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Vom Sofa aus dem Mörder auf der Spur

Zwischen kühlem Irrwitz auf dem englischen Rasen, Banker-Morden im finanzgebeutelten Griechenland, einem Schnüffler in der New Yorker Unterwelt und einem Mord in der der fiktiven DDR 2011 drehen sich die Krimis, die in dieser Kolumne vorgestellt werden.

Von Andreas Ammer | 16.08.2011
    Und wieder einmal steht die Welt kurz vor dem Untergang.
    Zumindest ist sie so gut wie pleite.
    Bevor aber China das Weiße Haus in Washington pfänden lässt, ...
    ... willkommen bei der weltweit führenden Ratingagentur für die radiofone Einordnung letale Prozesse deskribierender Detektionsliteratur.
    Mit einem Wort:

    "Die Krimikolumne."

    Nur echt mit unserem notorisch überschuldeten Rezensenten und heute mit neuen Büchern aus den internatonalen Metropolen der Misswirtschaft. Mit faulen Schecks aus Griechenland, großstädtisch schlechtem Karma in Amerika und einem Bericht aus dem schlechtesten Deutschland aller Zeiten.
    In den Straßen von New York ...
    .... Behauptet unser Rezensent etwas großspurig ...
    ... ist die Finanzkrise noch nicht angekommen. In New York fühlt sich der Sommer weich und sehr, sehr warm an. Wenn man in eine Buchhandlung geht, kann man dort verblüfft eine Übersetzung von Jakob Arjounis 10 Jahre altem Meisterwerk "Ein Mann ein Mord" finden.
    Was insofern eine Besonderheit ist, als die Amis gerne von fremden Investoren Geld, aber nur ungern von fremden Ländern etwas Kultur oder gar Literatur annehmen.

    Besser funktioniert der Transfer in die andere Richtung. Deutschland ist krimitechnisch eine Art amerikanische Kolonie. Das liegt weniger an der besseren Qualität der amerikanischen Krimiautoren, sondern an funktionierenden kapitalistischen Verwertungsketten.
    "Aber schöne Ergebnisse haben diese Verwertungsketten hin und wieder doch."

    .Urteilt unser Resensent angesichts von Walter Mosleys jetzt von Kristian Lutze ins Deutsche übersetztem Krimi "Manhattan Karma", der in der exzellenten Krimireihe des Suhrkamp-Verlages erschienen ist, über die nur alternde Intellektuelle sich noch wundern.

    "Meint ihr mich?"

    Oft, fast all zu oft wurde hier in der Krimikolumne der Abstruse, der besondere, der raffinierte, der aberwitzige Krimi gelobt. Es ist fast so, als ob es ihn nicht mehr gäbe, den ganz normalen Krimi, in dem ein zerrissener Privatschnüffler in seinem Büro sitzt. All zu gern würde dieser Privatdetektiv nur das Gute tun ...

    ... allein das Gute ist so wenig einträglich und natürlich bekommt dieser Detektiv mit seinem komplizierten Privatleben ab und zu Besuch von finsteren Gestalten aus der Vergangenheit oder von einem gemeinen Polizisten, der ihn gehörig unter Druck setzt.

    Walter Mosley gilt in Amerika als Garant für solide Bestsellerproduktionen. Seit einem Vierteljahrhundert schreibt er an seiner Reihe um den schwarzen Privatdetektiv Easy Rawlins und wurde damit zu einem der erfolgreichsten Vertreter einer afroamerikanischen Kultur.

    Für "Manhattan Karma", das im Original "The Long Fall" heißt, hat sich der Routinier Mosley einen neuen Detektiv ausgedacht.

    Leonid McGill, ebenfalls schwarz, schon 53, früher mal so etwas wie ein Boxer, allerdings dafür schon immer zu klein und inzwischen viel zu dick, ist ein Detektiv der ganz alten Schule, fast darf man Philip, ... Philip Marlowe zu ihm sagen.

    Und das Buch, "Manhattan Karma ", in dem er - von Zweifeln an seinem bisherigen Leben zerfressen - zuerst auftritt, ist ein Wunder an klassischer amerikanischer Erzählkunst.

    "Lakonisch, hoch spannend, manchmal mäandernd, aber immer leicht zu lesen und dennoch anspruchsvoll."

    Es ist ein Buch, wie man glaubte, dass es so einfach, so leicht und dennoch gehaltvoll gar nicht mehr geben könnte. Mit dem Satz ...

    "Ein Buch, das auch Chandler schon hätte schreiben können."

    Spricht unser Rezensent ein großes Lob gelassen aus und empfiehlt uneingeschränkt den konservativen jetzt-schon-Klassiker "Manhattan Karma" von Walter Mosley, erschienen im Suhrkamp-Verlag als Taschenbuch-Erstausgabe für unglaublich günstige 10, 30 Euro.

    Wie unser Rezensent aus amerikanischen Buchläden weiß, hat Walter Mosley die Leonid McGill Reihe bereits fortgesetzt. - Da kommt noch was auf uns zu.

    Mosley ist ein Bewahrer der klassischen Krimischreibkunst. Jemand, der beweist, dass es nicht unbedingt neue Ideen braucht, um einen neuen guten Krimi zu schreiben.
    "Es kann aber auch nicht schaden, eine neue Idee zu haben."

    Simon Urban, 36, Wahlhamburger, hat öfters eine Idee. Das ist auch sein Beruf, denn er ist Werbetexter. Als Werbetexter möchte man - siehe das Beispiel Wolf Haas - am allerliebsten Krimiautor sein. Ideen genug hat man ja.

    Und was war die Idee von diesem ... wie heißt er? ... Urban?

    Als Werber hatte er einmal die Idee, bei literarischen Lesungen live eine Werbepause für ein Kreislauftonikum einzulegen. In der Werbepause wurden Gedichte zu Altersbeschwerden vorgetragen und dann vor dem eh anwesenden Zielpublikum für das Tonikum geworben. Für diese Idee hat Simon Urban 2009 in New York ungelogen den CLIO-Award bekommen, das ist so etwas wie der Oskar für Werbeclips.

    Und was hat das mit unserer Krimikolumne zu tun? Kommt jetzt eine Werbepause?
    Genau und zwar für Simon Urbans ersten Roman "Plan D", der bei Schöffling & Co erschienen ist.

    "Der beste deutsche Krimi - soweit ich seh _..."
    Reimt sich unser Rezensent zusammen,

    "kommt derzeit vom Urban Simi und heißt 'Plan D'."

    Ende der Werbung, jetzt kommt die Rezension.

    "Plan D" von Simon Urban beruht auf einer Einfachen, aber - wie es so schön heißt - genialen Idee. 1989 kam es gemäß dieser Idee in Deutschland nicht zur Wiedervereinigung, sondern zur sogenannten "Wiederbelebung" der DDR. Egon Krenz, der Nachfolger von Erich Honecker als Staatsratsvorsitzender, lässt zwar am 9. Dezember 1989 die Mauer öffnen. Es fliehen gut 2,49 Millionen DDR-Bürger nach West-Europa, aufgrund der Massenflucht lässt Krenz aber die Mauer ein Jahr später, am 17. November 1990, wieder schließen.

    Am 1. August 1992 wird schließlich der Ost-Immigrant Otto Schily neuer DDR-Minister für Staatssicherheit. Die Deutsche Demokratische Republik wird aufgrund ihrer Erfahrungen mit Abhörtechnologien Weltmarktführer für Handys. Das "Modell Minsk" ist begehrter als jedes iPhone. Wegen der hohen Transitgebühren für russisches Erdgas hat die DDR am Ende des Jahrtausends einen ausgeglichenen Staatshaushalt. In der BRD ist mittlerweile Oskar Lafontaine Bundeskanzler. Er will die BRD an den sozialistischen Schwesterstaat annähern.

    Da - wir schreiben das Jahr 2011 - geschieht ein Mord. Der Krimi beginnt. Der Tote, ein ehemaliger Krenz-Berater hängt an der Gasleitung gen Westen. Die Schnürsenkel verknotet. So hat die Stasi früher gemordet. Und weil der neue Chefredakteur des "Spiegel", Claus Kleber, daraus eine große Titelstory macht, bekommt Kriminal-Hauptmann Wegener den delikaten Auftrag, gegen die Stasi zu ermitteln.

    "Starker Stoff, etwas halbstark umgesetzt, aber trotzdem grandios."

    Urteilt unser Rezensent über Simon Urbans Alternativweltgeschichte "Plan D". Was kann er damit meinen?

    Wie bei einem 550 Seiten starken Erstlingswerk nicht anders zu erwarten, finden sich bei Simon Urban nicht nur wunderbare Ideen, herrliche Bonmots, gelehrte Anspielungen ...

    ... so etwa, wenn ein Kapitel mit den gleichen Worten beginnt, wie einstmals auch "Der Butt" von Günter Grass ...

    ... sondern der Roman enthält auch manche Überspanntheit. Wenn es zum Beispiel an entscheidender Stelle heißt:

    diese Augen sind Miniaturweltmeere, Verbissenheitstiefseegräben, wer da hineinsteigt, muss bereit sein, das eigene Hirn in die Posteritatismus-Waschmaschine zu stecken,

    Dann hätte das ein gnädiger Lektor dem heiß laufenden Werbetexter vielleicht besser aus dem Text streichen sollen.

    "Schade drum!"

    Denn ohne solche Manierismen wäre Simon Urbans Erstlingswerk sofort in eine Reihe zu stellen mit all den anderen merkwürdigen und genialen Romanen der parahistorischen Literatur, darunter Richard Harris "Vaterland",
    Der davon ausging, dass die Deutschen den 2. Weltkrieg gewonnen hätten,

    Philipp K. Dicks "Orakel vom Berg"

    In dem die Japaner Amerika besetzt halten, oder

    Philip Roths "Verschwörung gegen Amerika",

    In dem der Antisemit Charles Lindbergh als Präsident der USA sich mit Deutschland verständigt

    Christian Krachts "ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten",

    In dem Lenin, weil er den Zug nach Russland verpasst hat, in der Schweiz die Sowjetrepublik gründet.
    Dass in 22 Jahren Weltgeschichte noch nie jemand darauf gekommen ist, einfach von der Nicht-Wiedervereinigung auszugehen, ist im Nachhinein merkwürdig, weil es so naheliegend gewesen wäre. Aber das ist das Schöne an guten Ideen, dass sich im Nachhinein jeder wundert, sie nicht selbst gehabt zu haben.
    Vor allem die detailreiche Fabulierlust, mit der sich Urban die heutige DDR ausmalt, mag begeistern. Von der Bionier-Brause mit Sanddorn Geschmack ...

    Werbespruch: "Jetzt wird genossen, Genossen"

    ... bis hin zum Rapsöl-betriebenen Trabbi-Nachfolger "Phobos" und dem Sozialhilfeprogramm "Lötzsch 2"

    ... wurde damit ein ganze fiktive Gesellschaft erfunden, die spannend und amüsant ist, weil sie mit heutigen Personen besetzt ist. Vom DDR-Kultusminister Dietmar Dath bis zum Vorsitzenden des Ministerrates Gregor Gysi oder bis zum alternden Fußballstar Ballack wird für fast jeden Prominenten - außer Frau Merkel - eine alternative Biografie und ein alternativer Platz in der DDR-Gesellschaft des Oktobers 2011 gefunden, in der der Roman spielt.
    "Also: Ein grandioses Debüt, aber leider ... ein Debüt."

    Dann vielleicht lieber: ein Prophet?

    Diesmal heißt er Petros Markaris. Sein neuer Krimi "Faule Kredite" will genau das sein, was der Titel verspricht: ein aktueller Krimi zur Krise der Zeit. Geschrieben im letzten Jahr, ist er in diesem Jahr so aktuell geworden, dass der Diogenes-Verlag sein Erscheinungsdatum vorverlegen musste. Nein, der ehemalige Faust-Übersetzer Markaris ist kein Mann für den Elfenbeinturm. Er will sich einmischen. Literatur schreiben, die mit der Welt zu tun hat, mit jetzt und heute und den Leuten - deshalb auch schreibt er Krimis.

    Jetzt und heute heißt vor allem: Griechenland hat sich mehr verschuldet, als es je zurückzahlen kann, und auch Kommissar Kostas Charitos hat einen Kredit aufgenommen, um die Hochzeit seiner Tochter und das neue Auto, mit dem er sie standesgemäß dorthin fahren muss, zu finanzieren.

    Dann werden Banker enthauptet. Mit einem Schwert. Bei ihnen findet man Zettel auf denen ein großes "D" prangt. Etwa D wie Deutschland? Und dann tauchen Plakate in der Stadt auf, in denen die Griechen aufgefordert werden, ihre Kredite nicht mehr zu bezahlen.

    Sofortige Zahlungsverweigerung! Boykottiert die Banken! Verhindert die Abbuchung Eurer Kreditkarten! Storniert die Daueraufträge! (...) Ihr schuldet den Banken, die Euch in die Verschuldung getrieben haben, keinen Cent!

    So tönt es plakativ von den griechischen Hauswänden. Und Markaris' Kommissar Charitos hat es wegen all der Demonstrationen gegen den Abbau von Löhnen und Sozialleistungen noch schwerer als sonst, sich durch Athen zu bewegen.

    Und das Schönste an alledem: Nichts wirkt an Markaris Roman ausgedacht oder aufgesetzt. Mit großer Leichtigkeit verwebt er in seinem letztes Jahr geschriebenen Roman tagesaktuelle Diskussionen mit dem persönlichen Schicksal seines Kommissars und einer originellen Krimihandlung.
    "Und obendrein ..."
    ... weiß unser Rezensent ...
    "... zeigt Markaris seinen Landsleuten auch, wie die Krise ganz einfach zu bewältigen wäre:"

    Und wie bitte?

    "Durch die Herstellung qualitativ hochwertiger Exportgüter."

    Wie des erstklassigen Krimis "Faule Schecks" von Petros Markaris, der in der Übersetzung von Michaela Prinzinger bei Diogenes erschienen ist. Auch ein Beitrag zur Senkung des griechischen Außenhandelsdefizits.

    Nach so viel Aktualität etwas Klassik am Rande: Im Manesse Verlag sind - übersetzt von Renate Orth-Guttmann - unter dem Titel "Der Mann, der zu viel wusste" - Kriminalgeschichten von Gilbert Keith Chesterton, dem Erfinder des Pater Braun, erschienen.

    Chesterton war ein nur schwer einzuordnender Vielschreiber. Weltanschaulich ein Anhänger der Christlichen Orthodoxie, politisch ein Verfechter der Theorie, dass es nicht zu viele, sondern zu wenige Kapitalisten gäbe.

    Jedermann sollte eine Kuh und drei Morgen Land besitzen können -

    ... lautet eine seiner Forderungen. Chesterton ist der Autor von gut 80 Büchern, darunter Biografien von Dickens, Chaucer, Blake und Franz von Assisi, obendrein Verfasser von siebenhundert Gedichten, angeblich 4000 Essays und 200 Kurzgeschichten, von denen er acht zu dem jetzt neu erschienenen Episodenbuch um den britischen Snob Horne Fisher zusammenfasste.

    Es sind dies merkwürdige krimiähnliche Erzählungen voller eigenartiger Verbrechen. Horne Fisher, ein Angehöriger der britischen Upper-Class, wird darin reihenweise Zeuge von Verbrechen in der Oberschicht. Zumeist klärt er die Verbrechen auch geistreich auf. Dadurch weiß er immer mehr weiß über die Welt, am Ende so viel, dass ihn das umbringt.

    Es ist dies ein tief pessimistisches, ein unmögliches, vielleicht sogar gar kein gutes Buch, aber eines, das durch seine bloße Existenz verwirrt. Ursprünglich ist es aus einzelnen Erzählungen Chestertons zusammengesetzt worden. Das erklärt zwar seine rhapsodische Gestalt, aber nicht die fast surrealistische Verunsicherung, die vom Gesamtbuch heutzutage ausgeht.

    Wenn die Aufklärung eines Falles so abstrus und zynisch ist, dass dem Autor Chesterton heute kein Leser mehr so recht kann, dann kippt das Buch plötzlich ins Geniale um.

    Die Geschichten bekommen in ihrem skurrilen Beharren auf der Möglichkeit einer ganz anderen Welt, eines ganz anderen Denkens etwas sagenhaft heiliges und ...

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verstehe.
    Das hat uns unser Rezensent aber so aufgeschrieben und mit dem Satz.

    "Da muss ich doch um Ruhe bitten!"

    ... unterbindet er alle demokratische Diskussion um kriminalistisch literarische Qualität und er wehrt sich - wie alle Despoten - seit 21 Jahren gegen jeden Widerspruch und gegen jeden stummen Protest seiner Hörerschaft mit dem immer gleichen Argument.

    Gilbert Keith Chesterton: Der Mann der zu viel wusste, (Manesse)
    Petros Markaris: Faule Schecks, (Diogenes)
    Walter Mosley: Manhattan Karma, (Suhrkamp)
    Simon Urban: Plan D (Schöffling & Co)