"Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen, vor allen Dingen von den geistigen, von den Schubläden, von den Kästchen, in die wir alles gleich legen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, die Großen mehr, die Kleinen weniger, aber es müssen auch alle mitmachen."
Es mag ja ungerecht sein, doch wenn vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog etwas im öffentlichen Gedächtnis bleiben wird, dann ist es dieser Satz aus seiner so genannten Berliner Rede. Die ungewohnt deutliche Philippika des bis dato eher als besonnen und ruhig gekannten Staatsoberhauptes hat am 26. April 1997 nicht nur die Zuhörer im Hotel "Adlon" aufhorchen lassen. Sie ist als "Ruckrede" mit einem dringlichen Appell an die Reformbereitschaft der Deutschen in die Geschichte eingegangen. In seinen jetzt erscheinenden Erinnerungen mit dem Titel "Jahre der Politik" schreibt Herzog über die Vorgeschichte dieser gezielt platzierten Ansprache:
Ich hatte seit langem den Eindruck, dass es an der Zeit sei, mit dem deutschen Volk wieder einmal die geistigen Grundlagen der Marktwirtschaft und darüber hinaus der gesamten freiheitlich (oder offenen) Gesellschaft durchzudeklinieren. ... .Also setzte ich mich hin und schrieb den Text einer Rede zu diesem Thema. Unvermeidlich stieß ich dabei, wie Tausende vor mir, bis zur Bedeutung der Freiheit für die Problemlösungskapazität von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft vor. Soweit enthielt der Vortrag also nichts Neues. Während ich die betreffenden Sätze schrieb, drängte sich mir aber die eigentliche Misere der Gegenwart auf: der fehlende Mut, mit dieser Freiheit etwas Nützliches und Weiterführendes anzufangen.
Überhaupt die Freiheit. Es wird sehr schnell klar, dass das Spannungsverhältnis von Liberalität und Rechtsstaat die Koordinaten im Leben des Politikers und Verfassungsjuristen bestimmt. Nicht ohne berechtigten Stolz, der allerdings bisweilen in einem störenden selbstgerechten Eigenlob gipfelt, beschreibt der gleichermaßen sympathische wie bisweilen auch sturköpfige Bayer ein Leben von Recht und Ordnung, das aber stets den Grundsatz liberaler Toleranz nicht aus den Augen verlor. So gesehen ist der 1934 in Landshut geborene Herzog faktisch die Inkarnation der typischen Nachkriegsgeneration, die nach dem Kindheitserlebnis des "Dritten Reichs" und des Zweiten Weltkriegs mit dem "Nie-Wieder"-Leitsatz das demokratische Deutschland aufzubauen half. Vor allem während seiner Auslandsreisen als Staatsoberhaupt etwa nach Polen oder Israel holte Herzog die deutsche Schande ein, in deren Verantwortung er sich und seine Generation sieht:
Die Scham, von der einst Theodor Heuss gesprochen hat und die auch ich in Warschau wieder erwähnte, empfinde ich bei bestimmten Anlässen noch heute. Mehr und mehr hat sich aber inzwischen eine ungeheure Wut meiner bemächtigt, Wut über die Leiden, die Millionen Menschen von diesen widerlichen NS-Gartenzwergen angetan wurden. Wut aber auch über die Schmutzflecken, die sie dem Ansehen unseres Volkes in der Welt zugefügt haben und die noch lange nicht heraus gewaschen sein werden. ... Wenn versucht wird, die Taten dieser Verbrecher zu beschönigen oder gar zu rechtfertigen, oder ihre dummen Sprüche wiederholt werden, werde aber selbst ich leidenschaftlich, und ich kann unseren Mitbürgern nur dasselbe empfehlen.
Wie ein roter Faden zieht sich Herzogs Engagement für die öffentliche Sache in unserer Demokratie, für die "res publica", durch seine Erinnerungen. Dabei hat er bis hin zum höchsten Amt im Staat sowohl in der Exekutive und Legislative als auch als Minister und Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, in der Wissenschaft unter anderem an den Universitäten München und Berlin sowie in der Judikative schließlich als Präsident des höchsten deutschen Gerichts, des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe eine vergleichsweise einzigartige Vita vorzuweisen. Und so mag er sich besonders als Mahner legitimiert gesehen haben, der den Deutschen Mut machen durfte und sollte:
"Was ist los mit unserem Land? Im Klartext: Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression - das sind die Stichworte der Krise. Sie bilden einen allgegenwärtigen Dreiklang, aber einen Dreiklang in Moll."
Diese Position aus dem Jahre 1997 findet sich auch heute in seinen Erinnerungen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Globalisierung sieht Herzog unverzeihliche Versäumnisse der deutschen Gesellschaft:
Es gibt eine lange Liste von technischen Entwicklungen, die in deutschen Labors und Konstruktionsbüros erfunden wurden, deren wirtschaftliche Nutzung dann aber verschlafen und anderen Ländern überlassen wurde. Außerdem kann in Deutschland inzwischen nichts erfunden und keine Technik neu eingeführt werden, ohne dass dagegen sofort von allen möglichen Seiten schwerwiegende Bedenken erhoben würden, oft unterstützt durch landesweite Agitationen und Massendemonstrationen.
Als Beispiel liefert Herzog den deutschen Erfinder des Computers, Konrad Zuse, den er selbst noch treffen konnte. Und so beteuert Herzog immer wieder, dass es eine der wichtigsten Aufgaben des Staatsoberhauptes sei, als ständiger Mahner auf gesellschaftliche Mängel hinzuweisen. Darin sieht und sah er seine soziale und politische Mission in all seinen Ämtern und vor allem als Präsident im In- und Ausland. Und, kein Zweifel: Als eine der wichtigsten Mission sieht Herzog auch heute noch seine mahnenden Worte der Berliner Rede:
"Das Ergebnis dieser Anstrengung wird eine Gesellschaft im Aufbruch sein, voller Zuversicht und Zukunft und, wie ich hoffe, auch voller Lebensfreude. Eine Gesellschaft des Einsatzes und der Toleranz. ... Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Ich rufe zu mehr Selbstverantwortung auf. Ich setze auf erneuerten Mut. Und ich vertraue auf unsere Gestaltungskraft. Glauben wir doch endlich wieder an uns selber."
Dieses Credo hat das Leben des Roman Herzog bestimmt - in seinen Erinnerungen wird das auf jeder Buchseite deutlich. Eher als Schmonzetten mit mehr oder weniger Witz sind die mit "apropos" angehängten Anekdoten zu goutieren. Jedoch insgesamt ein Buch, das als Folie eines Lebens für die Demokratie gelten kann.
Rainer Burchardt über Roman Herzog: Jahre der Politik. Die Erinnerungen. Das 416 Seiten starke Buch aus dem Siedler Verlag München kommt Ende Februar zum Preis von 19 Euro und 95 Cent in die Läden.
Es mag ja ungerecht sein, doch wenn vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog etwas im öffentlichen Gedächtnis bleiben wird, dann ist es dieser Satz aus seiner so genannten Berliner Rede. Die ungewohnt deutliche Philippika des bis dato eher als besonnen und ruhig gekannten Staatsoberhauptes hat am 26. April 1997 nicht nur die Zuhörer im Hotel "Adlon" aufhorchen lassen. Sie ist als "Ruckrede" mit einem dringlichen Appell an die Reformbereitschaft der Deutschen in die Geschichte eingegangen. In seinen jetzt erscheinenden Erinnerungen mit dem Titel "Jahre der Politik" schreibt Herzog über die Vorgeschichte dieser gezielt platzierten Ansprache:
Ich hatte seit langem den Eindruck, dass es an der Zeit sei, mit dem deutschen Volk wieder einmal die geistigen Grundlagen der Marktwirtschaft und darüber hinaus der gesamten freiheitlich (oder offenen) Gesellschaft durchzudeklinieren. ... .Also setzte ich mich hin und schrieb den Text einer Rede zu diesem Thema. Unvermeidlich stieß ich dabei, wie Tausende vor mir, bis zur Bedeutung der Freiheit für die Problemlösungskapazität von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft vor. Soweit enthielt der Vortrag also nichts Neues. Während ich die betreffenden Sätze schrieb, drängte sich mir aber die eigentliche Misere der Gegenwart auf: der fehlende Mut, mit dieser Freiheit etwas Nützliches und Weiterführendes anzufangen.
Überhaupt die Freiheit. Es wird sehr schnell klar, dass das Spannungsverhältnis von Liberalität und Rechtsstaat die Koordinaten im Leben des Politikers und Verfassungsjuristen bestimmt. Nicht ohne berechtigten Stolz, der allerdings bisweilen in einem störenden selbstgerechten Eigenlob gipfelt, beschreibt der gleichermaßen sympathische wie bisweilen auch sturköpfige Bayer ein Leben von Recht und Ordnung, das aber stets den Grundsatz liberaler Toleranz nicht aus den Augen verlor. So gesehen ist der 1934 in Landshut geborene Herzog faktisch die Inkarnation der typischen Nachkriegsgeneration, die nach dem Kindheitserlebnis des "Dritten Reichs" und des Zweiten Weltkriegs mit dem "Nie-Wieder"-Leitsatz das demokratische Deutschland aufzubauen half. Vor allem während seiner Auslandsreisen als Staatsoberhaupt etwa nach Polen oder Israel holte Herzog die deutsche Schande ein, in deren Verantwortung er sich und seine Generation sieht:
Die Scham, von der einst Theodor Heuss gesprochen hat und die auch ich in Warschau wieder erwähnte, empfinde ich bei bestimmten Anlässen noch heute. Mehr und mehr hat sich aber inzwischen eine ungeheure Wut meiner bemächtigt, Wut über die Leiden, die Millionen Menschen von diesen widerlichen NS-Gartenzwergen angetan wurden. Wut aber auch über die Schmutzflecken, die sie dem Ansehen unseres Volkes in der Welt zugefügt haben und die noch lange nicht heraus gewaschen sein werden. ... Wenn versucht wird, die Taten dieser Verbrecher zu beschönigen oder gar zu rechtfertigen, oder ihre dummen Sprüche wiederholt werden, werde aber selbst ich leidenschaftlich, und ich kann unseren Mitbürgern nur dasselbe empfehlen.
Wie ein roter Faden zieht sich Herzogs Engagement für die öffentliche Sache in unserer Demokratie, für die "res publica", durch seine Erinnerungen. Dabei hat er bis hin zum höchsten Amt im Staat sowohl in der Exekutive und Legislative als auch als Minister und Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, in der Wissenschaft unter anderem an den Universitäten München und Berlin sowie in der Judikative schließlich als Präsident des höchsten deutschen Gerichts, des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe eine vergleichsweise einzigartige Vita vorzuweisen. Und so mag er sich besonders als Mahner legitimiert gesehen haben, der den Deutschen Mut machen durfte und sollte:
"Was ist los mit unserem Land? Im Klartext: Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression - das sind die Stichworte der Krise. Sie bilden einen allgegenwärtigen Dreiklang, aber einen Dreiklang in Moll."
Diese Position aus dem Jahre 1997 findet sich auch heute in seinen Erinnerungen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Globalisierung sieht Herzog unverzeihliche Versäumnisse der deutschen Gesellschaft:
Es gibt eine lange Liste von technischen Entwicklungen, die in deutschen Labors und Konstruktionsbüros erfunden wurden, deren wirtschaftliche Nutzung dann aber verschlafen und anderen Ländern überlassen wurde. Außerdem kann in Deutschland inzwischen nichts erfunden und keine Technik neu eingeführt werden, ohne dass dagegen sofort von allen möglichen Seiten schwerwiegende Bedenken erhoben würden, oft unterstützt durch landesweite Agitationen und Massendemonstrationen.
Als Beispiel liefert Herzog den deutschen Erfinder des Computers, Konrad Zuse, den er selbst noch treffen konnte. Und so beteuert Herzog immer wieder, dass es eine der wichtigsten Aufgaben des Staatsoberhauptes sei, als ständiger Mahner auf gesellschaftliche Mängel hinzuweisen. Darin sieht und sah er seine soziale und politische Mission in all seinen Ämtern und vor allem als Präsident im In- und Ausland. Und, kein Zweifel: Als eine der wichtigsten Mission sieht Herzog auch heute noch seine mahnenden Worte der Berliner Rede:
"Das Ergebnis dieser Anstrengung wird eine Gesellschaft im Aufbruch sein, voller Zuversicht und Zukunft und, wie ich hoffe, auch voller Lebensfreude. Eine Gesellschaft des Einsatzes und der Toleranz. ... Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Ich rufe zu mehr Selbstverantwortung auf. Ich setze auf erneuerten Mut. Und ich vertraue auf unsere Gestaltungskraft. Glauben wir doch endlich wieder an uns selber."
Dieses Credo hat das Leben des Roman Herzog bestimmt - in seinen Erinnerungen wird das auf jeder Buchseite deutlich. Eher als Schmonzetten mit mehr oder weniger Witz sind die mit "apropos" angehängten Anekdoten zu goutieren. Jedoch insgesamt ein Buch, das als Folie eines Lebens für die Demokratie gelten kann.
Rainer Burchardt über Roman Herzog: Jahre der Politik. Die Erinnerungen. Das 416 Seiten starke Buch aus dem Siedler Verlag München kommt Ende Februar zum Preis von 19 Euro und 95 Cent in die Läden.