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Vom Kleinkrieg um die Person Strauß

Franz Josef Strauß war ein scharfsinniger Politiker und Finanzminister der ersten Großen Koalition. Er hätte der heutigen Koalition vermutlich sein bekanntes Wort aus späteren Jahren wiederholt, nämlich dass es unsinnig sei, einem sterbenden Volk gesunde Haushalte zu hinterlassen. Stefan Finger hat nach vielen Recherchen die Biographie zu Strauß geschrieben.

Von Henning Hübert | 28.11.2005
    "Im übrigen weiß ich als Politiker genau, dass ich erst bei meiner Grabrede erfahren werde, wie gut ich gewesen bin, dass ich aber bei jedem Wahlkampf höre, wie schlecht ich bin."

    Franz Josef Strauß wusste, dass er polarisiert. In seinem Politikerleben, das fast so lange währte wie die alte Bundesrepublik, konnte er beinahe jeden Montag im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" nachlesen, wie sehr er auch provozierte. Der rote Faden in Stefan Fingers neuer Strauß-Biographie ist denn auch die Auseinandersetzung linker Publizisten, allen voran Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, mit Strauß. Der Autor über zwei wahlverwandte Gegner:

    "Beide haben sich geliebt und gehasst gleichzeitig, Augstein hat Strauß bewundert. Heimlich bewundert. Später hat er diese Bewunderung auch offen zugegeben. Weil Strauß alles das war, was Augstein nicht war. Er war kraftvoll, er war barock, er war in weiten Teilen der bayerischen Bevölkerung zumindest sehr beliebt. Er war hochintelligent, er hatte ein brillantes Gedächtnis, er war impulsiv. Augstein war all dies nicht. Augstein war eher zynisch, er war leicht introvertiert. Er hatte keine Anhängerschaft im eigentlichen Sinne. Und er hat Strauß für seine Kraft beneidet – hat aber durchaus andere politische Vorstellungen gehabt."

    Inzwischen ist auch Augstein drei Jahre tot und wurde nicht mehr von Stefan Finger befragt, um eventuell mit dem Abstand der Jahre seinen Hauptgegner in ein etwas milderes Licht zu setzen. Für das Projekt einer so genannten postumen Rehabilitierung, einer Ent-Diskreditierung der Person Strauß, haben andere ihr Scherflein beigetragen. Über 20 Wegbegleiter gaben Stefan Finger Interviews, es tauchen beispielsweise die Namen Blüm, Waigel, Wilms, Zimmermann oder Tandler auf. Auch die Strauß-Tochter und bayerische Ex-Ministerin Monika Hohlmeier gab gerne Auskunft für dieses Buch:

    "Zunächst einmal rückt es manche Klischees und falsche, über sich zum Teil Jahrzehnte haltende Verdächtigungen gegen meinen Vater gerade. Beispielsweise, dass er ein Kriegstreiber gewesen sei, dass er für Atombomben gewesen sei. Dass er insbesondere den Nazis sehr nahe gestanden hätte - bis dahin, dass es ja welche gab, die ihn unmittelbar auch in Karikaturen zum Teil in die Nähe Hitlers gerückt haben. Und das waren Dinge, die meinen Vater schon sehr gekränkt haben. Und die auch häufig in der Zeit nach seinem Tod nach wie vor sich erhalten haben. Auch manche Affäre, die beschrieben wurde, die einfach so nicht gewesen ist."

    Zwei Beispiele aus dem Krisenjahr 1962. Im Sommer kommt es zu einem kleinen Verkehrsunfall zwischen Strauß’ Dienstwagen und einem Radfahrer in Bonn. Laut der aktenkundigen Aussagen aller Beteiligten war nichts passiert, der Radfahrer konnte unverletzt weiterfahren. Der Spiegel machte daraus aber einen Fauxpas des Verteidigungsministers. In der Zeitschrift hieß es, Strauß sei ausgestiegen und habe dem jugendlichen Radfahrer, der mit Platzwunden ins Krankenhaus gebracht wurde, versichert, es sei ja noch mal gut gegangen. Solche kleinen Geschichten würzen das Buch, zeigen den Kleinkrieg um die Person Strauß en detail. Unter anderem stammen sie vom Vater des Biografen, Otto Finger, der in den 1960er Jahren der Cheffahrer von Strauß war.

    Die folgende eigentliche Spiegel-Krise, die Strauß 1962 seinen Ministerposten kostete, untersucht Finger gründlich. Immer aus der Perspektive des Verteidigungsministers, der am Rande der Kubakrise die Sicherheit der Bundesrepublik durch eine undichte Stelle in der obersten Bundeswehrführung und beim Bundesnachrichtendienst gefährdet sah und deshalb die Durchsuchungen und Verhaftungen beim Spiegel duldete:

    "Strauß hätte sich in der Spiegel-Affäre definitiv anders verhalten müssen. Er hat nicht viel Falsches getan in diesen Tagen des Jahres 1962, er hat es nur nicht bekannt gemacht, er hat es nicht von vornherein zugegeben. Alles, was er damals tat, war Amtshilfe zu leisten bei der Verfolgung und beider Festnahme eines Mannes, für den es einen Haftbefehl gab. Strauß hat Amtshilfe geleistet, und er hätte dies in den Fragestunden im Parlament offen eingestehen können und müssen, dann hätte man ihm daraus keinen Strick drehen können, dann wäre die Geschichte der Bundesrepublik wahrscheinlich auch anders verlaufen."

    Laut Finger stand sich Strauß hier wie so oft selbst im Weg. In dieser Krise trat eine ihm zu attestierende Zauderhaftigkeit hervor. Hinzu kam seine oft kritisierte Unbeherrschtheit. Warum nur konnte es dieses Energiebündel, dieser glänzende Rhetoriker, der jahrgangsbeste Abiturient Bayerns, der mit dem besten Staatsexamen seit der Weimarer Republik die Universität verlassende Latein-Studienrat, der Bundespolitiker der ersten Stunde, der Fachmann dreier Ressorts – als Bundesminister für Atompolitik, Verteidigung und Finanzen, der Wirtschaftsförderer, der am Ende seiner Karriere auf eigene Faust handelnde Außenpolitiker, warum nur konnte es der souveräne bayerische Ministerpräsident nicht bis ins Bundeskanzleramt schaffen? Stefan Finger schlägt sich auch hier wie sonst immer im Buch eindeutig auf die Seite des CSU-Mannes, gibt die Hauptschuld nicht der Figur Strauß, sondern den publizistischen Kampagnen gegen ihn:

    "Journalistische Dichtung und objektive Wahrheit lagen weiter auseinander, als sich mit Dementis, Gerichtsurteilen und Wahlkampfwerbung überbrücken ließ. Rudolf Augstein gestand dies freimütig ein, als er im Gespräch mit einem Journalisten bekannte: "Sie wollen doch mir nicht ansinnen, dass ich objektiv gewesen sein soll? Nein, nein, das können sie nicht. Sie können nicht solch einen wirklich potenten Gegner haben und ihm gegenüber objektiv sein. Dennoch hat der Vielgeschmähte zweifelsohne Fehler gemacht. Gravierende sogar. Doch keinem anderen saß ein derartig aggressives Pressekartell im Nacken wie Franz Josef Strauß."

    Zeitungsbelege durchziehen das ganze 555 Seiten starke Buch und die Zeitzeugeninterviews. Und die haben ihn reichlich mit fast zu Sprichwörtern reichenden Formulierungen Franz Josef Strauß’ versorgt. Sie lassen ihn auch 17 Jahre nach seinem Tod auf der Jagd als brillanten Vertreter einer untergegangenen politischen Rhetorik-Kultur ein bisschen weiterleben. Autor Stefan Finger:

    "Hans-Jochen Vogel hat einmal gesagt, Strauß wäre ein Kraftwerk ohne Sicherungen. Und sofort konnte Strauß reagieren und gab zurück: Nun, aber der Kollege Vogel ist eine Sicherung ohne Kraftwerk."

    Ein Zugang zu Strauß, nämlich über seine Stasi-Akte, ist nicht mehr möglich. Sie ist vernichtet worden. Nicht von DDR-Seite aus, sondern 1990 aus "Gründen des Persönlichkeitsschutzes" durch den damaligen bayerischen Innenminister Edmund Stoiber.

    Henning Hübert besprach Stefan Finger: Franz Josef Strauß, ein politisches Leben, erschienen im Olzog-Verlag in München, das Buch hat 555 Seiten und kostet 34 Euro.