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Vom Krieg an die Uni

"Nach meinem Einsatz war ich allein." So wie Jordan Towers geht es vielen US-Veteranen. Nach über fünf Jahren bei den Marines war er mit dem Leben an der Uni überfordert und entschied sich für das City College in San Francisco. Dort unterstützt ein Programm Ex-Soldaten beim Start ins neue Leben.

Von Anne Raith |
    Wenn Jordan Towers Mittagspause hat, kommt er gerne ins Café Ma'velous. Noch vor ein paar Monaten wäre eine Normalität wie diese für den 27-Jährigen unvorstellbar gewesen. Nach mehr als fünf Jahren bei den Marines hat ihn der Alltag überfordert. In jeder Hinsicht.

    Er greift nach dem Pappbecher, geht hinüber in den kleinen Park neben dem "War Memorial Veteran's Building", in dem er arbeitet. Gleich nach der Highschool ist Jordan Towers zu den Marines gegangen.

    "Ich habe mich verpflichtet gefühlt, mich zu melden. Ich habe an unsere Mission geglaubt, ich war überzeugt: Wir müssen in den Irak. Ich war ein großer Bush-Fan. Damals."

    Dann wurde er selbst in den Irak geschickt - als er acht Monate später zurückkehrt, ist nichts mehr, wie es war.

    "Es verändert dich für immer. Und sie versuchen, dir einzureden, dass es an dir liegt, dass du schwach bist. Das Militär bereitet dich überhaupt nicht auf das Leben danach vor. Nach meinem Einsatz im Irak war ich allein. Allein."

    Er zieht nach San Francisco, schreibt sich am City College ein. Doch mit der neu gewonnenen Freiheit, einem Leben ohne Hierarchien und feste Strukturen, kann er nicht umgehen, nach Monaten des Kriegs die Ausgelassenheit der anderen Studenten nicht begreifen. Und die anderen Erstsemester können ihn nicht verstehen. So akkurat, so ernsthaft, wie der ehemalige Soldat auftritt. Auch zu anderen Veteranen am College hat Jordan Towers damals keinen Kontakt.


    "Wir haben nicht miteinander gesprochen. Ich hab versucht, meine Zeit beim Militär hinter mir zu lassen. Nicht darüber zu sprechen, einfach zu vergessen. So ist es vielen Veteranen ergangen."

    Nach einer Weile kann er dieses Schweigen nicht mehr ertragen. Er erinnert sich, warum er nach San Francisco gekommen ist - wegen der regen Anti-Kriegsbewegung. Also druckt er 1.000 Flugzettel und verteilt sie auf dem ganzen Campus, wirbt für die Veteranengruppe, die zu diesem Zeitpunkt nur aus einer Person besteht. Aus ihm. Er lacht.

    Heute studieren über anderthalbtausend Veteranen am City College. Und sie treffen sich nicht mehr zu dritt oder viert in der Cafeteria, wie zu Jordan Towers' Zeiten, sondern im Veteran Center, das der Ex-Marine mit aufgebaut hat.


    Zur Mittagszeit nutzt gut ein Dutzend Veteranen den Aufenthaltsraum. Um an den Computern im Internet zu surfen, Hausaufgaben zu machen, Kaffee zu trinken oder auf der Couch zu entspannen, so wie Robert Rizo:

    "Ich bin super gerne hier. Ich kann hier rumalbern, quatschen, mit Leuten, die das Gleiche erlebt haben. Es ist, als ob man mit Freunden rumhängt."

    So geht es vielen, erzählt Lee Burnette. Der 24-Jährige kümmert sich um die Finanzen der Veteranengruppe, die das Zentrum betreut.

    "Hier treffen sich eben Gleichgesinnte. Wenn du zum Militär gehst, dein Leben riskierst und dann hierhin kommst, bereit, dein neues Leben zu beginnen und dann neben Teenagern sitzt, die vermutlich noch nie in ihrem Leben für irgendwas arbeiten mussten."

    Der Navy-Soldat könnte selbst einer dieser Teenager sein, in Polohemd und kurzen Hosen, die blonden Haare fallen ihm ständig in die Stirn. Damit die Kluft nicht größer wird, wirbt Lee Burnette offen für das Veteranenprogramm:

    "Wir helfen ihnen, eine Unterkunft zu finden und einen Job, wenn sie möchten. Beraten sie bei Fragen rund ums Studium. Und wir sind das einzige College in den USA, die das Amt für Veteranenangelegenheiten mit einem Gesundheitszentrum auf dem Campus hat. Wir haben Berater und Psychiater, die hier herkommen, um die Studenten zu unterstützen."

    Damit gilt das Konzept des San Francisco City College als wegweisend.

    Denn hier trennt die Veteranen nur eine Tür von Beratern wie Bridget Leach. Die Sozialarbeiterin und Psychologin hat ihr Büro seit gut einem Jahr auf dem Campus - und immer mehr zu tun. Seit die Regierung die Ausbildung von Militärs finanziell unterstützt, die am oder nach dem 11. September 2001 gedient haben, studieren immer mehr junge Veteranen. Doch nur wenigen gelingt der Übergang aus dem festen militärischen Gefüge, aus einer Phase monatelanger Anspannung im Kriegsgebiet in ein ruhiges, ziviles Leben ohne Weiteres. Bridget Leach zählt die möglichen Folgen auf, ohne zu überlegen: Angstzustände, Hyperaktivität, Konzentrationsschwierigkeiten, posttraumatische Belastungsstörungen...


    "Hier auf dem Campus können wir auf einer informelleren, lockereren Art zusammenkommen,... hier herzukommen ist weniger bedrohlich, weniger stigmatisiert."

    500 Studenten hat Bridget Leach so schon erreichen können:

    "Manche Veteranen erzählen sehr offen, dass sie hierher kommen. Wir können nicht über unsere Patienten sprechen, aber sie erzählen es jedem: Ich gehe zur Therapie, das solltest du auch machen. Und wenn die Veteranen viel Zeit miteinander verbringen, spricht sich das herum. Das hilft."

    Während es am City College schon Pläne für einen Ausbau des Zentrums und einen neuen Ruheraum gibt, engagiert sich auch Jordan Towers weiter. Der 27-jährige Ex-Marine arbeitet bei "Swords and Loughshares", einer Organisation, die Veteranen hilft, den Weg zurück ins zivile Leben zu finden. Macht sich weiter für die Anti-Kriegsbewegung stark. Als er zu den Marines gegangen ist, hätte er nie geglaubt, dass er sich einmal gegen den Krieg aussprechen würde.

    "Aber wir sind in so vielen Dingen betrogen worden. Und was mich wirklich bis heute motiviert, ist, dass noch immer so viele Veteranen nach Hause kommen, die unter mangelnder Betreuung leiden. Ich finde, wenn man nicht bereit ist, sich um seine Veteranen zu kümmern, sollte man sie gar nicht erst in den Krieg schicken."