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Vom Jünger zum Kritiker

Der anfangs blinde Goldman-Jünger Greg Smith wandelte sich nach der geplatzten Finanzblase im Jahr 2008 zum Kritiker. Sein Buch schildert das Innenleben der berühmtesten Investmentbank der Welt, die trotz aller Beteuerungen, sich zu wandeln, an ihrem Geschäftsgebaren festhielt.

Von Caspar Dohmen | 05.11.2012
    Wer angesichts des Titels die Enthüllung großer Skandale erwartet, der sollte die Finger von dem Buch lassen, genauso wie Anhänger von Verschwörungstheorien über Goldman Sachs. Wer dagegen Zeuge des gewöhnlichen, häufig überraschend banalen Innenlebens der berühmtesten Investmentbank der Welt werden will, sollte das Buch lesen, genauso wie derjenige, der wissen will, wie die Wall Street seiner Altersvorsorge schaden könnte. Angesprochen auf sein Buchziel, sagte Smith bei Reuters TV:

    "Ich wollte ein Buch für die Finanz-Laien hierzulande schreiben und ihnen zeigen, welche positiven Effekte die Wall Street für die Gesellschaft bringt und wie das Pendel umschlagen und völlig außer Kontrolle geraten konnte."

    Seinen Anspruch erfüllt der Autor, für den Laien abschreckende Begrifflichkeiten und Zusammenhänge erklärt er verständlich. Zwölf Jahre hat Smith für Goldman gearbeitet und dabei einiges erlebt: das Platzen der Technologieblase um die Jahrtausendwende und die Folgen des Terroranschlags vom 11. September. Für ihn war die Welt bei Goldman damals völlig in Ordnung. Er war mächtig stolz über den Umgang der Bank mit ihren Kunden nach dem Anschlag.

    Über allem stand die Botschaft: Jetzt zeigt sich, dass wir anders sind. Das macht Goldman Sachs aus. Kümmern wir uns besonders intensiv um unsere Kunden. Helfen wir ihnen wieder auf die Füße zu kommen – auch, wenn wir nicht unmittelbar davon profitieren. Denn das werden sie sich merken.

    Einige Freunde stellten ihm schon damals kritische Fragen zur Wall Street und kritisierten die Rolle von Goldman bei den völlig überzogenen Bewertungen von Unternehmen der New Economy in den neunziger Jahren. Smith beschlichen keine Zweifel. Er war ein ziemlich blinder Goldman-Jünger, wie er selbst schreibt. Wie üblich, fällt die Reaktion gerade bei solchen Menschen besonders heftig aus, wenn sie enttäuscht werden. Diese Enttäuschung von Smith zieht sich durch das Buch. Sein Schlüsselerlebnis war nach dem Platzen der Finanzblase 2008 ein Gespräch mit einem Kunden in Asien, der Milliarden Dollar verwaltete.

    Ich will Ihnen reinen Wein einschenken. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden weiterhin Geschäfte mit Ihnen machen. Aber Tatsache ist, dass wir Ihnen schon ziemlich lange nicht mehr über den Weg trauen, weil wir Goldman Sachs für einen Hedgefonds halten. Wir wissen, dass Ihnen nur Ihre eigenen Interessen am Herz liegen. Aber wir wissen eben auch, dass Sie die klügsten Köpfe an der Wall Street sind, und manchmal sind wir eben gezwungen, mit Ihnen Geschäfte zu machen.

    Smith war schockiert und schaute nun genauer hin. Immer noch hoffte er inständig auf eine Rückkehr von Goldman zu den guten alten Werten, die immer noch nach außen hoch gehalten wurden. Ärgerlicherweise hat sich der Autor fast überhaupt nicht mit der Geschichte von Goldman befasst. Tatsächlich hat sich die Bank ja schon viel früher geändert, beispielsweise durch den Börsengang. Das hat die ehemalige Goldman-Bankerin Lisa Endlich bereits 1999 in einem Buch beschrieben. Nach der Finanzkrise 2008 hatte Goldman unter erheblichem Druck Fehler eingeräumt. 2010 zahlte die Bank sogar 550 Millionen Dollar, um eine Klage der US-Börsenaufsicht auszuräumen. Smith ging nun nach London, um dort das Geschäft mit Derivaten auszubauen. Er erlebte die anhaltende Fixierung der Kollegen auf den Bankgewinn und den eigenen Bonus zulasten der Kunden.

    "Im letzten Sommer, als Europa am Boden lag, schätzten die Händler von Goldman den weiteren Ausblick negativ ein. Ihre Strategie war es jedoch gegenüber Kunden die Dinge ins Positive zu kehren, so dass diese bei den europäischen Banken einstiegen, während unsere Händler diese verkauften."

    Am meisten Provisionen kann eine Investmentbank kassieren, wenn die Kunden keinen Durchblick haben, so wie bei strukturierten Finanzprodukten. Smith vergleicht dies mit dem Kauf einer Dose Thunfisch:

    Man nimmt die Dose mit nach Hause und kann dort in aller Regel den leckeren Thunfisch essen. Aber angenommen, man macht die Dose auf und findet darin Hundefutter. Wie kann das sein?, fragt man sich. Im Geschäft hat man mir gesagt, das sei Thunfisch. Doch dann schaut man auf die Rückseite der Dose. Dort steht in einer Schrift, die so klein ist, dass man sie fast nicht entziffern kann: Enthält vielleicht keinen Thunfisch. Enthält vielleicht Hundefutter.

    Die Regierungen von Griechenland und Italien, der libysche Staatsfonds, die Stadt Oakland und zahllose andere Einrichtungen und Organisationen haben allesamt Hundefutter vorgefunden. Betroffen waren Stiftungen, Wohltätigkeitsorganisationen und Pensionsfonds. Damit verloren auch viele Sparer indirekt Geld. An diesem Geschäftsgebaren hat sich trotz aller Bekenntnisse sich zu bessern, wenig geändert. Dafür ist Smith ein wertvoller Zeuge. Handeln müsste die Politik. Darüber verliert der Autor jedoch kaum ein Wort. Und leider quält man sich als Leser bis zu den interessanten Ausführungen über die ersten 150 Seiten durch einen Wust von Banalitäten. Erlebnisse, Sorgen und Hoffnungen aus dem Leben eines Praktikanten und Junginvestmentbankers. Da geht es um Kaffee kochen, kopieren oder Strafen bei Unpünktlichkeit oder alberne Wetten. Einige Kürzungen hätten dem Buch gut getan.

    Ziemlich nervend ist zudem das häufige Selbstlob des Autors. Hier offenbart sich das selbstgewisse Gebaren der Zunft, welches selbst einem Aussteiger aus der Bankenwelt schwer fällt abzulegen. Kaum glauben mag man zudem, dass Smith bei Goldman nur eine winzige Panne passiert sein soll, bei der die Bank nur einen Verlust von 80 Dollar erlitten hat. Wer sich anfangs langweilt, der sollte einige Kapitel des Buches überschlagen – der Rest lohnt sich.

    Greg Smith: "Die Unersättlichen. Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab", Rowohlt Verlag, 368 Seiten, 19,95 Euro, ISBN: 978-3-498-06056-5