Nach einigen Monaten Experimenten in Mäusen und Ratten mussten wir allerdings feststellen, dass wir nicht in der Lage waren, diese Appetithemmenden Effekte von PYY in unserem Labor, damals noch am deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke zu sehen und wir haben dann auf Konferenzen und Kongressen mit mehreren Wissenschaftlern von anderen Arbeitsgruppen über die ganze Welt verteilt und da gehört, dass auch andere Arbeitsgruppen die Ergebnisse nicht replizieren können und dabei große Schwierigkeiten haben.
Der Fall zog weite Kreise. Unter Mathias Tschöps Federführung berichten heute 42 Forscher von 15 verschiedenen Labors, zum Teil auch Labors von Pharmariesen, wie sie unabhängig voneinander alle dieselben negativen Resultate produzierten. Die Publikation ist als Warnung gedacht an all diejenigen, die sich mit dem Gedanken tragen ihre Forschungsmittel und Mühen in eine aussichtslose Substanz zu stecken. Diese Warnung erscheint nun mit lautem Zähneknirschen der Nature-Herausgeber. Tschöp:
Es war sehr, sehr schwierig diese Publikation in die Zeitschrift zu bekommen; wir haben ein Jahr daran gearbeitet, wir wurden mehrfach abgelehnt, unsere Publikation wurde zusammengekürzt von 2200 auf 500 Worte, von 50 Abbildungen, die jetzt online zu ein werden auf nur eine Abbildung und wir haben glaube ich 500 Seiten an Informationen zusätzlich an nature schicken müssen, aber die Editoren waren sehr, sehr zögerlich.
Dabei hatte "Nature" kürzlich in einem Artikel selbst gefordert, dass Wissenschaftler mehr über ihre Negativ-Ergebnisse berichten sollten, um ihren Kollegen dieselben Misserfolge zu ersparen. Geht es dabei ums eigene Prestige, fällt dies aber schwer, wie Professor Volker Schusdziarra vom Münchner Klinikum Rechts der Isar die Reaktion einordnete:
Diese Zeitschriften wie Nature, New England Journal, Journal of Clinical Investigation, Science usw. also die sehr hochrangigen Zeitschriften, die gelten ja quasi so als heilige Kühe. Was da publiziert wird, das gilt - das ist so ein bisschen wie wenn der Vatikan ein Bulletin herausgibt und jetzt kommen da welche her und sagen: Das stimmt ja gar nicht, was ihr da abgelichtet habt - das kratzt ja an der Ehre der Zeitschrift. Und deswegen glaube ich auch, versuchen die Editoren das ganze so ein bisschen unter der Decke zu halten und nicht zu sehr hochkochen zu lassen und deswegen wahrscheinlich auch diese ganzen Limits, die da gemacht worden sind mit Titel und was weiß ich.
Stephen Bloom und seine Mitarbeiter durften über den Titel von Mathias Tschöps Gegendarstellung entscheiden, und sie bekommen ausführlich Gelegenheit, zur Kritik an ihrer Arbeit Stellung zu nehmen. Bloom zufolge haben die 15 anderen Labore ihre Tiere bei dem Experiment zu sehr unter Stress gesetzt, was deren Appetit von vorn herein beeinflusst habe. Außerdem trete der Effekt von des Peptidhormons PYY 3-36 nur auf, wenn die Tiere 24 Stunden vor der Verabreichung gefastet haben. Nur dann bremst es den Appetit. Dass die britischen Forscher das nicht von vornherein transparent gemacht haben, ärgert den Kliniker Volker Schusdziarra:
Das weiß der seit Jahren, dass das so ist. Und das ist eigentlich schon der Killer für dieses Peptid als Medikament. Wenn das nämlich so ist, dass das nur nach sehr langem Vorfasten überhaupt einen Effekt hat, dann können sie das für einen Patienten vergessen, also jeder der mit dicken Menschen zu tun hat, der weiß, dass die halt kontinuierlich essen. Die fasten nicht 24 Stunden, denn sonst wären sie nicht dick wahrscheinlich. Das ist ja das Drama.
Die Pharmaindustrie wird also auf andere Wirkstoffe setzen müssen, will sie an der Übergewichtsepidemie in der entwickelten Welt verdienen. Es wird nicht einfach sein, diese zu finden. Unser Körper hat sich im Laufe der Evolution mit zahlreichen Sicherheitssystemen gegen das Verhungern zu schützen gelernt. Denn der Hunger bedrohte und bedroht das Leben der Mehrzahl der Menschen auf der Welt, nicht Fettleibigkeit.