Jeweils um elf und um zwölf Uhr am Vormittag stehen sie wie Sterngucker auf dem Marienplatz: Touristen aus der ganzen Welt.
"Sind Sie Münchner? - Nein ! - Von wo kommen Sie her? - Von Straubing! - Und warum kommen Sie hier her? - Extra wegen diesem Glockenspiel! - Wie haben Sie davon erfahren - Aus der Zeitung, aus den Medien. Das hat sich so rumgesprochen, das es da in München ist!"
München wird von den Reiseveranstaltern und auch vom Fremdenverkehrsamt als herzige Stadt dargestellt. Weißwüst und Weißbier stehen auf dem Tisch der Wirtschaften, und Gemütlichkeit darf nicht fehlen.
Gemütlichkeit ist aber oftmals ein Rückgriff auf vergangene und verklärte Zeiten. Um die Jahrhundertwende liebten die Münchner aufstrebende Bögen, Erker und gotische Spitzbögen. Halt so, wie die Meister am Rhein gebaut hatten. So beschließt die Stadt in den letzten Jahren vor 1900, das neue Rathaus im flämischen Stil zu bauen mit einem Turm, und oben in die Spitze mit einem Glockenspiel. Und das war das Problem: In Flandern und in den Niederlanden, da konnten die Gießmeister auch Glocken für eine melodisches Glockenspiel gießen.
"Das können wir auch", haben die Münchner großmäulig gesagt und sich gründlich geirrt, denn Kirchengeläute gibt es genug in Bayern, und auch ganz wunderbare, wie das der Frauenkirche, aber ein Glockenspiel muss ganz anders gegossen werden als schwingende Kirchenglocken.
Die Münchner meinten es gut und haben noch etwas Einzigartiges hinzugefügt. Während oben die Glocken ihre Melodie spielen, erscheinen ein paar Meter unterhalb im Turm Figuren, die Szenen der Münchner Geschichte nacherzählen. Das Glockenspiel bietet somit den Ohren und den Augen etwas. Und so warten die Touristen voller Hoffnung auf die Glockentöne, und wenn sich am Turm die Figuren bewegen…
"Wir wollen fotografieren, und wir wollen es hören. Ja, das ist es, auf das wir hoffen."
Und da viele in München meinen, es gäbe auf dem Erdenrund keine vergleichbare und bessere Stadt, haben sie dem Glockenspiel auch einen einzigartigen Platz unter den tönenden Instrumenten eingeräumt. Man musste schon sehr unmusikalisch sein, um diesen aufgeblähten Humbug mitzumachen.
"Und wenn sie gleich aussteigen, hören Sie das berühmteste Glockenspiel der Welt! - Das Münchner Glockenspiel hat eine ähnliche Bedeutung wie der Eifelturm für Paris. - Wie die Freiheitsstatue in New York den Reisenden begrüßt, so grüßt vom Rathausturm das Glockenspiel den Besucher in München. - Das Glockenspiel ist eines der größten in der Welt. - Sogar aus den USA und Australien kommen Touristen nach München, um sich das Glockenspiel anzuhören."
Natürlich ist das alles Schmarrn, wie die Münchner sagen. Und vor allem weiß der aufrechte und musikalische Bürger eines: das Glockenspiel klingt grausam. Oder, besser gesagt, es klang grausam. Und dass es so war, bestätigen die Briefe, die die Stadt im Laufe der Jahre erhalten hat:
"Heute war ich mal wieder um elf Uhr am Marienplatz. Aber o weh, was hörten meine Ohren statt aller Glocken: Hörte ich nicht ein paar Blecheimer dazwischen."
Solche Briefe hat die Stadt 100 Jahre lang erhalten, und trotzdem hat sie so getan, als ob das Rathausglockenspiel das schönste der Welt sei. 1908, als das erste Mal das Glockenspiel erklungen ist, haben sich Artikelschreiber und Musiker über die Disharmonie im Rathausturm lustig gemacht. Die bösen Federn behaupteten sogar, dass man von der Disharmonie der Glocken über dem Rathaus auch auf die Zerstrittenheit des Magistrats im Rathaus schließen könne. Und als die Stadt München dann auch noch am Internetnet angeschlossen war, da hagelt es dann Kritik über den Rechner.
"Ich hatte Besuch aus China. Der absolute negative Hammer aber war das Glockenspiel: nur noch Scheppern und Missklänge defekter Glocken, und das, so viel ich weiß, schon länger. Es ist eine Frage der Prioritäten: Statt eines sinnlosen Rückbaus von Straßen sollte die Stadt lieber ihr Glockenspiel instand setzten. Es ist immerhin eine Attraktion."
"Also, die Entscheidung ist aus dem Missklang der letzten zehn Jahre entstanden."
München musste handeln, sagt Detlef Lange vom Baureferat:
"Da hat es sich dann auch dramatisch verschlechtert, weil die Glocken zum einen auch noch verschmutzt waren und der Ton immer mehr abgebrochen ist und der Klang nicht mehr da war und der Hall. Verschiedene Glocken wurden auch gar nicht mehr angeschlagen. Am Schluss hat es sich dann mehr nach tibetanischen Gebetsklängen angehört als nach einem dem europäischen Ohr vertrauten Lied."
Und so hat sich die Stadt München entschlossen, die 43 Glocken auszubauen, sie in die Niederlande zu fahren, um sie dort neu stimmen zu lassen. Die Treppe, die in die Spitze des Rathausturmes führt, ist eine Wendeltreppe, in der nur eine Person Platz hat, so wie in alten Schlössern.
"Wie das dann alles stand, kam dann eines Morgens ein großer Kran, der dann von oben diese Glocken, nachdem sie im Turm ein par Stockwerke nach unten transportiert wurden, auf den Laster gehoben hat. Dieser Laster hat dann die Glocken in die Werkstatt der Firma 'De königlige Eijsbouts' gebracht. Und dort wurden dann diese Glocken gestimmt und saniert."
Die haben dann die Glocken in eine Art Werkbank eingespannt und mit einem Metallschäler ganz fein die Bronze herausgeschält, bis der Klang für das musikalische Ohr fein genug war. Das erklärt Detlef Lange im Rathausturm beim Aufstieg zum Glockenspiel.
Zwei Räume, in denen man jeweils einen Supermarkt eröffnen könnte, liegen unterhalb des Glockenspiels. In beiden Räumen ist das Inventar untergebracht, das solch ein Glockenspiel benötigt: eine genau gehende Uhr, ein Spieltisch – von dem wie bei einem Klavier die Impulse ausgehen - , und vor allem die Mechanik, die die Klöppel zum Anschlag bringt.
Jede Glocke hat in der Stube unter dem Glockenspiel ihr Zahnrad. Das dreht sich und bewegt ein Seil, das nach oben geführt wird. Dann schlägt es den Klöppel an die Glocke.
Der Raum riecht nach Nähmaschinenöl, die 42 Zahnräder sehen aus, als wenn 42 Brotmaschinen mit unterschiedlich großen Schneideblättern auf einer Tafel nebeneinander liegen. Nur alles ist hier aus schwarzem Gusseisen.
Kein Mensch meint, dass in unserem heutigen Jahr alles noch voll mechanisch ist. Das ist es aber - auch der erste Knopfdruck, wenn das Glockenspiel gestartet wird. Da wartet dann ein Mitarbeiter des Rathauses, bis die Uhrenglocke die Uhrzeit schlägt. Jetzt muss er die Ohren spitzen, ob nicht eine der vielen umliegenden Kirchen gerade läutet, damit keine Disharmonien zu hören ist. Er wartet, bis jedes Geläut zu Ende ist. Ist er ruhig, setzt er per Knopfdruck das Glockenspiel in Gang. Jetzt freilich das neu gestimmte.
"Viel klarer, genau, toll! Jetzt ist der Weg doppelt ausbezahlt worden, das hört man. Das hat ja früher nur gescheppert."
"Sind Sie Münchner? - Nein ! - Von wo kommen Sie her? - Von Straubing! - Und warum kommen Sie hier her? - Extra wegen diesem Glockenspiel! - Wie haben Sie davon erfahren - Aus der Zeitung, aus den Medien. Das hat sich so rumgesprochen, das es da in München ist!"
München wird von den Reiseveranstaltern und auch vom Fremdenverkehrsamt als herzige Stadt dargestellt. Weißwüst und Weißbier stehen auf dem Tisch der Wirtschaften, und Gemütlichkeit darf nicht fehlen.
Gemütlichkeit ist aber oftmals ein Rückgriff auf vergangene und verklärte Zeiten. Um die Jahrhundertwende liebten die Münchner aufstrebende Bögen, Erker und gotische Spitzbögen. Halt so, wie die Meister am Rhein gebaut hatten. So beschließt die Stadt in den letzten Jahren vor 1900, das neue Rathaus im flämischen Stil zu bauen mit einem Turm, und oben in die Spitze mit einem Glockenspiel. Und das war das Problem: In Flandern und in den Niederlanden, da konnten die Gießmeister auch Glocken für eine melodisches Glockenspiel gießen.
"Das können wir auch", haben die Münchner großmäulig gesagt und sich gründlich geirrt, denn Kirchengeläute gibt es genug in Bayern, und auch ganz wunderbare, wie das der Frauenkirche, aber ein Glockenspiel muss ganz anders gegossen werden als schwingende Kirchenglocken.
Die Münchner meinten es gut und haben noch etwas Einzigartiges hinzugefügt. Während oben die Glocken ihre Melodie spielen, erscheinen ein paar Meter unterhalb im Turm Figuren, die Szenen der Münchner Geschichte nacherzählen. Das Glockenspiel bietet somit den Ohren und den Augen etwas. Und so warten die Touristen voller Hoffnung auf die Glockentöne, und wenn sich am Turm die Figuren bewegen…
"Wir wollen fotografieren, und wir wollen es hören. Ja, das ist es, auf das wir hoffen."
Und da viele in München meinen, es gäbe auf dem Erdenrund keine vergleichbare und bessere Stadt, haben sie dem Glockenspiel auch einen einzigartigen Platz unter den tönenden Instrumenten eingeräumt. Man musste schon sehr unmusikalisch sein, um diesen aufgeblähten Humbug mitzumachen.
"Und wenn sie gleich aussteigen, hören Sie das berühmteste Glockenspiel der Welt! - Das Münchner Glockenspiel hat eine ähnliche Bedeutung wie der Eifelturm für Paris. - Wie die Freiheitsstatue in New York den Reisenden begrüßt, so grüßt vom Rathausturm das Glockenspiel den Besucher in München. - Das Glockenspiel ist eines der größten in der Welt. - Sogar aus den USA und Australien kommen Touristen nach München, um sich das Glockenspiel anzuhören."
Natürlich ist das alles Schmarrn, wie die Münchner sagen. Und vor allem weiß der aufrechte und musikalische Bürger eines: das Glockenspiel klingt grausam. Oder, besser gesagt, es klang grausam. Und dass es so war, bestätigen die Briefe, die die Stadt im Laufe der Jahre erhalten hat:
"Heute war ich mal wieder um elf Uhr am Marienplatz. Aber o weh, was hörten meine Ohren statt aller Glocken: Hörte ich nicht ein paar Blecheimer dazwischen."
Solche Briefe hat die Stadt 100 Jahre lang erhalten, und trotzdem hat sie so getan, als ob das Rathausglockenspiel das schönste der Welt sei. 1908, als das erste Mal das Glockenspiel erklungen ist, haben sich Artikelschreiber und Musiker über die Disharmonie im Rathausturm lustig gemacht. Die bösen Federn behaupteten sogar, dass man von der Disharmonie der Glocken über dem Rathaus auch auf die Zerstrittenheit des Magistrats im Rathaus schließen könne. Und als die Stadt München dann auch noch am Internetnet angeschlossen war, da hagelt es dann Kritik über den Rechner.
"Ich hatte Besuch aus China. Der absolute negative Hammer aber war das Glockenspiel: nur noch Scheppern und Missklänge defekter Glocken, und das, so viel ich weiß, schon länger. Es ist eine Frage der Prioritäten: Statt eines sinnlosen Rückbaus von Straßen sollte die Stadt lieber ihr Glockenspiel instand setzten. Es ist immerhin eine Attraktion."
"Also, die Entscheidung ist aus dem Missklang der letzten zehn Jahre entstanden."
München musste handeln, sagt Detlef Lange vom Baureferat:
"Da hat es sich dann auch dramatisch verschlechtert, weil die Glocken zum einen auch noch verschmutzt waren und der Ton immer mehr abgebrochen ist und der Klang nicht mehr da war und der Hall. Verschiedene Glocken wurden auch gar nicht mehr angeschlagen. Am Schluss hat es sich dann mehr nach tibetanischen Gebetsklängen angehört als nach einem dem europäischen Ohr vertrauten Lied."
Und so hat sich die Stadt München entschlossen, die 43 Glocken auszubauen, sie in die Niederlande zu fahren, um sie dort neu stimmen zu lassen. Die Treppe, die in die Spitze des Rathausturmes führt, ist eine Wendeltreppe, in der nur eine Person Platz hat, so wie in alten Schlössern.
"Wie das dann alles stand, kam dann eines Morgens ein großer Kran, der dann von oben diese Glocken, nachdem sie im Turm ein par Stockwerke nach unten transportiert wurden, auf den Laster gehoben hat. Dieser Laster hat dann die Glocken in die Werkstatt der Firma 'De königlige Eijsbouts' gebracht. Und dort wurden dann diese Glocken gestimmt und saniert."
Die haben dann die Glocken in eine Art Werkbank eingespannt und mit einem Metallschäler ganz fein die Bronze herausgeschält, bis der Klang für das musikalische Ohr fein genug war. Das erklärt Detlef Lange im Rathausturm beim Aufstieg zum Glockenspiel.
Zwei Räume, in denen man jeweils einen Supermarkt eröffnen könnte, liegen unterhalb des Glockenspiels. In beiden Räumen ist das Inventar untergebracht, das solch ein Glockenspiel benötigt: eine genau gehende Uhr, ein Spieltisch – von dem wie bei einem Klavier die Impulse ausgehen - , und vor allem die Mechanik, die die Klöppel zum Anschlag bringt.
Jede Glocke hat in der Stube unter dem Glockenspiel ihr Zahnrad. Das dreht sich und bewegt ein Seil, das nach oben geführt wird. Dann schlägt es den Klöppel an die Glocke.
Der Raum riecht nach Nähmaschinenöl, die 42 Zahnräder sehen aus, als wenn 42 Brotmaschinen mit unterschiedlich großen Schneideblättern auf einer Tafel nebeneinander liegen. Nur alles ist hier aus schwarzem Gusseisen.
Kein Mensch meint, dass in unserem heutigen Jahr alles noch voll mechanisch ist. Das ist es aber - auch der erste Knopfdruck, wenn das Glockenspiel gestartet wird. Da wartet dann ein Mitarbeiter des Rathauses, bis die Uhrenglocke die Uhrzeit schlägt. Jetzt muss er die Ohren spitzen, ob nicht eine der vielen umliegenden Kirchen gerade läutet, damit keine Disharmonien zu hören ist. Er wartet, bis jedes Geläut zu Ende ist. Ist er ruhig, setzt er per Knopfdruck das Glockenspiel in Gang. Jetzt freilich das neu gestimmte.
"Viel klarer, genau, toll! Jetzt ist der Weg doppelt ausbezahlt worden, das hört man. Das hat ja früher nur gescheppert."