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Vom Pesthaus zur Charité

Auf dem heutigen Campus Charité Mitte in Berlin entstand im frühen achtzehnten Jahrhundert das erste Gebäude der Charité – keine Klinik, sondern ein Pesthaus. Später baute sein Gründer, König Friedrich I., die Einrichtung zu einer bürgerlichen Klinik aus. Heute ist das "Universitätsklinikum Charité" ein ganzes Ensemble von mehreren Krankenhäusern.

Von Pascal Fischer |
    1709 geht die Angst vor der Pest um in Preußen: Über 8000 Menschen sterben im September in Danzig, schon wütet der schwarze Tod in Brandenburg. König Friedrich I. in Preußen ergreift Maßnahmen zum Schutze Berlins. Der Berliner Medizinhistoriker Volker Hess:

    "Die Unterbindung des öffentlichen Verkehrs durch Abriegelung der Verkehrswege, die Absonderung von Erkrankten, die Reinigung und Säuberung von Hinterlassenschaften Verstorbener: All das fällt in diesen Maßnahmenkatalog, den man damals zur Hand hatte, um gegen epidemische Krankheiten überhaupt etwas zu tun."

    Wachposten stehen an den großen Straßen. An Pestgalgen baumeln diejenigen, die sich auf Schlupfwegen aus Polen nach Preußen eingeschlichen haben. Doch was, wenn die Pest Berlin dennoch erreicht? Friedrich I. will vorsorgen. In einem Reglement befiehlt er Mitte November 1709,

    "Dass weit außerhalb jeder Stadt insonderheit bei dero Residentien... Lazaretthäuser zu errichten sind, an solchen Orten, die luftig seyn und von Winden bestrichen werden können."

    Das ist im Nordwesten des damaligen Berlins, vor dem Spandauer Tor der Fall. Mitte Mai 1710 vollendet man das Gebäude: Auf einer Grundfläche von 50 mal 50 Metern entsteht ein zweistöckiges Haus aus gemauertem Fachwerk, mit Innenhof und großzügigen Zimmern für 400 Kranke.

    Doch der schwarze Tod kommt im diesem Jahr nur bis Prenzlau und zieht dann an Berlin vorüber, weiter Richtung Westen. Das Gebäude bleibt leer. Drei Jahre später will Friedrichs Nachfolger Wilhelm I. es zum Lazarett für die Berliner und Potsdamer Garnisonen umfunktionieren. Doch den Militärärzten und den Familien der kranken Soldaten ist der Weg bis vor die Stadttore zu weit. Daher wird das Gebäude zum Hospital für Bedürftige, also:

    "Alte, Bettlägerige, Sieche, Krüppel und natürlich auch Kranke. Aber der Zweck dieses Hospitals ist nicht, wie heute, Kranke zu heilen, sondern erst einmal, Unterkunft und eine sichere Bleibe zu bieten. Das ist die multifunktionale Einrichtung eines klassischen Hospitals,"

    das auch Besserungsanstalt für Tagediebe, Dirnen und Bettler sein soll, die die Polizei eingefangen hat. Mit Handwerksarbeiten sollen sie dort auf ehrliche Weise ihren Lebensunterhalt verdienen.

    Dass das Gebäude später zum Krankenhaus im heutigen Sinne wird, ist indirekt den Militärärzten zu verdanken. Denn sie brauchen eine medizinische Ausbildung, die über das bloße chirurgische Handwerk hinausgeht. Daher schafft König Friedrich Wilhelm I. 1724 in der Stadt eine Lehranstalt: Das "Collegium medico chirurgicum" ist für den theoretischen Unterricht gedacht. Für die Praxis ist eine Lehrklinik nötig. Deshalb baut der König 1726 das Gebäude vor dem Spandauer Tor zur Klinik auch für bürgerliche Patienten aus.

    "Das ist eine Einrichtung der Fürsorge, der Wohltätigkeit. Zu dieser Gemeinnützigkeit gehört auch damals, dass die Charité ihre Lebensmittel steuerfrei auf dem Markt einkaufen durfte. Und diesen Erlass unterschrieb der preußische König mit: Dies Haus soll heißen Charité."

    Charité - zu deutsch Barmherzigkeit. Allerdings werden die bloß Hilfsbedürftigen - also die Bettler und Alten - bis Ende des 18. Jahrhunderts in andere Häuser verlegt. So kann man sich an der Charité ganz der medizinischen Wissenschaft widmen, unterstützt vom Collegium, ab 1810 auch angespornt durch die Konkurrenz, die medizinische Fakultät und die Kliniken der neu gegründeten Humboldt-Universität.

    Konkurrierende Einrichtungen der theoretischen und praktischen Medizin auf engstem Raum: Dieses Erfolgsrezept bringt Berliner Mediziner zu Weltruhm, darunter Rudolf Virchow, den Begründer der Zellularpathologie. Oder Paul Ehrlich, Erfinder der Chemotherapie. Robert Koch erprobt hier das Tuberkulin, Emil von Behring die Serum-Therapie gegen Diphtherie: Alles das geschieht in einer Institution, die einst als Pesthaus geplant war.