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Vom Kind bis zur reifen Frau

Inga Nielsen ist tot. Die dänische Sopranistin starb im Alter von 61 Jahren. Für Stephan Mösch, Chefredakteur der Zeitschrift "Opernwelt", war die stilistische Vielfalt Nielsens ausschlaggebend für ihren dauerhaften Erfolg.

Moderation: Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Gestern ist die große dänische Sopranistin Inga Nielsen gestorben. Hören wir vor unserem Nachrufgespräch noch einmal ihre Stimme, und zwar in der Oper "Oberon" von Carl-Maria von Weber.

    (Musikeinspielung)

    Schossig Der erstaunliche Sopran von Inga Nielsen, 1996 in Carl-Maria von Webers "Oberon" in der Rolle der Rezia. Inga Nielsen ist gestern nach schwerer Krankheit gestorben, wie die Zeitschrift "Opernwelt" heute mitteilte. Ausgebildet in Wien, Stuttgart und Budapest, kam sie 1975 an die Oper nach Frankfurt. Bald sang sie an den größten Häusern der Welt von Wien bis Berlin, Mailand, Paris, New York. Und das Publikum der großen Festspiele kannte sie aus Aix-en-Provence, Bayreuth, Edinburgh und Luzern, und nun ist sie im Alter von gerade 61 Jahren gestorben.

    (Musikeinspielung)

    Schossig: Inga Nielsen. Im Studio in Berlin sitzt Stephan Mösch, Chefredakteur der Zeitschrift "Opernwelt". Herr Mösch, Inga Nielsen war eine der vielseitigsten Sopranistinnen in unserer Zeit. Sie hat nahezu alle wichtigen Sopranpartien gesungen, und sie war ja auch einer der beständigsten. Warum eigentlich?

    Stephan Mösch: Na ja, Inga Nielsen hat 35 Jahre Karriere erleben dürfen, und sie hat in diesen vielen Jahren die drei Fächer des Soprans gesungen. Erst am Anfang das Soubrettenfach, dann war sie eine lyrische Sopranistin, besonders erfolgreich bei Mozart, und dann hat sie in den 90er Jahren sich ins jugendlich-dramatische Fach hinentwickelt. Und dieses breite Spektrum hat ihr natürlich auch emotionale, musikalische Vielfalt gesichert.

    Schossig: Und sie wurde nicht so schnell verbrannt, wie das heutzutage üblich ist mit den Stimmen?

    Mösch: Sicherlich. Im Zeitalter von kurzen Karrieren und schnell verheizten Stimmen ist da ein absoluter Einzelfall.

    Schossig: Zu den größten Erfolgen ihrer Karriere gehörte zum Beispiel die Rolle der Constanze in Mozarts "Entführung aus dem Serail", Ende der 80er war das, in Salzburg bei den Festspielen und dann in London in der Opera im Covent Garden. Hatte sie besondere Vorlieben, was die Musik betrifft?

    Mösch: Nun, ich denke, was Inga Nielsen ganz besonders konnte, war, die Verwandlung eines weiblichen Wesens vom Kind, vom ganz naiven Kind, zur reifen Frau innerhalb eines Opernabends zu gestalten, und zwar sowohl mit stimmlichen Mitteln wie als Darstellerin. Das hat ihre Glanzpartie, die Salome, ausgemacht. Aber auch in Hamburg hat sie zum Beispiel die Elsa gesungen in Wagners "Lohengrin", und der Regisseur Peter Konwitschny hat seine ja inzwischen sehr berühmte Inszenierung ganz auf diese Darstellerin abgestimmt. Sie guckte da aus einem wilhelminischen Klassenzimmer heraus, aus einem Schrank, war ganz naives Kind und am Ende die große, liebende Frau. Und es gab und gibt nur sehr wenige Sängerinnen, die einen solchen Bogen stimmlich und emotional über einen Opernabend spannen können.

    Schossig: Die Rolle der Frau als Glanzrolle für Inga Nielsen. Neben ihren klassischen Opernengagements gab sie ja auch Konzerte, sie gab Liederabende. Wie aber eigentlich hielt Inga Nielsen es mit der Moderne?

    Mösch: Inga Nielsen hat sich Zeit ihres Lebens für die Moderne eingesetzt. Hans Werner Henze hat die Titelpartie seiner Oper "Die englische Katze" speziell für Inga Nielsen geschrieben. Sie hat die dritte Sinfonie von Wolfgang Rihm uraufgeführt mit den Berliner Philharmonikern. Und sie hat eben ihr spätes Hauptstück gewonnen in Arnold Schönbergs Monodram "Erwartung". Und sie war ganz sicher die einzige Sopranistin der Welt, die in den 100 Jahren, seit es dieses Stück gibt, alle Noten richtig gesungen hat.

    Schossig: Inga Nielsen hatte vor Kurzem noch eine Doppel-CD mit Gesangsbeispielen aus ihren, ja, man muss sagen, über 50 Lebensjahren vorlegen können, womit sie auf viel Bewunderung getroffen ist in der Opernwelt. Wäre dies nun ihr Vermächtnis, Herr Mösch?

    Mösch: Ganz sicherlich, denn sie ist nie jemand gewesen, der von Plattenfirmen gepuscht wurde. Und so ist diese Platte eine echte Besonderheit, dass ein Sänger seinen persönlichen Weg dokumentieren kann abseits aller Werbestrategien. Das ist wirklich ein Testament im ganz persönlichen Sinne, und es zeigt eben auch die ganze stilistische Spannweite: Oper, Operette, Musical, Lied, Oratorium, vom Barock bis zur Moderne.

    Schossig: Soweit Stephan Mösch aus Berlin von der Zeitschrift "Opernwelt" zum Tod der dänischen Opernsängerin Inga Nielsen gestern.