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Vom Handicap nicht unterkriegen lassen

Noch bis Sonntag treffen sich rund 300 stotternde Menschen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Bielefeld. Sie hören sich Vorträge an, wollen über ihr Handicap sprechen und für mehr Toleranz bei den Mitmenschen werben.

Von Björn Haubrok | 04.10.2013
    "Es ist so, wenn man im Restaurant etwas bestellen will, das man dann etwas anderes bestellt. Bei mir ist es so: Ich liebe Apfelschorle, ich trinke den ganzen Tag nur Apfelschorle. Nur: Ich mag die 'A's' nicht, gerade so am Anfang, sodass ich mir einen "Eistee" bestellt, weil das einfacher auszusprechen ist als das 'A'"."

    Solche Situationen kennen alle stotternden Menschen: sagt Daniela Berkemann. Sie ist 20 Jahre alt und stottert seit ihrer Kindheit. Besonders schwer fällt ihr das Sprechen, wenn sie Stress hat, wenn sich die gewohnte Umgebung plötzlich verändert.

    ""Schulwechsel und so was sind Stress, die verstärken die Symptomatik dann, genau wenn etwas in der Familie war, das merke ich auch sofort immer."

    Wo genau die Ursachen für das Stottern liegen, kann auch die Wissenschaft noch nicht beantworten. Daniela lässt sich von ihrem Handicap aber nicht unterkriegen. Sie hat inzwischen akzeptiert, dass ihr Sprechen manchmal ins Stocken gerät. Und nicht nur sie, sondern auch ihr Chef. Daniela macht eine Ausbildung zur Erzieherin. Sie möchte später gerne im Kindergarten arbeiten. Ihr Handicap sieht sie dabei nicht als Problem.

    "Mit Kindern kann ich wirklich zum großen Teil gut sprechen. Dann so was wie Sprachförderung, das bleibt halt bei mir außen vor, das müssen dann halt die Kollegen für mich mitmachen. Dafür kann ich dann andere Sachen. Ich habe auch von keinem Kindergarten bisher eine negative Rückmeldung erhalten."

    Mit ihrer Geschichte möchte Daniela Berkemann vor allem jungen Stotterern Mut machen. Auf dem Kongress in Bielefeld können sich die Besucher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auch über Therapieformen informieren. Da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel geändert, findet Kongressorganisator Gerhard Hölscher aus Bielefeld. Der 66-Jährige kennt noch die qualvollen Sprechtrainings aus seiner Kindheit.

    "Ich kann mich daran erinnern, dass es damals darum ging: Jau, der Junge muss mal richtig sprechen lernen. Eine Sprachtherapie arbeitete mit einem Metronom. Da musste ich immer noch einen gewissen Takt reden. Dieses Reden fand ich dann noch beschissener als mein Reden selbst. Habe ich damals auch abgelehnt."

    Heute setzen viele Profi-Trainer auf spezielle Atemtechniken, um bei den Betroffenen im Körper die Spannung abzubauen. Und ein weiter wichtiger Punkt: Lernen, dass eigene Stottern zu akzeptieren. Klaus Liebisch hat damit gut Erfahrungen gemacht. Er ist über zehn Jahren von einem Sprechtrainer behandelt worden. Mit ihm zusammen hat er auch gelernt, langsam und deutlich zu sprechen. Der Erfolg kommt aber immer nur millimeterweise, sagt Klaus Liebisch. Vor einigen Tagen hat er aber ohne Probleme einen Vortrag vor Publikum gehalten.

    "Und jetzt habe ich so viel Selbstvertrauen, das ich auch vor fremden Leuten symptomfrei sprechen kann. Es kann aber auch sein, wenn ich jetzt hier aus dem Raum herausgehe, dass ich kein Wort rausbekomme. Aber ich weiß, wie ich da wieder rauskomme."

    Für Klaus Liebisch ist manchmal auch belastend, wie Mitmenschen mit seinem Handicap umgehen. Manchmal starren Leute ihn an, wenn Wörter nur schwer aus dem Mund kommen oder sagen gemeine Dinge.

    "Ich habe das bei mir auf der Arbeit erlebt, dass ein Vorgesetzter mich vor versammelter Mannschaft nachgeäfft hat. Also nachgestottert. Da habe ich dem aber gleich gesagt: Was du da gemacht hast, ist nicht richtig. Und wenn du stottern willst, dann musst du bei mir in die Lehre gehen. Dann kannst du richtig stottern. Das hat geholfen, dass er so was nicht wieder gemacht hat."