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Vom Geheimtipp zum internationalen Literatur-Marathon

Mantua - das norditalienische Städtchens in der Poebene - verwandelt seinen Innenstadtbereich in eine Flaniermeile, auf der man bei warmen Septemberwetter spazieren geht, und in eines der vielen Straßencafés einkehrt, um einen Cappuccino zu trinken. Unterwegs sieht man Umberto Eco, Toni Morrison oder Ken Follett. Die literarische Prominenz macht den besonderen Reiz dieses Literaturfestivals aus, das sich seit acht Jahren zunehmenden Erfolgs erfreut. Dreißig tausend Literaturpilger kommen in diesen Herbsttagen nach Mantua - um ihre Idole lesend zu erleben - häufig in pittoreskem Setting, mittelalterlichen Palazzi und Innenhöfen.

Von Henning Klüver |
    Nicht alle Schriftsteller sind so vielseitig begabt wie der Italiener Andrea de Carlo, der gleich am ersten Abend auf dem Literarturfestival von Mantua mit einer kleinen Musikgruppe Eigenkompositionen vorstellte. Doch steht an den fünf Festivaltagen bis zum Montag natürlich das Wort im Vordergrund. Autoren aus aller Welt verwandeln die Plätze und Innenhöfe, die Kirchen und Theater der bezaubernden Renaissancestadt in der Po-Ebene zu einer einzigen Bühne. Eine Bühne für unbekannte Schriftsteller wie für Weltstars

    "Ich habe viel Spaß hier", sagt die Nobelpreisträgerin Toni Morisson, "das ist eine wunderschöne Stadt und so fröhlich."
    Die Besucher drängen zu ihr wie zu Ken Follett. Lange Schlangen bilden sich bei den Veranstaltungen von Mark Haddon und natürlich bei Umberto Eco. John M. Coetzee tritt neben Alice Sebold auf, Antonio Tabucchi neben Doris Lessing. Über dreihundert Autoren, Gäste, Journalisten diskutieren mit dem Publikum über Lyrikformen und Architektur, Satzbau und Krieg, Grammatik und Terrorismus. Und wenn Autoren wie Edward Bunker zusammen mit dem Italiener Carlo Lucarelli auf die Bühnen kommen, schlagen ihnen die Herzen der Menschen entgegen.

    In Mantua wird der Literatur ein Fest bereitet. Zum Beispiel auch in der Dauerlesung eines wiederentdeckten Buches aus dem 16. Jahrhundert. Der Renaissancedichter Teofilo Folengo beschreibt in 25 Gesängen des Leben seines Helden "Baldus" und parodiert in einer Art Küchenlatein die Macht und die Mächtigen. Während des Festivals lesen jeden Tag sieben Stunden lang Laienschauspieler in der Loggia eines historischen Kornspeichers abwechselnd aus dem Buch – und die Leute hören mal dem Makkaroni-Latein mal dem Italienisch konzentriert zu.

    Neben Prosa und Lyrik werden ebenfalls Theatertexte vorgestellt. In diesem Jahr präsentieren italienische Theatergruppen zum ersten mal auch ausländische Bühnentexte aus dem englischen oder aus dem deutschen Sprachraum in szenischen Lesungen. Ulrike Tietze beschreibt wie sich die Goethe-Institute Mailand und Rom daran beteiligt haben.

    Wir haben als deutschen Autoren den Roland Schimmelpfennig mit dem Text 'Vorher/Nachher' und wir haben Lukas Bärfuss mit den 'Sexuellen Neurosen unserer Eltern' als Texte ausgewählt. Die hat das Goethe-Institut dann übersetzen lassen. Das Goethe Institut hat seit zwei, drei Jahren im Internet eine so genannte Theaterbibliothek. Weltweit übersetzen wir Theaterstücke, neue deutsche Theaterstücke in die jeweiligen Landessprachen, das ist eine Zusammenarbeit mit allen deutsche Theaterverlagen, die einzigartig ist.

    Zu den Themen, die auf diesem Festival diskutiert werden, gehörten also auch deutsche Angelegenheiten. Aber die müssen nicht immer von außen ins Land gebracht werden. Die in Schlesien geborene Autorin Helga Schneider lebt seit über vierzig Jahren in Bologna und schreibt ihre Bücher im Original auf Italienisch. Mit den Erzählungen über ihre Jugend im Dritten Reich wie zum Beispiel "Kein Himmel über Berlin" oder "Lass mich gehen" wird Helga Schneider regelmäßig von italienischen Schulklassen eingeladen.

    Von mir wollen Sie wissen, wie war es im Nazismus, denn wir studieren ja Deutschland und den Nazismus, aber nicht wie Du es uns erzählst, so von ganz unten auf, die Gerüche, die Angst und diese ganzen Sachen. Da sind sie immer sehr, sehr beeindruckt.

    Dennoch überwiegt in Mantua in diesem wie bereits in den vergangenen Jahren neben der italienischen Literatur die Präsenz von Autoren aus dem angelsächsischem Raum. Die deutsche Gegenwartsliteratur wird in Italien immer weniger wahrgenommen. Ulrike Tietze vom römischen Goethe-Institut begründet das so:

    Das liegt teilweise daran, dass in den Verlagen immer weniger Lektoren sind, die überhaupt Deutsch lesen können, das heißt es gibt kaum noch Fachleute, die sich in den Verlagen für zeitgenössische deutsche Literatur interessieren, und demzufolge werden vorwiegend Texte aus englischsprachigen Ländern ins Italienische übersetzt. Daran schließt sich jetzt ein anderes Projekt des Goethe-Instituts in Italien an, das wir nächstes Jahr starten wollen, nämlich der Aufbau eines Netzwerkes für zeitgenössische Literatur, für deutsche Literatur in Italien.