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Vom bescheidenen Anfang zum Welterfolg

Die ersten Verlagsbuchhändler trafen sich schon im 15. Jahrhundert in Frankfurt. Doch im 17. Jahrhundert lief Leipzig der Stadt am Main den Rang ab. Erst im geteilten Deutschland konnte sich Frankfurt wieder mit einem Schlag als der westdeutsche Messeplatz etablieren.

Von Ruth Fühner |
    Churchills Memoiren sind der Renner der ersten westdeutschen Buchmesse 1949 in Frankfurt. Überhaupt lesen sich die Auftragslisten der Buchhändler wie eine mustergültige Einübung in die noch junge Umerziehungsdemokratie. Emigrantenliteratur - von Thomas Mann oder Hermann Hesse - wird ebenso massenhaft geordert wie Erich Kästners "Konferenz der Tiere". 8400 Titel wetteifern um Aufmerksamkeit, 205 westdeutsche Verlage drängen sich vom 18. bis 23. September in den Rotunden der Paulskirche, viel mehr, als die Veranstalter erwartet haben. Auch das schlichte, von rohen Holzkojen geprägte Gesicht der Messe gilt der Frankfurter Rundschau als Zeichen demokratischen Neubeginns:

    "Auch sollte der Stärkere nicht von vornherein den Schwächeren an die Wand drücken, so einigte man sich auf die salomonische Harmonie normierter Stände, die sich rings um die Wandelhallen ordnen."

    Scharfe Augen allerdings registrieren, dass große Verlage wie Suhrkamp sich schon in die Nischen des Kirchen-Rundbaus hinein ausbreiten - manche sind eben doch gleicher als andere. Gedrängel herrscht auch bei der feierlichen Eröffnung – allein 14 Redner stehen auf der Liste:

    "Fritz Usinger als Autor versenkte sich in die Geheimnisse des dichterischen Geistes, während Eugen Kogon in blendenden Formulierungen den Schöpfungsprozess eines schriftstellerischen Werkes schilderte ... Herr Horst Pomerening sprach über die selten enttäuschende Freundschaft mit Büchern, und Herr Joseph Kunz über die besondere Rolle des Buches seit der Auflösung organischer Gemeinschaften."

    Doch natürlich geht es nicht nur - im zeittypisch wolkigen Ton - um Hochgeistiges. Im Jahr eins nach der Währungsreform investieren die Deutschen ihr Geld lieber in Sonntagsbraten und feste Schuhe als in Bücher. Die gibt es schließlich auch – fast umsonst und beinah überall - in der Leihbibliothek. So sucht der Buchhandel verzweifelt nach Wegen, das Geschäft anzukurbeln. Und Heinrich Maria Ledig-Rowohlt hat gerade die ersten der legendären Rotationsromane auf Zeitungspapier vorgelegt.

    "Ich gehe von der Voraussetzung aus, dass es wichtig ist, neue Leserkreise durch billige Bücher zu gewinnen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass, wenn ein neuer Leser gewonnen ist durch ein billiges Buch, er auch langsam aber sicher dazu übergeht, sich Bücher, die nicht in billigen Ausgaben zu haben sind, zu kaufen. Wir wollen Autoren aus aller Welt bringen, und zwar Hemingway, Hamsun, Balzac ... "

    Nur dass kein einziges dieser Bücher in der Paulskirche zu sehen ist. Pikanterweise hält zwar Ernst Rowohlt eine der Eröffnungsreden – aber er hat es vorgezogen, nicht die Frankfurter Buchmesse zu beschicken, sondern ihre beinah gleichzeitig stattfindenden Konkurrentinnen in Hamburg und Stuttgart. Ihnen hat auch der Börsenverein zunächst den Vorzug gegeben.

    Das ändert sich mit dem Erfolg der Frankfurter Veranstalter. Die Buchhändler Heinrich Cobet, Alfred Grade und Wilhelm Müller sind selbst überrascht, dass bei den Verlagen Aufträge für zweieinhalb Millionen Mark eingehen. Und sie haben schon Kontakte geknüpft zu französischen und schweizerischen Verlagen – Grundstock für die künftige Internationalisierung.

    So hat sich Frankfurt mit einem Schlag als der westdeutsche Messeplatz neben Leipzig etabliert. Entsprechend spitz der Kommentar im ostdeutschen Börsenblatt. Über den Verlag der Churchill-Memoiren heißt es dort:

    "Geradezu problematisch wird die Konzession an den Publikumsgeschmack bei der Produktion des Toth-Verlages, Hamburg. Er trifft die Sensationsgier des Publikums mit Bestsellern typisch amerikanischer Prägung. In konsequenter Durchführung dieser Linie endet die bedingungslose Kapitulation vor dem Leser dann in ganzen Serien von Texas Bill."

    Aber nicht nur in Leipzig warnt man vor einer "Verflachung zum bloßen Handel mit Büchern". Auch den Frankfurtern ist klar, dass etwas Entscheidendes fehlt, wenn das Buch allein als Ware präsentiert wird. Schon im nächsten Jahr setzen sie mit der Verleihung des ersten Friedenspreises an den Emigranten Max Tau ein Zeichen: es soll nicht nur um Kommerz gehen, sondern auch um ein geistiges Profil, um internationale Verständigung. Da zählt die Messe schon doppelt so viel, nämlich über 400 Verlage aus sieben Ländern. Dem damaligen Urteil der Wochenzeitung "DIE ZEIT" ist auch im Herbst 2009 nichts hinzuzufügen, wenn mehr als 7000 Aussteller aus über 100 Ländern erwartet werden:

    "Was Größe der Ausstellung und Zahl der Verleger und den internationalen Charakter betrifft, hat die Frankfurter Buchmesse zur Zeit in Europa keine Parallele."