburtsdatum ersetzt hat.
Mit unserer Generation, erklärt Gerd Koenen, der Chronist der 68er-Bewegung, begann die Ära der Kinderlosen und Alleinerziehenden. Die freilich mit ihren Renten- und Pensionserwartungen auf die Leistungsfähigkeit einer Lebensform setzen, die sie, soweit es denn an ihnen lag, verachtet und vermieden haben, der herkömmlichen Familie. Fremder Leute Kinder sollen für sie das leisten, was eigene nicht leisten können, da die ja fehlen. Die Folge ist eine Ungleichverteilung von Lebens- und Berufschancen in einem historisch einmaligen Ausmaß.
Das reichhaltige Angebot des luxurierenden Sozialstaates, bestehend aus Rentenrecht und Arbeitsrecht, Lohnfortzahlung und Lohnersatzfunktion, Kündungsschutz, Gesundheitsschutz, Vertrauensschutz und wie die öffentlichen Schutzzusagen sonst noch heißen mögen, begünstigt ausnahmslos die Alten. Wer drin ist und dazu gehört, verteidigt seinen Besitzstand und klagt sich durch sämtliche Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht, um seine Versorgungsansprüche durchzusetzen. Wer draußen ist, bleibt draußen, wird mit Praktikantenstellen abgespeist und muss zahlen.
Wie alle Ideologien, hat die ausgeprägte Familienfeindschaft der 68er ihre handfesten, will sagen: ihre höchst persönlichen Gründe. Um auch im Alter an der Leistungskraft, dem Einsatz und der Zuwendung der nächsten Generation teilzuhaben, soll das Humankapital kollektiviert, verstaatlicht werden. Die Neigung, den Eltern das Erziehungs- und Verfügungsrecht über ihre Kinder zu bestreiten und den Begriff der Sozialpflichtigkeit von Sachen auf Menschen zu übertragen, zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch die familienpolitischen Äußerungen der 68er.
Im Namen von Solidarität, Fortschritt und all den anderen Ersatzgöttern der Linken setzt sich die "Neue Gesellschaft", das theoretische Organ der SPD, dafür ein, den Kinderlosen Teilhabe an einem Reichtum zu gewähren, zu dem sie selbst nichts beigetragen haben:
"Eine Politik, welche die soziale Solidarität in die familiären Bahnen zurückdrängen und das Naturgeschick des Menschen wieder aufwerten möchte, widerspricht der gesellschaftlichen Entwicklung, in deren Verlauf sich Solidarität von biologischen Fesseln befreit hat. Eine Rückkehr zu vormodernen Verhältnissen würde die Gestaltungs- und Freiheitsräume der Menschen verengen und ihre Unterworfenheit unter die Natur wieder festigen. Moderne Länder wie Deutschland würden durch vormoderne Experimente das verschleudern, was die Länder des Südens aufgrund der Abnahme familiärer Solidaritäten erst aufzubauen versuchen."
Reduziert man das Wortgeklingel auf seinen harten Kern, dann wird hier nicht viel weniger verlangt als die Enteignung der Familie. Um die Gestaltungsräume der einen, der Kinderlosen, auch im Alter zu erhalten und ihnen einen rundum sorgenfreien Ruhestand zu garantieren, sollen die Gestaltungsräume der anderen, der Eltern, beschnitten und Kinder dazu verurteilt werden, die große und schnell wachsende Masse derer zu unterhalten, die die Zeichen der Zeit erkannt und auf Kinder verzichtet haben. In seiner kollektiven Deutung soll das sechste Gebot die Kinder nicht länger zur Ehrerbietung gegen Vater und Mutter verpflichten, sondern zur Versorgung einer anonymen Versichertengemeinschaft.
Eine gläubige 68erin schreibt:
"Die Zeiten sind vorbei, in denen es Eltern erlaubt war, ihre Kinder wie eine persönliche Investition zu betrachten, deren Rendite sie später einmal abkassieren durften."
Sie sollen und dürfen das nicht mehr, weil es so viele andere gibt, die dasselbe wollen: die Autorin zum Beispiel, die Pädagogin Katharina Rutschky, die sich von Kindern versorgen lassen möchte, die sie selbst nicht hat.
Die Kardinaltugend aller Linken, die Solidarität, ist von den 68ern genauso aufgefasst und eingesetzt worden wie sie ursprünglich einmal gemeint war: als Kampfbegriff, der beides markiert, den Freund und den (Klassen)feind. Wer nach Solidarität ruft, verrät nicht nur, für wen er ist, sondern auch, gegen wen; die Parole soll nicht versöhnen, sondern spalten. Originell waren die 68er lediglich mit ihrem Einfall, die Solidarität vom Raum in die Zeit zu verlagern. Indem sie den Klassenbegriff biologisch deuteten und auf sich selbst bezogen, glaubten sie Anspruch auf einen Lohn zu haben, der früher nicht zu haben war und niemals wieder zu haben sein wird.
Die Eltern wurden mit dem Etikett der Auschwitz-Generation moralisch, Kinder und Enkel mit dem einer play-back-Generation intellektuell diskreditiert. Die einen verkörperten die üble Vorgeschichte, die anderen die reizlose Nachgeschichte der Moderne, für deren Verfallsphase man mit dem Begriff der Post-Moderne das passende Etikett zur Hand hatte. Auf diesem Wege wurde der Hedonismus zur Tugend verklärt und Selbstverwirklichung zum Ausdruck einer höheren Moral. Sie, die 68er, "leben im Hier und Heute, in fröhlicher Verzweiflung", schreibt Sophie Dannenberg in ihrem Roman "Das bleiche Herz der Revolution", einer Abrechnung mit den Verirrungen und Überheblichkeiten der 68er.
Eine Generation könne ihren Vätern gut und gern den Krieg erklären; doch sei es leichter, gegen sie zu kämpfen als ihnen nicht ähnlich zu werden. Wenn diese Bemerkung von irgendeinem Jahrgang bestätigt worden ist, dann von der Schicksalsgemeinschaft der 68er. Nicht nur durch ihren bürgerfeindlichen Affekt; nicht nur mit ihrer demonstrativen Verachtung von Sitte und Anstand; nicht nur in ihrem Unverständnis für rechtsstaatliche Prozeduren; auch nicht durch ihre Abneigung gegen den Wert des Gewachsenen und Gewordenen; und nicht einmal mit ihrer Vorliebe für die Gewalt, die sie, zur Gegengewalt verharmlost, gegen jeden einsetzten, der nicht so denken wollte wie sie selbst - nicht nur durch diese und ähnliche Charakterzüge, sondern mehr noch durch die Bedenkenlosigkeit, mit der sie sich einen historischen Auftrag zuschanzten, der sie über die Vor- und Nachwelt hinausheben sollte, sind sie den Machthabern des Dritten Reiches ähnlicher geworden als ihnen lieb sein kann.
Anders als es die blühende Reformrhetorik glauben machen will, ist die Macht durch das Auftreten der Rebellen nicht eigentlich verändert, in ihrem Gefüge und in ihren Regeln demokratisiert, humanisiert oder moralisiert worden; sie wurde bloß erobert. Sobald das geschehen war, war das Ziel erreicht und alles gut. "Regieren macht Spaß" hieß die Devise, durchaus im Sinne des Ur-Rebellen Fritz Teufel, der dreißig Jahre zuvor dasselbe, Spaß nämlich, als Treibmittel der Revolution eingefordert hatte. Jürgen Busche schreibt dazu in seinem Generationen-Porträt:
"Sie geben ihren älteren und jüngeren Gesprächspartnern das Gefühl, man könne sich bei ihnen auf die Verabredung, die das Gespräch darstellt, nicht verlassen. Die 68er geben kaum zu erkennen, was sie mit einem Gespräch wollen, stets wirken sie lässiger, dann aber auch aufgeregter, sicherer, dann aber auch skeptischer, präziser, dann aber auch wieder abstrakter als andere. Sie scheinen genau zu wissen, was sie wollen, und sind gleichwohl nicht festzulegen auf das, wovon im weiteren zu reden wäre. Es fehlt ihnen die ausweglose Ernsthaftigkeit."
Der Jurist Uwe Wesel, Schrittmacher und Nutznießer der akademischen Revolte in Berlin, hat dem Buch, in dem er die Ereignisse aus seiner Sicht beschreibt, den bewusst zweideutigen Titel "Die verspielte Revolution" gegeben. Tatsächlich ist der spielerische, experimentelle, vorläufige Charakter dessen, was damals ablief, kaum zu übersehen. Nur die RAF, die Rote Armee-Fraktion um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, hat die Dinge bis zum Äussersten getrieben, ist aber eben damit auch an den Rand der Bewegung und schließlich in den Untergang geraten.
Was sich mit dem Datum 1968 verbindet, war der alles in allem überaus erfolgreiche Versuch, beim Aufbruch in die Zukunft nicht zu kurz zu kommen. An falschen Stichwortgebern hat es der Linken ja noch nie gefehlt: Hatte Karl Marx denn nicht versichert, das Reich der Freiheit beginne dort, wo die Lohnarbeit aufhört? Hatte Adorno nicht vorausgesagt, dass die entfesselte Güterfülle die Bedeutung der Arbeit auf ein Minimum reduzieren würde? Hatte nicht Habermas den Studenten klar gemacht, dass sie einer Zeit entgegengingen, in der die Arbeit ihre Bedeutung für die Zuweisung von Rang und Einkommen weitgehend verloren haben werde? Und waren sie nicht von Herbert Marcuse dazu eingeladen worden, mit dem Abbruch des bestehenden Gesellschaftsgefängnisses zu beginnen, auch ohne den Plan für einen Neubau zu besitzen?
Die Utopie war schön und gut, ließ aber viel zu lange auf sich warten. Deswegen wurde sie vorgezogen und, unbekümmert um alle historischen Gesetzmäßigkeiten, kurzerhand in die Gegenwart verlegt; die Zeiten waren ja so günstig, es herrschten Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung.
Über dem Kongress, zu dem sich die amerikanischen Studenten in New York versammelt hatten, prangte es in Riesenlettern:
"We want the world and we want it now."
Viel Gegenwart, hieß das, und wenig Utopie. Mit dieser Botschaft, einer Verballhornung der Existenzphilosophie, ist der Slogan zum Motto ihrer deutschen Kommilitonen geworden:
"Wir wollen alles, subito!"
So hieß es in Frankfurt, Berlin und anderswo. Das passte in die kapitalistische Logik, die denn auch schon bald unter den ehemaligen Rebellen Fürsprecher und Anhänger gewann, die das Bestehende ebenso rabiat verteidigten wie sie es seinerzeit bekämpft hatten: das übliche Schicksal aller Renegaten.
Nur die Grünen, die Haupterben der Bewegung, träumen in ihrer Mehrheit immer noch von einer Gesellschaft, die auf den Zwang zur Erwerbsarbeit verzichten kann; sie haben das erst kürzlich wieder bekräftigt. Realisten wie Josef Fischer halten davon aber nichts. Jenseits aller revolutionären Programmatik, bemerkte er zum Abschied aus seinem Amt, hätten sich unter den Angehörigen seiner, der Protest-Generation, Zusammenhänge herausgebildet, "so etwas wie ein Dorf", und das verbinde für ein ganzes Leben: das Leben einer einzigen Generation. Den Preis dafür zahlt die nächste.
Die von den Ahnherren der Bewegung, von Marx und Engels vorausgesagte, von Lenin und Mao ins Werk gesetzte und von den Studenten in aller Herren Länder emphatisch herbeigesehnte Weltrevolution schien in vollem Gang, die Utopie in ihren mehr oder weniger konkreten Formen zum Greifen nah zu sein, und die einzige Frage, die die Masse der Wortgläubigen noch umtrieb, war die, ob der ersehnte Umbruch "mit uns oder ohne uns" ablaufen würde.
Wenn es so aussah, dann doch lieber mit uns, sagten sich die Linken. Der Schluss lag nah und wurde umso lieber gezogen, als das moralisch höhere Gelände, das man auf diesem Wege zu erreichen hoffte, ja auch persönlichen Gewinn verhieß. Zumindest in diesem Punkt waren sich die rivalisierenden K-Gruppen, die das Erbe der 68er angetreten hatten, einig: Der Glaube an den neuen Menschen und eine bessere, von Not und Unglück, Krieg und Armut, Dummheit und Arroganz dauerhaft befreite Welt schloss sie bei aller Konkurrenz zusammen. Als das vorübergehend mächtigste (und überdies mit Abstand wohlhabendste) Zerfallsprodukt der Studentenbewegung sprach der Kommunistische Bund Westdeutschland, der KBW, für alle, wenn er versicherte, dass die Weltrevolution allen Zweifeln, Einwänden und Rückschlägen zum Trotz aus einer wissenschaftlichen Voraussage zur Realität geworden sei. Zuerst in einem, danach in vielen Ländern dieser Welt habe das Proletariat die Macht erobert und mit dem Aufbau des Sozialismus begonnen. Wer wollte, wer durfte da noch abseits stehen?
Das Proletariat machte keine Anstalten, sich den studentischen Parolen anzuschließen und das zu tun, was es nach Auskunft der orthodoxen Lehrbücher tun sollte. Alle Versuche, die Arbeiter in den Betrieben aufzusuchen, sie über ihre jammervolle Lage zu belehren und an ihren historischen Auftrag zu erinnern, waren misslungen. Anders als im benachbarten Frankreich waren die deutschen Gewerkschaften zum Bündnis mit den Studenten auch nicht auf Zeit bereit. Sie hatten anderes im Kopf als eine Dogmatik, die in hundert Jahren viel zur Verelendung, aber wenig zur Befreiung der Massen beigetragen hatte.
Der Ausweg war nicht schwer zu finden, er hieß stellvertretende Interessenwahrnehmung. Wenn die Arbeiter zu dumm und die Gewerkschafter zu feige waren, die ihnen zugedachte Rolle in die Hand zu nehmen; wenn die Intelligenz zu unentschossen und die Bewohner der Dritten Welt zu schwach waren, sich an die Stelle des Proletariats zu setzen und mit der Revolte zu beginnen - wenn also alle Revolutionäre und Ersatzrevolutionäre bis auf weiteres ausfielen, dann mussten andere einspringen. Diese anderen, das waren, wie ihnen plötzlich aufzugehen schien, sie selbst, die unzufriedenen Studenten, die sich in der Welt zwar nur schlecht, in der Literatur aber umso besser auskannten und durch viel Theorie wettmachen konnten, was ihnen an Erfahrung abging. Ernst Bloch, der ewig zornige alte Mann, hatte ihnen die Richtung gewiesen, als er ihnen zurief, dass sie, die akademische Jugend, den Auftrag zu übernehmen habe, den die anderen verschmäht oder verschlafen hatten:
"Der biologische Ort des Neuen ist die Jugend. Der soziologische Ort der Revolution ist die unzufriedene Klasse. Also früher waren es die Bauern oder die Bürger und dann die Proleten in der sozialistischen Revolution. Die fehlen uns heute. Dafür haben wir eine Art von soziologisch schwer unterbringbarem Ersatz, die Jugend. Doch die Jugend muss aus dem Zustand, der bloß biologisch ist, heraus. Sie muss sich auch als Statthalter und Stellvertreter einer elenden Masse sehen und fühlen und deren Geschäfte machen."
Das ließen sich Blochs Hörer nicht zweimal sagen, Was ihnen da zugesprochen wurde, war ja nicht weniger als ein revolutionäres Adelsprädikat. Mit einem Schlag wurden sie von Lehrlingen zu Meistern befördert, in den Rang einer veritablen Klasse, eines kollektiven Erlösers, kurz: eines revolutionären Subjekts erhoben. Und nicht nur sie, sondern alle, die ebenso jung, entschlossen, begeisterungsfähig und draufgängerisch waren wie sie.
Als sich die Schüler anschickten, es den Studenten gleichzutun und sich als Avantgarde der Revolution aufzuspielen, wurden sie von den Delegierten des damals tonangebenden Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, des SDS, in vollem Ernst als neue soziale Schicht begrüßt: sozial, wie gesagt, nicht biologisch; und Schicht, nicht Jahrgang. Das waren neue, vielversprechende Attribute. Vereint liefen Schüler und Studenten hinter dem Porträt des großen Vorsitzenden her und skandierten:
"Ihr seid alt, wir sind jung - Mao Tse-tung!"
Aufstände der Jungen gegen die Alten sind nichts Ungewöhnliches. Diesmal, im Jahre 68, war es aber anders, grundsätzlicher und auch feindseliger gemeint. Wenn sich die Jugend zur Schicht stilisiert, als Klasse betrachtet und sich anschickt, als revolutionäres Subjekt die historische Bühne zu betreten, läuft es nicht länger auf den Wechsel von einer Generation zur anderen hinaus, sondern auf einen weltanschaulich und welthistorisch überhöhten Gegensatz zwischen Alt und Jung.
Das Kontinuum sollte aufgebrochen, das Kommen und Gehen der Generationen umgedeutet werden zu einer bleibenden Zäsur, zum Anbruch eines neuen Tages, bewerkstelligt durch das Genie einer Jugend, die weiter zu sehen und mehr zu wissen glaubte als alle Generationen vor ihr.
Jürgen Busche, der den 68ern ein allzu schmeichelhaftes Porträt gewidmet hat, spricht von einer Schicksalsgemeinschaft, deren Erfahrungen sie gleichermaßen von allen Älteren und Jüngeren trennte:
"Wer nicht erlebt hat, was sie zwischen zwanzig und dreißig erleben musste, gehört nicht dazu."
Das hatte Folgen, wie sich spätestens 1998 zeigte, als der Marsch durch die Institutionen, zu dem die ehrgeizigsten der Rebellen dreißig Jahr zuvor aufgebrochen waren, sein Ziel erreicht hatte. Peter Schneider, der seinerzeit mit Lobgesängen auf die Ereignisse im fernen China hervorgetreten war, stellte mit allen Zeichen der Zufriedenheit fest, dass mit dem Regierungswechsel von Kohl zu Schröder eine neue Generation an die Macht gekommen war, "meine", wie er selbstbewusst hinzusetzte. Der Gedanke an den großen Bruch, an das Aufbegehren der Jungen gegen die Alten und die gewaltsame Neueinrichtung der Welt hatte ihm schon immer eingeleuchtet und seinerzeit, im Jahre 1970, ein paar wüste Zeilen eingegeben, in denen es unter anderem hieß:
"Wenn wir wieder aufwachen, sind wir soweit:
wenn uns das Benzin nicht mehr schmeckt, gießen wir es über eure Autos
wenn eure Autos Feuer fangen, reißen wir eure Straßen auf
wenn eure Schaufenster platzen, plündern wir eure Geschäfte
wenn wir euren Schnaps trinken, trinken wir auf die Revolution
wenn wir eure Küchen nachhause getragen haben, kommen wir wieder
wenn eure Geschäfte leer sind, lösen wir sie in Rauch auf
wenn euer Häuser brennen, dann müsst ihr heraus
und wenn wir euch da sehen, marschierend im letzten Hemd, dann fressen wir euch
und wenn wir euch gefressen haben, dann ist uns so leicht wie noch nie."
Von so etwas konnte man damals auskömmlich leben, heute kann man das immer noch. Konsumverachtung verkauft sich gut und bestätigt, was einem alten Kenner der Revolte schon früh aufgefallen war: dass alle Wege der 68er irgendwann im Supermarkt enden. Man hatte die Chancen, die einzufordern und zu erkämpfen man dreißig Jahre lang unterwegs gewesen war, auch selbst genutzt und war nun endlich am Ziel. Held der Stunde war Josef Fischer, der wie kein zweiter alle Talente und Untugenden der 68er vertrat. "Jetzt oder nie!" hieß die Devise, unter der er seine Mitstreiter aus der Zeit des Frankfurter Straßenkampfes mit der Aussicht auf Geld und Stellen hinter sich brachte.
Rot-Grün, erklärte er programmatisch, sei ein Reformprojekt, "das Projekt der 68er-Generation", und das gelte für die Inhalte genauso wie für die beteiligten Personen. Endlich an der Macht, hatte und nutzte er die Gelegenheit, beides zu erfüllen, die allgemeinen und die ganz persönlichen Wünsche.
Sieben Jahre später, als das Projekt, ein wenig vor der Zeit, abgebrochen werden musste, hat Fischer sich noch einmal zu Wort gemeldet und die zurückliegende Periode auf seine Art gedeutet. Auch diesmal klang es, bezogen auf sich und seine Kampfgefährten, großartig wie immer, wenn Fischer auf sich selbst zu sprechen kam. Das rot-grüne Kapitel, das er und seine Generation geschrieben hätten, sei nun zu Ende, erklärte beim Abschied aus dem Amt, unwiderruflich zu Ende. Jetzt sei die nächste, die von ihm abschätzig so genannte "play-back-generation" an der Reihe, von der nicht viel zu erwarten sei.
Das ist der Ton des intergenerativ verlagerten Klassenkampfes, wie ihn Ernst Bloch gepredigt hatte. So wie die 68er, als sie jung waren, keinem über dreißig trauen mochten, wollten sie jetzt, selbst alt geworden, auf keinen unter sechzig etwas geben.
Damit dürften die 68er die ersten gewesen sein, die sich nicht nur nach rückwärts, gegen die Generation ihrer nationalsozialistisch verdorbenen Väter, sondern auch nach vorn, gegen Kinder und Enkel, bewusst abgegrenzt haben. Ihr Schwanken zwischen dem Versprechen einer glücklichen Endzeit, in der Wolf und Schaf friedfertig beieinander wohnen würden, und ihrer demonstrativen Zukunftsangst, die sich darin gefiel, die absehbare Entwicklung in den schwärzesten Farben zu malen, hat ihnen die Glorifizierung der Gegenwart, die Beschränkung aller Versprechen und Vergünstigungen auf die eigene Lebenszeit leicht gemacht.
Sich von der Auschwitz-Generation abzusetzen, war moralisch ebenso zwingend wie der Verzicht auf Nachwuchs in einer Welt, in die man Kinder, wie Günter Grass verkündet hatte, eigentlich nicht setzen durfte. Die Herkunft stand unter einem bösen, die Zukunft unter einem trüben Stern; die eine musste verworfen, die andere so gut es ging vermieden werden, so dass die Gegenwart, die eigene Zeit, als die einzige Epoche übrig blieb, für die der Einsatz lohnte.
Die Abgrenzung nach oben und nach unten führte zu jenem kollektiven Solipsismus, der für die 68er-Bewegung von Anfang an bezeichnend war. Ihre Selbsteinschätzung verriet sich in der Atemlosigkeit, mit der zu Demonstrationen, Sit-ins und ähnlichen Unternehmungen aufgerufen wurde. Immer klang es so, als ginge es um Alles oder Nichts, als hinge das Schicksal des Landes, ja der ganzen Welt von der Entscheidung an diesem Ort, zu dieser Stunde ab.
In kaum einer seiner endlosen Tiraden kam Rudi Dutschke, der unbestrittene Führer der Bewegung, ohne eschatologisches Geraune und apokalyptische Drohungen aus:
Am Anfang hieß es:
"Genossen, wir haben nicht mehr viel Zeit"
Und am Ende seiner Reden:
"Lasst uns sofort damit beginnen."
Wie allen Revolutionären diente ihm die Theorie vom letzten Gefecht dazu, seine Anhänger zu mobilisieren und für den Einsatz aller, tatsächlich aller Mittel zu gewinnen. Natürlich sei er dazu bereit, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen, versicherte Dutschke; was nicht ganz zufällig an die Worte erinnert, mit denen sich Ulrike Meinhof aus dem Untergrund zurückgemeldet hatte: "Natürlich" dürfe geschossen werden, hieß es da. Es wurde dann ja auch geschossen.
Dass Dutschke ein Apostel der Gewaltlosigkeit gewesen sei, ist eines der vielen Märchen, die von den alten Kämpfern in der Absicht verbreitet werden, zusammen mit seiner auch ihre eigene Biografie aufzuhellen.
Das Gehetzte und Atemlose war aber nur die eine, die Jugendsünde der Revolutionäre. Die andere, die Überheblichkeit des Alters, wurde sichbar, als sie in die Jahre gekommen waren und nicht mehr loslassen konnten oder wollten. Wer sich und seine Altersgenossen für die Agenten des Weltgeistes hält, muss jede Neuerung als Fortschritt, jedes Geschenk als Anspruch, jedes Vorrecht als eine Errungenschaft ausgeben, die nie wieder verloren gehen darf.
Er neigt dazu, die eigene Biografie zum großen Mittag, zum Scheitelpunkt der Weltgeschichte zu verklären, und fühlt sich dazu berechtigt, ja verpflichtet, Lebenszeit und Weltzeit in eins zu setzen. Eine Frau, die in Mutlangen, wo die Amerikaner mit der Nachrüstung Ernst machten, die Stra-ße blockiert hatte und deshalb vor Gericht gekommen war, beschloss ihre Aussage mit der dem Vaterunser entlehnten Bitte "Dein Reich komme", versehen freilich mit dem Zusatz: "Jetzt!" Die Naherwartung war zurück, wenn auch in weltlicher Verkleidung, in der das Jenseits schon im Diesseits angesiedelt wurde. In dieser denkbar unchristlichen Gestalt erschloss sich der Begriff der Hoffnung auch für diejenigen, die mit der paulinischen Theologie nicht viel anzufangen wussten.
Die Fixierung aufs Hier und Heute hat das Band der Generationen zerschnitten, sie bringt Kinder gegen ihre Eltern und Eltern gegen ihre Kinder auf und wirft den Einzelnen auf sich selbst zurück. Selbstverwirklichung und Selbsterfüllung, Selbstermächtigung und Selbstbeglückung avancierten nicht zufällig zu Leitbegriffen der Bewegung. Als die bekennende 68erin Heidemarie Wieczorek-Zeul, emanzipiert und kinderlos, danach gefragt wurde, wie sie denn sterben wolle, antwortet sie:
"Am liebsten nie."
Theodor Wilhelm, der als Hochschullehrer die Bewegung aus nächster Nähe beobachten konnte, schrieb dazu im Rückblick:
"Die große Weigerung, dies von Marcuse entdeckte und propagierte Zauberwort, hat in den sechziger und siebziger Jahren zu einer bisher unbekannten Zelebrierung des Ichs geführt, für die sich bei früheren Jugendbewegungen keine Parallele findet. Seit Beruf und Leistung keinen unmittelbaren Lebenssinn mehr offenbaren, sieht sich der Sechzehn- und Zwanzigjährige fast mit Notwendigkeit auf die Selbstverwirklichung verwiesen. Die Psychowelle hat zur Ausstaffierung des Sich-selbst-wichtig-Nehmens Material beigetragen, das den Missbrauch förmlich herausforderte, und in der Kombination mit den antikapitalistischen Theoremen erschein die Konzentration auf das eigene Selbst wie mit höheren Weihen versehen."
In den vierzig Jahren, die seit dem annus mirabilis, wie das Jahr 1968 von seinen Verehrern immer noch gern genannt wird, mittlerweile vergangen sind, hat die vereinigte Linke ihren Charakter und ihre Absichten gründlich verändert. Was als Bewegung begonnen hatte, der es mit dem Verändern der Verhältnisse, der Gesellschaft und des Bewusstseins gar nicht schnell genug vorangehen konnte, hat jegliche Beweglichkeit verloren.
Heute ist die Linke gleich welcher Couleur, die SPD in ihrer Mehrheit genauso wie die Grünen und die gesamte Linkspartei, zu einem strukturkonservativen Block erstarrt, der eine Veränderung des sozialen status quo, wie ihn Gerhard Schröder mit seiner Agenda-Politik versucht hatte, erbittert bekämpft und von Reformen spricht, wenn er Bestandsschutz meint. Der Besitzstand, bestehend aus Besitz und Stand, ist zum Dreh- und Angelpunkt einer Wohlfahrtspolitik geworden, die sich von dem, was zu feudalen Zeiten üblich war, vor allem dadurch unterscheidet, dass sie den Ort der Geburt durch das Geburtsdatum ersetzt hat.
Mit unserer Generation, erklärt Gerd Koenen, der Chronist der 68er-Bewegung, begann die Ära der Kinderlosen und Alleinerziehenden. Die freilich mit ihren Renten- und Pensionserwartungen auf die Leistungsfähigkeit einer Lebensform setzen, die sie, soweit es denn an ihnen lag, verachtet und vermieden haben, der herkömmlichen Familie. Fremder Leute Kinder sollen für sie das leisten, was eigene nicht leisten können, da die ja fehlen. Die Folge ist eine Ungleichverteilung von Lebens- und Berufschancen in einem historisch einmaligen Ausmaß.
Das reichhaltige Angebot des luxurierenden Sozialstaates, bestehend aus Rentenrecht und Arbeitsrecht, Lohnfortzahlung und Lohnersatzfunktion, Kündungsschutz, Gesundheitsschutz, Vertrauensschutz und wie die öffentlichen Schutzzusagen sonst noch heißen mögen, begünstigt ausnahmslos die Alten. Wer drin ist und dazu gehört, verteidigt seinen Besitzstand und klagt sich durch sämtliche Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht, um seine Versorgungsansprüche durchzusetzen. Wer draußen ist, bleibt draußen, wird mit Praktikantenstellen abgespeist und muss zahlen.
Wie alle Ideologien, hat die ausgeprägte Familienfeindschaft der 68er ihre handfesten, will sagen: ihre höchst persönlichen Gründe. Um auch im Alter an der Leistungskraft, dem Einsatz und der Zuwendung der nächsten Generation teilzuhaben, soll das Humankapital kollektiviert, verstaatlicht werden. Die Neigung, den Eltern das Erziehungs- und Verfügungsrecht über ihre Kinder zu bestreiten und den Begriff der Sozialpflichtigkeit von Sachen auf Menschen zu übertragen, zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch die familienpolitischen Äußerungen der 68er.
Im Namen von Solidarität, Fortschritt und all den anderen Ersatzgöttern der Linken setzt sich die "Neue Gesellschaft", das theoretische Organ der SPD, dafür ein, den Kinderlosen Teilhabe an einem Reichtum zu gewähren, zu dem sie selbst nichts beigetragen haben:
"Eine Politik, welche die soziale Solidarität in die familiären Bahnen zurückdrängen und das Naturgeschick des Menschen wieder aufwerten möchte, widerspricht der gesellschaftlichen Entwicklung, in deren Verlauf sich Solidarität von biologischen Fesseln befreit hat. Eine Rückkehr zu vormodernen Verhältnissen würde die Gestaltungs- und Freiheitsräume der Menschen verengen und ihre Unterworfenheit unter die Natur wieder festigen. Moderne Länder wie Deutschland würden durch vormoderne Experimente das verschleudern, was die Länder des Südens aufgrund der Abnahme familiärer Solidaritäten erst aufzubauen versuchen."
Reduziert man das Wortgeklingel auf seinen harten Kern, dann wird hier nicht viel weniger verlangt als die Enteignung der Familie. Um die Gestaltungsräume der einen, der Kinderlosen, auch im Alter zu erhalten und ihnen einen rundum sorgenfreien Ruhestand zu garantieren, sollen die Gestaltungsräume der anderen, der Eltern, beschnitten und Kinder dazu verurteilt werden, die große und schnell wachsende Masse derer zu unterhalten, die die Zeichen der Zeit erkannt und auf Kinder verzichtet haben. In seiner kollektiven Deutung soll das sechste Gebot die Kinder nicht länger zur Ehrerbietung gegen Vater und Mutter verpflichten, sondern zur Versorgung einer anonymen Versichertengemeinschaft.
Eine gläubige 68erin schreibt:
"Die Zeiten sind vorbei, in denen es Eltern erlaubt war, ihre Kinder wie eine persönliche Investition zu betrachten, deren Rendite sie später einmal abkassieren durften."
Sie sollen und dürfen das nicht mehr, weil es so viele andere gibt, die dasselbe wollen: die Autorin zum Beispiel, die Pädagogin Katharina Rutschky, die sich von Kindern versorgen lassen möchte, die sie selbst nicht hat.
Die Kardinaltugend aller Linken, die Solidarität, ist von den 68ern genauso aufgefasst und eingesetzt worden wie sie ursprünglich einmal gemeint war: als Kampfbegriff, der beides markiert, den Freund und den (Klassen)feind. Wer nach Solidarität ruft, verrät nicht nur, für wen er ist, sondern auch, gegen wen; die Parole soll nicht versöhnen, sondern spalten. Originell waren die 68er lediglich mit ihrem Einfall, die Solidarität vom Raum in die Zeit zu verlagern. Indem sie den Klassenbegriff biologisch deuteten und auf sich selbst bezogen, glaubten sie Anspruch auf einen Lohn zu haben, der früher nicht zu haben war und niemals wieder zu haben sein wird.
Die Eltern wurden mit dem Etikett der Auschwitz-Generation moralisch, Kinder und Enkel mit dem einer play-back-Generation intellektuell diskreditiert. Die einen verkörperten die üble Vorgeschichte, die anderen die reizlose Nachgeschichte der Moderne, für deren Verfallsphase man mit dem Begriff der Post-Moderne das passende Etikett zur Hand hatte. Auf diesem Wege wurde der Hedonismus zur Tugend verklärt und Selbstverwirklichung zum Ausdruck einer höheren Moral. Sie, die 68er, "leben im Hier und Heute, in fröhlicher Verzweiflung", schreibt Sophie Dannenberg in ihrem Roman "Das bleiche Herz der Revolution", einer Abrechnung mit den Verirrungen und Überheblichkeiten der 68er.
Eine Generation könne ihren Vätern gut und gern den Krieg erklären; doch sei es leichter, gegen sie zu kämpfen als ihnen nicht ähnlich zu werden. Wenn diese Bemerkung von irgendeinem Jahrgang bestätigt worden ist, dann von der Schicksalsgemeinschaft der 68er. Nicht nur durch ihren bürgerfeindlichen Affekt; nicht nur mit ihrer demonstrativen Verachtung von Sitte und Anstand; nicht nur in ihrem Unverständnis für rechtsstaatliche Prozeduren; auch nicht durch ihre Abneigung gegen den Wert des Gewachsenen und Gewordenen; und nicht einmal mit ihrer Vorliebe für die Gewalt, die sie, zur Gegengewalt verharmlost, gegen jeden einsetzten, der nicht so denken wollte wie sie selbst - nicht nur durch diese und ähnliche Charakterzüge, sondern mehr noch durch die Bedenkenlosigkeit, mit der sie sich einen historischen Auftrag zuschanzten, der sie über die Vor- und Nachwelt hinausheben sollte, sind sie den Machthabern des Dritten Reiches ähnlicher geworden als ihnen lieb sein kann.
Anders als es die blühende Reformrhetorik glauben machen will, ist die Macht durch das Auftreten der Rebellen nicht eigentlich verändert, in ihrem Gefüge und in ihren Regeln demokratisiert, humanisiert oder moralisiert worden; sie wurde bloß erobert. Sobald das geschehen war, war das Ziel erreicht und alles gut. "Regieren macht Spaß" hieß die Devise, durchaus im Sinne des Ur-Rebellen Fritz Teufel, der dreißig Jahre zuvor dasselbe, Spaß nämlich, als Treibmittel der Revolution eingefordert hatte. Jürgen Busche schreibt dazu in seinem Generationen-Porträt:
"Sie geben ihren älteren und jüngeren Gesprächspartnern das Gefühl, man könne sich bei ihnen auf die Verabredung, die das Gespräch darstellt, nicht verlassen. Die 68er geben kaum zu erkennen, was sie mit einem Gespräch wollen, stets wirken sie lässiger, dann aber auch aufgeregter, sicherer, dann aber auch skeptischer, präziser, dann aber auch wieder abstrakter als andere. Sie scheinen genau zu wissen, was sie wollen, und sind gleichwohl nicht festzulegen auf das, wovon im weiteren zu reden wäre. Es fehlt ihnen die ausweglose Ernsthaftigkeit."
Der Jurist Uwe Wesel, Schrittmacher und Nutznießer der akademischen Revolte in Berlin, hat dem Buch, in dem er die Ereignisse aus seiner Sicht beschreibt, den bewusst zweideutigen Titel "Die verspielte Revolution" gegeben. Tatsächlich ist der spielerische, experimentelle, vorläufige Charakter dessen, was damals ablief, kaum zu übersehen. Nur die RAF, die Rote Armee-Fraktion um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, hat die Dinge bis zum Äussersten getrieben, ist aber eben damit auch an den Rand der Bewegung und schließlich in den Untergang geraten.
Was sich mit dem Datum 1968 verbindet, war der alles in allem überaus erfolgreiche Versuch, beim Aufbruch in die Zukunft nicht zu kurz zu kommen. An falschen Stichwortgebern hat es der Linken ja noch nie gefehlt: Hatte Karl Marx denn nicht versichert, das Reich der Freiheit beginne dort, wo die Lohnarbeit aufhört? Hatte Adorno nicht vorausgesagt, dass die entfesselte Güterfülle die Bedeutung der Arbeit auf ein Minimum reduzieren würde? Hatte nicht Habermas den Studenten klar gemacht, dass sie einer Zeit entgegengingen, in der die Arbeit ihre Bedeutung für die Zuweisung von Rang und Einkommen weitgehend verloren haben werde? Und waren sie nicht von Herbert Marcuse dazu eingeladen worden, mit dem Abbruch des bestehenden Gesellschaftsgefängnisses zu beginnen, auch ohne den Plan für einen Neubau zu besitzen?
Die Utopie war schön und gut, ließ aber viel zu lange auf sich warten. Deswegen wurde sie vorgezogen und, unbekümmert um alle historischen Gesetzmäßigkeiten, kurzerhand in die Gegenwart verlegt; die Zeiten waren ja so günstig, es herrschten Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung.
Über dem Kongress, zu dem sich die amerikanischen Studenten in New York versammelt hatten, prangte es in Riesenlettern:
"We want the world and we want it now."
Viel Gegenwart, hieß das, und wenig Utopie. Mit dieser Botschaft, einer Verballhornung der Existenzphilosophie, ist der Slogan zum Motto ihrer deutschen Kommilitonen geworden:
"Wir wollen alles, subito!"
So hieß es in Frankfurt, Berlin und anderswo. Das passte in die kapitalistische Logik, die denn auch schon bald unter den ehemaligen Rebellen Fürsprecher und Anhänger gewann, die das Bestehende ebenso rabiat verteidigten wie sie es seinerzeit bekämpft hatten: das übliche Schicksal aller Renegaten.
Nur die Grünen, die Haupterben der Bewegung, träumen in ihrer Mehrheit immer noch von einer Gesellschaft, die auf den Zwang zur Erwerbsarbeit verzichten kann; sie haben das erst kürzlich wieder bekräftigt. Realisten wie Josef Fischer halten davon aber nichts. Jenseits aller revolutionären Programmatik, bemerkte er zum Abschied aus seinem Amt, hätten sich unter den Angehörigen seiner, der Protest-Generation, Zusammenhänge herausgebildet, "so etwas wie ein Dorf", und das verbinde für ein ganzes Leben: das Leben einer einzigen Generation. Den Preis dafür zahlt die nächste.