Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) sind sozialistische landwirtschaftliche Großbetriebe, die durch den freiwilligen Zusammenschluss werktätiger Bauern und Bäuerinnen, werktätiger Gärtner, Landarbeiter und anderer Bürger, die bereit sind, an der genossenschaftlichen Produktion teilzunehmen, entstehen .
Mit diesen Sätzen beginnt das Gesetz über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, das die DDR-Volkskammer am 3. Juni 1959 beschloss. Eine agrarpolitische Entwicklung, die kurz nach Kriegsende begonnen hatte, war damit rechtlich abgeschlossen. Im September 1945 erfolgte unter der Losung "Junkerland in Bauernhand" die Umverteilung von Grund und Boden - eine der ersten großen Reformen in der Sowjetischen Besatzungszone. Der Vorsitzende der KPD Wilhelm Pieck erklärte damals:
"In diesen Wochen vollzieht sich in einem großen Teile Deutschlands mit der demokratischen Bodenreform eine völlige Umwälzung der ländlichen Besitzverhältnisse. Der Bauer wird zum freien Herrn seiner Scholle und zur kräftigsten Stütze der Demokratie im Dorfe."
Großbauern und Großgrundbesitzer mit mehr als 100 Hektar Land sowie "Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher", wie es in den entsprechenden Verordnungen hieß, wurden entschädigungslos enteignet. 1939 hatte es zwar nur rund 9000 Betriebe dieser Größenordnung auf dem Gebiet der späteren DDR gegeben, die "Junker" hatten aber ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche besessen. 3,3 Millionen Hektar Land verteilten die Bodenkommissionen in den Jahren nach 1945 an Kleinbauern, Landarbeiter, Flüchtlinge und Vertriebene - die so genannten Umsiedler, wie sie in der DDR offiziell hießen. Die "Neubauern" mussten die fünf bis zehn Hektar großen Parzellen selbst bewirtschaften und durften das Land nicht verkaufen. Die Bodenreform brachte aber nicht den gewünschten Erflog, erklärt der Berliner Historiker und Landwirtschaftsexperte Jens Schöne:
"Wir dürfen ja nicht vergessen, in Folge des Krieges kommen ja Millionen von Flüchtlingen in die Sowjetische Besatzungszone, und die müssen untergebracht, ernährt werden. Und da ist die Bodenreform eine Möglichkeit, das Land aufzuteilen. Dem einen oder anderen hat das schlichtweg auch die Existenz gerettet, dieses Stück Land zu bekommen und dort erst mal für die eigene Existenz arbeiten zu können. Allerdings waren diese Betriebe zum allergrößten Teil schlicht nicht überlebensfähig."
Bis 1952 verließen zehntausende Neubauern ihre Höfe und suchten sich Arbeitsplätze in der Industrie oder gingen in den Westen. Die brachliegenden Äcker führten zu einer Versorgungskrise. Vor diesem Hintergrund verkündete die SED-Führung im Juli 1952, man werde den Sozialismus aufbauen, auch auf dem Lande. Schöne:
"Stalin selbst gab grünes Licht, was jetzt nicht bedeutet, dass Walter Ulbricht und seine deutschen Genossen das nicht wollten. Die hatten das ganz klar in ihrem Erwartungshorizont, dass die Kollektivierung kommen würde. Und das wurde dann auf der 2. Parteikonferenz offiziell verkündet."
Reportage des DDR-Hörfunks:
"1945 kam Herr Krey als Umsiedler in unsere Republik und erhielt in der Gegend von Müncheberg eine Neubauernstelle von 10 ha. Er ist ungefähr 50 Jahre alt, energisch und korrekt."
Aus einer Reportage des DDR-Hörfunks über den Vorsitzenden einer LPG in der Nähe von Berlin und den Aufbau der Genossenschaft in den 50er-Jahren.
"Kollege Krey, Sie sagten, es war nicht einfach, die Menschen zusammenzubringen. Wie haben Sie es denn geschafft, denn es waren doch alles Einzelbauern beziehungsweise sogar Handwerker und Industriearbeiter? Wie hat man sie zusammenbekommen zu einem Kollektiv, was also jetzt gut arbeitet?
Also ich bin nicht gleich aufs erste Ansprechen hin Genossenschaftsbauer geworden. Da war es im Besonderen der Genosse Grünert, unser Nachbar, mit dem ich befreundet war, und der ja nun einer der ersten Genossenschaftler war. Der hat mich des Öfteren besucht, wir haben die Fragen diskutiert, und daraus resultierte dann natürlich auch mein Eintritt in die Genossenschaft. Wie es nun so ging die ersten Tage, die ersten Wochen, das waren noch Überwindungen. Aber heute möchte ich sagen, ich möchte also meine Arbeit in der Genossenschaft nicht missen."
Offiziell erfolgte der Eintritt in die LPG freiwillig. Tatsächlich aber übte die SED-Führung Druck und Zwang aus, um die Kollektivierung der Landwirtschaft voranzutreiben. Jens Schöne:
"Wenn man viele kleine, ökonomisch nicht funktionierende Betriebe zusammenlegt, entsteht daraus kein großer funktionierender Betrieb, sondern ein großer nicht funktionierender Betrieb. Insofern waren all die frühen LPG-Gründungen nach einem Jahr faktisch pleite. Als sich aber herausstellte, dass das Potenzial der Neubauern nicht ausreichen würde, daraus eine ökonomisch gesunde Bewegung zu machen, in dem Moment kam der Zwang immer mehr ins Spiel."
Wer Einzelbauer blieb, musste im Vergleich zu den LPG-Genossen höhere Steuern zahlen, einen Großteil der eigenen Erträge abliefern und für Düngemittel, Saatgut und Tierarzt tiefer in die Tasche greifen. Wenn das nicht wirkte, drohte die Enteignung. In Folge einer einzigen, im Februar 1953 erlassenen Verordnung verloren innerhalb von fünf Wochen über 6000 Bauern ihre Höfe. Mitte des Jahres 1953 hatten rund 25 Prozent der Einzelbauern aufgegeben, bis Ende der 50er-Jahre traten weitere 25 Prozent der LPG bei. Damit befand sich die Hälfte des Acker- und Weidelandes in den Händen von knapp 10.000 Genossenschaften.
Fast ein Jahrzehnt arbeiteten die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ohne gesetzliche Grundlage. Der Ministerrat der DDR hatte lediglich auf dem Verordnungsweg Musterstatuten erlassen, die alle wesentlichen Fragen regelten und die verschiedenen LPG-Typen I bis III festlegten, je nachdem ob die Bauern ihren Boden, dazu ihre Maschinen und außerdem ihr Vieh in die Genossenschaft einbrachten. Eine Rechtsgrundlage für die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften schuf die Volkskammer erst mit dem LPG-Gesetz vom 3. Juni 1959.
"Der Kernsatz ist im 1. Paragraphen stehend: Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sind sozialistische Großbetriebe. Das bedeutet viel mehr, als man vielleicht auf den ersten Blick sieht. Großbetriebe zeigt eben, wo soll es strukturmäßig hingehen, sozialistisch heißt natürlich auch: Führung der Partei, Einordnung in die Planwirtschaft, Aufgabe damit bis zu einem gewissen Maß der betrieblichen Selbstbestimmung, und eingeschworen auf das Ziel des Sozialismus."
Das Gesetz enthielt ferner einen Katalog von Rechten und Pflichten: Die Genossenschaftsmitglieder sollten ehrlich, gewissenhaft und kameradschaftlich arbeiten; der zur allgemeinen Nutzung in die LPG eingebrachte Boden blieb privates Eigentum; alle Genossen waren gehalten, das gemeinsame Eigentum zu schützen.
"Für die tägliche Arbeit der LPG, für die Realität waren die Musterstatuten sehr viel wichtiger. Sie legten nämlich fest, wie funktioniert der einzelne Betriebstyp, wie funktioniert die Bezahlung, usw., usf. Man hat immer das Gefühl, dass diese Schaffung eines LPG-Gesetzes eine nachholende Aktion war."
Als das LPG-Gesetz in Kraft trat, existierten in der DDR immer noch 400.000 Privatbetriebe. Sie bewirtschafteten rund die Hälfte des Acker- und Weidelandes.
"Wir haben hier in Müncheberg jetzt 81 Prozent sozialistischen Sektor, wie wir so sagen","
beschrieb der LPG-Vorsitzende Krey den Grad der Kollektivierung in seiner Region.
""Das heißt, wir haben aber noch in Müncheberg 50 Bauern zu gewinnen. Das sind zwar nur Kleinbetriebe über 1 ha., also 1 bis 5 ha., das summiert sich. Sie wollen das einfach noch nicht so begreifen, dass es in der Genossenschaft leichter und besser ist."
Mitte der 60er-Jahre, so hatte die SED-Führung den Zeitrahmen vorgegeben, sollte der Agrarsektor in der DDR vollständig kollektiviert sein. Doch immer weniger Bauern waren bereit, den Genossenschaften beizutreten. Daraufhin rief Walter Ulbricht, Erster Sekretär des ZK der SED, Anfang 1960 den so genannten sozialistischen Frühling aus:
"Die Bevölkerung verbraucht mehr Lebensmittel. Wenn die Bevölkerung mehr Lebensmittel braucht, müssen mehr produziert werden. Mehr produzieren kann man nur auf neue Weise, das heißt wenn in der genossenschaftlichen Großwirtschaft produziert wird. Dem einzelnen Bauern ist das sehr schwer, die Produktion zu erhöhen."
Die Genossenschaften sollten sich zu leistungsfähigen sozialistischen Großbetrieben entwickeln, die nicht nur den Einzelbauern im eigenen Lande, sondern auch den Bauernhöfen im Westen überlegen waren. Man werde kameradschaftlich mit den skeptischen Bauern diskutieren, um sie von den Vorzügen der LPG zu überzeugen, erklärte Albert Norden, Mitglied des Politbüros der SED. Es sei absolut unstatthaft, Druck auszuüben:
"Wir wollen die Menschen über das Gehirn gewinnen und wollen nicht sie durch Zwang gewinnen. Und unsere Argumente sind so gut und sind so überzeugend, dass wir gar keinen Zwang nötig haben. Und derjenige wäre ein schlechtes Mitglied der SED, der also zu diesen Methoden seine Zuflucht nehmen würde."
Doch die Agitationstrupps, die durch die Dörfer zogen, beschränkten sich keineswegs nur auf die Kraft ihrer Worte. Angehörige von Partei, Polizei und Staatssicherheit, aber auch Arbeiter und Studenten bedrängten und bedrohten die Bauern. Die Behörden erhöhten die Ablieferungspflichten, und wer dennoch hartnäckig blieb, musste mit drakonischen Strafen rechnen.
Jens Schöne: "Es gibt ein Beispiel, wo die Bewohner eines Dorfes einbestellt werden ins örtliche Kulturhaus. Vorne sitzt ein Mann der Staatssicherheit, der nichts weiter tut, als sein Magazin der Pistole mal zu entladen und zu beladen. Da entsteht natürlich ein gewisser Druck. Webebrigaden, wie sie damals hießen, überschwemmen das Land und diskutieren mit den Bauern, das findet man auch in den Akten, - Zitat - bis ihnen die Augen zufallen. Und dieses Bild von den Lautsprecherwagen, die vor den Häusern der Bauern stehen, und Propaganda plärren Tag und Nacht, das entspricht tatsächlich der Realität. Hier werden innerhalb von drei Monaten über 400.000 Bauern, die sich schon acht Jahre verweigern, mit ihren Familienmitgliedern in die LPG gezwungen, und in dem Fall muss man wirklich zum überwiegenden Teil sagen: gezwungen. Und da explodieren die Zahlen derjenigen, die das Land verlassen und auch noch in der Folgezeit bis zum Mauerbau in großen Zahlen in die Bundesrepublik gehen."
Zehntausende Bauern und Landarbeiter verließen die DDR bis zum 13. August 1961. So war der Mauerbau auch eine Reaktion des SED-Regimes auf die Massenflucht aus den Dörfern. Einer der Flüchtlinge war Horst Weiland aus Thüringen, Eigentümer eines 14-Hektar-Betriebes:
"Ich wurde voriges Jahr im Frühjahr vor meinem Hof inhaftiert, das heißt abgeholt und wurde in das Kreisgerichtsgefängnis nach Apolda eingeliefert. Ich verspürte darin einen Druck, der mich gewissermaßen in eine Richtung versetzen sollte, und diese Richtung hieß, der LPG beizutreten. Und man kann wohl sagen, dass in dieser Form, wie jetzt politisch vorgegangen und ein politischer Druck auf uns Berufskollegen ausgeübt wird, dass da nicht mehr diese Freiheit und das persönliche Eigentum eines jeden gewährleistet ist."
In den 60er-Jahren setzte die SED-Führung ihre Hoffnungen auf eine immer stärkere Konzentration und Spezialisierung der Landwirtschaft. Große Genossenschaften von mehreren tausend Hektar widmeten sich ausschließlich der Tier- oder der Pflanzenproduktion. Die überdimensionierten Betriebe brachten aber nicht die erwarteten Erträge, so Schöne:
"Sie brauchten natürlich eine ausgefeilte Logistik, sie brauchten jede Menge Sprit, wenn sie über 5000 Hektar große LPGen fahren wollten. Sie brauchten Schichtarbeit, weil das sonst gar nicht mehr zu schaffen war. Und all das erhöhte die Kosten wesentlich, so dass man in den 80er-Jahren auch wieder davon abging."
Verheerend wirkte sich die industriemäßige Produktion auf die Umwelt aus. Überdüngte Böden, großflächige Monokulturen und tonnenschwere Landmaschinen hinterließen nachhaltige Spuren.
"Was zählte, war die Planerfüllung. Alles Weitere ordnete sich da unter. Es gibt Fälle beispielsweise in diesen großen Schweinemastanlagen. Wenn man nicht mehr wusste, wohin mit der Gülle, dann kippte man das umfänglich auf die Felder drum herum aus. Und dann sah man - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes -, wie der Wald dort starb durch Überdüngung und ähnliches."
Trotz des propagierten Sozialismus auf dem Lande war es den LPG-Mitgliedern erlaubt, einen halben Hektar Land privat zu bewirtschaften sowie Kleintiere zu halten. In den 80er-Jahren nutzten zwei Drittel der rund 800.000 LPG-Mitglieder die eigene Scholle als zusätzliche Einnahmequelle. Angesichts der notorischen Lebensmittelknappheit war die DDR auf die Produkte der Hauswirtschaften angewiesen. Von den Eiern und dem Obst, das in die Läden kam, stammte die Hälfte aus privater Erzeugung, vom Gemüse ein Drittel.
"Kirschen ist so ein Beispiel, die wurden fast ausschließlich privat erzeugt, aber auch der Anteil an Eiern, trotz der großen Kombinate, die es da gab, ist sehr hoch gewesen, die aus Privatwirtschaft kamen. Kleinvieh, Kaninchen, Hühner, Enten, all das hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Versorgung aufrecht erhalten werden konnte, und deswegen wurde es auch geduldet. Für ein besonders großes Kaninchen hat man in etwa 80 Mark bekommen, wenn man das an die staatlichen Aufkaufbetriebe verkaufte. Und wenn man es dann im Laden, im Konsum, wieder geschlachtet kaufte, ein solches Tier, dann kostete das keine 20 Mark. Und das zeigt natürlich, dass da eine gewisse Diskrepanz ist, die langfristig zu Problemen führen muss."
Ungeachtet aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbesserten sich die Lebensbedingungen der LPG-Mitglieder im Arbeiter- und Bauernstaat. Sie kamen in den Genuss von Urlaub, geregelter Arbeitszeit und preiswertem Kantinenessen. Sie hatten Anspruch auf gesundheitliche Fürsorge sowie kostengünstige Unterbringung der Kinder in Krippen und Kindergärten. Sie konnten sich weiterbilden und verdienten relativ gut.
Er und seine Frau hätten sich noch nie so wohl gefühlt wie in der LPG, erklärte z.B. ein Genossenschaftsbauer aus Müncheberg, der früher einen eigenen kleinen Hof bewirtschaftet hatte:
"Meine Frau, wenn die noch daran denkt, wie sie früher auf ihrer kleinen Wirtschaft hat müssen die Kühe melken, die Schweine füttern, die Kinder versorgen, Frühstück machen und dann wieder rauf aufs Feld. Und heute, da macht sie ihren Haushalt, hilft sie mit auf dem Geflügelhof. Wir haben unsere Arbeit, das geht Hand in Hand."
Die sozialen Errungenschaften hatten allerdings ihre Kehrseite: Die DDR lebte im Agrarsektor über ihre Verhältnisse. Jens Schöne:
"Es zeigte sich im Verlauf der Jahre, dass es schlichtweg ökonomisch nicht leistbar war, weil der Besatz mit Arbeitskräften so hoch war, dass deren Entlohnung so viel vom Gewinn wegnahm, dass zu wenig übrig blieb am Ende."
Mit dem Ende der DDR musste sich die Landwirtschaft auf die neuen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen umstellen. Einige Genossenschaften lösten sich auf, das Land ging an die Alteigentümer zurück. Vielen gelang aber auch die Umwandlung in eine GmbH oder eingetragene Genossenschaft und die Anpassung an den Markt, ohne die alten LPG-Strukturen völlig aufzulösen.
"Wenn man nur allein durch die Lande fährt, wenn man in Mecklenburg fährt, hat man ein völlig anderes Bild als wenn man beispielsweise in Hessen fährt, das ist ganz auffallend. Und das sind die Unterschiede, die gehen ganz eindeutig auf die Kollektivierung zurück, und die wirken bis heute nach. Die Grundaussagen des LPG-Gesetzes - außer dass es sich um sozialistische Betriebe handelt natürlich - sind durchaus noch spürbar und fühlbar in den Dörfern und über die großen Strukturen sichtbar."
Mit diesen Sätzen beginnt das Gesetz über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, das die DDR-Volkskammer am 3. Juni 1959 beschloss. Eine agrarpolitische Entwicklung, die kurz nach Kriegsende begonnen hatte, war damit rechtlich abgeschlossen. Im September 1945 erfolgte unter der Losung "Junkerland in Bauernhand" die Umverteilung von Grund und Boden - eine der ersten großen Reformen in der Sowjetischen Besatzungszone. Der Vorsitzende der KPD Wilhelm Pieck erklärte damals:
"In diesen Wochen vollzieht sich in einem großen Teile Deutschlands mit der demokratischen Bodenreform eine völlige Umwälzung der ländlichen Besitzverhältnisse. Der Bauer wird zum freien Herrn seiner Scholle und zur kräftigsten Stütze der Demokratie im Dorfe."
Großbauern und Großgrundbesitzer mit mehr als 100 Hektar Land sowie "Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher", wie es in den entsprechenden Verordnungen hieß, wurden entschädigungslos enteignet. 1939 hatte es zwar nur rund 9000 Betriebe dieser Größenordnung auf dem Gebiet der späteren DDR gegeben, die "Junker" hatten aber ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche besessen. 3,3 Millionen Hektar Land verteilten die Bodenkommissionen in den Jahren nach 1945 an Kleinbauern, Landarbeiter, Flüchtlinge und Vertriebene - die so genannten Umsiedler, wie sie in der DDR offiziell hießen. Die "Neubauern" mussten die fünf bis zehn Hektar großen Parzellen selbst bewirtschaften und durften das Land nicht verkaufen. Die Bodenreform brachte aber nicht den gewünschten Erflog, erklärt der Berliner Historiker und Landwirtschaftsexperte Jens Schöne:
"Wir dürfen ja nicht vergessen, in Folge des Krieges kommen ja Millionen von Flüchtlingen in die Sowjetische Besatzungszone, und die müssen untergebracht, ernährt werden. Und da ist die Bodenreform eine Möglichkeit, das Land aufzuteilen. Dem einen oder anderen hat das schlichtweg auch die Existenz gerettet, dieses Stück Land zu bekommen und dort erst mal für die eigene Existenz arbeiten zu können. Allerdings waren diese Betriebe zum allergrößten Teil schlicht nicht überlebensfähig."
Bis 1952 verließen zehntausende Neubauern ihre Höfe und suchten sich Arbeitsplätze in der Industrie oder gingen in den Westen. Die brachliegenden Äcker führten zu einer Versorgungskrise. Vor diesem Hintergrund verkündete die SED-Führung im Juli 1952, man werde den Sozialismus aufbauen, auch auf dem Lande. Schöne:
"Stalin selbst gab grünes Licht, was jetzt nicht bedeutet, dass Walter Ulbricht und seine deutschen Genossen das nicht wollten. Die hatten das ganz klar in ihrem Erwartungshorizont, dass die Kollektivierung kommen würde. Und das wurde dann auf der 2. Parteikonferenz offiziell verkündet."
Reportage des DDR-Hörfunks:
"1945 kam Herr Krey als Umsiedler in unsere Republik und erhielt in der Gegend von Müncheberg eine Neubauernstelle von 10 ha. Er ist ungefähr 50 Jahre alt, energisch und korrekt."
Aus einer Reportage des DDR-Hörfunks über den Vorsitzenden einer LPG in der Nähe von Berlin und den Aufbau der Genossenschaft in den 50er-Jahren.
"Kollege Krey, Sie sagten, es war nicht einfach, die Menschen zusammenzubringen. Wie haben Sie es denn geschafft, denn es waren doch alles Einzelbauern beziehungsweise sogar Handwerker und Industriearbeiter? Wie hat man sie zusammenbekommen zu einem Kollektiv, was also jetzt gut arbeitet?
Also ich bin nicht gleich aufs erste Ansprechen hin Genossenschaftsbauer geworden. Da war es im Besonderen der Genosse Grünert, unser Nachbar, mit dem ich befreundet war, und der ja nun einer der ersten Genossenschaftler war. Der hat mich des Öfteren besucht, wir haben die Fragen diskutiert, und daraus resultierte dann natürlich auch mein Eintritt in die Genossenschaft. Wie es nun so ging die ersten Tage, die ersten Wochen, das waren noch Überwindungen. Aber heute möchte ich sagen, ich möchte also meine Arbeit in der Genossenschaft nicht missen."
Offiziell erfolgte der Eintritt in die LPG freiwillig. Tatsächlich aber übte die SED-Führung Druck und Zwang aus, um die Kollektivierung der Landwirtschaft voranzutreiben. Jens Schöne:
"Wenn man viele kleine, ökonomisch nicht funktionierende Betriebe zusammenlegt, entsteht daraus kein großer funktionierender Betrieb, sondern ein großer nicht funktionierender Betrieb. Insofern waren all die frühen LPG-Gründungen nach einem Jahr faktisch pleite. Als sich aber herausstellte, dass das Potenzial der Neubauern nicht ausreichen würde, daraus eine ökonomisch gesunde Bewegung zu machen, in dem Moment kam der Zwang immer mehr ins Spiel."
Wer Einzelbauer blieb, musste im Vergleich zu den LPG-Genossen höhere Steuern zahlen, einen Großteil der eigenen Erträge abliefern und für Düngemittel, Saatgut und Tierarzt tiefer in die Tasche greifen. Wenn das nicht wirkte, drohte die Enteignung. In Folge einer einzigen, im Februar 1953 erlassenen Verordnung verloren innerhalb von fünf Wochen über 6000 Bauern ihre Höfe. Mitte des Jahres 1953 hatten rund 25 Prozent der Einzelbauern aufgegeben, bis Ende der 50er-Jahre traten weitere 25 Prozent der LPG bei. Damit befand sich die Hälfte des Acker- und Weidelandes in den Händen von knapp 10.000 Genossenschaften.
Fast ein Jahrzehnt arbeiteten die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ohne gesetzliche Grundlage. Der Ministerrat der DDR hatte lediglich auf dem Verordnungsweg Musterstatuten erlassen, die alle wesentlichen Fragen regelten und die verschiedenen LPG-Typen I bis III festlegten, je nachdem ob die Bauern ihren Boden, dazu ihre Maschinen und außerdem ihr Vieh in die Genossenschaft einbrachten. Eine Rechtsgrundlage für die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften schuf die Volkskammer erst mit dem LPG-Gesetz vom 3. Juni 1959.
"Der Kernsatz ist im 1. Paragraphen stehend: Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sind sozialistische Großbetriebe. Das bedeutet viel mehr, als man vielleicht auf den ersten Blick sieht. Großbetriebe zeigt eben, wo soll es strukturmäßig hingehen, sozialistisch heißt natürlich auch: Führung der Partei, Einordnung in die Planwirtschaft, Aufgabe damit bis zu einem gewissen Maß der betrieblichen Selbstbestimmung, und eingeschworen auf das Ziel des Sozialismus."
Das Gesetz enthielt ferner einen Katalog von Rechten und Pflichten: Die Genossenschaftsmitglieder sollten ehrlich, gewissenhaft und kameradschaftlich arbeiten; der zur allgemeinen Nutzung in die LPG eingebrachte Boden blieb privates Eigentum; alle Genossen waren gehalten, das gemeinsame Eigentum zu schützen.
"Für die tägliche Arbeit der LPG, für die Realität waren die Musterstatuten sehr viel wichtiger. Sie legten nämlich fest, wie funktioniert der einzelne Betriebstyp, wie funktioniert die Bezahlung, usw., usf. Man hat immer das Gefühl, dass diese Schaffung eines LPG-Gesetzes eine nachholende Aktion war."
Als das LPG-Gesetz in Kraft trat, existierten in der DDR immer noch 400.000 Privatbetriebe. Sie bewirtschafteten rund die Hälfte des Acker- und Weidelandes.
"Wir haben hier in Müncheberg jetzt 81 Prozent sozialistischen Sektor, wie wir so sagen","
beschrieb der LPG-Vorsitzende Krey den Grad der Kollektivierung in seiner Region.
""Das heißt, wir haben aber noch in Müncheberg 50 Bauern zu gewinnen. Das sind zwar nur Kleinbetriebe über 1 ha., also 1 bis 5 ha., das summiert sich. Sie wollen das einfach noch nicht so begreifen, dass es in der Genossenschaft leichter und besser ist."
Mitte der 60er-Jahre, so hatte die SED-Führung den Zeitrahmen vorgegeben, sollte der Agrarsektor in der DDR vollständig kollektiviert sein. Doch immer weniger Bauern waren bereit, den Genossenschaften beizutreten. Daraufhin rief Walter Ulbricht, Erster Sekretär des ZK der SED, Anfang 1960 den so genannten sozialistischen Frühling aus:
"Die Bevölkerung verbraucht mehr Lebensmittel. Wenn die Bevölkerung mehr Lebensmittel braucht, müssen mehr produziert werden. Mehr produzieren kann man nur auf neue Weise, das heißt wenn in der genossenschaftlichen Großwirtschaft produziert wird. Dem einzelnen Bauern ist das sehr schwer, die Produktion zu erhöhen."
Die Genossenschaften sollten sich zu leistungsfähigen sozialistischen Großbetrieben entwickeln, die nicht nur den Einzelbauern im eigenen Lande, sondern auch den Bauernhöfen im Westen überlegen waren. Man werde kameradschaftlich mit den skeptischen Bauern diskutieren, um sie von den Vorzügen der LPG zu überzeugen, erklärte Albert Norden, Mitglied des Politbüros der SED. Es sei absolut unstatthaft, Druck auszuüben:
"Wir wollen die Menschen über das Gehirn gewinnen und wollen nicht sie durch Zwang gewinnen. Und unsere Argumente sind so gut und sind so überzeugend, dass wir gar keinen Zwang nötig haben. Und derjenige wäre ein schlechtes Mitglied der SED, der also zu diesen Methoden seine Zuflucht nehmen würde."
Doch die Agitationstrupps, die durch die Dörfer zogen, beschränkten sich keineswegs nur auf die Kraft ihrer Worte. Angehörige von Partei, Polizei und Staatssicherheit, aber auch Arbeiter und Studenten bedrängten und bedrohten die Bauern. Die Behörden erhöhten die Ablieferungspflichten, und wer dennoch hartnäckig blieb, musste mit drakonischen Strafen rechnen.
Jens Schöne: "Es gibt ein Beispiel, wo die Bewohner eines Dorfes einbestellt werden ins örtliche Kulturhaus. Vorne sitzt ein Mann der Staatssicherheit, der nichts weiter tut, als sein Magazin der Pistole mal zu entladen und zu beladen. Da entsteht natürlich ein gewisser Druck. Webebrigaden, wie sie damals hießen, überschwemmen das Land und diskutieren mit den Bauern, das findet man auch in den Akten, - Zitat - bis ihnen die Augen zufallen. Und dieses Bild von den Lautsprecherwagen, die vor den Häusern der Bauern stehen, und Propaganda plärren Tag und Nacht, das entspricht tatsächlich der Realität. Hier werden innerhalb von drei Monaten über 400.000 Bauern, die sich schon acht Jahre verweigern, mit ihren Familienmitgliedern in die LPG gezwungen, und in dem Fall muss man wirklich zum überwiegenden Teil sagen: gezwungen. Und da explodieren die Zahlen derjenigen, die das Land verlassen und auch noch in der Folgezeit bis zum Mauerbau in großen Zahlen in die Bundesrepublik gehen."
Zehntausende Bauern und Landarbeiter verließen die DDR bis zum 13. August 1961. So war der Mauerbau auch eine Reaktion des SED-Regimes auf die Massenflucht aus den Dörfern. Einer der Flüchtlinge war Horst Weiland aus Thüringen, Eigentümer eines 14-Hektar-Betriebes:
"Ich wurde voriges Jahr im Frühjahr vor meinem Hof inhaftiert, das heißt abgeholt und wurde in das Kreisgerichtsgefängnis nach Apolda eingeliefert. Ich verspürte darin einen Druck, der mich gewissermaßen in eine Richtung versetzen sollte, und diese Richtung hieß, der LPG beizutreten. Und man kann wohl sagen, dass in dieser Form, wie jetzt politisch vorgegangen und ein politischer Druck auf uns Berufskollegen ausgeübt wird, dass da nicht mehr diese Freiheit und das persönliche Eigentum eines jeden gewährleistet ist."
In den 60er-Jahren setzte die SED-Führung ihre Hoffnungen auf eine immer stärkere Konzentration und Spezialisierung der Landwirtschaft. Große Genossenschaften von mehreren tausend Hektar widmeten sich ausschließlich der Tier- oder der Pflanzenproduktion. Die überdimensionierten Betriebe brachten aber nicht die erwarteten Erträge, so Schöne:
"Sie brauchten natürlich eine ausgefeilte Logistik, sie brauchten jede Menge Sprit, wenn sie über 5000 Hektar große LPGen fahren wollten. Sie brauchten Schichtarbeit, weil das sonst gar nicht mehr zu schaffen war. Und all das erhöhte die Kosten wesentlich, so dass man in den 80er-Jahren auch wieder davon abging."
Verheerend wirkte sich die industriemäßige Produktion auf die Umwelt aus. Überdüngte Böden, großflächige Monokulturen und tonnenschwere Landmaschinen hinterließen nachhaltige Spuren.
"Was zählte, war die Planerfüllung. Alles Weitere ordnete sich da unter. Es gibt Fälle beispielsweise in diesen großen Schweinemastanlagen. Wenn man nicht mehr wusste, wohin mit der Gülle, dann kippte man das umfänglich auf die Felder drum herum aus. Und dann sah man - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes -, wie der Wald dort starb durch Überdüngung und ähnliches."
Trotz des propagierten Sozialismus auf dem Lande war es den LPG-Mitgliedern erlaubt, einen halben Hektar Land privat zu bewirtschaften sowie Kleintiere zu halten. In den 80er-Jahren nutzten zwei Drittel der rund 800.000 LPG-Mitglieder die eigene Scholle als zusätzliche Einnahmequelle. Angesichts der notorischen Lebensmittelknappheit war die DDR auf die Produkte der Hauswirtschaften angewiesen. Von den Eiern und dem Obst, das in die Läden kam, stammte die Hälfte aus privater Erzeugung, vom Gemüse ein Drittel.
"Kirschen ist so ein Beispiel, die wurden fast ausschließlich privat erzeugt, aber auch der Anteil an Eiern, trotz der großen Kombinate, die es da gab, ist sehr hoch gewesen, die aus Privatwirtschaft kamen. Kleinvieh, Kaninchen, Hühner, Enten, all das hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Versorgung aufrecht erhalten werden konnte, und deswegen wurde es auch geduldet. Für ein besonders großes Kaninchen hat man in etwa 80 Mark bekommen, wenn man das an die staatlichen Aufkaufbetriebe verkaufte. Und wenn man es dann im Laden, im Konsum, wieder geschlachtet kaufte, ein solches Tier, dann kostete das keine 20 Mark. Und das zeigt natürlich, dass da eine gewisse Diskrepanz ist, die langfristig zu Problemen führen muss."
Ungeachtet aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbesserten sich die Lebensbedingungen der LPG-Mitglieder im Arbeiter- und Bauernstaat. Sie kamen in den Genuss von Urlaub, geregelter Arbeitszeit und preiswertem Kantinenessen. Sie hatten Anspruch auf gesundheitliche Fürsorge sowie kostengünstige Unterbringung der Kinder in Krippen und Kindergärten. Sie konnten sich weiterbilden und verdienten relativ gut.
Er und seine Frau hätten sich noch nie so wohl gefühlt wie in der LPG, erklärte z.B. ein Genossenschaftsbauer aus Müncheberg, der früher einen eigenen kleinen Hof bewirtschaftet hatte:
"Meine Frau, wenn die noch daran denkt, wie sie früher auf ihrer kleinen Wirtschaft hat müssen die Kühe melken, die Schweine füttern, die Kinder versorgen, Frühstück machen und dann wieder rauf aufs Feld. Und heute, da macht sie ihren Haushalt, hilft sie mit auf dem Geflügelhof. Wir haben unsere Arbeit, das geht Hand in Hand."
Die sozialen Errungenschaften hatten allerdings ihre Kehrseite: Die DDR lebte im Agrarsektor über ihre Verhältnisse. Jens Schöne:
"Es zeigte sich im Verlauf der Jahre, dass es schlichtweg ökonomisch nicht leistbar war, weil der Besatz mit Arbeitskräften so hoch war, dass deren Entlohnung so viel vom Gewinn wegnahm, dass zu wenig übrig blieb am Ende."
Mit dem Ende der DDR musste sich die Landwirtschaft auf die neuen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen umstellen. Einige Genossenschaften lösten sich auf, das Land ging an die Alteigentümer zurück. Vielen gelang aber auch die Umwandlung in eine GmbH oder eingetragene Genossenschaft und die Anpassung an den Markt, ohne die alten LPG-Strukturen völlig aufzulösen.
"Wenn man nur allein durch die Lande fährt, wenn man in Mecklenburg fährt, hat man ein völlig anderes Bild als wenn man beispielsweise in Hessen fährt, das ist ganz auffallend. Und das sind die Unterschiede, die gehen ganz eindeutig auf die Kollektivierung zurück, und die wirken bis heute nach. Die Grundaussagen des LPG-Gesetzes - außer dass es sich um sozialistische Betriebe handelt natürlich - sind durchaus noch spürbar und fühlbar in den Dörfern und über die großen Strukturen sichtbar."