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Vom Farm House zum White House

Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich in dem US-amerikanischen Bundesstaat North Carolina in den letzten Jahren vergrößert. Und die Farbe des Reichtums ist nach wie vor Weiß, die der Armut Schwarz: Denn fast ein Viertel der Schwarzen in den USA lebt unterhalb der Armutsgrenze, aber nur zehn Prozent der Weißen. Die Hoffnung, die die arme schwarze Bevölkerung in den Präsidentschaftskandidaten Barack Obama setzt, ist daher groß.

Von Barbara Schmidt-Mattern |
    Schnurgerade führt die Tryon Street durch das gediegene Bankenviertel von Charlotte. Während die Hauptstraße unter der Woche von Bankern bevölkert wird, bleiben am Wochenende nur die schwarzen Obdachlosen und die Armen zurück. Die Bushaltestellen mit den kleinen Vierersitzgruppen sind ihr Wohnzimmer.

    Einziger Lichtblick ist die Armenspeisung am Samstagnachmittag vor der First United Methodistenkirche. Auf den Stufen des großen Treppenportals hocken Männer allen Alters. Manche von ihnen sitzen auch kauend auf dem Bürgersteig. Vor sich eine Styroporschale mit frischem Salat, Überbackenem und Brot. Rashon, 36 Jahre alt, ist ein schüchterner, leiser Typ.

    Als er fünf Jahre alt war, hat er seine Eltern verloren, erzählt Rashon. Er wurde depressiv und kriegte nichts mehr hin im Leben. Keine Ausbildung, kein Job, keine Familie. Leute wie Rashon fallen in Amerika durch das soziale Netz.

    Den Tag über ist Rashon nur herumgelaufen. Deprimierend sei das. Manchmal schläft er im Wald oder unter einer Brücke - irgendwo, wo er sich hinlegen kann.

    Rashons größter Wunsch wäre, in ein soziales Wohnprogramm reinzukommen, im 200 Kilometer entfernten Raleigh, der Hauptstadt von North Carolina. Aber er weiß nicht mal, wie er die Fahrt dorthin bezahlen sollte. Ohne Wohnsitz kann Rashon sich nicht für die Wahl registrieren.

    Rashon ist so arm, dass er nicht mal von der Bankenkrise betroffen ist. Er besitzt nichts, außer seinen Kleidern - und ein bisschen Hoffnung. Aber die Reichen bleiben eben reich, sagt Rashon zum Abschied. Charlotte, in besseren Zeiten als Wall Street des Südens bezeichnet, ist eine der wohlhabendsten Städte in North Carolina - selbst wenn viele Banker hier jetzt um ihren Job zittern. Doch die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich hier in den letzten Jahren vergrößert. Fast ein Viertel der Schwarzen in den USA lebt unterhalb der Armutsgrenze, aber nur zehn Prozent der Weißen. An dieser Ungleichheit würde sich auch unter einem Präsidenten Obama so schnell nichts ändern, glaubt der Politologe Kerry Haynie von der Duke-Universität in North Carolina:

    "Die Arbeitslosenquote bei Afroamerikanern ist hier zwei bis drei mal so groß wie bei Weißen. Eine Reihe von Studien zeigen, dass diese Ungleichheiten eine Folge von Rassismus sind. Das gleiche gilt bei der Gesundheitsversorgung. All das wird nicht über Nacht verschwinden, wenn Senator Obama gewählt wird. Ich selbst erlebe Rassismus fast täglich. Wie man mit mir umgeht, ist eine Sache. Dann aber erfahren die Leute, dass ich Professor an der Duke-Universität bin und einen Doktortitel habe, und schon bin ich ein anderer Mensch."

    Obamas Zauberwort Change, also Wandel, steht vor allem für eine gerechtere Gesellschaft - so hoffen die Wortführer der schwarzen Community. Lange stellten einige von ihnen in Frage, ob Obama schwarz genug sei. Schließlich stammt er nicht von Südstaatensklaven ab, sondern ist der Sohn eines Kenianers und einer weißen Amerikanerin. Die Zweifel bestehen heute kaum noch, jetzt lautet das Klassenziel, Barack Obama ins Weiße Haus zu bringen.

    Mit aller Wortgewalt setzt sich dafür auch Warren Ballentine ein. Er gehört zu einer wachsenden Zahl von afroamerikanischen Radiomoderatoren, die in ihren Sendungen ganz unverblümt Wahlwerbung für Obama machen.

    "Wir haben Wahlspots, wir reden mit den Hörern und ich verteile auch Entwürfe, wie ein Formular zur Wählerregistrierung aussieht. Drei Millionen Leute hören mir jeden Tag zu. Ich spreche in meiner Sendung über Baracks Politik, über McCains Politik und ich spreche über die Stimmung unter uns Schwarzen. Ich denke, Barack Obama ist ganz klar ein besserer Botschafter für den Weltfrieden. Ich glaube, er versteht, wie man ein Bürger der Welt sein kann, und nicht bloß ein Bürger der Vereinigten Staaten."

    Die New York Times feiert Warren Ballentine schon als neuen Star der Black Radios - also Radio von Schwarzen für Schwarze. Ballentine sendet aus seiner Heimatstadt Raleigh. Dass dort mancher Republikaner bestreitet, dass Rassismus noch ein Problem sei, findet Warren Ballentine geradezu lächerlich:

    "Das ist ein Riesenwitz. Rassismus wird immer ein Problem in diesem Lande sein, weil es ein Big Business ist. Es geht um Geld. Das weiße Amerika verdient am Rassismus."

    Doch die miese Wirtschaftslage in den USA schafft neue Allianzen. Im September hat die Arbeitslosenquote in North Carolina mit sieben Prozent den höchsten Stand seit sechs Jahren erreicht. So sieht Radiomann Ballentine auch Gemeinsamkeiten, unabhängig von der Hautfarbe. Über John McCain verliert der Moderator hingegen kaum ein gutes Wort.

    "Ich nenne John McCain John McClueless - also John McAhnungslos, weil es Dinge gibt, von denen er wirklich keine Ahnung hat. Jeden Tag bringe ich in meiner Sendung noch ein anderes Argument: Ständig reden alle darüber, ob Barack Obama genug Erfahrung hat. Wenn du aber einen Job vorher noch nie gemacht hast, hast du keine Erfahrung. Ich finde es schon einen Witz, dass die Amerikaner darauf reinfallen - das tun wir nämlich!"

    Als der Republikaner McCain im Sommer eine Rede vor Schwarzen hielt, unterstellte Warren Ballentine, McCain habe hinterher geklagt, er habe "vor all diesen Negern" sprechen müssen. Ihre eindeutige Parteinahme haben sich Ballentine und seine Kollegen vom rechten Polit-Radio abgeguckt, das seit Jahren für George Bush und die Republikaner trommelt.

    Diesmal aber hat ein Demokrat gute Aussichten auf den Sieg: Mit seinem Charisma und seiner Rhetorik vom Wandel hat Barack Obama das Interesse vieler Amerikaner an Politik zu neuem Leben erweckt. Viele schwarzer Wähler haben sich erstmals für die Wahl registriert - die Voraussetzung, um wählen zu dürfen. Doch Obama spricht auch viele weiße Wähler an, was Politikprofessor Kerry Haynie nicht überrascht:

    "Obama ist jetzt 47 Jahre alt. Er wuchs auf in einer Zeit, als die alten Schlachten um die Bürgerrechte schon gewonnen - zum großen Teil schon vorbei - waren. Er wurde also in einem anderen Amerika sozialisiert, als unsere älteren schwarzen Politiker, und deshalb sieht er sich nicht nur als Politiker für Schwarze. Dass Obama sich davon abhebt, schürt aber zugleich auch Misstrauen: Wer ist dieser Typ, wofür steht er?"

    Ob die weißen Wähler am Ende einen Schwarzen zum Präsidenten wählen werden, bleibt eine der spannendsten Fragen in diesem Wahlkampf. Selbst wenn Barack am 4. November verliert - bewirkt habe er jetzt schon viel, meint Politikprofessor Kerry Haynie:

    "Ich glaube, dass wir in Zukunft mit einigen Problemen leichter werden umgehen können. Dass ein Afroamerikaner ernsthaft für das höchste Amt in diesem Lande berücksichtigt wird, damit haben wir eine Hürde genommen. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn."