Was es bedeutet, wenn die Sprache ausstirbt, zeigt ein Blick in die jüdische Gemeinde der Türkei: Etwa 300.000 Juden flohen Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien – und fanden vor allem im aufstrebenden Istanbul ein neues Zuhause. Unter der schützenden Hand des osmanischen Vielvölkerstaates, wuchs die sephardische Gemeinde am Bosporus zu einer erfolgreichen und prägenden Gruppe im osmanischen Reich. Ladino – auch das Jiddisch des Westens genannt – wirkte dabei identitätsstiftend und blieb Jahrhundertelang die wichtigste Sprache der Minderheit. Heute ist Ladino fast völlig aus dem Leben am Bosporus verschwunden. Ein Symbol, findet die Linguistin Karen Gerson. Sie versucht zu retten, was noch zu retten ist.
"Die letzte Generation, die Ladino noch wirklich als Muttersprache gelernt hat, wurde um das Jahr 1945 geboren. Wenn diese Menschen sterben, wird es niemanden mehr geben, für den Ladino Muttersprache ist. Wenn eine Sprache aber nicht mehr als Muttersprache genutzt wird, ist sie so gut wie tot."
Karen Gerson – eine 52-Jährige, die gern und viel lacht – hat ihr Leben der Rettung des Ladino verschrieben. In Istanbul hat sie dafür vor genau 10 Jahren das Sephardische Zentrum gegründet, in Kursen versucht sie die wenigen Interessierten an die Sprache heran zu führen, die einst ganze Viertel prägte.
"Damals gab es in Istanbul noch vollkommen jüdische Nachbarschaften. Die Menschen brauchten gar keine andere Sprache als Ladino, weil der Kioskbesitzer ein Jude war, und der Fischverkäufer auch, genauso wie der Schuster... Die Sprache wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Es war vor allem eine Sprache, die man zu Hause sprach und untereinander."
Wenn Karen "damals" sagt, dann meint sie die Zeit vor gut 100 Jahren, als noch 250.000 Juden im Osmanischen Reich lebten. Heute sind es gerade noch 18.000. Mit jeder Generation werden es weniger, verstreut über die 15-Millionen-Metropole Istanbul.
"Als ich ein kleines Mädchen war, da lebten unsere Verwandten allerhöchstens 15 Minuten zu Fuß entfernt. Heute ist das anders. Heute braucht man eine Stunde mit dem Auto, um jemanden zu besuchen. Die Leute haben sich voneinander entfernt und so ist auch niemand mehr da, mit dem man Ladino sprechen müsste. Sogar mit meinem Mann spreche ich Türkisch und wenn meine Mutter mich auf Ladino fragt, antworte ich inzwischen auf Türkisch. Weil es mir geläufiger ist."
Auch, wenn sie es kaum mehr spricht: Für Karen Gerson bleibt Ladino der Schlüssel zur Vergangenheit der türkischen Juden. Geht er erst einmal ganz verloren, so verschwindet mit ihm ein großes Stück Identität.
"Unser Ziel im Sephardischen Zentrum ist es deswegen alte Dokumente zu sammeln und zu sichern. Es geht nicht nur um die Sprache, sondern auch um Musik, um Rezepte usw. Wir wollen alles Kulturelle retten, bevor es vollkommen verloren geht."
In diesem Überlebenskampf tritt Karen Gerson auf Sprachkonferenzen in aller Welt auf, berichtet von der Gefahr, die der Sprache ihrer Vorfahren, dem Ladino, droht. Jeden Monat erstellt sie mit Kollegen eine 24-seitige Ladino-Beilage zur jüdischen Zeitung Shalom, erreicht damit weltweit immerhin einige Hundert ältere Juden. Junge türkische Juden versucht sie außerdem durch die Ladino-Küche an ihre eigene Geschichte heran zu führen. Oder aber durch Musik.
Los Pasaros Sefaradis heißt Karen Gersons Band, mit der sie seit Jahren alte, teils vergessene Ladino-Musik auf die Bühne bringt. Obwohl sie die Texte kaum noch verstehen: Auch viele junge Istanbuler gehören zur Fangemeinde! Obwohl es manchmal wie ein Kampf gegen Windmühlen wirkt. Obwohl die jüdische Gemeinde am Bosporus weiter von Jahr zu Jahr schrumpft. Und obwohl vom türkischen Staat keine Hilfe zu erwarten ist. Karen Gerson gibt nicht auf.
"Als ich dieses Zentrum eröffnet habe, hatte ich den Wunsch, damit unter den Schirm einer hiesigen Universität zu gelangen. Gerade die Türkei müsste eigentlich eine Universität haben, die jüdische Studien anbietet. Immerhin waren die Juden ein wichtiges Element im Osmanischen Reich. Aber es gibt hier so etwas nicht."
Und so ist das Zentrum auf den guten Willen der jüdischen Gemeinde von Istanbul angewiesen. Doch die, weiß Gerson, hat gerade in Zeiten von internationalen Wirtschaftskrisen, oft andere Sorgen.
"Natürlich haben da lebenswichtige Dinge Priorität. Spenden gehen an Krankenhäuser, an jüdische Schulen, an Altenheime. Behinderte, Obdachlose oder Arme bekommen natürlich zuerst Hilfe. Kultur steht da leider oft an letzter Stelle."
Und so ist der Versuch, die jahrhundertealte Sprache zu erhalten, zum Rennen gegen die Zeit geworden.
"Wenn unsere Generation stirbt, dann wird es nur noch diese Dokumente geben. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Ladino jemals wieder als echte Alltagssprache genutzt wird. So schön es auch wäre, das ist vorbei. Was wir noch tun können, ist deswegen sammeln und dokumentieren. Die nächste Generation wird dann damit tun, was immer sie will."
Mehr zum Thema auf dradio.de: Sendung - Aus der jüdischen Welt
"Die letzte Generation, die Ladino noch wirklich als Muttersprache gelernt hat, wurde um das Jahr 1945 geboren. Wenn diese Menschen sterben, wird es niemanden mehr geben, für den Ladino Muttersprache ist. Wenn eine Sprache aber nicht mehr als Muttersprache genutzt wird, ist sie so gut wie tot."
Karen Gerson – eine 52-Jährige, die gern und viel lacht – hat ihr Leben der Rettung des Ladino verschrieben. In Istanbul hat sie dafür vor genau 10 Jahren das Sephardische Zentrum gegründet, in Kursen versucht sie die wenigen Interessierten an die Sprache heran zu führen, die einst ganze Viertel prägte.
"Damals gab es in Istanbul noch vollkommen jüdische Nachbarschaften. Die Menschen brauchten gar keine andere Sprache als Ladino, weil der Kioskbesitzer ein Jude war, und der Fischverkäufer auch, genauso wie der Schuster... Die Sprache wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Es war vor allem eine Sprache, die man zu Hause sprach und untereinander."
Wenn Karen "damals" sagt, dann meint sie die Zeit vor gut 100 Jahren, als noch 250.000 Juden im Osmanischen Reich lebten. Heute sind es gerade noch 18.000. Mit jeder Generation werden es weniger, verstreut über die 15-Millionen-Metropole Istanbul.
"Als ich ein kleines Mädchen war, da lebten unsere Verwandten allerhöchstens 15 Minuten zu Fuß entfernt. Heute ist das anders. Heute braucht man eine Stunde mit dem Auto, um jemanden zu besuchen. Die Leute haben sich voneinander entfernt und so ist auch niemand mehr da, mit dem man Ladino sprechen müsste. Sogar mit meinem Mann spreche ich Türkisch und wenn meine Mutter mich auf Ladino fragt, antworte ich inzwischen auf Türkisch. Weil es mir geläufiger ist."
Auch, wenn sie es kaum mehr spricht: Für Karen Gerson bleibt Ladino der Schlüssel zur Vergangenheit der türkischen Juden. Geht er erst einmal ganz verloren, so verschwindet mit ihm ein großes Stück Identität.
"Unser Ziel im Sephardischen Zentrum ist es deswegen alte Dokumente zu sammeln und zu sichern. Es geht nicht nur um die Sprache, sondern auch um Musik, um Rezepte usw. Wir wollen alles Kulturelle retten, bevor es vollkommen verloren geht."
In diesem Überlebenskampf tritt Karen Gerson auf Sprachkonferenzen in aller Welt auf, berichtet von der Gefahr, die der Sprache ihrer Vorfahren, dem Ladino, droht. Jeden Monat erstellt sie mit Kollegen eine 24-seitige Ladino-Beilage zur jüdischen Zeitung Shalom, erreicht damit weltweit immerhin einige Hundert ältere Juden. Junge türkische Juden versucht sie außerdem durch die Ladino-Küche an ihre eigene Geschichte heran zu führen. Oder aber durch Musik.
Los Pasaros Sefaradis heißt Karen Gersons Band, mit der sie seit Jahren alte, teils vergessene Ladino-Musik auf die Bühne bringt. Obwohl sie die Texte kaum noch verstehen: Auch viele junge Istanbuler gehören zur Fangemeinde! Obwohl es manchmal wie ein Kampf gegen Windmühlen wirkt. Obwohl die jüdische Gemeinde am Bosporus weiter von Jahr zu Jahr schrumpft. Und obwohl vom türkischen Staat keine Hilfe zu erwarten ist. Karen Gerson gibt nicht auf.
"Als ich dieses Zentrum eröffnet habe, hatte ich den Wunsch, damit unter den Schirm einer hiesigen Universität zu gelangen. Gerade die Türkei müsste eigentlich eine Universität haben, die jüdische Studien anbietet. Immerhin waren die Juden ein wichtiges Element im Osmanischen Reich. Aber es gibt hier so etwas nicht."
Und so ist das Zentrum auf den guten Willen der jüdischen Gemeinde von Istanbul angewiesen. Doch die, weiß Gerson, hat gerade in Zeiten von internationalen Wirtschaftskrisen, oft andere Sorgen.
"Natürlich haben da lebenswichtige Dinge Priorität. Spenden gehen an Krankenhäuser, an jüdische Schulen, an Altenheime. Behinderte, Obdachlose oder Arme bekommen natürlich zuerst Hilfe. Kultur steht da leider oft an letzter Stelle."
Und so ist der Versuch, die jahrhundertealte Sprache zu erhalten, zum Rennen gegen die Zeit geworden.
"Wenn unsere Generation stirbt, dann wird es nur noch diese Dokumente geben. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Ladino jemals wieder als echte Alltagssprache genutzt wird. So schön es auch wäre, das ist vorbei. Was wir noch tun können, ist deswegen sammeln und dokumentieren. Die nächste Generation wird dann damit tun, was immer sie will."
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