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Vom Jagdrevier zur Tourismushochburg

Vor 20 Jahren, kurz nach der Wende, machte die damalige Regierung der DDR die Vorpommersche Boddenlandschaft zum Nationalpark. Eine konsequente Entscheidung für den Naturschutz, der dann allerdings nicht immer eine konsequente Umsetzung folgte.

Von Melanie Last |
    Der Ostseewind fegt über den Darß. Kräftig pustet er aus nordöstlicher Richtung den Prerower Strandsand durch die Luft. Zieht und zuppelt an der Wetterjacke von Friedemann Bartz. Der Nationalpark Ranger schiebt seine olivgrüne Mütze schützend in sein Gesicht. Seit vier Jahren wacht er im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Behütet ihn, wie er sagt, wie seinen Augapfel. Und sei es das noch so kleinste Tierchen.

    "Sehen Sie mal die kleine Muschel, die kennen Sie auch. Das ist die Herzmuschel. Die lebt in der Ostsee. Und sie gräbt sich ins Sediment ein, zwei bis drei Zentimeter tief. Und das Eigenartige an dieser Muschel ist: Die hat so einen starken Fuß. Wenn sie den plötzlich gerade macht, dann springt sie bis zu 50 Zentimeter weit. Und sie ist essbar."

    Auf seiner geführten Wanderung erklärt er, wie sich die Landschaft auf dem Fischland Darß Zingst ständig wandelt. Gerade an den Küsten. Da, wo der raue Seewind fegt. Der Ranger: Selbst immer wieder fasziniert von diesem Naturschauspiel.

    "Der Weststrand verliert im Jahr circa ein Meter an Sedimenten und mit der Küstenströmung legen sich diese Sedimente oben im Strömungsschatten des Darßer Ortes wieder ab. Und der Darßer Ort wächst im Jahr sage und schreibe acht bis zehn Meter. Man kann hier Landwerdungsprozesse beobachten, die man sonst in unserem kurzen menschlichen Leben gar nicht sehen könnte. Das ist nicht möglich. Aber hier ja."

    Genau diese Landwerdungsprozesse führen seit Jahren zum Streit. Es geht um den Darßer Nothafen:

    "Wir wollten eigentlich, dass sich die Natur hier so entwickeln kann, wie sie es gerne möchte, dass die küstendynamischen Prozesse hier wirken können, wie sie es möchten. Aber das ist leider nicht möglich. Es wurde jetzt noch einmal ausgebaggert: eine Fahrrinne, eine Wunde reingeschlagen in den Nationalpark. Das ist ja Kernzonenbereich. Und wir hoffen, dass es bald eine Alternative gibt, dass es irgendwo einen anderen Hafen gibt."

    Für die Fischer, die hier bislang ihre Boote liegen haben. Und für die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft. Die hat ihren Seenotkreuzer im Darßer Nothafen stationiert. Der Geldversenkungsstätte, wie Michael Succow, Gründervater der ostdeutschen Nationalparks, den Hafen nennt.

    "Es kann nur darum gehen, im Raum Zingst einen Hafen zu errichten, auf Stelzen, der in die See reinragt, wo das Meer und die Strömung mit dem Sand durchfluten können. Kostet manches Geld, aber das ist notwendig und sinnvoll angelegt."

    Und der Kampf gegen die Natur am Darßer Nothafen wäre nach vielen Jahren endlich beendet.

    Michael Succow, Professor für Botanik und Landschaftsökologie, erinnert sich an die bewegende Wendezeit. 1990 hat der Greifswalder das Konzept der Großschutzgebiete ausgearbeitet, wollte möglichst viel der DDR-Konkursmasse in Nationalparks bringen.

    "Die Militärs kamen zu mir – ich war damals ja stellvertretender Umweltminister – und sagten: Wir wollen auch einen Beitrag leisten für das nationale Naturerbe. Und so ist dann Darß Zingst von den Bürgern, von den Politikern, von den oppositionellen Bewegungen als Großschutzgebiet gewollt worden. So ist es damals in Windeseile, innerhalb eigentlich einem Vierteljahr konzipiert worden."

    Bis heute steht Michael Succow dem Leiter und den Rangern des Nationalparks beratend aber auch kritisch zur Seite.

    "Es war ja Jagdgebiet vom Honecker, der Altdarß. Und dort war eine viel zu hohe Wilddichte, die einen natürlichen Buchenwald, der dort jetzt hingehört, nicht zuließ. Da ist der Wildbestand zu hoch. Die Hirsche fressen die jungen Laubbäume ab, sodass hier in den nächsten Jahren unbedingt ein Wildmanagement erfolgen muss."

    Gut entwickelt hat sich unterdessen die Population der Seeadler. Sie brüten wieder im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, erklärt Friedemann Bartz und greift zu seinem Fernglas. Ganz aufmerksam blickt er hindurch, auf der Suche nach einem Seeadler.

    "Er sitzt auf seinen Warten und wartet dort auf Beute: auf Wasservögel, auf Fische, auf Säugetiere. Wenn er auf seiner Warte sitzt, dann sitzt er ganz ruhig. Manchmal eine halbe Stunde, bewegt sich gar nicht. Und dann sagen die Leute zu uns: Da haben sie einen Plastevogel hingestellt. Aber das ist schon der echte Seeadler, der dort sitzt, der ein Alter von bis zu 50 Jahren erreichen kann. Das ist der größte Greifvogel übrigens, den wir haben in Deutschland mit einer Flügelspannweite von bis zu zwei Meter und 50."

    Also kaum zu übersehen, wenn er über die Boddenlandschaft kreist. Ebenso die imposanten Kraniche. Die kommen allerdings erst wieder im Herbst, erzählt Friedemann Bartz weiter. Mehrere Zehntausend Vögel des Glücks verweilen dann in der Vorpommerschen Boddenlandschaft – dem heute größten Rastplatz Europas – bevor sie weiter Richtung Süden fliegen.