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Vom Blindenwohnheim zum Studentenwohnheim

Behindertenförderung mal andersrum: Wo andernorts Studentenwohnheime behindertengerecht umgebaut werden, renoviert der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund für das Münchner Studentenwerk ein Wohnheim. Und löst damit gleich eine Reihe von Problemen.

Von Birgit Fenzel |
    Der Münchner Wohnungsmarkt hat sich zwar mittlerweile etwas entspannt, doch ist es immer noch nicht ganz einfach, eine günstige Studentenbude zu finden. Umso begeisterter war das Studentenwerk München, als es von gänzlich unerwarteter Seite eine ungewöhnliche Immobilie angeboten bekam. Der bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund suchte für ein altes Blindenwohnheim einen neuen Mieter. In den 50er Jahren erbaut, diente das Haus lange Jahre Menschen mit optischem Handicap als erste Anlaufstelle für ein eigenständiges Leben. Doch mit den Jahren wurde das Wohnheim immer weniger genutzt, weil sehbehinderte oder blinde Menschen andere Wohnformen fanden und vorzogen. Der alte Kasten an der Lothstraße wurde zunehmend zum Klotz am Bein für den Verband, sagt Christian Seuss, Landesgeschäftsführer des bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes.

    " Es war dann die Frage, sollen wir das, können wir das modernisieren oder neu bauen, was passiert damit? Und die Situation war aber so, dass wir erstens mit der Finanzierung Probleme hatten - es gab keine öffentlichen Zuschüsse - man wollte eigentlich auch von Seiten der öffentlichen Hand ein Blindenwohnheim, ein Behindertenghetto - wie man gesagt hat - eigentlich nicht mehr haben."

    Wirtschaftlich war das Wohnheim so nicht mehr zu betreiben. Eine Modernisierung oder ein Neubau war finanziell nicht drin. Trotzdem wollte man den Standort gerne erhalten, denn unterm Dach des alten Wohnheims befindet sich die Bayerische Blindenhörbücherei, für die man sonst neue Räume hätte finden müssen.

    " Und nachdem die bayerische Blindenhörbücherei mindestens noch über einen Zeitraum von 15 Jahren gebraucht wird, haben wir uns entschlossen eine neue Nutzung zu suchen."

    Wer suchet, der findet - in diesem Fall das Studentenwerk München.
    Denn dort ist man eigentlich immer auf der Suche nach studentenkompatiblen Immobilien. Doch fand Geschäftsführer Armin Rosch den Zustand des alten Kastens an der Lothstraße auf den ersten Blick nicht gerade umwerfend:

    " Wir müssen ja immer berücksichtigen, dass die Studierenden, wenn sie in ein Wohnheim ziehen, einen gewissen Anspruch erheben. Und es war notwendig, dass wir uns das Wohnheim von der Bausubstanz und Anordnung angesehen haben und da hat sich herausgestellt, dass das Verhältnis sanitärer Anlagen zu Wohnheimplätzen doch etwas ungünstig war."

    Etagenklo und Gemeinschaftsdusche könne man heutzutage wirklich keinem Mieter mehr zumuten, sagt der Studentenwerkschef. Trotzdem wollte er diese Immobilie schon sehr gern haben.

    " Denn dieses Wohnheim befindet sich auf dem Campus der FH, das heißt hier ist eine direkte Anbindung an das Stammgelände der FH möglich."

    Allerdings rücken jetzt erst einmal die Baukolonnen an und bringen den 50er-Jahre-Bau auf Vordermann. Wände werden herausgerissen und neu gebaut, Kabel verlegt und Rohre gezogen. Zum nächsten Wintersemester soll es hier 60 Wohnheimplätze geben, wobei sich je vier eine Sanitäranlage teilen. Ein heutzutage für Studentenwohnheime durchaus üblicher Proporz, sagt Rosch.

    Die Kosten für die Baumaßnahmen übernimmt der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund. Veranschlagt wird das Ganze etwa in Höhe von sieben bis achthunderttausend Euro. Dieser Betrag soll über die Miete durch das Studentenwerk wieder im Lauf der Jahre weitgehend refinanziert werden.

    Zum 1. August will der Blindenbund das Haus an seinen neuen Mieter übergeben. Allerdings ist zuvor noch eine Hürde zu nehmen. Weil der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund nicht der Eigentümer des Hauses ist, sondern bloß vom Freistaat Bayern erbbauberechtigt, muss bei einer Umnutzung des Hauses vom Blinden- zum Studentenwohnheim eine Nutzungsänderung beantragt und behördlicherseits abgesegnet werden. Der vorzeitige Baubeginn birgt also ein gewisses finanzielles Risiko - das ist Christian Seuss völlig klar. Doch ist der Geschäftsführer des Blindenbundes zuversichtlich, dass seine Rechnung aufgeht.

    " Wir hätten es nicht getan, wenn wir signalisiert bekommen hätten, dass es Widerstände gibt. Wir wissen, die FH befürwortet das Projekt - lindert ja die Wohnungsnot der eigenen Studenten - der Freistaat Bayern trägt das mit, der örtliche Bezirksausschussvorsitzende, mit dem wir auch gesprochen haben - findet das gut. Es kann unter menschlichen Ermessen keinen Grund geben, uns hier Steine in den Weg zu legen."

    Wenn tatsächlich alles gut geht, dann können zum Wintersemester 2007/2008 die ersten Studierenden das neue Wohnheim beziehen. Blindenbund und Studentenwerk dürfen mit ihrem Projekt also ganz zufrieden sein. Schließlich haben sie eine Lösung für gleich mehrere Probleme gefunden: Die Blindenhörbücherei bleibt vor Ort erhalten, sie haben weiteren Wohnraum für Studierende geschaffen und dabei ein Modellprojekt aus der Wiege gehoben, das in Deutschland einzigartig ist. Und wohl auch nicht viele Nachahmer finden wird - denn so viele alte Wohnheime wie das an der Lothstraße gibt es dann wohl auch nicht.