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Vom Glück des Leidens

Der Theater- und Opernregisseur Dietrich Hilsdorf hat es in Chemnitz geschafft, Leute scharenweise für zeitgenössische Musik zu begeistern, mit einer Oper von Peter Eötvös, "Liebe und andere Dämonen". Jetzt hat er sich dem Dämon Liebe erneut verschrieben, mit Richard Wagners "Tristan und Isolde". In Wiesbaden inszenierte Dietrich Hilsdorf diese Oper der tragischen Sehnsucht.

Von Frieder Reininghaus |
    "Kennst du der Mutter Künste nicht?" - Silvia Hablowetz, am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden als Isoldes Dienerin und Vertraute Brangäne zu hören, ist eine Entdeckung, am Ende auch die starke Figur der Inszenierung. Freilich konzentriert sich die optische Komponente der Produktion schwerpunktmäßig um die Künste der Väter: auf die Kleider- und Hackordnung in einer militarisierten Gesellschaft, auf In-Gewahrsam- und Inbetriebnahme von Frauen sowie machtgestützte Männerfreundschaft.

    Unter den Sängern behauptet sich in den kleineren Rollen neben Hablowetz unter anderem Thomas de Vries als Tristans dienstbarer Geist Kurwenal - bestens. Der junge australische Tenor Angus Wood profiliert sich als eifriger und böser Melot.

    Weniger glücklich geriet die Besetzung der drei zentralen Partien: Bernd Hofmann verfügt zwar über das profunde Material, das ein überzeugender König Marke mitzubringen hat, doch durchkreuzen technische Mängel den Eindruck der abgeklärten Souveränität. Alfons Eberz bestreitet die Titelpartie mit allzu hohem Krafteinsatz - Tristan ist doch nicht der Anführer einer Drückerkolonne! Turid Karlsen rührt - als Isolde - mit ihren Liebesbekundungen im zweiten Aufzug an die Grenzen zur Peinlichkeit, schwingt sich - ganz in schwarz als Todesbotin - am Ende zu einem achtbaren "Liebestod" auf. Marc Piollet schlägt, um der Akkuratesse willen, zunächst sehr kleingliedrig, öffnet die Schleusen fürs große Klangfluten erst dem Ende zu - da gewinnt dann die Musik insgesamt großen Zug und Dynamik.

    Dietrich Hilsdorf, der in einer langen Laufbahn bislang wohl noch nie ein Musikdrama von Richard Wagner inszenierte, hatte unverkennbar die Absicht, eines der Hauptwerke des 19. Jahrhunderts zu "knacken". Er inszenierte die (Unmöglichkeit von) Liebe in Zeiten des Krieges - und dieser Krieg ist jener, der auch die Jugend der älteren Theatergänger-Generation noch überschattete. Damit knüpfte der Regisseur an die "Freischütz"-Inszenierung an, mit der er vor einem Jahr in Wiesbaden die Gemüter erhitzte.

    Von Ende her wird auch der Anfang der neuen "Tristan"-Produktion plausibel: Isolde wird nicht auf dem Schiff von Irland nach Cornwall gebracht, um mit Marke vermählt zu werden, sondern sie befindet sich, zusammen mit anderen Frauen, die gefügig gemacht werden sollen, in einem Kellerverlies. In der Etage drüber, mit denen der Bühnenbildner Dieter Richter an die Repräsentationsräume auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg erinnert, findet dann das schicksalhafte Rendezvous der beiden Protagonisten statt, bei dem sie in flagranti ertappt, als treuer Held beziehungsweise Gattin des Chefs demontiert werden.

    Der tödlich verwundete Tristan wird in Markes Rollstuhl gesetzt und mit dem Fahrstuhl nach unten ins Verlies gebracht, in dem der Lagerkoller um sich greift. Dort - und damit setzte die Inszenierung den bemerkenswertesten Akzent - gaukelt ihm Kurwenal vor, er sei frei und geborgen, mit einem Schiffchen über das Meer in die Burg seiner Väter gebracht worden und auf dem Weg zur Genesung. Es ist sichtbar Trost für einen Todkranken, dem die medizinische und menschliche Hilfe durch die ferne Geliebte zu spät kommt. Isolde wird von Marke mit verbundenen Augen hereingeführt. Der König lässt den grausamen Versuch am offenen Herzen vollenden: Liebe realisiert sich als zunehmend extreme Qual.

    "Hier wütet der Tod", singt Kurwenal, und Marke resümiert: "Der Wahn häufte die Not." Richter und Hilsdorf haben vor allem diesen Aspekt der "Handlung" in starke Bilder gebracht.