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Vom Lachen und einer Liebe

Wer den im Oktober 2009 verstorbenen Raymond Federman einmal erlebt hat, erinnert sich an einen Mann, der vor Liebenswürdigkeit und Selbstironie sprühte. Die Bücher des 1947 in die USA Ausgewanderten reflektieren die Erkenntnis, dass literarischer Realismus der Realität des Unsagbaren nicht gerecht wird. So auch der Roman "Eine Liebesgeschichte oder sowas", der neu aufgelegt wurde.

Von Dorothea Dieckmann | 20.05.2010
    Eine der intensivsten Formen des Erlebens ist die Liebe. Normalerweise ist nicht von Literatur, sondern vom Leben die Rede, wenn wir von einer Liebesgeschichte sprechen. Die Bezeichnung aber sagt viel über die Liebe, das Leben und die Literatur. "Wie beginnt eine Liebesgeschichte?" und "Wie beginnt man eine Liebesgeschichte?" sind ein und dieselbe Frage, wenn man bedenkt, dass jedes Erlebnis eine Erfindung der Erlebenden ist. Raymond Federman hat einem seiner Romane den Leitsatz vorangestellt, der diese Erkenntnis umkehrt: "Ein Roman ist nicht so sehr das Schreiben eines Abenteuers als das Abenteuer des Schreibens."

    In einem seiner letzten Interviews, das der Verlag für das vorliegende Buch führte, beschreibt Federman die Initialzündung seines Schreibens. Sie war zugleich der Beginn seiner Beschäftigung mit Samuel Beckett, die ihn zum Beckett-Experten und persönlichen Freund des irischen Autors machte. Im Jahr 1956 sah Federman in New York "Warten auf Godot":

    Spät in der Nacht ... begriff ich, dass ich nur unter Lachen die Geschichte meines Lebens schreiben konnte. Die Art von Lachen, die man überall in Samuel Becketts Werk hört. Die Art von Lachen, die einem das Gefühl gibt, man sollte vielleicht besser weinen statt lachen. Die Art von Lachen, die das Lachen verlacht.

    "The laugh that laughs at the laugh" ist auch das Motto des Weblogs, den Federman bis zu seinem Tod führte, denn, so erklärt er, Lachen und Weinen kommen am Ende auf dasselbe heraus.

    Wie passt das mit der Liebe zusammen? Für Federman beginnt die Liebesgeschichte, die er zu erzählen hat, zwar nicht mit einem Lachen, aber mit einem Lächeln. Auf diese Weise führt der Roman "Smiles on Washington Square" einen Mann und eine Frau zusammen. Doch wer genau lauscht, hört den leisen, aber grundlegenden Zweifel an dieser Begegnung gleich in den ersten Sätzen.

    Die Geschichte von Moinous & Sucette. Ihre Liebesgeschichte. Sie sollte erzählt werden. Die Intensität der darin enthaltenen Hoffnung. Die Heftigkeit der möglichen Enttäuschung. Auf die eine oder andere Weise sollte sie erzählt werden. Die beiden begegnen sich das erste Mal in New York, an einem Nachmittag im März. Oder vielleicht im Februar. Das ist nicht weiter aufregend. Besser gesagt, die beiden begegnen sich beinahe, als sie zur selben Zeit am selben Ort sind. Aber an jenem Tag sprechen sie nicht miteinander. Sie lächeln sich an, mehr nicht. Ein flüchtiges verschworenes Lächeln, so als wüssten sie, dass sie dazu bestimmt sind, sich wiederzusehen.

    Und Federman bestimmt sie dazu, wenn auch wiederum unter Zweifeln, wann und wo. Der junge Franzose Moinous - der Name, den Federman auch als E-Mail-Adresse führte, ist eine Kombination aus französisch moi, ich, und nous, wir - ist nach dem Krieg, in dem er seine Eltern verlor, ins Land der Illusion und Desillusionierung geflohen, hat im Koreakrieg kämpfen müssen und streunt nun auf der Suche nach Aushilfsjobs durch die regnerische Stadt.

    Sucette ist eine weiße angelsächsische Protestantin, die ihre puritanische Herkunft durch politisches Engagement zu kompensieren versucht. Doch sie bleibt eine höhere Tochter. Statt dem Geliebten die Erfüllung im Bett zu gewähren, schreibt sie an einer Kurzgeschichte für einen Creative-Writing-Kurs.

    Nach der Begegnung auf dem Washington Square entsteht darin eine Figur, die Moinous ähnelt, und als sie ihm beim Wiedersehen in einem Café davon erzählt, fragt er sie, ob es "eine Liebesgeschichte oder sowas" sei. Da gesteht sie ihm, dass sie die neue Gestalt Moinous genannt hat.

    "Hört sich französisch an, aber das ist doch kein richtiger Name, oder?" - "Nein, ich habe ihn erfunden. Ich nehme an, du weißt, was er bedeutet. Tatsächlich ist es die Heldin meiner Geschichte, die diesen Namen für den jungen Franzosen findet, den sie auf dem Washington Square trifft. Sie sagt zu ihm, nachdem sie sich ineinander verliebt haben: 'Ich werde dich Moinous nennen, um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dir zu haben.'"

    Und so geschieht es auch im Café: Sucette tauft den Fremden Moinous, und er nennt die schöne Blonde, nach ihrer Heldin Susan, Sucette: das französische Wort für "Lutscher". Der Erotomane Federman wusste sicher warum. Seine beiden Protagonisten - der Mann, dem er seine Biografie gab, und die Frau, die ihrer Kurzgeschichtenheldin die eigene Lebensgeschichte geliehen hat - haben einander zugleich gefunden und erfunden. Was ist Wirklichkeit, was nicht?

    Von dem Augenblick an, in dem beide miteinander reden, scheinen Moinous & Sucette mit Körper und Geist mit ihrem Namen identisch zu sein, und darüber hinaus scheint nichts weiter zu existieren außer dieser imaginären Intensität und der zerbrechlichen Unfassbarkeit ihrer Liebesgeschichte.

    Kann man den Zauber der literarischen Einbildungskraft besser zum Ausdruck bringen? Diese faszinierende Tauf- und Tauschszene steht am Ende des Romans, nachdem wir die beiden in ihrer jeweiligen Welt kennengelernt und im Rhythmus des Vor und Zurück immer wieder Ausblicke auf ihre leidenschaftliche Liaison gewonnen haben. Oder waren es nur ihre, ja unsere Vorstellungen? Federmans wundersam heitere, flüchtige Liebesgeschichte, die gleichwohl die unfüllbare Leerstelle ihrer Herkunft aus der Vernichtung und das Gewicht der Einsamkeit in sich trägt, ist ein glänzender Beweis für die transzendente Kraft der Avantgardeliteratur. Es ist ein Glück, dass sie nun wieder in einer schönen neuen Ausgabe vorliegt, nicht nur wegen Peter Torbergs schwebend einfacher Übersetzung, sondern auch wegen des anrührenden Gesprächs mit dem Autor, der im letzten Satz den eigenen Tod vorwegnimmt. Wie bei einer literarischen Figur ist für ihn der Zustand danach die Zeit, "wenn ich das Tempus gewechselt habe".

    Raymond Federman: Eine Liebesgeschichte oder sowas
    Deutsch von Peter Torberg. Mit einem Gespräch mit dem Autor
    Matthes & Seitz Verlag 2010, 221 Seiten