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Vom Pantoffeltierchen bis zum Menschen

1837 schrieb Charles Darwin die beiden Worte "I think" - Ich denke - in sein Notizbuch und skizzierte darunter zum ersten Mal einen Stammbaum der Arten. Damals ahnte er wohl kaum, dass er auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Theorie war, die die Welt verändern sollte.

Von Tom Goeller | 09.02.2009
    Mehr als 20 Jahre dauerte es dann noch, bis er sein Buch "The Origin of Species" - Die Entstehung der Arten veröffentlichte. Die Darlegung der Evolutionstheorie. Der Darwinismus war geboren. Eine naturwissenschaftliche Theorie, die als soziales und politisches Konzept missbraucht wurde und bis heute umstritten, obwohl bewiesen ist.

    Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1809, wurde Charles Darwin geboren. Eine ganze Reihe von Neuerscheinungen beschäftigt sich nun mit dem Mann aus Shrewsbury an der englisch-walisischen Grenze, mit seinem Werk und dessen Folgen.

    Charles Darwin hat seine Evolutionstheorie in insgesamt 32 Büchern ausgearbeitet und versucht zu erklären, wie sich alles Leben, vom Pantoffeltierchen bis zum Menschen, durch Selektion und Anpassungen entwickelt hat. Sein erster Bestseller mit dem Titel "Über die Entstehung der Arten" erschien vor 150 Jahren und war am selben Tag ausverkauft. Es ist das Gründungswerk der Evolutionstheorie, für das er sich zwanzig Jahre Zeit genommen hatte. Erst als er erfuhr, dass ein anderer englischer Naturforscher ebenfalls zu dem Schluss gekommen war, dass sich das Leben auf der Erde aufgrund von Veränderungen in der Vererbung entwickelt habe, warf Darwin im Jahr 1859 geradezu über Nacht seine gesammelten Erkenntnisse auf den Markt.

    All dies erfahren wir von Julia Voss, der Herausgeberin eines Buches mit Ausschnitten aus den Werken Darwins. Darwins Bücher trugen ihm nicht nur Ruhm ein, denn er sprach auch vom "survival of the fittest" - grob übersetzt also vom Überleben des Stärkeren. Kein Wunder, dass seine Gedanken allen voran von den Nazis zur Einstufung von sogenanntem "unwerten Leben" und der "Überlegenheit eines Herrenvolkes" missbraucht wurden. Doch auch britische und amerikanische Soziologen entwickelten daraus die Vorstellung, dass menschliche Gesellschaften dem gleichen evolutionärem Prozess unterlägen wie die Natur, nämlich, dass in einem natürlichen Ausleseprozess höhere Kulturen entstehen, deren "natürliches Recht" es sei, niedrigere zu dominieren. Diese Theorie nennt man "Sozial-Darwinismus".

    Heute steht im Vordergrund der Evolutionstheorie die scheinbare Erkenntnis von Darwin, dass die Natur und somit auch der Mensch nicht mit einem göttlichen Kraftakt in sieben Tagen erschaffen wurden. Julia Voss bringt diese zentrale Aussage der Evolutionstheorie Darwins auf den Punkt, indem sie feststellt:

    Seit Darwin benötigen wir keinen Gott mehr, um die Artenvielfalt zu erklären, die Natur hat sich in einem nie abreißenden Prozess selbst geschaffen.
    Mit dieser Meinung befindet sich die Herausgeberin des Darwin-Lesebuchs in Einklang mit führenden Biologen, Physikern, Naturforschern und Atheisten unserer Zeit, allen voran Richard Dawkins und Sean B. Carroll.

    Insbesondere der englische Evolutionsbiologe Dawkins gibt sich seit Jahrzehnten Mühe, den naturwissenschaftlichen Nachweis zu erbringen, dass Gott nicht existiert. Nach seinem Ausflug in die Theologie mit seinem inzwischen auch in Deutschland berühmten Buch "Gotteswahn" hat Dawkins jüngst wieder ein ganz und gar biologisches Buch vorgelegt: Die "Geschichten vom Ursprung des Lebens". Hier offenbart der ehemalige Oxford-Professor seine eigentliche Stärke. In vierzig Kapiteln auf fast tausend Seiten führt er den interessierten naturwissenschaftlichen Laien durch 3,5 Milliarden Jahre Erdzeit. Immer dort, wo er als Biologe Fakten vorstellt und analysiert, überzeugt er den Leser; das ist aber weniger häufig der Fall, als die Dicke des Buches vermuten lässt.

    Nach der derzeitigen Lehrmeinung sind die ältesten Bakterienfossilien ungefähr 3,5 Milliarden Jahre alt, der Ursprung des Lebendigen muss also zumindest vor diesem Zeitpunkt liegen.
    Während Dawkins nassforsch solcherart "Lehrmeinung" verbreitet, räumt er vorsichtig in einer kleingedruckten Fußnote ein, dass der auf 3,5 Milliarden Jahre festgelegte Ursprung des Lebens, lediglich eine "Überzeugung und Behauptung" norwegischer Wissenschaftler sei, für die es "keinerlei Spuren" gibt.

    In dieser Art ist das gesamte Buch geschrieben, wobei man den Eindruck gewinnt, dass Dawkins mehrfach aus dem Auge verliert, wie er jenen Christen in die Hände spielt, die die Bibel wörtlich nehmen und die die Entstehung der Menschheit auf Adam und Eva zurückführen.

    Wesentlich überzeugender argumentiert der amerikanische Genforscher Sean B. Carroll in seinem Buch "Die Darwin-DNA", über das er selbst treffend sagt:

    Im Mittelpunkt der Kapitel steht jeweils die Frage, wie die Spuren in der DNA einen bestimmten Aspekt der Evolution deutlich werden lassen; die Grundlage bilden dabei neue Befunde, von denen Darwin und seine mathematisch begabten Nachfolger noch nicht einmal hätten träumen können.
    Wohl wahr. Und Carroll legt - ganz anders als Dawkins - auf nur 336 Seiten einen schlüssigen Beweis nach dem anderen vor. So schreibt er zum Urahn allen Lebens:

    Unsterbliche Gene sind (...) Schlüsselbeweise dafür, dass alle heute lebenden Arten von gemeinsamen Vorfahren abstammen.
    Wie aber wird es weitergehen mit der Evolution angesichts des raschen Klimawandels, der Abschmelzung der Polkappen, der Zunahme an Wüsten? Mehr zwischen den Zeilen als direkt ausgesprochen findet man bei Carroll Antworten, die hochpolitisch sind. Während er von den durchsichtigen Eisfischen der Antarktis erzählt, die Blut entwickelt haben, das unter dem Gefrierpunkt pulsiert, und von Arten, die die größte Hitze aushalten, alle Spezien aber DNA-mäßig verwandt sind, bringt er den Leser darauf, dass die Antwort auf die steigende Temperatur unseres Planeten vielleicht nicht nur in der Reduktion von CO-2-Emmissionen liegt, sondern in einer gigantischen Gen-Manipulation der Menschheit, die sozusagen im Zeitraffer jene Anpassung an eine neue Erde verwirklicht, die die bisher zeitlupenartige Evolution nicht mehr schaffen wird.

    Und hierin liegt die eigentliche Brisanz der hundertfünfzig Jahre alten Evolutionstheorie Darwins: "dass der Mensch zum obersten Richter" über sich selbst wird, wie Darwin in seinem Buch "Die Abstammung der Menschheit" formulierte. Dass der Mensch - moralisch enthemmt durch atheistische Evolutionsprediger wie Dawkins - mittels Genmanipulation, Stammzellenforschung, Sterbehilfe und Abtreibung tatsächlich eine Gruppe von Menschen produzieren könnte, die als Stärkste die neuen Herausforderungen der Zukunft überleben.

    Tom Goeller über drei Neuerscheinungen, die Charles Darwin und seinem Werk gewidmet sind. Und zwar: "Charles Darwin - Das Lesebuch" von Julia Voss aus dem S. Fischer Verlag, 480 Seiten stark für 12 Euro 90. Außerdem: Richard Dawkins: Geschichten vom Ursprung des Lebens. Eine Zeitreise auf Darwins Spuren - aus dem Ullstein Verlag, 928 Seiten kosten 29,90 Euro. Und schließlich: Sean B. Carroll: Die Darwin-DNA - Wie die neueste Forschung die Evolutionstheorie bestätigt. Ebenfalls im S. Fischer Verlag erschienen, 320 Seiten für 19 Euro 90.