Archiv


Vom Futtermittel-Werk zur Bio-Raffinerie

Nicht mehr lange, und es gibt in Deutschland erste 'Grüne Raffinerien', in denen aus pflanzlichen Rohstoffen eine Vielzahl verschiedener Endprodukte gewonnen wird. Im Havelland in Brandenburg entsteht der Prototyp einer solchen Anlage, der in drei Jahren praxisreif sein könnte.

    Die Vorräte an Erdöl auf unserem Planeten sind begrenzt. Grund genug, rechtzeitig über Alternativen nachzudenken. Ein Schritt in diese Richtung ist die Anlage in Brandenburg, an der Chemiker der Universität Potsdam beteiligt sind. Sie wollen vormachen, wie man ohne fossile Rohstoffe, allein mit Produkten aus der regionalen Landwirtschaft, ganze Chemie- und Pharmafabriken betreibt. Die Chemikerin Birgit Kamm erklärt: "Wir müssen wegkommen von Ein-Produkt-Systemen zu den Bio-Raffinerien also Mehr-Produkt-Systemen. 'Grüne Bio-Raffinerie' heißt, dass wir grüne Materialien verarbeiten, also Gras, Luzerne, naturfeuchte Materialien. Das sind Rohstoffe, die mehrmals im Jahr nachwachsen."

    Lieferant der Rohstoffe ist ein Trockenwerk für Gras und andere grüne Ackerpflanzen. Es existiert schon heute und produziert jährlich 6.000 bis 8.000 Tonnen Grünfutter für Tiere. Doch nicht mehr lange, dann mutiert das Werk zu einer kombinierten Chemie-, Pharma- und Agro-Fabrik. Ein Teil der angelieferten Grünpflanzen wird wie gehabt zu Presskuchen verarbeitet, ein anderer verflüssigt und später vergoren. Der faserreiche Presskuchen taugt nicht nur als Tierfutter: gewinnen lassen sich daraus auch Dämmstoffe, Brennstoffe und Ausgangssubstanzen für verschiedene chemische Prozesse. Auch der Pflanzensaft soll so weiter verarbeitet werden, dass er eine Vielzahl von Produkten liefert - unter anderem Aminosäuren, Vitamine, Farb- und Geschmacksstoffe. Das alles geschieht überwiegend biotechnologisch, also durch enzymatische oder mikrobiologische Prozesse. Zu der grünen Stoffpalette zählt Birgit Kamm durchaus auch Massenchemikalien: "Ein Grundprodukt ist die Milchsäure. Sie ist selbst schon als Produkt für die Landwirtschaft interessant, als Silage-Hilfsmittel oder auch als Desinfektionsmittel. Und die chemische Industrie kann auf Basis von Milchsäure weitere Chemikalien herstellen."

    Am weitesten fortgeschritten bei der Nutzung nachwachsender Rohstoffe sind die USA. Dort bevorzugen die Chemiker besonders Cellulose und Lignin als Bio-Rohstoffe. Dafür eignet sich als Quelle am ehesten Abfallholz aus der Forstwirtschaft. Im Gegensatz zu Deutschland forcieren die Vereinigten Staaten derzeit die Forschung. Doch wenn die Test-Raffinerie im Havelland tatsächlich tonnenweise Ackergrün in Erdöl-Ersatzstoffe verwandelt, könnte sich das vielleicht ändern.

    [Quelle: Volker Mrasek]