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Vom Luftschloss zum Weltraumlabor

Raumfahrt. - Mehr als zehn Jahre hat es gedauert, die Internationale Raumstation in der Erdumlaufbahn aufzubauen. Mindestens bis zum Jahr 2020 soll sie in Betrieb bleiben. Unter dem Motto "Weltraumforschung zum Nutzen der Menschheit" diskutieren in dieser Woche gut 300 Experten aus aller Welt in Berlin über die Arbeit in der Umlaufbahn und ziehen eine erste Bilanz dieses internationalen Großprojekts.

Von Dirk Lorenzen | 03.05.2012
    16 Mal am Tag kreist die Internationale Raumstation um die Erde. Sie wiegt etwa 400 Tonnen und ihre Module sind so geräumig wie ein Jumbojet. Nach der langen zähen Aufbauphase macht der fliegende Komplex Mark Uhran, Nasa-Direktor für die Internationale Raumstation, jetzt viel Freude.

    "The ISS is currently operating nominally with a full crew of six. It is an incredibly robust system, that is exceeding all of our expectations."

    Derzeit laufe alles viel besser als erwartet – das System erweise sich als unglaublich robust. Auf der Station in 400 Kilometern Höhe sind sechs Menschen tätig, im Moment drei aus Russland, zwei aus den USA und einer aus den Niederlanden. Doch diese sechs sind im All keineswegs auf sich allein gestellt.

    "Etwa 6000 Menschen sind am Erdboden dafür tätig, die Raumstation 365 Tage im Jahr in Betrieb zu halten. Diese Teams sind für die Arbeitsabläufe auf der Station verantwortlich, sie planen künftige Einsätze und entscheiden, wie wir mit den technischen Störungen umgehen, die immer wieder mal auftreten."

    Ab und zu fallen einzelne Geräte aus, sei es ein Computer, ein Heizelement oder eine der Bordtoiletten. Doch gemessen daran, dass die Raumstation ein gigantisches Puzzle aus fünfzehn Modulen und zahllosen weiteren Teilen verschiedener Hersteller ist, funktioniert sie erstaunlich gut. Für Jan Wörner, Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, ist schon das Zusammenfügen des Puzzles eine große Leistung gewesen.

    "Man muss ja immer wissen, dass mit den Teilen, die da geliefert werden, nicht vorher versucht wird, passen die überhaupt. Also ein Columbus-Modul wird hoch geschickt und muss passen. Oder die russische Seite und die amerikanische Seite, die ein Kopplungsstück haben: Das haben die vorher nicht auf der Erde ausprobieren können, das passt da oben zum ersten Mal. Das ist für mich als Ingenieur wirklich etwas dramatisch Positives."

    Partner der Internationalen Raumstation sind die USA, Russland, Japan, Kanada und Europas Weltraumorganisation Esa. An Bord sind immer Astronauten aus mindestens drei Nationen – sie arbeiten meist für ein halbes Jahr im All. Die Crews lernen sich lange vor dem Start beim jahrelangen Training kennen. Das minimiert die Gefahr ernster Streitereien zwischen den Besatzungsmitgliedern. ISS-Bordsprachen sind Englisch und Russisch. Alle fünf Partner haben eigene Kontrollzentren, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Der reine Flugbetrieb wird meist von Houston und Moskau aus erledigt. Damit nicht zu viele Köche den Brei verderben, sind etwa bei der Reaktion auf technische Probleme die Abläufe straff organisiert, erklärt Helmut Luttmann, der bei Astrium in Bremen für den Betrieb und die Nutzung der ISS zuständig ist.

    "Demokratie ist das nicht gerade, wenn es um solche Entscheidungen geht. Es gibt klare Verantwortungen: Nasa ist natürlich der Chef der Raumstation, sie sind der größte Beteiligte. Europa ist für seinen Teil verantwortlich, kann innerhalb dieses Teils allerdings auch frei entscheiden. Wenn irgendwelche Dinge da sind, die die Schnittstellen überschreiten, ist die Abstimmung mit der Nasa oder den Japanern oder Russen notwendig. Aber das läuft gut."

    Europas Hauptbeitrag ist das Raumlabor Columbus, in dem in der Schwerelosigkeit viele Phänomene etwa aus den Bereichen Biologie, Materialwissenschaften, Physik und Medizin erforscht werden. Manche Experimente laufen automatisch ab und werden nur vom Boden überwacht, oft aber sind die Astronauten direkt beteiligt. Für die Menschen an Bord gelten zumeist ganz irdische Arbeitsbedingungen. Luttmann:

    "Es gibt die 5-Tage-Woche, wir man so schön sagt. Allerdings kann man schlecht spazieren gehen auf der Raumstation. Also gibt es die Möglichkeit , dass man auch so genannte voluntary science macht. Also Dinge, die man möglicherweise in der Woche nicht geschafft hat. Wenn die Astronauten Zeit und Lust haben, das zu erledigen, wird auch am Wochenende gearbeitet zu diesen Themen. Und wir müssen uns dann entsprechend vorbereiten und das Ganze unterstützen."

    Europa kommt zugute, dass die Crew der Raumstation nach Greenwich-Weltzeit lebt, also nur eine Stunde vor der Mitteleuropäischen Zeit. Wenn die Astronauten im All arbeiten, ist am Boden in Europa Tag, die Kollegen in Japan oder in den USA müssen dagegen oft in der Nachtschicht ran. So sehr sich die Beteiligten über die Forschung im All freuen. Der Routinebetrieb hat manche Schwäche offenbart, erklärt DLR-Chef Jan Wörner:

    "Was wir auch gelernt haben, ist, dass natürlich ein so großes System, und die ISS ist wirklich zu groß, dass sie für viele Anwendungen ein bisschen zu behäbig ist. Das heißt, wir haben nicht die optimale Schwerelosigkeit da, die wir vielleicht bei einem kleineren Freeflyer hätten und wir haben einen ziemlichen Aufwand, das Ding dauernd in Betrieb zu halten. Housekeeping ist wirklich Arbeit auf der ISS."

    Zwei bis drei Arbeitskräfte werden allein für die Hausmeistertätigkeiten in den Modulen gebraucht – die übrigen drei bis vier widmen sich den Forschungsaufgaben. Genau so eine Raumstation würde man sicher nicht noch einmal bauen. Und doch ist die ISS für viele der Schritt in eine neue Ära der Raumfahrt – die alten Wettläufe zu Zeiten des kalten Krieges sind vorbei, dank der Raumstation arbeite man jetzt sehr intensiv zusammen, betont der Nasa-ISS-Direktor Mark Uhran:

    "The lesson we have learned is, that a partnership among all of the space faring nations that built the ISS is definitely the most successful way to proceed in the future. And we hope to expand that partnership as we go forward."

    Man hoffe, die Partnerschaft noch zu erweitern – eine Anspielung auf China, das bisher auf Geheiß der US-Regierung an der ISS nicht beteiligt ist. Die ISS soll mindestens bis zum Jahr 2020 im Einsatz bleiben, vermutlich noch einige Jahre länger – und bis dahin wird sicher auch China Partner im Weltraum sein. Egal was für Projekte nach der ISS kommen werden: Solange es um bemannte Raumfahrt geht, etwa um Flüge zum Mond oder zum Mars, werden die Missionen ähnlich organisiert sein wie die Raumstation – man baut gemeinsam eine Infrastruktur, die jeder nach eigenem Interesse nutzt.