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Vom Regen in die Jauche?

"Das geht sein' sozialistischen Gang" singt Wolf Biermann am 13. November 1976 bei seinem Konzert in Köln, mit dem er seine Tournee durch Westdeutschland beginnt. Doch danach geht für ihn kein Weg mehr zurück in die DDR: die SED-Regierung wirft dem Liedermacher "Klassenverrat" vor.

Von Dörte Hinrichs und Hans Rubinich | 09.11.2006
    Biermann selbst empfand dies wie eine "Todesdrohung", so sagt er heute. Führende Intellektuelle verfassen eine Petition gegen Biermanns Ausbürgerung - vergebens. Damals lag gerade erst ein elfjähriges Auftritts- und Publikationsverbot in der DDR hinter ihm. Nur im Westen Deutschlands durften seine Lieder und Texte über die "Marx- und Engelszungen" erscheinen.

    Hier rechnet er mit der DDR ab, bekundet in seinen Texten aber immer wieder seine sozialistische Einstellung. Wie der Büchner-Preisträger heute über seine Ausbürgerung denkt und was seine damaligen Weggefährten und Kritiker dazu sagen, macht ein Stück deutsch-deutsche Geschichte lebendig. Auch heute noch, mit 70 Jahren, bezieht Wolf Biermann politisch-literarisch Stellung und setzt sich in seinem gerade erschienenen Gedichtband "Heimat" auch mit diesem aufgrund seiner Biographie so schillernden Begriff auseinander.



    Egon Bahr, SPD-Politiker, über ein Biermann-Konzert vom 13.11.1976 in Köln.

    " Dieses Konzert war ein großes Erlebnis. Die Leidenschaft, mit der er die Situation in der Bundesrepublik aufgespießt hat, aber noch mehr im Grunde abgerechnet hat mit den Zuständen in seinem Lande, war: Alles zitterte, alles hörte, alles war hingerissen. Und ich glaube eine so große Wirkung, wie durch dieses eine Konzert hat Wolfgang Biermann nie wieder erreicht, "

    Hermann Kant, Schriftsteller:
    " Er war ein sehr witziger frecher und auch oftmals gedankenstarker Dichter. Er hat seine Reime und Verse in Melodien gefasst. Er konnte es wunderbar vortragen. Er war also ein absoluter Entertainer. Und außerdem schlug er auch noch die Gitarre, wie es kaum jemand konnte. Das zusammen machte ihn zu einer einmaligen Angelegenheit, "

    Dr. Matthias Wolbold, Literaturwissenschaftler:
    " Ich glaube, dass er ein Liedermacher, ein Schriftsteller war, der mit Verfolgung mit Bespitzelung zu kämpfen hatte, der aber gleichzeitig sehr unerschrocken seine Linie und seine Lieder und seine Thesen vertreten hat. "


    Köln am 13. November 1976. Hier in der Sporthalle beginnt der DDR- Liedermacher Wolf Biermann seine Tournee durch Westdeutschland. Jenes Land, das er 1953 verlassen hat, um in das andere, das sozialistische Deutschland zu gehen.

    Als er damals von Hamburg nach Ostberlin übersiedelt, ahnt er noch nicht, wie unbequem er einmal für die dortige Regierung werden soll. Anfang der 60er Jahre beginnt Biermann, Gedichte und Lieder zu schreiben, es folgen erste Auftritte, die zunächst auch den Beifall der SED finden. Wolf Biermann:

    " Die Herrschenden in der DDR fanden das toll, dass da ein junger Mann so schöne Lieder singt. Und natürlich: Woran denken Sie? Was können wir damit anfangen? Denn jeder, der in der Gesellschaft etwas bewirken will, freut sich, wenn er einen Rattenfänger findet, der die Jugend verführen kann. Natürlich sagen die nicht verführen, sondern aufklären, erziehen und verbessern und veredeln nach ihrem Bild. Ein anderes haben sie ja nicht. Und wenn das dann nicht funktioniert, dann sind sie menschlich enttäuscht, sauer, wütend und wenn es immer noch nicht hilft, werden sie eben rabiat. "

    Biermanns Ton wird schärfer gegen die "Marx- und Engelszungen" in seiner Wahlheimat. Als 1965 sein Gedichtband "Die Drahtharfe" und seine erste LP in der Bundesrepublik erscheinen, werfen ihm die DDR-Behörden Klassenverrat vor. Es folgen elf Jahre Auftritts- und Publikationsverbot.

    Biermann:
    " Ich kann mich nicht darüber beschweren, dass ich gründlich missverstanden wurde. Ich wurde in der Regel ganz gut verstanden. Und in der Regel habe ich deswegen auch immer - im Osten und im Westen - die richtigen Freunde gehabt. Und die richtigen Feinde. Natürlich gibt es ein raffinierteres Problem hinter dem. Es gibt ja nicht nur falsche Freunde. Es gibt auch falsche Feinde. Die sind übrigens - unter uns gesagt - noch gefährlicher als falsche Freunde. "

    Kant:
    " Ich war auch nicht sein Freund, im Gegenteil, ich habe mich über furchtbar vieles von ihm sehr geärgert, was mich nicht hinderte, gelegentlich für ihn einzutreten. "

    So der heute 80-jährige Hermann Kant. Als Biermann 1976 ausgebürgert wird, ist Kant stellvertretender Vorsitzender des DDR- Schriftstellerverbandes:

    " Ich habe auf dem prominentesten Platz den man finden konnte, nämlich im "Neuen Deutschland" erklärt: Mich hätte man nicht vor Biermann beschützen müssen, ich sei bis dahin ganz gut mit ihm auskommen und hätte das auch weiter gekonnt.
    Meine war eine der wenigen Stimmen des Bedenkens, die hat man aber nur gedruckt, weil man mit mir sozusagen sein Auskommen behalten wollte. "

    Biermann:
    " Es schieden sich die Geister. Ja, es schieden sich sogar Leute, die gar keinen Geist haben. Die können sich auch scheiden. Und es wurde der Konflikt, der immer da war- mit und ohne Biermann - schärfer sichtbar. "

    Auch in Westdeutschland scheiden sich die Geister im Fall Biermann. Sein Konzert in Köln findet viel Beifall. Selbst einige konservative Medien jubeln ihm zu. Die Linke zeigt sich gespalten. Schriftsteller wie Günter Grass, Heinrich Böll und Günter Wallraff stehen auf Biermanns Seite. Liedermacher wie Franz-Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp begrüßen dagegen die Ausweisung.

    Einige renommierte DDR-Künstler stehen auf der Seite der Regierung: Anna Seghers, Konrad Wolf und Erik Neutsch sind für die Ausbürgerung Biermanns. Dreizehn Schriftsteller aus dem Ost Pen-Club indes verfassen eine Petition: Die DDR-Regierung solle ihren Beschluss rückgängig machen, fordern sie. Biermann müsse wieder einreisen können. Das meinen etwa Christa Wolf, Sarah Kirsch, Stefan Heym, Franz Fühmann, Stephan Hermlin und Jurek Becker.

    Der "Fall Biermann" zieht weitere Kreise. 70 Künstler verteilen Flugblätter und solidarisieren sich mit dem Dichter und Liedermacher. Eine solche Reaktion, so Wolf Biermann heute, habe es in der DDR bis dahin noch nicht gegeben.

    " Weil sie sich selbst bedroht fühlten. Weil sie dachten: Wenn sie mit dem Biermann so umspringen, dann werden wir die Peitsche demnächst auch mehr kriegen, als das Zuckerbrot an dem wir hängen. Sie merkten, dass ihre eigene Sache dort verhandelt wird. Also haben sie sich gemeldet. Und damit haben die Herrschenden damals in der DDR nicht gerechnet. "

    Mit den Herrschenden in der DDR ist Egon Bahr immer wieder im Gespräch. 1976 ist er Bundesgeschäftsführer der SPD und bemüht sich seit Jahren, die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten zu verbessern.

    Während der Regierungszeit von Willy Brandt fungiert Egon Bahr als Architekt der Ostverträge. Sie dienen der Aussöhnung mit Polen und der UdSSR und garantieren die Unverletzlichkeit der Grenzen beider deutscher Staaten. Das Transitabkommen erleichtert den deutsch-deutschen Handel und das Reisen in die DDR.

    Wie musste da der Beschluss des Politbüros wirken, Biermann nicht wieder einreisen zu lassen? Würde die gerade gebaute Brücke zwischen Bonn und Ost-Berlin Risse bekommen?

    " Nein, überhaupt nicht. Zunächst ist ja einfach zu beachten, wenn man eine Entspannungspolitik macht, macht man sie auf lange Sicht und kann sich nicht durch einzelne Ereignisse davon abbringen lassen. Und wir hatten kein Interesse daran, sie mit der Nase auf Biermann zu stoßen. Hätten wir sagen sollen: Wir stellen jetzt alle Entspannungsbemühungen ein bis ihr den wieder aufnehmt? Das wäre einfach unvernünftig gewesen. Zwischen Ost-Berlin und Bonn, also den beiden Regierungen wurde es praktisch nicht behandelt. "

    Der Schriftsteller Hermann Kant kritisiert die Entscheidung der damaligen DDR-Regierung. Sie habe nicht damit gerechnet, welche einschneidenden Folgen die Ausbürgerung nach sich ziehen würde. Wobei es offen zu sein scheint, wer letztlich den Anstoß dazu gab, Biermann nicht wieder einreisen zu lassen.

    " Ich nehme an, es war ein relativ einsamer Einfall von Honecker. Wenn es so war, dann hat er absolut zu kurz gedacht. Er konnte ja den Rochus haben, den er hatte. Aber das hat ihn nicht berechtigt, ein Knüppel ins Getriebe der Kultur zu werfen. Die Nachwirkungen sind so, dass das und die Mauer die beiden einschneidendsten Vorgänge im allgemeinen Leben der DDR-Bewohner gewesen ist. Biermann ist zu einer gigantischen Figur geworden, dadurch, dass man äußerst idiotisch mit ihm umgegangen ist. "

    Egon Bahr sieht das ähnlich.

    " Zunächst mal war doch klar, dass es eine Schwäche des Staates ist. Wenn sie glauben, einen unliebsamen Kritiker auf diese Weise loswerden zu können, dass sie ihm eine Ausreise zu einem solchen Konzert erlauben - natürlich mit der schon vorher gefassten Meinung - den lassen wir natürlich nie wieder rein, wir werden ihn ausbürgern.

    Die Schwäche ist auch natürlich dann auch übertragen worden auf die Szenerie der intelligenten Schriftsteller, Dichter, Schauspieler, weil sie sich mit Recht darüber Gedanken gemacht haben: Was ist das eigentlich für ein Staat, der unliebsame Meinungen glaubt unterdrücken zu können, in dem er die Leute ausschließt? "

    Im Westen muss sich Wolf Biermann neu orientieren und positionieren. Darin sieht er die besondere Herausforderung - insbesondere als Liedermacher und Dichter:

    " Dann kommt man auf die vernünftige Idee, dass man jetzt was anderes machen muss. Nicht sterben. Aber sterben als Dichter Biermann. Und weil man das auch schön findet, Gedichte zu schreiben,.. Gitarre spielen, Lieder, die andere Leute, dann auch singen. Und die sie brauchen können als Seelenfraß, als Seelenfutter, als Seelengeld, mit dem sie durch die Welt kommen. Das ist eine große Freude. Und wenn einem das weggenommen wird, dann fängt man an zu jammern. . Und überlegt, was mache ich denn jetzt? Was kann ich denn sonst noch, kleiner Biermann? "

    Biermann fasst im Westen Fuß, auch wenn er behauptet, er sei "vom Regen in die Jauche" gekommen. Er rechnet mit der DDR ab, bekundet aber in seinen Liedern immer wieder seine sozialistische Einstellung.
    1989 kommt es zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Biermann singt nach 25 Jahren erstmals wieder in Leipzig. Und viele fragen: War seine Ausbürgerung 13 Jahre zuvor, das Anfang vom Ende der DDR? Biermann:

    " Es war nicht meine Ausbürgerung, die das Ende der DDR einläutete oder in Bewegung brachte. Die nicht erwartete Protestbewegung war es. "

    Biermann - ein Ikarus unserer Zeit? Einer der zu hoch flog, zu ungestüm war, der Sonne zu nah kam, schließlich verbrannte und abstürzte? Oder ähnelt Biermann eher dem Vater von Ikarus, also Dädalus. Der sicher fliegt und in Sizilien ankommt?

    Biermann selbst bezeichnet sich als preußischen Ikarus. Dr. Matthias Wolbold ist Literaturwissenschaftler an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Für wen hält er den Liedermacher?

    " Ich sehe ihn gar nicht so sehr als Ikarus, sondern ich sehe ihn eher als diesen bleiernen Ikarus, als der er sich selbst beschreibt. Ich sehe dieses Ungestüme zumindest nicht in seiner Widerstandskonzeption Denn er hätte ja in der DDR auch ganz anderen Widerstand leisten können. Aber er hat ja immer aufrecht seine Position vertreten, er hat die Führung kritisiert. Er hat sich auch immer zum Sozialismus bekannt. Also von einem Ungestümen erwarte ich da vielleicht sogar noch mehr. "

    1991 wird Wolf Biermann mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Matthias Wolbold misst der Verleihung einen ganz besonderen Stellenwert bei.

    " Man muss bedenken, der Georg-Büchner-Preis ist der höchst dotierte deutsche Literaturpreis, den wir haben, auch der angesehenste. Die Preisverleihung hat viele Literaturwissenschaftler überrascht, weil natürlich Biermann vor allen Dingen als Liedermacher wahrgenommen wurde und nicht so sehr als Lyriker oder als ein Verfasser von Prosatexten. Es ist bestimmt so, dass diese Preisverleihung in zeitlicher zur Wende zu sehen ist. Es ist natürlich klar, dass damals die Wiedervereinigung das beherrschende Thema war in der Politik und in der Literatur. Ich denke, aber trotzdem, dass er diesen Preis verdient hat. "


    In seiner Dankesrede attackiert Biermann die Oppositionsgruppen der DDR, die er von "Stasi-Metastasen" zerfressen sieht, geht auf Distanz zur PDS. 1994 greift er Gregor Gysi öffentlich an. Mitte der neunziger Jahre reist Wolf Biermann regelmäßig nach Israel. Sein Engagement für Israel geht allerdings nicht nur auf biographische Wurzeln zurück.

    " Die Tatsache, dass mein Vater Jude war und als Jude in Auschwitz ermordet wurde und nebenbei meine ganze jüdische Familie über 20 Menschen ohne eine einzige Ausnahme ermordet wurden in der Nazi-Zeit - hat darauf überhaupt keinen Einfluss.

    Also gehe ich nach Israel, weil dort Menschen leben, die mit dem Schicksal meiner Familie enger verbunden sind als die Leute in Thailand. Weil dort Menschen leben, die aus Deutschland ausgebürgert wurden von den Nazis und geflüchtet sind nach Palästina damals, weil sie gerne überleben wollten und merkten, dass das eine Welt ist, in die sie überhaupt nicht hineingehörten. "

    Jetzt zu Biermanns 70. Geburtstag am 15. November hat sein neuer Verlag ein neues Buch von ihm verlegt. Es nennt sich wie das gleichnamige Hörbuch "Heimat". Ist ihm die Bundesrepublik nun zur Heimat geworden?

    " Zunächst mal ist Heimat für mich jedenfalls die Heimat der Freunde, der Menschen. Selbst die vertrauten Feinde, die man auch braucht, gehören zur Heimat. Das war auch ein Verlust für mich als ich ausgebürgert wurde vor dreißig Jahren, dass ich nicht nur meine treuen vertrauten Freunde, sondern auch meine vertrauten treuen Feinde verlor. Obwohl - das stimmt nicht ganz - weder die Freunde habe ich ganz verloren, viele habe ich ja wieder gefunden, aber auch meine alten Feinde sind mit treu geblieben. Und insofern kann ich mich über einen Mangel an Heimat im allerbösesten wie im besten Sinne nicht beklagen. "