Archiv


Vom Glauben heute

Religion, zumal die großen Religionen, waren Thema des Internationalen Theaterfestivals in Freiburg. Die israelische Performerin Smadar Yaron zeigte sich in sexuell-mystischer Ekstase und ein iranischer Theaterregisseur konzentrierte sich auf die große Rolle der Mystizismus im Leben eines jeden Iraners.

Von Dorothea Marcus |
    "Take me… take me… take me… let’s lie in bed all day…and tell each other about our childhood….
    I am Smadar Yaron. Second generation of the survivors of the Holocaust…I have the honor here to light the torch in Auschwitz today… to millions… and millions… "

    Nimm mich, David, lass uns den ganzen Tag im Bett liegen, haucht die israelische Performerin Smadar Yaron, und lässt sich in der protestantischen Freiburger Christuskirche von einem überdimensionalen Davidstern penetrieren - zu Wagner-Klängen. In Glitzerstrapsen, auf dem knappen Höschen an pikanter Stelle ebenfalls ein blauer Davidstern aufgenäht, windet sich Smadar Yaron in ihrer Performance "Wishuponastar" in sexuell-mystischer Ekstase – um sich dann kreischend als Auschwitz-Opfer der zweiten Generation zu stilisieren. Eine Fackelträgerin des israelischen Opfertums, das sie gleichzeitig vertritt und kritisiert.

    Die Performerin überschreitet in der Kirche lustvoll, geschmacklos und zuweilen quälend hysterisch israelische und deutsche Tabus – religiöse und nationale. Der Davidstern, Symbol des Judentums und Israels, ist bei ihr Anbetungsobjekt und Gegenstand der Kritik zugleich. Yaron will hinter die ihrer Ansicht nach aufgeklebten Tabus stoßen, sie spießt den deutschen Schuldkomplex ebenso auf wie die israelische Schuldverstrickung gegenüber Palästina.

    Nach Ansicht des israelischen Theaterwissenschaftlers Shimon Levy ist das innerhalb der reichen israelischen Theaterszene ein typischer Akt. In Israel, sagt er, wird die Politik auf dem Theater ständig thematisiert – und ist nicht zu trennen von der Religion:

    "Auch die meisten, die nicht religiös sind, haben mit der Glaubensfrage etwas zu tun. Auch, wenn sie nein sagen, ist es eine Aussage. Wir sind Israelis, wir sind vielleicht Juden, weil unsere Eltern Juden waren, aber wir gehen nicht in die Synagoge... es interessiert uns nicht.... Aber damit ist man geboren, damit muss man sich auseinandersetzen. Das macht man auch auf der Bühne. Israelisches Theater ist sehr kritisch. Bei uns ist Realität ein harter Regisseur. Es sind 5,6 Fragen, die fast immer in der Luft sind und auf der Bühne. Holocaust, Araber, Kriege und Religion, soziale Fragen, wovon wir auch mehr als genug haben, dann ethnische Unterschiede zwischen jüdischen Gruppen usw. In dem Sinn behandeln sich die Israelis durch das Theater sehr intensiv."

    Nach Shimon Levy gehören die israelischen Zuschauer nach den Finnen zu den intensivsten Theaterbesuchern in europäisch geprägten Ländern – obwohl es nur eine staatliche Unterstützung erhält, die in etwa derjenigen der Berliner Schaubühne entspricht. Den Glauben im jüdischen Theater sieht er als eine Art zynisch-mystischer Eigentherapie.

    Eine ganz andere Rolle spielt die Religion, wie man sich denken kann, in der Theaterszene des islamischen Gottesstaats Iran. Dort gibt es vor allem zwei Erscheinungsformen: eine moderne, junge Theaterszene, die einst stark vom Schah gefördert wurde und die iranische Bevölkerung auch heute trotz Zensur in Scharen ins Theater lockt. Und es gibt das weit verbreitete traditionelle Tazieh-Theater, im Jahr nur drei Wochen gespielt wird: Ein schiitisches Trauerritual, das den brutalen Tod von Imam Hossein, dem größten Märtyrer des schiitischen Islam nachstellt und bei der einfachen Bevölkerung oft religiöse Trauerekstasen auslöst. Wie verträgt sich das mit dem Bilderverbot des Islam? Der Teheraner Theaterwissenschaftler Ghotebin Sadeghi:

    "Das Tazieh war während der Schah-Zeit praktisch tot.
    Erst nach der Revolution ist es erneuert worden, stark unterstützt von der religiösen Politik des Landes. Es ist eine Basis des Regimes, um es zu konsolidieren und Propaganda zu machen – und es hat seine Wurzeln tief in der persischen Geschichte. Der religiöse Klerus war dennoch stark dagegen, es wieder einzuführen – weil es in der Tat gegen das Bilderverbot verstößt. Aber es zeigt, was für eine große Rolle der Mystizismus im Leben eines jeden Iraners spielt. Das merkt man auch im modernen Theater, das kaum etwas mit Tazieh zu tun hat: Iranische Regisseure versuchen immer, etwas hinter den alltäglichen Phänomen zu zeigen, eine Verbindung zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen zu schaffen. Dass zeigt sich selbst in Komödien oder im Marionettentheater. "

    "Gestern bin ich gestorben. Alle Menschen, die ich gern habe, sind gegangen", spricht eine Stimme in einen dunklen Raum. Es ist der kleine Junge Oskar aus dem Bestsellerroman des belgischen Autors Eric-Emanuel Schmitt "Die Dame in Rosa", die der persische Gegenwartsautor Mohammad Charmshir in ein philosophisches Zwiegespräch zwischen einem todkranken Mann und seinem resolut mitleidfreien Todesengel verwandelt hat, der Oskars Jammern verspottet und an einem rosa Riesenschal strickt, der schließlich das Leichentuch wird – auf der Leinwand explodiert ein stilles Feuerwerk, über dem Toten hängen Geburtstagsgirlanden. Die iranische Regisseurin Jalile Haibatan:

    Der Tod ist das Fest der Veränderung. Dies ist keine islamische oder christliche Sicht auf den Tod, sondern eine menschliche Sicht. Der Tod ist der Beginn eines neuen Stadiums, diesen Gedanken gibt es in allen Religionen. Wichtig ist ja vor allen Dingen, dass man im Angesicht des Todes das Leben lernt.

    Und das Theater im aufgeklärten Deutschland? Auch hier scheint sich eine neue spirituelle Sehnsucht anzudeuten – zumindest in Freiburg, wo trotz des spröden Festivalmottos, WM-Fieber und Sommerhitze die Zuschauer rege ins Theater strömen. Der belgische Regisseur Luc Perceval, neuer Hausregisseur an der Berliner Schaubühne, propagiert in seinen Inszenierungen schon lange eine neue Ritualität im für ihn recht depressiven deutschen Theater:

    " Für mich ist Theater und Glauben ein Widerspruch eigentlich. Weil Glauben ist für mich gleich an Religion, und Religion ist sehr dogmatisch. Andererseits gibt es schon eine Gemeinsamkeit zwischen Glauben und Theater, in dem Sinn, dass der Glauben erfunden ist, um die Gemeinschaft ein Gefühl von Halt zu geben. Ein Gefühl von Orientierung, eine Moralität.
    Ich finde dass es sich viel mehr anlehnt bei der östlichen Philosophie. Die letztendlich sagt: wir wissen nicht, woher wir kommen und wohin wir gehen, dafür gibt es keine Antwort. Da kann man nur sagen: aus dem Nichts. Wir kommen vom Nichts und gehen zum Nichts. Und in dem Sinne hat Theater viel mehr mit Spiritualität zu tun. Weil es uns eigentlich konfrontiert mit unserem Nicht-Wissen. Darin schafft das Theater eigentlich eine Gemeinschaft von Nicht-Wissenden."