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Vom Bundeskabinett in die Lokalpolitik

Bis 2001 war sie unter Gerhard Schröder Bundesgesundheitsministerin. Dann musste Andrea Fischer im Zuge der BSE-Krise zurücktreten. Jetzt will sie wieder Politik machen - und trifft dabei auch eine alte Parteifreundin wieder.

Von Günter Hellmich | 11.08.2011
    "Ich bin Spitzenkandidatin der Bündnisgrünen in Mitte für die Bezirksverordnetenversammlung. Das heißt auf jeden Fall werde ich in der Bezirksverordnetenversammlung sein. Und wenn ich ein solches Mandat bekomme, dann meine ich das auch ernst. Das heißt in den nächsten fünf Jahren werde ich auf jeden Fall ehrenamtlich Bezirkspolitik machen."

    Andrea Fischer erklärt ihre Karriereplanung auf einer Charlottenburger Caféterrasse. Sie wohnt hier um die Ecke. Gutbürgerliche Gründerzeitwohnungen. Der Lietzensee – rundherum kann man wunderbar laufen sagt die Bundesministerin a.D., "Beratung für Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft" steht jetzt auf ihrer Karte. Wenn das nicht klappt mit dem Bürgermeisteramt in Mitte, würde sie dort auch Stadträtin werden – oder eben Freizeitpolitik machen. Dann müsste sie sich halt neue Kunden suchen fürs Beratungsgeschäft, PR und ein bisschen Journalismus inklusive. Fischer ist sich nicht zu fein für die Kommunalpolitik, so oder so. Wenn das keine Abgrenzung gegen Renate Künast ist, die nur in die Berliner Landespolitik zurückkehren will, wenn sie dort auch Chefin wird?

    "Also für mich waren schon diese Fragen interessant und wichtig, wie leben Menschen zusammen und das entscheidet sich erstmal im Kleinen, nämlich da wo man wohnt und deshalb finde ich das keinen zu weiten Schritt von der Bundes- in die Kommunalpolitik."

    Seit Studienzeiten in Berlin, hat die heute 51-jährige zwar noch nie in Mitte gewohnt – aber Bürgermeisterin einer Kommune mit über 333 000 Einwohnern inklusive der Bundeskanzlerin zu sein – ist ja nicht schlecht. Regierungsviertel, Wedding, Moabit und Alexanderplatz; das ist ein urbanes Spannungsfeld ohnegleichen. Ost und West, arm und reich , neu und alt, Multikulti-Kiez und Repräsentationsmeile. Gestaltungspotenzial ohne Ende – aber ein Bezirksbürgermeister ist mehr Verwalter denn Politiker. Wie in Stadtstaaten üblich, sind Landes- und Kommunalpolitik eng verwoben. Die Amtsbezeichnung Regierender Bürgermeister kommt nicht von ungefähr. Dass es ein Bezirksbürgermeister mal zu einer gewissen Prominenz bringt wie der Neuköllner Heinz Buschkowsky, hat weniger mit dem Amt als mit der Person zu tun. Für Andrea Fischer könnte der Neuköllner mit seiner zupackenden Art Vorbild sein.

    "Meine Name ist Andrea Fischer ich kandidiere hier Als Spitzenkandidatin für die Grünen für die Bezirksverordnetenversammlung ."

    Freitag Nachmittag – die Kandidatin lässt sich beim Straßenwahlkampf beobachten. Ein Markt auf dem Arkonaplatz – eigentlich ein kleiner Park - Gründerzeitbauten wie zu Hause bei der Kandidatin in Charlottenburg, nur nicht fürs Bürgertum angelegt zu Kaisers Zeiten, sondern fürs Proletariat. Was sich gründlich geändert hat in den Jahren nach der Wende. Wie im benachbarten Prenzlauer Berg wurde aus einem verwahrlosten Ostberliner Altbauquartier ein bevorzugtes Siedlungsgebiet für jungbürgerliche Neuberliner. Eines der Biotope fürs Grüne Wähler Potenzial in der Hauptstadt liegt ganz gewiss hier im gentrifizierten Teil der alten Mitte. Eine der jungen Frauen, die Andrea Fischer hier bei ihrer Werbetour anspricht, gibt eine Milieubeschreibung:

    " Nein das ist noch nicht gewachsen, das hat eigentlich was Künstliches. Es ist so, dass es hier kaum Ausländer gibt. Die Leute sind alle zwischen 30 und 5,0 es gibt also auch keine älteren Leute, auch keine Jugendlichen in WGs, die meisten Leute haben ein, zwei drei Kinder, also wenn man hier spazieren geht, hat man das Gefühl, dass man sich ständig selber anguckt.""

    An der ehemaligen Sektorengrenze ein paar hundert Meter vom Arkonaplatz grenzt Neu-Berlin an den Stadtteil Wedding mit seinen Migrations- und anderen sozialen Problemen. Auch das ist Mitte. Und deshalb sind die Schulen dort auch für den Nachwuchs vom Arkonaplatz zuständig – jedenfalls dann, wenn die dortige Schule wegen des Babybooms der Zugezogenen überläuft. Aber die wollen dort nicht hin.

    ""Es ist der gleiche Bezirk klar. Aber es sind zwei verschiedene Lebenswelten. Also wir haben das mitbekommen, dass Eltern, die einen Schulbescheid bekommen haben rüber in den Wedding gegangen sind und haben sich die Schulen angeguckt – weil sie auch vorurteilsfrei sein wollten – und sind dann von Grundschülern als "Nutten" beschimpft worden auf'm Schulhof - und dann kehrt man ganz gerne auch wieder um.""

    In München, wo sie her kommt habe es so was nicht gegeben, erklärt die junge Frau mit dem Baby im vorgeschnallten Tragesitz. Andrea Fischer verspricht auch die Weddinger Schulen zu verbessern, damit sie für alle attraktiver werden. Irgendwie ist das aber nicht die Lösung, die sich die Mutter vorstellt. Dann kommt, das Fahrrad neben sich, ein bekennender Grünen-Wähler auf Andrea Fischer zu – Altersgruppe 50+ - und stellt die Frage, die hier in Berlin jetzt viele seiner Spezies stellen.

    "- "Wie ist das denn, Renate Künast will doch Oberbürgermeisterin werden?"
    - "Ja!"
    - "Das heißt also Schwarz-Grün?""

    "- "Nein. Überhaupt nicht. Weil von unserer Seite gibt es eine Bereitschaft, mit der SPD zusammen zu regieren – wie das mit Herrn Wowereit ist, weiß ich nicht."
    - "Ja, aber das ist doch klar, dass das nichts wird, die SPD wird ja sicher mehr Stimmen kriegen."

    - "Ja aber die SPD muss ja noch ne andere Partei dazu nehmen.""

    Wird Renate Künast, wenn sie nur zweite Siegerin wird, dennoch versuchen mit Hilfe der CDU Regierende Bürgermeisterin zu werden? Das ist die Frage, die manch grünen Stammwähler verunsichert. Ausgeschlossen hat sie es im Wahlkampf nie. Auch Andrea Fischer setzt im Gespräch mit dem Wähler eher auf die Macht der Basis:

    "- "Ja , aber das muss ja trotzdem noch eine grüne Parteiversammlung entscheiden, mit wem von den beiden wir da koalieren wollen .Und da würde ich mal sagen, dass die Mehrheit vermutlich ähnlich wie Sie denkt: Mit der CDU haben sie keine Lust!"

    - "Ah ja, aber wie ist das denn mit Frau Künast?""

    Parteifarbe hin, Parteifarbe her, man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Die beiden Bürgermeister-Kandidatinnen sind sich nicht ganz grün. Deshalb zum Schluss die Frage:

    "- "Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Renate Künast?"

    - "Wir haben ein professionelles Verhältnis miteinander. Ich unterstütze Renate – und das sie und die Grünen hier die Landesregierung stellen. Was wollen Sie wissen?""