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Vom Bosporus zum Studium in die Pfalz

Übersetzungen türkischer Literatur ins Deutsche und deutscher Texte ins Türkische, Dolmetscherdienste in Istanbul für deutsche Geschäftsleute oder Studierende: Sprach- und Kulturvermittlung aller Art werden die türkischen Muttersprachler international anbieten, wenn sie den Masterstudiengang "Sprache, Kultur, Translation" abgeschlossen haben. Nach Ansicht von Koordinatorin Dr. Sebnem Bahadir wird damit endlich eine Lücke geschlossen.

Von Ludger Fittkau |
    Gewöhnungsbedürftig ist der Campus der Uni Mainz in der pfälzischen 20.000-Einwohnerstadt Germersheim am Rhein schon für Arev Bahaban aus Istanbul. Obwohl 2400 Studierende das umgebauten Militärareal der alten Festungsstadt zur weltweit größten Ausbildungsstätte für Übersetzen und Dolmetschen machen, war Arev Bahaban die beschauliche Lernatmosphäre zunächst fremd:

    "Es war winzigklein. Einerseits ist es natürlich ein bisschen langweilig, für eine Großstädterin wie mich, aber andererseits ist es gut, weil man sich gut auf das Studium konzentrieren kann."

    Arev Babahan hat ein konkretes Ziel. Sie will nach dem Masterabschuss in ihrer Heimatstadt Istanbul ein Übersetzungsbüro eröffnen. Deutschen Austausch-Studierenden, Diplomaten oder Geschäftsleuten will sie in der türkischen Metropole ihre Sprach- und Kulturkompetenz anbieten. Koordinatorin des neuen Studiengangs ist die Deutsch-Türkin Dr. Sebnem Bahadir. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für kulturelle Kommunikation auf dem Campus Germersheim der Uni Mainz. Für sie sind Studierende wie Arev Bahaban enorm wichtig für den Erfolg des neuen Studiengangs. Denn sie garantieren einen fortwährenden Kulturaustausch zwischen Deutschland und der Türkei:

    "Und ich hoffe wirklich, dass diese Zusammensetzung auch bewahrt werden kann. Dass immer wieder aus der Türkei Studierende kommen und Studierende, die in Deutschland aufgewachsen sind, gemeinsam an diesem Projekt arbeiten können, weil ich glaube, sie lernen viel voneinander. Wenigstens das konnte ich in meinem Übersetzungs- und Lektoratsunterricht sehr gut beobachten."

    Emel Erdem ist nicht in der Türkei aufgewachsen, sondern im schwäbischen Böblingen. Mit ihrem Studium in Germersheim will sie jedoch dazu beitragen, der türkischen Sprache in Deutschland mehr Anerkennung zu verschaffen.

    "Türkisch ist nach Deutsch die in Deutschland am meisten gesprochene Sprache. Wir haben 2,5 Millionen Türken, die in Deutschland leben und in Europa circa 5 Millionen. Ich wünschte mir, dass Türkisch ernster genommen wird, als Sprache. Und das Türkisch an Prestige gewinnt endlich mal. So wie Englisch und Französisch."

    Soziales Engagement ist ein weiteres Motiv für Emel Erdem, den neuen Masterstudiengang "Sprache, Kultur, Translation" zu belegen. Sie kann sich gut vorstellen, nach dem Studium Dolmetscherdienste in Krankenhäusern oder Altenheimen zu leisten. Gute Berufschancen für die Absolventen des neuen Studiengangs sieht Koordinatorin Sebnem Bahadir auch in anderen Feldern des Dolmetschens. Vom Übersetzen bei Tagungen über das Lektorieren literarischer und fachwissenschaftlicher Texte bis hin zu Gebrauchsanweisungen und zweisprachigen Homepages - der Bedarf an qualifizierten Übersetzungsarbeiten wachse, so Sebnem Bahadir:

    "In Deutschland hat man seit 40 Jahren den Eindruck, es gibt Türkisch überall. Und fast jeder Zweite spricht auf der Straße Türkisch und kann doch irgendwie eingesetzt werden als eine Fachkraft für Türkisch. Aber das hat sich Gott sei Dank nicht bewahrheitet. Und jetzt wollen wir produktiv zeigen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, es kann besser werden. Wir können Qualität produzieren für dieses Sprachenpaar. Das ist unsere Message, damit drängen wir in diese gesellschaftlichen Bereiche. Andererseits möchten wir aber auch sagen, ja, das Potenzial liegt vor der Haustüre, aber die Bi-Kulturalität muss gepflegt und ausgebildet werden. Natürliche Dolmetscher und Übersetzer fallen noch nicht vom Himmel."

    Wie sie sich gelungene deutsch-türkische Kulturvermittlung vorstellt, zeigt Sebnem Bahadir am Beispiel eines Buches, das im letzten Jahr in Germersheim in Kooperation mit dem Studiengang Kommunikationsdesign der Fachhochschule Wiesbaden entstand. Es trägt den Titel "Kültür Alakart" und ist ein perfekt gestaltetes deutsch-türkisches Kochbuch mit türkischen Speisen und Texten von Autoren wie Feridun Zaimoglu oder Mario Levi sowie Politikern wie Cem Özdemir.

    Projekte solcher Art und neue Freundschaften sind es, die die Istanbulerin Arev Babahan noch zögern lassen, nach Semesterende das Flugticket für den Osterurlaub in Istanbul zu kaufen:

    "Ich gewöhne mich hier. Germersheim ist vielleicht klein, aber man hat viel zu machen, nicht nur während des Studiums, sondern auch nebensächlich gibt es andere Sachen. Und deshalb kann man auch Spaß haben, wenn man Augen hat, die bereit sind, das Glück zu finden."