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Vom Mittelalter bis zur Renaissance

Eine Ausstellung im Pariser Grand Palais widmet sich der Kunst in Frankreich um 1500. Während Christoph Kolumbus Amerika entdeckte und Martin Luther seine 95 Thesen formulierte, trat die Grande Nation in der Renaissance vor allem als Drehkreuz der Kunstströmungen in Erscheinung.

Von Björn Stüben |
    Im Jahr 1492 entdeckte ein Genueser den amerikanischen Kontinent. Fünfundzwanzig Jahre später, 1517, nagelte ein Deutscher reformatorische Thesen an die Türen der Schlosskirche in Wittenberg. Und was stellten derweil die Franzosen Weltbewegendes auf die Beine?

    Eine natürlich unsinnige Frage, die aber der Leser des Katalogs zur Ausstellung "Frankreich 1500 – zwischen Mittelalter und Renaissance" durchaus geneigt ist sich zu stellen, denn hierin wird beinahe entschuldigend darauf verwiesen, dass sich das französische Königreich damals gerade von den Nachwirkungen des Hundertjährigen Krieges erholt hätte und die Regierungen Karls VIII. und Ludwigs XII. noch keineswegs den Glanz versprühten, von dem die Herrschaft ihres Nachfolgers Franz I. geprägt worden wäre. Sicherlich hätte es in Frankreich schon bedeutende internationale Messen und Handelsverkehr gegeben, französische Kaufleute vom Format etwa der Fugger seien der Nachwelt allerdings nicht überliefert. Frankreich ein Land im Hintertreffen auf der Schwelle zur Renaissance also?

    Der Ausstellung im Pariser Grand Palais geht es natürlich um etwas ganz anderes. Mit über 200 Meisterwerken aus den Bereichen der Öl- und Glasmalerei, Skulptur, Emaille-, Wandteppich- und Buchkunst sowie der Architektur widmet sie sich vielmehr erstmals derjenigen Epoche, in der das französische Königreich durch die Eingliederung Burgunds, der Provence und der Bretagne nicht nur an Macht und Prestige gewann, sondern auch zu einem Drehkreuz der unterschiedlichen Kunstströmungen in Europa wurde.

    Nur knapp acht Zentimeter misst das kleine, 1452 in Emaille auf Kupfer gemalte Selbstbildnis des in Tours geborenen Malers Jean Fouquet. Selbstbewusst nimmt er in der Manier eines italienischen Renaissance-Künstlers den Betrachter ins Visier. In einer Buchminiatur, einer der traditionellen Kunstformen seiner französischen Heimat, illustriert er die Geschichte Alexanders des Großen. Antikisierende Architektur dient ihm hier als Dekor für die Darstellung der Zentralperspektive, einen Kunstgriff, den er auf Reisen nach Italien gerade erst kennen gelernt hatte. Über den Künstler Nicolas Froment weiß die Nachwelt wenig, nur dass er am Hof König Rénés in Aix-en-Provence arbeitete. Der Realismus der Figuren, die um 1470 in Öl auf Holz gemalt dem Martyrium des provenzalischen Heiligen Saint Mitre beiwohnen, spiegelt deutlich das Vorbild der altniederländischen Kunst.

    An vielen Beispielen wird deutlich, wie französische Meister, geschult an nordischer und italienischer Kunst den exquisiten Geschmack nicht nur des Hofes, sondern vor allem auch hoher Geistlicher, Prinzen, Beamter oder Geschäftsleute bedienten. Lyon, Bourges, das Loiretal und Burgund, die Auvergne, die Champagne, die Normandie und das Languedoc stellt die Schau als eigenständige Zentren unterschiedlichster Künstlercharaktere dar. Eines dieser Zentren war natürlich auch Paris, doch es dominierte die anderen keineswegs. Das grandiose Halbrelief aus Alabaster von 1510, das einen Marientod zeigt und für eine Pariser Kirche bestimmt war, hätte ebenso eine Florentiner Kapelle schmücken können. Aber auch das marmorne Grabmal der gemeinsamen Kinder von Karl VIII und Anna von Bretagne, das anlässlich der Ausstellung aus der Kathedrale von Tours herbeigeschafft wurde, oder die aus bemaltem Kalkstein um 1470 im Languedoc gefertigte Maria mit dem ungewöhnlich realistisch auf ihrem Schoss herumturnenden Jesuskind zeigen dieselbe herausragende Qualität.

    Die exzellente Ausstellung will vor allem auch eine immer noch weitverbreitete These entkräften, dass nämlich die französischen Könige erstmals während ihrer Feldzüge in Italien ab 1494 mit der Kunst der Renaissance in Berührung gekommen sein sollen.

    Tatsächlich waren es vielmehr die Handelswege, die schon lange Flandern und Burgund, das seit 1477 zur französischen Krone gehörte, mit Norditalien verbanden, die auch für den Austausch künstlerischer Ideen von Süden nach Norden und umgekehrt sorgten. Wie sonst ließe sich erklären, dass ein Wandteppich im Brüssler Stil, der wohl bereits um 1491 für eine Abtei bei Paris gewebt wurde, eine deutlich auf Botticelli zurückgehende Minerva als Motiv zeigt? Und noch etwas macht die Schau deutlich. Die Kunst der Spätgotik mit ihrem alle Flächen überwucherndem Dekor und die streng die Antike feiernde Kunst der Renaissance stellten in Frankreich um 1500 durchaus keinen Gegensatz dar. So ist eine Kapellentür aus Eichenholz in der Schau auf ihrer Vorderseite deutlich mit Renaissancemotiven verziert, während in ihre Rückseite spätgotische Ornamente geschnitzt wurden.

    Der Schau gelingt es, Frankreich um 1500 als Schmelztiegel der unterschiedlichsten Kunstströmungen darzustellen. Die Zeiten änderten sich, als 1517 der große Renaissancefürst Franz I. den greisen Leonardo da Vinci nach Frankreich übersiedeln ließ. Doch das ist ein Thema für eine andere Ausstellung.