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Vom keltischen Tiger zum Nein-Sager?

Einen dramatischen Stimmungsumschwung vermeldet der irische Rundfunk. Galt bis vor wenigen Wochen die Billigung des Lissabon-Vertrages als fast schon sicher, so scheint das Referendum nun doch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zu werden. Martin Zagatta berichtet.

Martin Zagatta |
    Laut der jüngsten Umfrage, veröffentlicht von der "Sunday Business Post", verfügen die Befürworter zwar noch über eine knappe Mehrheit, doch die Vertragsgegner sind demnach eindeutig im Aufwind und viele der drei Millionen Wahlberechtigten ohnehin noch unentschieden.

    Keine Ahnung zu haben, worum es eigentlich genau geht in dem Vertrag, das räumen selbst Studenten des Dubliner Trinity College ein. Wahrscheinlich wird sich noch nicht einmal die Hälfte der Iren an dem Volksentscheid beteiligen, wovon dann die Nein-Kampagne profitieren könnte. Denn die Vertragsgegner scheinen eher gewillt, an die Urnen zu gehen. Und obwohl bis auf die eher unbedeutende Sinn Fein alle im irischen Parlament vertretenen Parteien für die Annahme des Dokumentes sind, hat sich vor allem Declan Ganley Gehör verschafft, ein Unternehmer, der zu einer Art Sprecher der Nein-Kampagne geworden ist.

    "Wir verzichten auf Veto-Möglichkeiten in 67 Bereichen. Irland würde mit dem geplanten System einer qualifizierten Mehrheit nur noch über 1,8 Prozent der Stimmen in Europa verfügen - 1,8 Prozent ! Damit würde die Demokratie ausgehebelt und unsere Freiheit eingeschränkt. Wir würden irrelevant und sollten Nein sagen."

    Die Gegner des Vertrages sind alles andere als eine homogene Gruppe. Unternehmer fürchten um ihre niedrigen Steuern, Gewerkschafter um Arbeitnehmerrechte, Bauern um ihre Subventionen. Sinn Fein warnt vor dem Verlust nationaler Souveränität, Pazifisten vor einer Verpflichtung zur Aufrüstung, katholische Gruppen sehen das irische Abtreibungsverbot gefährdet - alle samt unberechtigte Befürchtungen, Falschinformationen, so meint Brian Cowen, Irlands neuer Premierminister. Er verweist darauf, dass Irland wesentlich mit Hilfen aus Brüssel vom Armenhaus Europas zu einem der reichsten Länder der Union geworden ist und dies nun nicht aufs Spiel setzen sollte.

    "Ich bin zufrieden, dass der Lissabon-Vertrag das bestmögliche Abkommen ist. Irland behält auch weiterhin sein Veto. Steuerregelungen bleiben eine Angelegenheit der einzelnen Staaten. Genauso die Verteidigungspolitik. Die irische Neutralität bleibt unantastbar. Der Vertrag verbessert das Funktionieren der EU erheblich. Er schützt aber genauso alle grundlegenden Interessen Irlands."

    Wie es weiter geht, sollten seine Landsleute mit einem Nein verhindern, dass der Vertrag in Kraft treten kann, das kann oder will auch Brian Cowen nicht sagen. Nur soviel: einen Plan B gebe es nicht. Eine zweite Abstimmung, so wie bei dem im ersten Anlauf von den Iren auch abgelehnten EU-Vertrag von Nizza, sei nicht vorgesehen, lässt die Regierung verlauten.

    Von Warnungen des französischen Außenmininisters Kouchner, die Iren würden bei einer Ablehnung selbst die ersten Leidtragenden werden, erhoffen sich die Vertragsgegner jetzt allerdings sogar noch Aufwind. Ausgerechnet die Franzosen, so argumentiert die Nein-Kampagne, die Franzosen haben die EU-Verfassung ja auch abgelehnt bei ihrem Referendum - "ein demokratisches Recht", dass die Iren nun genauso hätten.