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Vom Kleinen zum Großen und wieder zurück

Physik. - Wer die Flügel eines Passagierflugzeugs unter einem Mikroskop untersucht, erwartet nicht, darin das Geheimnis des Fliegens zu finden. Doch die Oberfläche beeinflusst durchaus, wie hoch der Benzinverbrauch auf Reisen ist und wie schnell ein Tourist ankommt. Derartige Beziehungen zwischen dem mikroskopisch Kleinen und dem ganz Großen heißen in der Wissenschaft auch Mehrskalenprobleme. Sie sind Gegenstand eines deutsch-niederländischen Forschungsprojekts, das in den nächsten sechs Jahren die spezifischen Schwierigkeiten beim Übergang zwischen verschiedenen Größenskalen erkunden wird. Die geförderten Projekte laufen parallel an den Universitäten Stuttgart, München, Delft und Eindhoven.

    Mehrskalenprobleme sind vor allem deshalb so schwierig zu fassen, weil die Übergänge zwischen den Skalen nicht linear miteinander verknüpft sind, sondern komplexe Wechselwirkungen haben. Im Mittelpunkt des binationalen Forschungsprojekts steht die Mechanik, die hier vor allem mit Hilfe von Computersimulationen betrieben wird, wie Professor Wolfgang Wall vom Lehrstuhl für Numerische Mechanik an der TU München erläutert: "Diese Simulation auf unterschiedlichsten Skalenbereichen gibt es natürlich schon lange. Das Neue an dieser Forschergruppe ist, dass man hier mehrere Skalenbereiche für ein Problem berücksichtigt und auch die Wechselwirkung der unterschiedlichen Skalenbereiche. Ein Beispiel wäre im Flugzeugbau einerseits das Materialverhalten in der mikroskopischen Skala, die feinen Fasern und das Material, in das sie eingebettet sind, im Vergleich zur großen Tragstruktur. " Auch bei den Strömungen finden sich Mehrskalenprobleme, bei denen die kleinen turbulenten Verwirbelungen an den Flügeln der Aerodynamik des gesamten Flugzeugs gegenübersteht.

    Für einen sicheren Flug ist natürlich vor allem interessant, dass die Flügel nicht abknicken und der Flug stabil ist. Kein Computer kann aber bislang alle mikroskopischen Vorgänge an einem Flugzeugflügel simulieren, denn das würde die modernsten Rechner zu lange beschäftigen. Daher suchen die Forscher nach den richtigen Vereinfachungen, sagt Professor Christian Miehe vom Institut für Mechanik der Uni Stuttgart: "Die mehrskalige Beschreibung erfordert das Bauen von Brücken, die einerseits die Kenntnis des jeweiligen Ufers erfordert - also der mikromechanischen Modelle - und andererseits auch zu einem Engpass führt, der die notwendigen Informationen herausfiltert. Unter Engpass ist in unserem Fall der Skalenübergang zu verstehen, der aus der Vielfältigkeit der Informationen auf der niedrigen Skala die wesentlichen Informationen auf der Makroskala herausfiltert." Bei dem Stuttgarter Projekt befassen sich die Wissenschaftler auch mit Biomechanik, etwa mit Bandscheiben, erklärt Professor Ekkehard Ramm von der Uni Stuttgart: "Hier werden beispielsweise Bandscheiben untersucht, die ja während des täglichen Belastens durch Auspressen der Porenflüssigkeit schrumpfen, dann aber in den nächtlichen Ruhepausen durch elektromechanische Schwellprozesse wieder regenerieren. Diese Prozesse finden auf einer Mikroebene statt, etwa die chemisch-elektrischen Prozesse. Interessiert sind wir aber an dem makroskopischen mechanischen Verhalten der gesamten Skelettformation. Vielleicht ist es auf diese Weise auch möglich, künstliche Materialien zum Ersatz von Bandscheiben zu entwickeln."

    [Quelle: Gerhard Trey]