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Vom Klischee zum Vorurteil

Vorurteile haben Gesellschaften gern gegenüber Minderheiten oder Fremden, gegenüber anderen Rassen oder Religionen. Wo ist nun aber die Grenze zum harmloseren Klischee oder zum Stereotyp? Und wo sind solche vorgefertigten Urteile nicht unbedingt verwerflich, sondern vielleicht sogar nützlich für die Bewältigung des Alltags? Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine Ausstellung in Wien.

Von Beatrix Novy | 09.04.2009
    Am Anfang steht eine Plakatwand: 100 Jahre Reklamegeschichte. Ein türkischer Bej wirbt für die Zigarette der Marke Moslem; für eine Kreuzfahrt im Mittelmeer macht der malerische Kameltreiber im weißen Burnus Stimmung; Lloyd preist seinen Ostasien-Express mit einer Buddha-Figur an. Warum denn nicht?

    Aber weiter:; eine Tanzkomposition heißt "Nigger Sport"; der Sarotti-Mohr, auch nicht mehr zeitgemäß; im Pullman-Eisenbahncoupé bedient der schwarze Kellner. Dazwischen fehlt nicht die Benetton-Werbung. Politisch korrekter Anspruch schützt vor Stereotypen nicht. Gerade nicht.

    Diese Ausstellung muss sehr sorgfältig gelesen werden. Sonst könnte man leicht dahin kommen, die Anwendung des Klischee-Begriffs überdehnt - und am Ende ärgerlich beliebig zu finden. Denn hier wird nicht unterschieden zwischen verschiedenen Formen von Stereotypen: Ob harmlos, diskriminierend, selbstironisch, politisch unkorrekt - es geht um das nackte Stereotyp an sich, das durchaus unumgänglich ist, weil es zu den Mechanismen gehört, die jeder zur Ordnung und Einordnung der Erfahrungswelt benötigt. Sich dessen jederzeit bewusst zu sein, um das Stereotyp - und sich selbst - beim Umkippen ins Diskriminierende oder Rassistische rechtzeitig zu ertappen, mag heute Gemeingut sein. Aber über die Regeln der political correctness will die Ausstellung genauso hinaus wie über die Tabubrüche der politisch Unkorrekten.

    Das Ausstellungsprinzip ist das Triptychon. Der Werdegang eines Stereotyps - und seine anschließende modern-ironische Umformulierung im Dreischritt: Erstens die zeitgebundene, quasi unschuldige Darstellung, Symbolisierung oder auch das Selbstbild einer Menschengruppe, Jude, Schwarzer oder Asiate; zweitens das volkstümliche oder populäre Klischee dazu; drittens die Brechung des Klischees in einer zeitgenössischen, künstlerisch verfremdenden Sichtweise.

    Was macht beispielsweise den Juden aus? Richtig. Die Nase. Rudolf Belling schuf 1927 eine Büste des Kunsthändlers Alfred Flechtheim, die fast nur aus Nase und Auge besteht - ein Experiment, keine Provokation. Sehr wohl provokant war 72 Jahre später die übergroße Nase einer Reich-Ranicki-Figur mit Namen Nörgeli, denn inzwischen hatte es den Holocaust gegeben. Die ganze Nasen-Idiotie entlarvt der Künstler Dennis Kardon, indem er die 49 jüdischen Nasen von Freunden und Bekannten modellierte. Alle völlig verschieden, natürlich.

    Oder: Unter dem Titel Christenfeinde und Gottesmörder wird ein Ausschnitt aus Franco Zefirellis Jesus-Schmachtfilm gezeigt, eine1000-jährig geprägte konventionelle Passion. Daneben das Bild des Gottesmörders: eine bös dreinschauende Tiroler Volksschauspiel-Maske jüdischer Physiognomie. Daneben die alles durcheinanderwerfende Kreuzigungsszene aus dem Monty Python-Film "Das Leben des Brian".

    Dieses Triptychon hat noch einen Haken: die böse Maske fand sich in einer sogenannten Antisemitica-Sammlung - ob sie wirklich einen Juden darstellt, ist alles andere als ausgemacht. Das vorgefasste Stereotyp hat sie irgendwann aber dazu gemacht. Es gibt viele solcher Beispiele: vor allem Händlerfiguren mutierten leicht zu Judenfiguren - auf solche Zuschreibungen ist das Jüdische Museum selbst hereingefallen.
    Ein kluger Text der Philosophin Isolde Charim im Katalog weist auf den Unterschied hin zwischen der Typisierung, die eine Gemeinschaft auf sich selbst anwenden kann, eben um Gemeinschaft zu stiften - während die Stereotypisierung immer zwei Gemeinschaften unterscheidet, wobei die eine auf die andere zeigt.

    1960 erfand eine amerikanische Werbefirma die erste multikulturelle Reklame: Sie zeigt hier in der Ausstellung einen Indianer, der Levy's Mischbrot isst und dabei sagt: Du musst nicht jüdisch sein, um Levy's Mischbrot zu lieben. Auf anderen Plakaten waren es typische italienische Mamas oder typische Asiaten - Selbsttypisierung oder Klischee?

    Gerade am Beispiel des Indianers zeigt sich die Schwierigkeit. Der Hut mit der Feder drauf, die langen Zöpfe - Klischee. Aber gibt es nicht auch Indianer, die sich - bei halb touristischen, halb identitätsstiftenden Events - selbst so darstellen? Die also das Klischee quasi doppelt überspringen und das aufgesetzte Stereotyp, je nach Bedarf, selbstbewusst zum Identitätserhalt nutzen? Das schließt ja nicht aus, dass der indianische Fotograf Larry McNeil dem Klischee die Realität vorhält: in einem Selbstporträt mit Winnetou-Mähne vor trostloser Reservatkulisse. Titel: "Hey, ICH bin ein echter Indianer!"

    In dieser Ausstellung wird nach dem Punkt gefragt, an dem das Klischee ins gefährliche Vorurteil mündet. Sie wirft aber, nach einer langen PC-Geschichte, auch die Frage auf: Ab der wievielten Brechung hört das Stereotyp auf, eines zu sein? Logisch kann die Antwort natürlich nur heißen: Nie.