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Vom Braunkohletagebau zur Badelandschaft

Riesige Abraumbagger, geschundenes Brachland und Kohlestaub - so sah die mitteldeutsche Industrieregion um Bitterfeld vor etwa 20 Jahren aus. Heute hat sich die einstige Industriebrache in eine große Seenlandschaft mit Ausflugs- und Erholungsmöglichkeiten verwandelt. Auch ein Naturschutzgebiet ist in der Goitzsche entstanden.

Von Thomas Stein |
    So klang es bis vor 18 Jahren in den Ohren der Menschen in Bitterfeld und der Umgebung. Riesige Abraumbagger schnitten unmittelbar bis an den Rand der städtischen Bebauung tief in die Erde, förderten Sand, Gestein und nicht zuletzt Braunkohle zutage. Bei ungünstigem Wind legten sich Kohlestaub, Flugsand und Erde auf Dächer und Fassaden von Häusern, bildeten einen schmierigen Film auf den Straßen. Manchmal spielte sich das alles im Dunklen ab; im schlimmsten Fall fuhren die Autos auch bei Tage mit Licht, weil im schwarz-braunen Dunst kaum noch etwas zu erkennen war.

    Die Zerstörung ganzer Landstriche galt in den sozialistischen Staaten gleichsam als heldenhafter Opfertod der Natur für das hehre Ziel des sozialistischen Aufbaus. Heute klingt es völlig anders unweit von Bitterfeld:

    Das ehemalige Abbaugebiet der Braunkohle in Bitterfeld nennt sich Goitzsche. Der Name leitet sich wahrscheinlich aus einer germanischen Stammessprache ab und bedeutet so viel wie "Gottes Aue". Er verweist auf den Urzustand dieser Region im mitteldeutschen Trockengebiet, das seinen klimatischen Zustand der Lage im Regenschatten des Harzes verdankt. Auwald und die Flüsse Mulde, Lober und Leine bestimmten das Bild der Landschaft.

    Großflächig begann der Aufschluss für den Tagebau in der Frühzeit der DDR. An deren sollten Ende nahezu 60 Quadratkilometer die Landschaft zerstört worden sein. Die Flüsse wurden alle weiträumig verlegt.

    Was nach Wende und Wiedervereinigung geschah, kann wohl nur ermessen, wer die Goitzsche noch vorher erlebt hat. Zielstrebig und mit einer großen Portion Glück gelang die Umgestaltung der Mondlandschaft in eine Seen- und Erholungslandschaft. Heute gibt es allein 25 Quadratkilometer Wasserfläche mit einer Hafenanlage und zwei Marinas sowie ein Naturschutzgebiet von zunächst 1300 Hektar Größe. Von der Wasserfläche sind derzeit 14 Quadratkilometer für die Benutzung von Schiffen und Sportbooten freigegeben:

    Mit diesem Signal kündigt Skipper Ingo Otto das Einlaufen seines eigenwilligen Seglers mit dem Aussehen eines Piratenschiffes über die Backbordseite in die Marina an. An Bord mehrere dutzend Passagiere, die sich bei einer Fahrt von anderthalb Stunden prächtig amüsiert haben.

    Meistens sind es Firmen, die das Schiff, einen Zweimastsegler, chartern oder eine ganze Anzahl von Tickets für ihre Mitarbeiter bestellt haben. Das Schiff ist nach dem Hauptsponsor, einer Leipziger Brauerei, benannt. Ingo Otto fand das holländische Plattbodenschiff über einen Makler und holte es aus Heikendorf bei Kiel teils auf Wasserstraßen, teils aber auch mit einem Landtransport nach Bitterfeld. Auf der Goitzsche fährt es meistens mit einer kleinen Takelung aus großem Innenklüver vorn und Besansegel achtern sowie mit Unterstützung des Diesels. Beim Einholen des Besansegels packen dann neben dem Bootsmann auch zwei kräftige Passagiere mit an.

    Ab Windstärke vier beziehungsweise drei Stunden Fahrt lohnt sich das Fahren unter Vollbesegelung. Der Skipper in der verwegenen Piratenkleidung - verschossener grünlicher Dreispitz, abgewetzter brauner Uniformrock, weites Hemd, schwarz-weiß gestreifte Hose in kurzen Stulpenstiefeln - erklärt seinen Passagieren die für den Bootsverkehr freigegebenen Teile der Goitzsche:

    "Diese 14 Quadratkilometer teilen sich in drei Teilseen, ich sagte es schon, Döberner See, Niemegker See, Bernsteinsee, wobei der größte der drei Teilseen der Niemegker ist, auf dem wir uns jetzt gerade befinden. Niemegker See, die Bezeichnung kommt natürlich daher, dass hier früher mal die Ortschaft Niemegk stand, in Döbern die Ortschaft Döbern und im Bernsteinsee natürlich nicht die Ortschaft Bernstein. Sondern da wurde bei der Auskohlung dieses Reviers Bernstein entdeckt. Man hat hier Bernstein industriell abgebaut, das heißt also, man spricht von 408 Tonnen Bernstein, der in diesem Bereich der Goitzsche entnommen wurde, und natürlich der größte Teil an den Ostseeschmuck gegangen ist. Die Damen werden's wissen, Ribnitz-Dammgarten war unsere Produktionsstätte für Ostseeschmuck mit Bernstein. Dort ist der größte Teil hingegangen. Ein gewisser Teil wurde natürlich verwendet, ein kleinerer Teil, um der DDR ein paar Devisen zu erwirtschaften und ein ganz kleiner Teil wurde der ehemaligen Sowjetunion gespendet um, na ... "

    " Das Bernsteinzimmer!"

    "Genau, um das Bernsteinzimmer in Petersburg wieder zu errichten."

    Die Ufer der Goitzscheseen weisen eine deutlich gegliederte Struktur auf: Im Nordwesten der Bitterfelder Hafen mir Promenade, daran nördlich und östlich anschließend ein entweder noch nicht oder nur als Parkplatz genutzter Streifen, einsam mittendrin die sogenannte Bersteinvilla, ein im Stil der Neorenaissance restauriertes Gebäude von 1883, das heute ein gutes Restaurant mit Apartments beherbergt; noch weiter östlich dann die beiden Seglerhäfen, dazwischen der markante Pegelturm, zu dem allerdings seit dem Sturm Kyrill im Januar 2007 der Zugang über einen Steg fehlt. Es schließen sich eine Ferienhaussiedlung im dänischen Stil sowie die künstlich angelegte Halbinsel Pouch an. Weiter östlich die Bäreninsel und die sogenannte Tonhalde. Auch darüber klärt der Skipper Ingo Otto seine Fahrgäste auf:

    "Wir haben jetzt hier genau voraus die Bäreninsel. Die Bäreninsel und daran anschließend rechts die Tonhalde. Dieses ist ein ausgewiesenes Naturschutzgebiet. Es ist auch umtonnt. Sie sehen also hier vorne so eine Sperrtonnenreihe, so dass dort das Befahren mit Sportbooten und auch für uns als Berufsschiffer nicht gestattet ist. Die Halbinsel Pouch, die wir genau querab auf unserer Backbordseite haben, auf unserer linken Seite, ist ja eine künstlich geschaffene Halbinsel. Diese künstlich geschaffene Halbinsel wurde hier errichtet vor der Flutung des Tagebaus, um hier ein kulturelles und künstlerisches Zentrum zu schaffen. Man hat also hier mehreren Künstlern ihren freien Lauf gelassen. Das ist schön zu sehen an der Front, die wir jetzt gerade befahren, diese Hügel und Kegel. Viele denken immer, das ist ein Überbleibsel aus der Braunkohleförderung beziehungsweise sind einfach hingeschüttete Sandhaufen. Nein, dort haben sich Künstler ausgelassen und haben diese Hügel und Kegel als Naturkunstwerke geschaffen, um unseren späteren Generationen, unseren Kindern und Kindeskindern, zu zeigen, dass hier früher mal Braunkohle existierte, weil diese Hügel und Kegel in Form von Abraumhalden sind ja ein Symbol für den Braunkohleabbau im Tagebau."

    Größte Attraktion auf der Halbinsel Pouch ist die sogenannte Agora, ein Amphitheater mit gut 2000 Plätzen. Genutzt wird sie unter anderem für Konzerte von Rockbands oder für Musikveranstaltungen lokaler oder regionaler Rundfunksender. Die Agora bietet weit und breit den einzigen halbwegs windgeschützten Platz, um Lutz Bernhard, dem Geschäftsführer der Entwicklungs-, Betreiber- und Verwertungsgesellschaft Goitzsche die Frage nach seinem Vermarktungskonzept für die als Gesamtkunstwerk angelegte Halbinsel Pouch zu stellen:

    "Das Ganze ist ja praktisch unter der Landschaftskunst Goitzsche seinerzeit bei der Expo 2000 kreiert worden. Und wir möchten das Ganze natürlich weiter führen. Wir möchten natürlich diese Halbinsel, die ja Teil der sogenannten "Gartenträume" in Sachsen-Anhalt ist, das heißt ein Garten von 40 Gärten, allerdings den neuen Charakter eines Gartens zeigt und etwas Außergewöhnliches. Den möchten wir praktisch den Menschen rüberbringen. Wir möchten Veranstaltungen und entsprechende Dinge hier auf der Halbinsel machen lassen und da finden jedes Jahr Riesenveranstaltungen statt. Wir hatten im vorigen Jahr auf der Halbinsel insgesamt vielleicht 80.000 bis 85.000 Besucher und das ist für uns relativ viel."

    Dieses Konzept, das auf Masse setzt und dessen Umsetzung zumindest gelegentlich mit Lärm verbunden ist, wird natürlich keineswegs von allen mitgetragen. Wohl aber von dem Mann, der die Umwandlung der Goitzsche maßgeblich vorangetrieben hat, Werner Rauball. Der gebürtige Westfale wurde nach der Wende zum Bürgermeister von Bitterfeld gewählt, war nach der Fusion von Bitterfeld mit der wesentlich größeren Stadt Wolfen erster Beigeordneter und ist gerade erst vor kurzem aus dem Amt geschieden. Er erkannte beizeiten die Chancen, die sich für die Region Bitterfeld als Referenzstandort der Expo 2000 in Hannover auftaten. Ohne die Gelder, die aus diesem Projekt flossen, gäbe es die Goitzsche in der jetzt bestehenden Form nicht. Soweit es die überregionale Akzeptanz der Goitzsche bei den Wassersportlern betrifft, ist Werner Rauball außerordentlich zufrieden:

    "Wir haben hier tatsächlich schon erste Boote von Leipzigern oder von Hallensern auf der Goitzsche, wir haben auch schon erste Boote von Berlinern hier auf der Goitzsche. Wir merken, dass die Nachfrage einfach da ist und wir versuchen natürlich, so schnell wie möglich diese Nachfrage zu erfüllen. Letztes Jahr haben wir mit Hilfe des Landes dann jetzt auch eine Slipanlage einrichten können, einen Kran, der die Boote ein- und ausbringen kann, also insofern werden wir immer etwas professioneller, ohne dass ich sagen muss, dass wir schon so weit sind. Wir haben immer noch viel zu tun in dem Bereich. Wir möchten noch viel mehr machen und insbesondere, wir haben zurzeit jetzt erstmal eine Anlage von knapp hundert Liegeplätzen. Der Professor, der das Ganze untersucht hat, redet von einer Kapazität bis zu tausend. Das heißt also, wir können hier noch so viel mehr machen und wir werden auch noch viel mehr machen."

    Was fehlt rund um die Seen der Goitzsche ist eine ausreichende Zahl von Übernachtungsmöglichkeiten. Zwar stehen immer mehr Betten zur Verfügung, aber für eine noch stärkere Nutzung reicht es bis jetzt nicht. Ähnliches gilt für die Gastronomie. Wenn man nicht nur Touristen für laute Events auf der Halbinsel Pouch haben möchte, die am Ende vor allem leere Pappbecher zurücklassen, muss das Angebot quantitativ und vor allem auch qualitativ noch deutlich besser werden.

    Erst allmählich interessieren sich Betreiber von Hotels mit mehr als drei Sternen für Bitterfeld. Bis sie ihre Anlagen in Betrieb nehmen können, wird noch einiges Wasser die nahegelegene Mulde hinunterfließen. In der Zwischenzeit entdecken immer mehr Privat- und Geschäftsleute die Möglichkeit, mit Übernachtungen von Kurzurlaubern Geld zu verdienen. So wie Heidi Dehne, die vor 14 Jahren nach Bitterfeld kam und im benachbarten idyllischen Ort Mühlbeck vor über zehn Jahren das erste Buchdorf in Deutschland ins Leben rief. In Mühlbeck, einem beschaulichen Angerdorf, eingequetscht zwischen Muldestausee und Goitzsche mit einer engen Zufahrt von der Bundesstraße her existiert heute ein Dutzend Antiquariate und auch hier wollen Gäste untergebracht werden. Heidi Dehne hat neben ihrem Antiquariat und einem Café drei Apartments unterschiedlicher Größe ausgebaut - eines davon langgestreckt direkt unter dem Satteldach des Gebäudes:

    "Wir sind jetzt wirklich unter der Spitze des Satteldachs. Das hier ist die Oase, so benannt, weil wir einen durchlaufenden grünen Teppich haben und entsprechend ist das Ganze harmonisch auf grün ausgerichtet. Das ist ein Einraumapartment mit Schlafteil für zwei Personen plus Arbeitsbereich auch mit einem kleinen Schreibtisch plus Essbereich mit Küche und wie üblich ist ein Duschbad mit WC dabei. Und für den Notfall haben wir noch ein Nebengelass, von hier aus erreichbar für die dritte Person. Und im übrigen auf einem niedrigen, ein höheres hätte keinen Platz, auf einem niedrigen Bücherregal das, was hier natürlich dazu gehört: Bücher, damit sich niemand langweilt. Wir haben hier oben die Kopfstücke von einer Bibliothek abgeschnitten, weil das Regal zu hoch war und von diesen Rumpfköpfchen haben wir die Drempel rechts beziehungsweise links ausgestattet. Erstens sieht es ganz gut aus. Aber wenn man da ein Buch sucht, da hilft nur Knien."

    Die Goitzsche bietet nicht nur Wassersportlern reiche Betätigungsmöglichkeiten. Ideal ist das Gebiet auch zum Radfahren, Skaten und Wandern. Es gibt verschiedene Strecken ganz nach Wunsch und Kondition. Die Wege sind exzellent ausgebaut. Einmal um die Goitzsche herum sind es ohne Nebenwege rund 25 Kilometer. Und wer - selbst ausprobiert - morgens in Leipzig losradelt, einmal die Goitzsche umrundet und abends wieder in Leipzig ist, hat exakt 100 Kilometer auf dem Tageskilometerzähler des Fahrradcomputers stehen.

    Die Goitzsche ist als Tourismusgebiet zweigeteilt. Im nördlichen Teil Wassersport und an Land die eher volkstümlichen Vergnügungen. Im Süden aber die Faszination einer jungen, sich selbst entwickelnden Landschaft. Dort nämlich hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) 1300 Hektar der ehemaligen Braunkohletagebaue aufgekauft und daraus ein einmaliges Beispiel für die Regenerationsfähigkeit der Natur geschaffen. Das Plätschern des Wassers, das Rauschen von Schilf und der an der Goitzsche allgegenwärtige Wind geben hier den Ton an.

    Das große Naturschutzgebiet in der südlichen Goitzsche gäbe es ohne Heidrun Heidecke nicht. Sie hat für den BUND die Flächen angekauft, verwaltet und betreut sie mit ihrem Sohn und zahlreichen anderen ehrenamtlichen Helfern, führt voller Begeisterung Besucher durch das Gebiet und wenn sie erzählt, ist ihr der Stolz auf das, was sie und ihre Mitstreiter erreicht haben, deutlich anzumerken:

    " Die Goitzsche ist ein sehr reich strukturierter Lebensraum mittlerweile. Wir sehen ja, wir haben hier vor uns eine Flachwasserzone, in der sich innerhalb der letzten sechs Jahre bereits ein Schilfgürtel entwickelt hat. Schilf ist beispielsweise dann auch für andere Vögel sehr interessant. Sie bietet aber genauso auch für die Lurche einen Rückzugsraum. Wir haben vor uns liegen eine Insel, die sogenannte Tonhalde. Der Name sagt schon: Es ist dort Ton abgelagert worden, dem man eigentlich mal wieder verwenden wollte und über dem "Eigentlich" sind aber Bäume auf diesem Ton gewachsen. Wir haben es hier mit einem reinen Sukzessionswald, also einem Wald, der ganz von alleine gewachsen ist, es hat also kein Förster eine Pflanze gesteckt, zu tun. Das ist schon etwas Besonderes, weil im Normalfall, auch in der Bergbaufolgelandschaft der Förster oft nachgeholfen hat. Wir sehen auf der Spitze dieser Halbinsel, die dort hineinragt in den See, etwas Technisches. Das ist nicht vergessen worden zurückzubauen, das ist ein alter Strommast, auf dem ist extra ein Korb aufgebaut worden, um dem Fischadler Siedlungsmöglichkeit, Brutmöglichkeit zu schaffen, weil man damit am Muldestausee sehr gute Erfahrungen gemacht hat. Und mit Ausdauer - wer lange wartet hat dann Glück - dieses Jahr ist das erste Mal ein Fischadlerpärchen aufgetaucht. Und wenn man dann das Stück weiter nach links schaut, dann sieht man schon einen Teil des Bärenhofes, das ist also eine weitere Insel. Auch auf dieser gibt es noch einen Bereich mit altem Wald, und dort hat sich im Jahre 2003 der Seeadler bereits angesiedelt und brütet erfolgreich. Und wenn man an die Spitze dieser Halbinsel an der anderen Stelle schaut, da gibt es diese Abbruchkanten, hohe sandige Abbruchkanten. Da freut sich der Eisvogel, da freut sich die Uferschwalbe, die dort zuhause sind, weil sie dort ihre Brutröhren hineingraben können, so dass es hier ein extrem reiches Vogelleben gibt. Grundlage dieses Vogellebens sind dann natürlich auch die Dinge, die sie fressen, unter anderem auch Libellen. Wir haben hier, das haben wir auf dem Weg hierher gesehen, jede Menge Libellen, die jetzt gerade unterwegs sind. Zwei, drei sind Ihnen aufgefallen. Ich kann sagen, wir haben hier über vierzig Arten. Das ist mehr als die Hälfte, die normalerweise hier in Deutschland überhaupt nachweisbar sind."

    Heidrun Heidecke kennt sich aus. Sie ist studierte Biologin. Sie kennt aber auch die verwaltungstechnischen Kniffe, mit deren Hilfe es möglich ist, das Naturschutzgebiet einzurichten und zu unterhalten. Zu verdanken hat sie ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet nicht zuletzt ihrer Tätigkeit als Umweltministerin des Landes Sachsen-Anhalt von 1994 bis 1998. So weiß sie auch, was eine Naturwaldzelle ist, und selbstverständlich gibt es auch die in der südlichen Goitzsche:

    "Es ist eigentlich nichts anderes als ein Freilandlaboratorium. Wo haben wir sonst die Möglichkeit zu sehen, wie ein Wald vom Punkte Null beginnt zu wachsen? Im Normalfall ist zuerst der Förster da und steckt die Pflanzen. Und irgendwann entscheiden wir dann: Das ist ein schöner Wald, den stellen wir jetzt unter Schutz. Hier, sag ich immer im übertragenen Sinne, ist es eigentlich noch ein Wald im Embryonalstadium, denn der ist erst 20, 30 Jahre alt und das ist für einen Wald gar nichts."

    Wer den Tagebau Goitzsche noch in Aktion erlebt hat und das riesige Gebiet heute sieht, könnte versucht sein, doch ein bisschen an Wunder zu glauben. Die zerstörte Natur ist nicht wiedererstanden. Aber sie hat eine würdige Nachfolgerin gefunden. Mit einem Vergleich aus der menschlichen Natur begeistert sich Heidi Dehne, die Gründerin des Buchdorfs Mühlbeck für die neue Goitzsche:

    "Wie eine Mutter, die ein Kind kriegt, habe ich die Metamorphose des Wechsels erlebt. Ursprünglich war nichts außer Staub und Schmutz. Ich hab zwar die Kohle als schwarzes Element nicht mehr erlebt, habe aber die Bagger noch quietschen hören, die Ränder befestigt haben. Und, wir hatten schon unser Buchdorf in Aktion, ich gucke eines Nachmittags über den Dorfplatz Richtung Friedhof und sehe nur Gelb und habe gedacht, ich bin von der Sahara überweht worden und es war auch so. Das war also so ein Wind, der den Schmutz, vielmehr den Sand, aus der Grube ins Dorf getragen hat, und da hab ich versucht mir vorzustellen, das wäre jetzt Kohlenstaub. Das wäre dunkelschwarz gewesen. Inzwischen haben wir - und das war eins meine allerschönsten Erlebnisse - als das erste Wasser im Juli in den See lief, ich bin abends um halb zehn neben den Tropfen, die zuallererst darunter liefen, reingegangen. Ich hab auch kleine Bernsteinkrümelchen eingesammelt und hab gedacht: Das ist ein Glücksmoment, das kann man nicht gut nachempfinden. Das ist fast wie Kinderkriegen, weil das ja auch unwiederbringlich ist und ganz einmalig. Und dann hatten wir zwar die große Flut, die einerseits Kummer mit sich gebracht hat, aber wir in Sachsen-Anhalt haben keine Menschenleben zu beklagen, und da hat der liebe Gott aber auch ein Wunder vollbracht. Wir haben uns gestritten, wann der See denn wirklich voll werden würde, und da hat der liebe Gott gesagt: Ich bin es satt, jetzt ist er voll!"