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Vom "Horst Wer?" zum Bürgerpräsident

Am 23. Mai möchte Horst Köhler erneut für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren. Die Wahl könnte zur Wackelpartie für den beliebten Bürgerpräsidenten werden. Denn ob alle Wahlmänner von CDU, CSU, FDP und Freien Wählern für ihn stimmen, ist fraglich. Nicht völlig auszuschließen ist, dass Horst Köhler die Quittung für seine ständigen Nörgeleien an den Parteien bekommt.

Von Sabine Adler |
    Förmlich aus dem Hut gezaubert hatten Angela Merkel, Edmund Stoiber und Guido Westerwelle 2004 ihren Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Die mächtigste Frau Deutschlands, wie die Regierungs- und CDU-Chefin heute vor allem gern im Ausland genannt wird, war damals, 2004, noch Oppositionsführerin. Edmund Stoiber bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender, Parteichef Westerwelle drückte mit seiner FDP schon das sechste Jahr die Oppositionsbank.

    Alle drei hatten sich nach längerer Rat- und Ideenlosigkeit auf Angela Merkels Vorschlag geeinigt, der Horst Köhler lautete. Der bekleidete in jenen Tagen das Amt des Geschäftsführers des Internationalen Währungsfonds. Köhler willigte ein, und am 4. März 2004 wurde verkündet: Der in der Küche von Guido Westerwelle ausgeklüngelte Personalvorschlag von Schwarz-Gelb sei beschlossene Sache.

    Weder war Köhler von Beginn an auf Rosen gebettet, noch durfte er Vorschusslorbeeren erwarten, zu umstritten war seine Kandidatur auch in den eigenen Reihen - abzulesen am Abstimmungsergebnis, das Wolfgang Thierse bekanntgab.

    "Herr Prof. Dr. Horst Köhler, Herr Prof. Dr. Gesine Schwan… Frau Prof. Dr. Gesine Schwan."

    Nach kurzen Startschwierigkeiten hatte der damalige Bundestagspräsident dann die Zahlen parat.

    "Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt: abgegebene Stimmen: 1204; ungültige Stimmen: zwei; gültige Stimmen: 1202; Enthaltungen: neun. Es entfallen auf Herrn Horst Köhler 604 Stimmen."

    Der Sieg schon im ersten Wahlgang mit einer Stimme mehr als für die absolute Mehrheit erforderlich konnte leicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm 18 Abgeordnete aus dem schwarz-gelben Lager ihre Unterstützung versagt hatten.

    Köhler machte gute Miene zu diesem Spiel - wie noch öfter in den folgenden knapp fünf Jahren. Auch wenn er es nie öffentlich sagen würde, hatte ihn schon die Art und Weise geärgert, in der die Wahl auf ihn als Kandidaten gefallen war. Dabei war der Auserkorene damals nicht einmal anwesend, an jenem recht unorthodoxen Ort für eine Bundespräsidentenentscheidung.

    "Ich habe das nie nachvollziehen können, dass es etwas Unwürdiges sein soll, wenn sich drei Parteivorsitzende, die sich auch persönlich gut verstehen, in einer Privatwohnung treffen, wo der eine wohnt. Ich habe gelegentlich gelesen, das sei unwürdig. Ich frage mich, was an meiner Wohnung unwürdig sein soll. Ich halte das offen gestanden für ziemlich verkorkst."

    Dennoch: Die Westerwelle-Küche haftete Horst Köhler an wie ein hartnäckiger Fleck am Revers. Es folgten etliche kleinere Verstimmungen, zum Beispiel die hinter vorgehaltener Hand vorgebrachte abwertende Bezeichnung vom Bundespräsidenten als Sparkassendirektor, die immer dann, auch aus den eigenen Reihen verlautete, wenn er die Parteien kritisiert oder ein Gesetz nicht unterschrieben hatte, weil es ihm nicht grundgesetzkonform erschien.

    Populär wie der Bundespräsident mittlerweile ist, singt auch sein Miterfinder Westerwelle ausschließlich das hohe Lied des Lobes.

    "Der Bundespräsident - übrigens auch mit seiner großartigen Frau - ist ein wirklicher Bürgerpräsident. Er findet die klaren Worte, hat einen inneren eindeutigen Kompass und er war auch unabhängig gegenüber einer Regierung. Und er ist jemand, der in Zeiten der Globalisierung Vorschläge macht mit einer hohen Kompetenz, die er persönlich durch sein Berufsleben mitbringt."

    So wenig wie die Politik sich mitunter an dem Präsidenten freute, so wenig dürfte auch er sich mit ihr immer eins gefühlt haben; zum Beispiel als er zur Kenntnis nehmen musste, dass die Kanzlerin keinerlei Anstrengungen unternommen hatte, den Koalitionspartner SPD für seine zweite Amtszeit zu gewinnen.

    Ende 2007, Anfang 2008 wäre es vielleicht möglich gewesen, Kurt Beck mit ins Boot zu holen. Aber der ohnehin angeschlagene Parteivorsitzende wollte gebeten werden. Angela Merkel schwieg, ließ stattdessen Guido Westerwelle vorpreschen, der sich für die Wiederwahl Köhlers aussprach. Derart beiseitegeschoben, meinten nun die Genossen, auf eine eigene Kandidatin nicht mehr verzichten zu können. Eine Sichtweise, der sich Westerwelle heute nur allzu gern anschließt.

    "Ich glaube, dass zum damaligen Zeitpunkt die SPD so sehr mit sich selbst beschäftigt war, dass sie hier ihr Herz über die eigenen Parteigrenzen nicht werfen konnte, nicht wollte."

    Am 22. Mai 2008, ein Jahr und einen Tag bevor die Bundesversammlung erneut zusammentritt, verkündete Horst Köhler, ein zweites Mal kandidieren zu wollen.

    Anders als die drei Amtsinhaber vor ihm, die zur Wiederwahl bei völlig klaren Mehrheitsverhältnissen antraten, ist der Ausgang dieser zweiten Kandidatur für den amtierenden Bundespräsidenten offen. Muss er doch, angesichts der SPD-Kandidatin, ohne die Stimmen der Sozialdemokraten auskommen.

    "Ich wusste nicht, ob ich nun die Mehrheit habe. Ich fand es nur fair, dann ein Jahr vorher zu sagen, was ich selber will. Und heute denke ich: An der Situation, dass ich immer noch nicht sicher weiß, ob ich gewählt werde, hat sich nichts geändert. Ich bin aber zuversichtlich."

    Diese Risikobereitschaft spricht für Köhlers Mut, schadet andererseits dem Amt keineswegs, meint der Historiker Tobias Kies von der Universität Bielefeld. Stattdessen sei nun eine echte Wahl gewährleistet, was die Demokratie nur festigen könne.

    "Man sieht ja bei dem Amt des amerikanischen Präsidenten, bei diesen ganzen Vorwahlen, dass es durchaus ein belebendes Moment Demokratie sein kann. Der Bundespräsident wird ja durch ein Wahlmänner-Gremium gewählt, ähnlich wie der amerikanische Präsident auch. Es gibt ja das andere Beispiel mit Steffen Heitmann, der ja durch eine Mobilisierung der Öffentlichkeit verhindert wurde."

    Selten war eine Bundespräsidentenwahl wie die in gut zwei Wochen so spannend. Anders als bei Parlamentswahlen beispielsweise kommen die hohen Beliebtheitswerte des Kandidaten nur bedingt zum Tragen, denn die Abstimmung über das oberste Amt im Staate ist, zumal in einem Bundestagswahljahr, ein Kräftemessen der politischen Lager - auch wenn sich die Kandidaten noch so überparteilich geben.

    Umso mehr könnte sich Horst Köhler wohl über Angela Merkel geärgert haben, weil sie in ihrer Funktion als Parteichefin viel zu wenig unternommen hatte, um die CDU einzuschwören, die Reihen angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse fest zu schließen.

    Stattdessen fochten die Dresdner Christdemokraten auf dem Rücken des Bundespräsidenten einen regionalen Kleinkrieg aus. Neun CDU-Fraktionsabgeordnete stimmten nicht für die eigene Wahlmännerliste, was der Chef der FDP-Landtagsfraktion Holger Zastrow mit Häme quittierte:

    "Man sieht eben, dass ein Spitzenplatz bei Pisa nicht generell hilft, sondern zumindest mal die CDU-Landtagsabgeordneten Nachholbedarf haben und nachsitzen müssen."

    Was im Nachhinein als "Abstimmungspanne" verkauft wurde, war in Wahrheit ein Racheakt. Etliche Abgeordnete wollten die sächsische CDU-Führung wegen Wahllisten zur Landtags- und Bundestagswahl offenbar gezielt abstrafen, denn kandidieren sollen zur Hälfte sehr junge Parteimitglieder, die alten haben das Nachsehen. Im Ergebnis werden statt 16 nur 14 sächsische CDU-Abgeordnete Horst Köhler in Berlin unterstützen, zwei weniger als theoretisch möglich.

    Als hätte die Panne in Sachsen nicht genügt, folgte die in Bayern. Statt wie SPD und Grüne eine gemeinsame Wahlliste zu bilden und damit eine Stimme zusätzlich herauszuschlagen, fiel es den seit Jahrzehnten allein regierenden Christsozialen, die sich an den Gedanken einer Koalition offensichtlich noch immer nicht gewöhnt haben, gar nicht ein, mit der FDP zusammen eine Liste zu erstellen. Damit verzichteten sie auf eine Stimme, die sie sich zusätzlich hätten sichern können.

    Köhler muss nun mit drei Stimmen weniger als möglich auskommen, dabei sind die Mehrheitsverhältnisse bei dieser Wahl ohnehin knapper, als bei der vor fünf Jahren.
    Entsprechend größer schätzt die Köhler-Herausforderin Gesine Schwan ihre Chancen ein und kämpft bis zuletzt; schreckte vor dem direkten Angriff des Amtsinhabers nicht zurück, als sie dem gegenwärtigen Hausherren von Schloss Bellevue vorwarf, er vertiefe den Graben zwischen Politik und Gesellschaft. Der wiederum nutzte eine Steilvorlage, die sie ihm bot, als sie vor sozialen Unruhen warnte, die die Wirtschaftskrise auslösen könnte.

    "Es geht darum, dass wir als Gemeinschaft, als Gesellschaft insgesamt Lehren aus dieser Krise ziehen, und dazu gehört, dass wir natürlich ein Bewusstsein haben der Ernsthaftigkeit dieser Krise. Das kann überhaupt nicht wegdiskutiert werden. Was nicht geschehen sollte, ist, uns selber erstens in Panik reden und zweitens uns in eine Situation reden, als könnten wir diese Krise am Ende nicht beherrschen."

    Wirklich an Format gewonnen hat der so häufig Kritisierte im letzten Drittel seiner Amtszeit; wird als Bürgerpräsident empfunden. Politisch Interessierte schätzen sein nimmermüdes Engagement für den afrikanischen Kontinent, die grüne Bundestagsabgeordneten Uschi Eid so sehr, dass sie ihn wählen will. Denn Köhler sparte nicht mit Kritik an die Adresse der deutschen und EU-Politiker.

    Reiter in langen bunten Gewändern mit tuareg-ähnlichen Kopftüchern treiben ihre Pferde auf eine Tribüne zu, stoppen abrupt und erheben ihre Schwerter: Ehrerbietung an das muslimische Oberhaupt des nigerianischen Bundesstaates Kano und den Staatsgast aus Deutschland an dessen Seite. Köhler suchte auf seinen Reisen nach Afrika das Gespräch mit den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen - wie hier im Vielvölkerstaat Nigeria, der zwischen großer religiöser Toleranz und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen oszilliert. In Nigerias Hauptstadt Abuja traf er mit Antikorruptionsorganisationen zusammen und nutzte seine Position, um den reformorientierten Kräften den Rücken zu stärken.

    Viele der Amtskollegen, denen Köhler als Staatsoberhaupt begegnete, kannte er bereits aus seiner Zeit als Chef des Internationalen Währungsfonds - einer Organisation, die, wie er sehr wohl begriff, in den 90er-Jahren, also vor seiner Führung, viel Schaden in Afrika angerichtet hatte. Köhler dagegen nutzte den IWF für den Kampf gegen die Armut weltweit. Und auch als Bundespräsident ließ er in diesem Engagement nicht nach, was er schon in seiner Antrittsrede 2004 ankündigte:

    "Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit unserer Welt am Schicksal Afrikas."

    Unmenschlich nannte er die Migrations- und Entwicklungspolitik der EU mit Blick auf die Situation der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Den Afrikanern müsse in ihrer Heimat ein würdiges Leben ermöglicht werden:

    "Ich glaube, dass Europa einfach zu langsam ist, nicht nur in der konkreten Politik, sondern auch in der moralischen Erfassung dieses Problems."

    Gemeinsam mit der "Zeit"-Stiftung begründete der Bundespräsident die Initiative "Partnerschaft mit Afrika", eine Art jährliches Wochenendseminar. Hinter verschlossenen Türen diskutieren von ihm persönlich geladene Staatschefs aus Afrika mit Wirtschaftsbossen, Parlamentariern, NGO-Vertretern sowie mit Intellektuellen und in Afrika engagierten Künstlern wie Wole Soyinka, Nuruddin Farah, Henning Mankell oder Wolfgang Niedecken, ein Rahmen, in dem sich Köhler sichtlich wohl fühlte.

    Ähnlich sicher wie auf afrikanischem Terrain bewegte sich Köhler vor allem, wenn es um Wirtschaftfragen ging. Nach seiner ersten großen Rede, die den Titel "Die Ordnung der Freiheit" trug und die er beim Arbeitgeberforum "Wirtschaft und Gesellschaft" im März 2005 in Berlin hielt, fühlten sich die SPD und die Linke des Landes in ihrem Vorurteil bestätigt, es mit einem sogenannten neoliberalen Bundespräsidenten zu tun zu haben, der ganz im Sinne der Parteien agierte, die ihn nominiert hatten.

    "Seit Jahrzehnten fallen Bundes- und Landesregierungen und nicht zuletzt Brüssel immer wieder neue Auflagen und Regulierungen für die Wirtschaft ein. Wirtschafts- und Sozialverbände haben das ihre dazugetan, und die Bürger ließen sich gern immer neue Wohltaten versprechen und Geschenke machen. Deshalb machen hohe Abgaben Arbeit teuer und können doch nicht verhindern, dass unseren Sozialsystemen der Kollaps droht."

    Der neoliberale Präsident - diese Charakterisierung stimmte spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr, denn kaum jemand ging mit den Bankmanagern so hart ins Gericht wie Köhler im November vorigen Jahres auf dem Europäischen Bankenkongress in Frankfurt.

    "Die Finanzbranche sollte sich schon aus Eigeninteresse selbst unangenehme Fragen stellen. Es sind Fragen nach der Verantwortung der Akteure, der Vorgesetzten der Akteure und derer, die die Vorgesetzten zu beaufsichtigen haben. Es sind Fragen nach der Kompetenz, nach Vergütungssystemen, die kurzfristiges Denken und Herdenverhalten verstärkt haben."

    SPD-Kandidatin Gesine Schwan hätte wohl vieles kaum anders formuliert.
    Die Zeiten, da Köhler sich erst ins Amt einfinden musste, liegen hinter ihm. Bevor seine Reden endlich auf Wohlwollen trafen, wurde sein Widerstand gegen das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung im Oktober 2006 und zwei Monate später gegen das Verbraucherinformationsgesetz gewürdigt. Beiden verweigerte er seine Unterschrift. Das Luftsicherheitsgesetz fertigte er zwar aus, allerdings mit dem Zusatz über seine verfassungsmäßigen Bedenken.

    Horst Köhlers Start begann mit einer Herausforderung, die zunächst eine Nummer zu groß für ihn schien. Deutschland im Jahr 2004/2005, geprägt von der rot-grünen Koalition und einer starken schwarz-gelben Opposition, die die Mehrheit im Bundesrat stellte, befand sich in einer Dauerblockade. Rot-grün verlor nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein auch Nordrhein-Westfalen. SPD-Kanzler Gerhard Schröder setzte einen Punkt, wollte einen Neubeginn mit klaren Mehrheitsverhältnissen. Neuwahlen sollten sie schaffen, wofür zunächst der Bundestag aufgelöst werden musste.

    Am 1.Juli. stellte Schröder dem Parlament die Vertrauensfrage, die er mit der destruktiven Haltung des unionsdominierten Bundesrates sowie den Zweiflern in den eigenen Reihen begründete.

    Danach musste sich der Bundespräsident äußern. Der ließ namhafte Richter und Politiker der Republik die Urteilsbegründungen der Jahre 1983 und 1972 wälzen, als Neuwahlen ebenfalls über das Vehikel der vorsätzlich verlorenen Vertrauensfrage vorgezogen wurden. Eine Blamage vor dem Bundesverfassungsgericht, vor dem zwei Bundestagsabgeordnete geklagt hatten, konnte und wollte er sich nicht leisten. Einen Tag vor dem Ende der dreiwöchigen Frist, erklärte sich Horst Köhler.
    "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich habe heute den 15. Deutschen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen für den 18. September angesetzt."

    Anders als der Kanzler, der für eine Fortsetzung seiner Politik nach der nächsten Bundestagswahl warb, fügte Köhler eine erschreckend düstere Beschreibung der Lage des Landes hinzu.

    "Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie dagewesenen kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden immer älter."

    Die Kommentare nach dieser Begründung waren verheerend. Köhlers Rede habe geklungen wie die Ausrufung eines ABC-Alarms, schrieb etwa Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung".

    Auch der häufig mit wenig Rücksicht auf das höchste Amt im Staate Gescholtene hätte mit dem Wissen von heute die Rede von damals anders gehalten. Zu alarmistisch empfinde er sie selbst im Nachhinein, heißt es.

    Wer ihn aus der Nähe erlebt, spürt, wie sehr ihn die Häme der Journalisten gekränkt haben muss, die durchaus auch auf Äußerlichkeiten abzielte. Er wirke steif, hölzern.
    Horst Köhler hat damit umzugehen gelernt. Es kostet ihn keine Mühe zuzugeben, dass anderen wohl mehr Redetalent mitgegeben wurde. Selbstbewusst bescheiden, lautet die immer öfter zu hörende Beschreibung, in der mehr und mehr Achtung und Respekt durchklingen.
    "Ich weiß aber, dass ich mich nicht mit lauen Ansätzen zur Lösung zufrieden gebe, dass ich ehrgeizig bin. Ich will die Probleme einer Lösung zuführen."

    So zupackend gab er sich schon zu einer Zeit, 2004, als die Mehrheit der Deutschen noch fragte: Horst wer?

    Nicht zuletzt seine ungebrochene Beliebtheit dürfte seine Träume nun wieder hochfliegen lassen, am 23. Mai die absolute oder - wenn dies im ersten und zweiten Anlauf nicht möglich ist - die einfache Mehrheit der 1224 Stimmen zu bekommen. Drei Wahlgänge waren nur 1969 und 1994 nötig.

    Entschieden sich die Wahlmänner und -frauen von CDU/CSU, FDP und Freien Wählern tatsächlich allesamt für Horst Köhler, dann hätte er eine Stimme mehr als für die absolute Mehrheit von 613 erforderlich.

    Die SPD-Kandidatin benötigt dagegen nicht nur alle 513 Genossen und Grüne hinter sich, dazu noch die 90 Abgeordneten der Linkspartei, sondern weitere neun Stimmen aus dem schwarz-gelben Lager.

    Dass sich alle Sozialdemokraten für Gesine Schwan aussprechen, ist nicht ausgemacht, denn drei Bundestagsabgeordneten hatten sich als Wackelkandidaten geoutet. Mit ihnen traf sich die Politikprofessorin zwar zu Einzelgesprächen. Dennoch: Die Wahl ist geheim.

    "Es beunruhigt mich überhaupt nicht. Ich habe volles Vertrauen. Es ist eine freie Wahl. Ich sage nicht, dass ich sie gewinne. Aber sie ist völlig offen."

    Nicht völlig auszuschließen ist, dass Horst Köhler die Quittung für seine ständigen Nörgeleien an den Parteien bekommt. Aber es ist wenig wahrscheinlich, denn dass sich Union, FDP und Freie Wähler gegen den Mann stellen, den 70 Prozent der Bundesbürger direkt wählen würden, wenn das möglich wäre, käme wenige Monate vor den Bundestagswahlen wohl zu schlecht bei den Bürgern an.