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Vom Papiergroßhändler zum Verleger

1877 erwarb Leopold Ullstein seine erste Zeitung. Es war der Beginn einer langen Erfolgsgeschichte, die den deutschen Blätterwald nachhaltig veränderte und das Buchgeschäft revolutionierte.

Von Agnes Steinbauer | 14.07.2007
    "Gestern habe ich nun in der That und wirklich einen großen Kauf gethan, nämlich eine Zeitung nebst Buchdruckerei"."

    schreibt der Berliner Papiergroßhändler Leopold Ullstein an seine Tochter Käthe. Der Kauf des "Neuen Berliner Tageblattes" und der dazu gehörigen Druckerei der Firma Stahl & Assmann am 14. Juli 1877 machte Ullstein zum Verleger und begründete das erste deutsche Verlagsimperium. Selbst eine Zeitung herauszugeben, war immer sein heimlicher Traum gewesen:

    ""Ullstein, Sie sollten weiter Papier verkaufen - aber in bedruckter Form","

    zitiert Sten Nadolny in seinem "Ullsteinroman" Leopolds Freund, den Verleger Franz Duncker. Ullstein, so Nadolny, sei nicht nur ein gewiefter Geschäftsmann gewesen, sondern "auch ein Gefangener seiner politischen Leidenschaft". Leopolds Enkel, der Verleger Frederick Ullstein, bestätigte das 1983 in einem RIAS-Interview:

    ""Mein Großvater Leopold Ullstein war ausschließlich von politischen Motiven geführt. Er war Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung gewesen, wo er mit Rudolf Virchow und anderen zusammen als freisinniger Liberaler saß."

    Als Mitglied der linksliberalen Fortschrittspartei interessierte Ullstein vor allem die soziale Frage. In der schnell wachsenden Metropole Berlin lebten in der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts Zehntausende von Menschen in Elendsquartieren unter katastrophalen Umständen. Mit dem berühmten Arzt Rudolf Virchow engagierte er sich für bessere Lebensbedingungen. Als er als Liberaler bei den Stadtratswahlen von 1876 durchfiel, wollte er sich mit Hilfe einer Zeitung sein eigenes Sprachrohr sichern:

    "Es lag ihm daran, seinen Freunden und Parteigenossen weiter helfen zu können. [...] Sehr schnell kamen zu der ursprünglichen Zeitung weitere hinzu."

    Aus der Morgenzeitung "Neues Berliner Tageblatt" wurde die Abendzeitung "Deutsche Union", die Ullstein in der 1878 erworbenen "Berliner Zeitung" aufgehen ließ. Sie wird im preußischen Obrigkeitsstaat Bismarcks, in dem sogar ein Wort wie "Kanzlerdiktatur" strafbar ist, zu seinem linksliberalen Flaggschiff. Mit seiner Zeitung wandte sich Ullstein offen gegen Bismarck und beschäftigte Sitzredakteure, die für das Absitzen der anfallenden Gefängnisstrafen bezahlt wurden.

    Dabei florierte das Geschäft. Ullstein verdoppelte die Auflage der "Berliner Zeitung" auf 40.000 Exemplare. Seinen letzten Coups landete er mit der "Berliner Morgenpost", die er 1898 übernahm und die sich bald zur erfolgreichsten deutschen Tageszeitung entwickelte. Das war kurz vor seinem Tod 1899:

    ""Ich glaube dadurch für Hans und Louis gesorgt zu haben","

    schrieb Leopold Ullstein und meinte damit den Kauf seiner ersten Zeitung. Er sollte Recht behalten.

    Im 20. Jahrhundert bauten die Ullstein-Erben den Verlag zum Imperium aus. 1904 brachte Sohn Louis die modernisierte "Berliner Zeitung" als "BZ am Mittag" heraus. Sie wurde die erste Boulevardzeitung Deutschlands und mit Hilfe neuer Vertriebswege über Straßenhändler zum Verkaufsschlager. Die Ullsteins etablierten sich mit populären Frauen- und Kinderzeitschriften, und Literaturmagazinen wie "Querschnitt" und "Uhu", für die Autoren wie Brecht, Hasenclever oder Tucholsky schrieben. Das Erfolgsrezept des 1903 gegründeten Buchverlages war die breite Palette von Billig-Büchern bis hin zu anspruchsvollen Reihen wie Klassiker-Ausgaben und kunstgeschichtlichen Werken in der Propyläen-Edition. Welt-Bestseller wie Remarques "Im Westen nichts Neues" mehrten den Erfolg des Unternehmens.

    1934 erzwangen die Nazis den Verkauf des Verlags weit unter Wert und trieben die Ullsteins in die Emigration. Erst 1952 bekamen sie ihr Unternehmen zurück. Erster Verlagsleiter wurde Frederick Ullstein, dem mit Heinrich Harrers "Sieben Jahre in Tibet" ein neuer Welterfolg gelang. 1966 kaufte der Springer-Verlag das Familienunternehmen. Seit dem Jahre 2003 gehört es zum schwedischen Medienkonzern Bonnier.