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Vom Bohren dicker Bretter

Für Europas Studierende sollen die Ländergrenzen fallen. Sie sollen sich nach dem Willen der europäischen Bildungspolitiker ab 2010 hindernisfrei in den Hochschulen zwischen Helsinki und Neapel, zwischen Prag und Porto bewegen können - und zwar innerhalb eines einheitlichen Systems neuer und hochwertiger Bachelor- und Masterstudiengänge. Angestoßen wurde die ehrgeizige Reform vor fünf Jahren im italienischen Bologna. Seinen Zielen sind mittlerweile 40 Staaten verpflichtet. In Deutschland wird die Umsetzung nicht nur von Bundesbildungsministerin Bulmahn voran getrieben, sondern auch von der Kultusministerin Schleswig-Holsteins, Ute Erdsiek-Rave. Als Beauftrage des Bundesrates vertritt sie die Interessen der Länder.

Von Jasper Barenberg |
    Deutschland galt ja immer so ein bisschen als Nachzügler in diesem Prozess. Und da haben wir doch gewaltig aufgeholt. Und ich sehe mich in diesem Prozess doch so ein bisschen als Motor.

    Ute Erdsiek-Rave weiß, dass noch dicke Bretter zu bohren sind, bis in Deutschland international vergleichbare zweistufige Studiengänge mit Bachelor- und Masterabschluss die Regel sein werden. Jeden Schritt in diese Richtung muss die Kieler Ministerin zuvor mit den Kollegen in den anderen Ländern abstimmen. Ein mühsamer Weg.

    Man muss einfach feststellen, dass das deutsche Bildungssystem insgesamt etwas sehr beharrendes hat. Das zeichnet ja die Deutschen vielleicht ohnehin aus in Bezug auf ihre Systeme und die Veränderungsbereitschaft.

    Was die Umsetzung angeht, ist Deutschland von den gesteckten Zielen tatsächlich noch weit entfernt. Zwar gibt es mittlerweile fast zwei Tausend Bachelor- und Masterstudiengänge. Sie erreichen aber gerade einmal sechs Prozent der Studierenden. Ute Erdsiek-Rave führt das auf den großen Aufwand zurück, der an den Hochschulen nötig ist, um Studiengänge von Grund auf neu zu entwerfen und bei einer unabhängigen Agentur akkreditieren zu lassen.

    Wenn man die Studienrichtungen sich anschaut, scheint es doch einfacher zu sein, im Bereich von Wirtschaftswissenschaften und technischen Studiengängen anzufangen mit der Umstrukturierung. Die Geisteswissenschaften tun sich noch schwerer, aber ich denke mal, die einen werden die Vorreiter machen, so ist es auch in Schleswig-Holstein, und die anderen werden und müssen ja auch nachziehen.

    Gerade in diesem Punkt erwartet die Kieler Ministerin mehr Bewegung in den nächsten Jahren. Nicht nur, weil die Ziele verbindlich vereinbart wurden. Sondern vor allem, weil die schlechten Werte etwa der PISA-Studie den Hochschulen Beine machen. Und weil diese die internationale Konkurrenz sehr viel stärker wahrnehmen als früher.

    Und wenn man in dieser Konkurrenz bestehen will und im Wettbewerb um gute Studierende und um gute Lehrende, dann muss man sich diesen Strukturen einfach anpassen. Sonst kommen die nicht aus dem Ausland nach Deutschland, wenn sie es plötzlich mit Diplomstudiengang-Strukturen zu tun haben, wenn sie mit ihren Credit-Points aus anderen Studien nichts anfangen können - wenn die Vergleichbarkeit einfach nicht gegeben ist.

    Bis dahin scheint es noch ein weiter Weg. Kritiker aus den Reihen der Bildungsexperten werfen den Hochschulen mangelnden Mut vor. Anstatt Studiengänge von überflüssigem Spezialwissen zu entrümpeln und lieb gewonnene Veranstaltungen zu streichen, würde allzu oft alter Wein in neue Schläuche gefüllt und Magister- oder Diplomstudiengänge einfach um zwei Semester gekürzt und in Bachelor umbenannt. Deshalb begrüßt auch Ute Erdsiek-Rave, dass sich Hochschulen seit einiger Zeit bei der Akkreditierung an strengeren Qualitätskriterien orientieren müssen.

    Es kann ja nicht nur um eine formale Vergleichbarkeit im europäischen Rahmen gehen - also, dass man ein formales System von Zweistufigkeit der Abschüsse und ein Punktesystem einführt, sondern es muss natürlich auch inhaltlich vergleichbar sein. Also ein Bachelor-Studiengang in Sachen Wirtschaftswissenschaften oder an Kunsthochschulen muss natürlich innerhalb Deutschlands mindestens vergleichbare Strukturen und Kriterien erfüllen. Und deswegen muss man, glaube ich, auf zentrale Akkreditierung und auch Vorgaben und Kriterien sehr genau achten.

    Erst dann werden wohl auch der öffentliche Dienst und die Wirtschaft stärker als bislang an Absolventen der neuen Studiengänge interessiert sein. Im Moment sind vor allem Unternehmen unzufrieden mit dem Verlauf der Reform. Diese Vorbehalte führt Ute Erdsiek-Rave vor allem auf mangelnde Kenntnis in den Unternehmen zurück.

    Diese Akzeptanz, auch die Berufsbefähigung des ersten Abschlusses des Bachelor auch anzuerkennen und Berufsbilder eben zu entwickeln, die dem entsprechen - da ist der Weg noch ein Stück zu gehen.

    Eine breit gebildete, auslandserfahrene, mehrsprachige und sozial kompetente Persönlichkeit - so wünscht sich auch Ute Erdsiek-Rave künftige Absolventen in einem geeinten europäischen Hochschulraum. Und bei allen Hürden, die noch zu überwinden sind - die Kultusministerin von Schleswig-Holstein bewahrt sich ihren Optimismus. Vor allem, wenn sie an den Startschuss des Projekts 1999 in Bologna zurückdenkt.

    Wenn man sieht, dass das ja eigentlich erst vier, fünf Jahr her ist, dann hat dieser Prozess doch an Dynamik gewaltig zugenommen.